- Nein heißt nein
Nach den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht wird über eine Reform des Sexualstrafrechts diskutiert. Was vielen erst jetzt klar wurde: Sexuelle Belästigung ist gar kein Straftatbestand. Das muss sich ändern, fordert die „Emma“-Autorin Chantal Louis
Die unfassbaren Übergriffe in der Silvesternacht in Köln, Hamburg und anderswo zeigten nicht nur das Ausmaß an Frauenverachtung, das in Teilen der männlichen Flüchtlings- und Migranten-Community herrscht. Sie offenbarten auch die massiven Schutzlücken des deutschen Sexualstrafrechts.
Stellen Sie sich vor, jemand bricht in Ihre Wohnung ein und stiehlt Ihr Bargeld, Ihren Schmuck, Ihren Computer. Stellen Sie sich nun weiter vor, der Einbrecher wird erwischt, aber er wird nicht angeklagt. Denn der Staatsanwalt erklärt Ihnen: „Sie waren ja gar nicht zu Hause und konnten deshalb dem Einbrecher nicht sagen, dass sie nicht wollten, dass er gewaltsam in Ihre Wohnung eindringt.“ Und dass Ihnen so ein Einbruch unangenehm ist, so der Jurist weiter, habe der Einbrecher schließlich nicht wissen können.
Ein absurdes Szenario? Stimmt. Aber genau so funktioniert das deutsche Strafrecht. Natürlich nur, wenn es um die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen geht. Was nämlich im Falle des Wohnungseinbruchs selbstverständlich ist – die Wohnung ist ein geschützter Raum und wer dort ungefragt eindringt, macht sich strafbar – gilt keineswegs für Frauenkörper. Hier kommt das umgekehrte Prinzip zur Anwendung, das da lautet: Ein Mann, auch ein fremder, kann zunächst davon ausgehen, dass eine Frau sexuellen Kontakt mit ihm möchte. Also zum Beispiel mit ihm schlafen, wenn er sie nach einer Party nach Hause bringt; oder von ihm auf der Kaufhaus-Rolltreppe an den Po gefasst werden; oder am Kölner Hauptbahnhof in den Schritt. Sollte sie das wider Erwarten nicht wollen, muss sie das dem Mann klar machen. Wer glaubt, dieses Nichtwollen könne durch den ebenso einfachen wie klaren Satz „Ich will das nicht!“ ausgedrückt werden, irrt.
Reform des skandalösen Sexualstrafrechts
Der Bundesverband der Frauennotrufe und Frauenberatungsstellen hat rund 100 Vergewaltigungsfälle dokumentiert, in denen die Täter freigesprochen oder gar nicht erst ein Verfahren eröffnet wurde. Die Begründungen verschlagen einem bisweilen den Atem.
Allen voran die des Bundesgerichtshofs, der 2006 einen Freispruch wie folgt erklärte: Dass „der Angeklagte der Nebenklägerin die Kleidung vom Körper gerissen und gegen deren ausdrücklich erklärten Willen den Geschlechtsverkehr durchgeführt hat“, belege „nicht die Nötigung des Opfers durch Gewalt“. Andere Richter folgen dem höchstrichterlichen Vorbild.
Der letzte spektakuläre Fall dieser Art war der Freispruch von Roy Z. durch das Landgericht Essen im September 2012. Der 31-Jährige schwere Alkoholiker, dessen Gewalttätigkeit aktenkundig war, hatte in seiner Marler Wohnung eine 15-Jährige vergewaltigt. Das Mädchen hatte zuvor gesagt: „Nein, ich will das nicht“, die Vergewaltigung aber aus Angst über sich ergehen lassen. Die Richterin sprach den Täter frei. Begründung: „Er konnte ja nicht wissen, dass sie das nicht wollte.“ Roy Z. war keineswegs schwerhörig, er profitierte ganz einfach vom deutschen Strafrecht.
Gänzlich aberwitzig wird es, wenn es um Frauen mit Behinderung geht, die ihren Unwillen nicht bekunden können. Ein bedrückendes Beispiel: Der Täter hatte sich von hinten an seine gehörlose Kollegin herangeschlichen, sich auf sie gestürzt und vergewaltigt. Sie hatte ihn natürlich nicht kommen hören, „Nein!“ oder „Hilfe!“ konnte sie nicht schreien, weil sie nicht sprechen kann. Und wieder die Frage der Richterin: „Wie haben Sie Ihrem Kollegen denn deutlich gemacht, dass Sie den Geschlechtsverkehr nicht wollten?“
Die Folge: Obwohl die Zahl der Anzeigen wegen Vergewaltigung steigt, sinkt die Verurteilungsquote. Nur jede zehnte Anzeige endet, so hat das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) herausgefunden, mit einer (Bewährungs-)Strafe für den Täter, in einigen Bundesländern nur jede 25..
Seit Jahren fordern Frauenorganisationen eine Reform des skandalösen Sexualstrafrechts. Bis dato vergeblich. Jetzt, nach der Silvesternacht-Katastrophe, kommt Bewegung in die Sache. Endlich.
Denn als nun Politiker verkündeten, die Täter „mit der vollen Härte des Rechtsstaats“ (Kanzlerin Merkel) bestrafen zu wollen, fiel plötzlich auf: Das wird in vielen Fällen gar nicht funktionieren! Denn der Rechtsstaat ist in diesem Fall ein Ausfall. Frauen an den Busen oder zwischen die Beine fassen? Das deutsche Strafgesetzbuch macht’s möglich!
Was vielen erst jetzt klar wurde: „Sexuelle Belästigung“ ist gar kein Straftatbestand. Sie ist lediglich im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geregelt, wo sie ausschließlich Belästigungen im Beruf betrifft. Im Strafgesetzbuch gibt es zwar die „sexuelle Nötigung“, aber: Die strafbaren „sexuellen Handlungen“, die der Täter vornimmt, müssen „von einiger Erheblichkeit“ sein. Mehrere Gerichtsurteile, darunter auch solche des Bundesgerichtshofs, kamen zu dem Schluss: Ein Griff an die Genitalien oder an den Po ist unerheblich.
Und dann ist da ja noch die Sache mit der Gegenwehr. Der Griff in den Schritt oder an den Busen erfolgt in der Regel schnell und für das Opfer überraschend. Und wenn es zu überrumpelt zur Gegenwehr ist, wie soll denn dann der Täter wissen… ? Siehe oben.
So ist auch der „Bundesverband der Frauennotrufe und Frauenberatungsstellen“ (bff) mit Blick auf die Übergriffe an Silvester mehr als skeptisch: „Dem bff sind schon lange zahlreiche Fälle bekannt, in denen Frauen an öffentlichen Orten belästigt, begrapscht und an Geschlechtsteilen angefasst wurden. In der Regel enden diese Taten für die Täter straflos.“
Nun hat Justizminister Heiko Maas (SPD) einen Gesetzentwurf vorgelegt. Dieser Gesetzentwurf ist nicht neu, auch wenn der Minister, der nun unter Zugzwang steht, versucht, diesen Eindruck zu erwecken. Fakt ist: Maas hatte in Sachen § 177, dem sogenannten Vergewaltigungsparagrafen, noch im September 2015 „keinen Handlungsbedarf“ gesehen. Erst der öffentliche Druck von Frauenorganisationen inklusive einer Petition mit 20.000 Unterschriften überzeugten ihn offenbar vom Reformbedarf. Im November 2015 präsentierte der Minister also einen Entwurf, der, nachdem er ein Jahr lang in irgendeiner Berliner Schublade verstaubte (es heißt, in einer des Kanzleramts), nun wieder ans Licht geholt wird. Besser spät als nie.
Nicht weit genug – der Gesetzesentwurf von Heiko Maas
Es gibt an diesem Entwurf einige gute Aspekte – und einen schlechten. Gut an diesem Entwurf ist:
1. Er erfasst Personen, die „aufgrund ihres körperlichen oder psychischen Zustands zum Widerstand unfähig sind“. Das ist wichtig, denn immer wieder gab es Freisprüche, weil dem Täter zugute gehalten wurde, dass sein Opfer – traumatisiert zum Beispiel durch einen früheren sexuellen Missbrauch – angesichts der Bedrohung völlig erstarrte und keinen Widerstand leistete.
2. Er erfasst auch Personen, die „aufgrund der überraschenden Begehung der Tat zum Widerstand unfähig“ sind. Diese Formulierung würde den Überrumpelungseffekt aushebeln, der bisher den Täter entlastete.
3. Er erfasst Fälle, in denen das Opfer „im Falle des Widerstandes ein erhebliches Übel befürchtet“. Das würde den Fall Roy Z. betreffen, dessen Opfer die potenzielle Gewaltbereitschaft des Täters sehr gut kannte und fürchtete.
4. Und falls der fehlende Widerstand des Opfers „auf einer Behinderung beruht“, soll dies künftig als besonders schwerer Fall gelten. Bis dato war es ein minder schwerer Fall.
Eine Frage aber bleibt: Warum muss das Opfer eigentlich Widerstand leisten? Warum gilt nicht das ebenso einfache wie klare Prinzip „Nein heißt Nein!“, wie es auch die sogenannte Istanbul-Konvention fordert? Dieses „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen“ verlangt in Artikel 36: „Das Einverständnis (zum Geschlechtsverkehr, Anm. d. Verf.) muss freiwillig als Ergebnis des freien Willens der Person, der im Zusammenhang der jeweiligen Begleitumstände beurteilt wird, erteilt werden.“
Der Justizminister hat sich dazu in seinem Gesetzentwurf leider nicht durchringen können.
Im Angesicht des Silvester-Schocks und der Tatsache, dass die Lücken im Strafrecht gerade großen Teilen der Bevölkerung unangenehm aufgefallen sind, ist nun die CDU am Minister vorbeigeprescht. Bei seiner Jahresauftakt-Tagung hat der Bundesvorstand der CDU soeben die „Mainzer Erklärung“ verabschiedet. Darin heißt es: „Sexualdelikte sind keine Kavaliersdelikte. (...) Deshalb sorgen wir dafür, dass gemäß Art. 36 der Istanbul-Konvention die Gesetzeslücke bei Vergewaltigung geschlossen wird. Für den Straftatbestand muss ein klares ‚Nein‘ des Opfers ausreichen.“
Populismus der Konservativen?
Donnerwetter! Sollte nun endlich der Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht eintreten, den Frauen seit langem fordern? Sollte künftig nicht mehr die Frau als per se verfügbar gelten, sondern der Mann davon ausgehen, dass er sie fragen sollte, bevor er sich ihr sexuell nähert und ein Nein respektieren? So wie ein Mensch sicher davon ausgehen darf, dass er eine fremde Wohnung nicht betreten darf, es sei denn, er wird ausdrücklich hereingebeten? Unser Nachbarland Österreich hat gerade vorgemacht, wie das geht. Seit 1. Januar 2016 wird dort bestraft, wer „mit einer Person gegen deren Willen (…) den Beischlaf oder eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vornimmt“.
Leider scheinen die plötzlich so fortschrittlichen Konservativen prompt wieder zurückzurudern. Wie die FAZ berichtet, heißt es aus dem Büro des stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Thomas Strobl, die „Mainzer Erklärung“ sei „eher politisch als rechtstechnisch“ zu verstehen . Man habe halt nach einer „griffigen Formulierung“ gesucht.
Als Innenminister Thomas de Maizière (CDU) am vergangenen Donnerstag bei Maybrit Illner von der Moderatorin gefragt wurde, ob wir ein neues Sexualstrafrecht brauchen, brachte der Minister das Kunststück fertig, minutenlang auf die Frage zu antworten und dabei über alles zu reden – nur nicht über das Sexualstrafrecht.
Es bleibt also zu hoffen, dass der Vorstoß der Konservativen mehr war als bloßer Populismus. Und dass die Frauen sich nicht mit der zweitbesten Lösung, dem Maas-Entwurf, zufriedengeben, sondern die beste einfordern.
Und die lautet: Nein heißt Nein. Was für Wohnungseinbrüche gilt, sollte doch auch möglich sein, wenn es um die körperliche und seelische Unversehrtheit von Frauen geht.
Hinweis: In einer früheren Version war Innenminister Thomas de Maizière irrtümlicherweise als Lothar de Maizière bezeichnet worden. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.
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