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Selbstverschuldete Unmündigkeit - Karlsruhe agiert, Berlin reagiert

Wieder einmal läuft die Politik dem Verfassungsgericht hinterher. Karlsruhe agiert, Berlin reagiert. Nach dem Grundverständnis parlamentarischer Demokratie aber bedeutet das die Umkehr der Verhältnisse. Doch die Politik macht es Karlsruhe leicht und versteckt sich nur allzu gerne hinter dem Gericht

Die Wogen schlugen wieder einmal hoch. Und das lag nicht nur daran, dass der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes vor der Bundespressekonferenz in Berlin auftrat. Das alleine konnte schon als Grenzüberschreitung gewertet werden, liegt die Residenz des Rechts bekanntermaßen doch in Karlsruhe und damit in deutlicher räumlicher Distanz zum politischen Geschehen der Bundeshauptstadt. Für Aufregung sorgte vor allem aber die Entscheidung des von Voßkuhle geführten Verfassungsgerichts, wonach eine Sukzessivadoption in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft verfassungsrechtlich zulässig sei.

Damit war ein weiterer Schritt hin zur rechtlichen Gleichbehandlung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften getan. Nicht zum ersten Mal hatte das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, dass die Privilegierung der Ehe, verstanden als amtlich beglaubigte Partnerschaft von Mann und Frau mit der nicht unwahrscheinlichen Begleitfolge, Kinder in die Welt zu setzen, nicht mehr den gewandelten Vorstellungen moderner, zeitgenössischer Gesellschaften entspräche. Damit gerät nun aber nicht nur eine tradierte Moralvorstellung, sondern auch eine zentrale Norm des Grundgesetzes ins Rutschen.

Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten, und sie entsprachen dem schon etablierten Muster – wenngleich nicht ganz.  Verfassungsgerichtliche Entscheidungen produzieren Sieger und Verlierer. Insofern frohlocken  die einen und klagen die anderen. In der politischen Arena übersetzt sich das in die Zustimmung des siegenden und die Ablehnung des verlierenden Lagers. Letztere „respektieren“ allenfalls den Richterspruch, sie tun sich aber schwer, ihn zu „akzeptieren“ – wie die feinsinnige Unterscheidung des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber zeigte, als er seinen Widerstand gegen den Kruzifix-Beschluss formulierte.

So wäre nun nach der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zu erwarten gewesen, dass CDU und CSU unisono die Gleichstellungsjudikatur des Bundesverfassungsgerichtes verurteilen. Das war aber zur großen Überraschung der Beobachter zunächst nicht der Fall. In einem Akt vorauseilenden Gehorsams erklärte die CDU, schnellstmöglich eine auch steuerrechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften durch einen Akt der Gesetzgebung vorzusehen, mit dem offensichtlichen Zweck, die Streitmaterie rechtzeitig vor der Bundestagswahl von der politischen Agenda zu streichen. Die Aussicht, durch einen weiteren, für den Frühsommer angekündigten Richterspruch aus Karlsruhe in ähnlicher Sache wieder zur Verliererseite zu gehören, erschien wenig verlockend. Dass es nun zur schnellen Novelle nicht kommen soll, liegt einzig daran, dass die CSU in der Behauptung des Unterschieds zwischen ehelichen und nichtehelichen Partnerschaften ein Alleinstehungsmerkmal im Wettbewerb der Parteien, vor allem im Wahlkampf, zu sehen glaubt.
 

Und doch verfestigt sich das Bild: Karlsruhe agiert, Berlin reagiert. Die sechzehn Richter des Bundesverfassungsgerichtes geben den Takt vor, die Politik zieht nach. Nach dem Grundverständnis parlamentarischer Demokratie aber bedeutet das die Umkehr der Verhältnisse: Der Gesetzgeber hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, das gesellschaftliche Leben zu regeln und verbindliche, auch normative Vorgaben zu machen. Das Verfassungsgericht hat, wie ein jedes Gericht, nur die Aufgabe, Streitfälle und Konflikte zwischen Parteien zu schlichten und dabei das vorgegebene Recht auszulegen. Als „Mund des Gesetzes“, wie der Philosoph Montesquieu schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts befand, ist das Gericht an das Gesetz gebunden, es macht es aber nicht. Eine solche Sichtweise käme zu dem Schluss, dass eine durch richterliche Interpretation bewirkte Veränderung des Gesetzes nichts anderes als eine Kompetenzanmaßung, mithin einen Machtmissbrauch der Judikative, darstellt.

Aber so einfach ist es nicht. Denn in der Verfassungsdemokratie stoßen zwei Gewalten aufeinander: die demokratische Souveränität des Gesetzgebers und die kontrollierende Souveränität des Verfassungsgerichtes. Letzteres ist als Hüter der Verfassung etabliert und darf als solcher auch die Parlamentssouveränität in ihre Schranken verweisen, nämlich dann, wenn Gesetzgeber verfassungswidrige Gesetze machen. So ist es auch im Fall des deutschen Grundgesetzes. Das Verfassungsgericht kontrolliert den Gesetzgeber. Und: Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes haben gesetzesgleichen Charakter.

Konflikte sind also programmiert. Aber das muss akzeptiert werden. Aber anders scheint es doch zu sein, wenn ein Verfassungsgericht selbst als Politikmacher auftritt. Und in der Tat, das Bundesverfassungsgericht hat wesentliche Politikfelder in den letzten Jahrzehnten mitgestaltet, zwar nur indirekt, aber doch nachhaltig, wie in den Bereichen von Steuer-, Familien-, Sozial-, Renten- oder Hochschulpolitik. Hier liegen Grenzüberschreitungen vor,  sie sind nicht ohne weiteres durch die Verfassung gedeckt.

Eigentlich müsste sich das Gericht hier einer richterlichen Zurückhaltung befleißigen, den Gesetzgeber zwar auf den Veränderungsbedarf  hinweisen, es ihm aber überlassen, wie konkret der konstatierte gesellschaftliche Wandel denn nun in Gesetzesform gegossen werden soll. Eine solche Zurückhaltung setzt indes voraus, dass die Politik ihrerseits den Willen und die Kraft aufbringt, Lebensverhältnisse selber gestalten zu wollen. Vor allem braucht es dazu klare Mehrheiten, die jedoch, aus den unterschiedlichsten Gründen, nicht immer verfügbar sind.

Deshalb zögert die Politik, entweder, weil sie führungsschwach ist, oder aber weil sie kein schlüssiges, mehrheitsfähiges Konzept zu formulieren in der Lage ist. Oft kommt das eine zum anderen. Da fällt es dann leicht, „die in Karlsruhe“ das ruhig machen zu lassen und sich hinter dem Verfassungsgericht zu verstecken. Man entledigt sich auf diese Weise der Verantwortung, in einer für heikel angesehenen soziomoralischen Frage, in der die eigene Wählerschaft womöglich gespalten ist, Stellung beziehen zu müssen. Die Gestaltungsschwäche der Politik bedeutet dann die Stärkung judikativer Macht. So kann es auch dem Gericht leicht gemacht werden, sich als „Bürgergericht“ in Stellung gegen „die“ Politik zu bringen. Damit wird jedoch ein antipolitisches Ressentiment bedient, das letztlich dem demokratischen Spiel, welches in der Artikulation und dem Austrag von Konflikten und der Suche nach Kompromissen besteht, Schaden zufügt.

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