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Moderne Gesellschaft - Helden wie wir

Die Sehnsucht nach Helden ist auch im postheroischen Zeitalter nicht verschwunden. Ganz im Gegenteil: In der liberalen Demokratie erleben sie ein regelrechtes Comeback. Jeder will, jeder soll heutzutage ein Held sein. Das kann nicht gut gehen.

Autoreninfo

Studierte Politikwissenschaft, Medienrecht und Werbepsychologie in München und Bologna.

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Was haben Nelson Mandela, Sebastian Vettel und Frau Brock aus München gemeinsam? Richtig: Eigentlich gar nichts. Der eine hat seinen Kampf für die Rechte der schwarzen Bevölkerung mit jahrzehntelanger Gefangenschaft bezahlt, ohne darüber zu verbittern. Der andere hat im Alter von nur 26 Jahren bereits vier Formel-1-Weltmeisterschaften gewonnen und die dritte hat in Kalenderwoche 48 des vergangenen Jahres den besten Umsatz in einer Baumarkt-Filiale erzielt. Und doch gibt es da etwas, was diese drei Personen miteinander verbindet: Alle drei werden für ihre Leistung als Helden gefeiert. Wie kann das möglich sein? Und was genau ist überhaupt ein Held?

Im klassischen Sinne ist ein Held zuerst einmal männlich. Dieser Mann muss etwas Außergewöhnliches leisten und sich so als eine Art ‚Übermensch’ von der Masse abheben. Dafür ist er bereit, zentrale menschliche Maßstäbe und Werte außer Kraft zu setzen. Nicht selten gerät er dabei in Lebensgefahr, doch dieses Risiko nimmt er in Kauf, schließlich besitzt er selbst die Lizenz zum Töten.

„Er oder ich“ – das ist die Logik des klassischen Kriegshelden, wie ihn uns Homer mit Achill nahebringt. Doch wenn es tatsächlich zum Äußersten kommt und der Held Gewalt anwenden muss, dann geschieht das stets zum Wohle der Gemeinschaft, die er verteidigen möchte; keinesfalls geht es ihm nur um sich selbst. Dazu braucht ein Held einen Zeugen. Das Ereignis muss erzählt und weitergetragen werden; einen Helden ohne Publikum kann es nicht geben.

Wir leben längst in einer „postheroischen Gesellschaft“

Mit militanten Heldenfiguren haben insbesondere die Deutschen jedoch ihre Erfahrungen gemacht. Immerhin verklärte hierzulande Ernst Jünger einst den Soldaten als das Heroische schlechthin. In zwei Weltkriegen jedoch sollen Millionen Menschen einen ‚Heldentod’ gestorben sein, der sich als sinnlos und qualvoll herausstellte. Die vermeintlichen ‚Heldentaten’ wurden zudem als höchst verbrecherisch entlarvt. Seitdem ist es mit der Kriegsbegeisterung ein für allemal vorbei. Helden gelten in Deutschland als verdächtig; die Achtundsechziger schließlich haben den Begriff gänzlich ad acta gelegt. Von Bertolt Brecht stammt der Spruch: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.“

Für den Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler leben wir deswegen mittlerweile in einer „postheroischen Gesellschaft“, die durch Arbeit und Freizeit integriert ist, statt durch Ruhm, Ehre oder Opferbereitschaft.

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Helden sind also eigentlich längst nicht mehr zeitgemäß. Trotzdem erleben sie seit einigen Jahren ein regelrechtes Comeback. „Der Wunsch nach exzeptionellen Leistungen bleibt auch in der liberalen Demokratie bestehen“, erklärt der Freiburger Soziologe Ulrich Bröckling. Vielleicht sogar gerade in dieser: Immerhin ist seit dem Ende des Kalten Krieges das weltpolitische Machtgefüge wesentlich unübersichtlicher geworden, dazu kommen Wirtschaftskrisen, die in ihrer Komplexität selbst Experten überfordern; alles in allem also eine ziemlich dankbare Ausgangslage für Heldenfiguren.

Wie aber sieht modernes Heldentum jenseits des Militärischen aus? Um das zu erforschen, hat die Universität Freiburg eigens einen Sonderforschungsbereich eingerichtet. Für abschließende Ergebnisse ist es noch zu früh. Feststeht aber: vom einstigen Pathos ist nichts mehr zu spüren, auch das Heroische ist mittlerweile demokratisiert: Da wäre beispielsweise der amerikanische Pilot Chesley Sullenberger, dem eine spektakuläre Notlandung auf dem Hudson River gelang und dafür als Held von Manhattan gefeiert wurde oder etwa die sechzehnjährige pakistanische Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai, die sich bereits seit fünf Jahren für die Rechte von Frauen und Kindern einsetzt. Edward Snowden ist für viele ein Held, seitdem er seine persönliche Freiheit aufgegeben hat, um die Öffentlichkeit über die Überwachungstätigkeiten des amerikanischen Geheimdienstes aufzuklären. Barack Obama wiederum hatte selbst noch gar nicht viel geleistet, als er von weiten Teilen der westlichen Welt bereits zum Übermenschen ausgerufen wurde. „Ein typischer Fall von vorauseilender Heroisierung“, urteilt Bröckling. Doch damit nicht genug. Helden begegnen einem mittlerweile fast schon auf Schritt und Tritt; Es gibt ‚stille Helden’, ‚heimliche Helden’, Helden im Sport, in der Wirtschaft, in der Pop-Musik. Und somit letztlich eben auch den ‚Helden der Woche’ im örtlichen Baumarkt.

Helden können heutzutage auch komisch sein

„Der Begriff ist mittlerweile ein Joker-Wort“, erklärt der Historiker und Autor Rolf-Bernhard Essig, der bereits ein ganzes Buch dem Thema gewidmet hat, „es schafft unmittelbare Aufmerksamkeit, lässt sich letztlich aber mit vollkommen beliebigem Sinn füllen.“ Auffallend ist dabei allerdings: Je ernster der Zusammenhang, desto mehr wird sich um das Wort herum gedrückt. Bei Bundeswehr-Soldaten, die in Afghanistan ihr Leben riskiert haben, tut man sich immer noch schwer. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel ihnen Ehrenkreuze für besondere Tapferkeit verliehen hatte, gab es viele kritische Kommentare.

Stattdessen wird der Begriff des Helden heute durchaus bewusst der Lächerlichkeit preisgegeben. Man denke etwa an den ‚Pantoffelhelden’ oder die scherzhafte Frage: „Na, du Held?“ Löscht man regelmäßig ungewünschte E-Mails, hat man neuerdings sogar die Chance zum ‚Helden des Spam-Fachs’ aufzusteigen. Auch die Band Wir sind Helden hat etwas Augenzwinkerndes. Nur sollte man sich davon nicht vorschnell in die Irre leiten lassen. Ironie ist immer auch eine Bestätigung dessen, was sie vorgibt zu dekonstruieren. Und so möchte heutzutage jeder etwas Besonderes sein, etwas Besonderes leisten. Zum Mainstream zu gehören gilt für das selbstbestimmte Subjekt mittlerweile als größtmögliche Beleidigung. Davon zehren auch die berühmt-berüchtigten TV-Formate wie das Dschungelcamp oder Deutschland sucht den Superstar.

So aber passt sich letztlich die Sehnsucht, etwas Besonderes zu sein, die Heldensehnsucht, dem Zeitgeist an; da mag sie noch so stark gegen ihn rebellieren. Nur stellt sich damit die Frage, sind die heutigen Helden nicht beinahe schon Anti-Helden? Oder: Wie sinnvoll ist es wirklich, wenn prinzipiell jeder zum Helden mutieren kann?

Brauchen wir moralischere Begriffe?

Die Panterstiftung der Berliner Tageszeitung taz zeichnet jedes Jahr engagierte Mitmenschen als „Helden des Alltags“ aus. Dafür bekommen die Preisträger sogar eine Schärpe umgelegt. Die Stilisierung zur Heldenfigur ist dabei wohl überlegt. Auch linksliberale Intellektuelle wie etwa die Direktorin des Potsdamer Einstein Forums Susan Neiman plädieren dafür, die Sprache der Moral wiederzubeleben: „Wir dürfen unsere stärksten Begriffe wie Held, Ehre und Gut und Böse nicht denjenigen überlassen, die am meisten dazu neigen, sie zu missbrauchen.“ Das zielt auf Terroristen ab, die die Demokratie gefährden. So sollen Jugendliche mit extremistischem Gedankengut mehr Gefallen an der offenen Gesellschaft finden. Das mag zwar durchaus plausibel klingen, schlussendlich könnte sich die Initiative jedoch auch in ihr Gegenteil verkehren. Denn der leichtfertige Umgang mit dem Heldenbegriff birgt durchaus Gefahren.

Wäre es da nicht besser gewesen, die Alltagshelden schlicht Vorbilder zu nennen? Einem Vorbild kann man nacheifern, das Übermenschliche eines Helden hingegen verschafft immer auch Distanz: „Die Helden-Figur hilft, die eigene Unzulänglichkeit zu kompensieren,“ konstatiert der Soziologe Bröckling, „Helden tun etwas, damit wir es nicht zu tun brauchen.“ Früher war der Kult um Kriegshelden Teil der Mobilmachung. Alle sollten ihnen nacheifern. Heute wiederum führt die Faszination für Helden eher zu Passivität und zur Beruhigung des eigenen Gewissens.

 

Hinzu kommt: Der Held ist keineswegs eine rundum positive Figur. So gehen Risikobewusstsein und Opferbereitschaft oft auch mit Rücksichtslosigkeit und Aggressivität einher. Sein Charakter ist oft eindimensional. „Helden sind sehr häufig teamunfähig“, erklärt Rolf-Bernhard Essig. Die Ambivalenz der Heldenfigur beweist nicht zuletzt der Überheld Mandela: „Letztlich wurde er zum ‚richtigen Zeitpunkt´ inhaftiert. Immerhin hatte sich Mandela kurz zuvor für den gewaltsamen Kampf im ANC ausgesprochen. Was also wäre gewesen, wenn ein Attentäter eine Bombe in eine Polizeikaserne geworfen hätte und Mandela wäre dafür verantwortlich gewesen? Dann wäre er wohl ein anderer Gefangener auf Robben-Island geworden“, so Essig.

Als reale Vorbilder taugen Helden deswegen nur bedingt. Hinter dem schnellen Griff in die Helden-Trickkiste verbirgt sich also letztlich nichts anderes als postmoderne Orientierungslosigkeit. Das bedeutet nicht, dass das Heroische deswegen aus der Gesellschaft verbannt werden muss. Man sollte es aber bei fiktiven Heldengestalten belassen. Wenn wir unsere Wünsche auf Figuren wie Batman, Robin Hood oder König Artus projizieren, kann das nicht schaden. Im besten Fall entsteht dabei sogar eine Art von Gemeinschaftsgefühl.

Was jedoch die reale Welt angeht, gilt: Nicht jeder ist ein Held und muss es auch gar nicht sein.

Menschen künstlich zu heroisieren, ist Unsinn. Weder lässt sich auf diese Weise mehr gesellschaftliches Engagement erreichen, noch tut man den vermeintlichen ‚Helden’ selbst einen Gefallen. Denn entpuppt sich der Held erst einmal als das, was er ist – ein Mensch mit Stärken und Schwächen – fällt die allgemeine Enttäuschung besonders groß aus. Barack Obama ist das beste Beispiel hierfür.

 

 

 

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