Eine Polizistin hilft einem Asylbewerber und seinem Baby am 11.03.2016 vor Registrierungszentrum des Berliner Landesamts für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) in Berlin beim Einsteigen in einen Bus, auf dem "Welcome to Berlin" steht
Flüchtlinge werden mit Bussen zur Registrierstelle in Berlin gebracht. Bild: picture alliance

Erstaufnahme - Weniger Flüchtlinge, mehr Arbeit

Die Flüchtlingszahlen sinken, im April sind nochmals weniger in Deutschland angekommen. Trotzdem hat die Registrierstelle in Berlin keine Pause. Wie geht das zusammen? Das Berliner Landesamt für Gesellschaft und Soziales gewährte Cicero einen seltenen Einblick in die Arbeit der Zentralen Aufnahmestelle

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Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Die Zentrale Aufnahmestelle in Berlin-Moabit ist jetzt für den Flüchtlingsansturm gerüstet. Die Abfertigungsräume sind mit Schildchen nummeriert. Polizei, Senatsmitarbeiter und Übersetzer arbeiten eng zusammen. Seit neun Wochen werden die Informationen in Echtzeit an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge übermittelt. Berlin ist beim Datenaustausch bundesweit sogar Vorreiter.

Zeitweise drängelten sich hier 600 Personen. Die wären nun kein Problem mehr in der Kruppstraße 21. An diesem Standort des Landesamtes für Gesellschaft und Soziales, kurz Lageso, wird die Willkommenskultur in Bürokratie gegossen. Hier melden sich Flüchtlinge erstmalig in Deutschland an, hier werden sie registriert und erhalten die „BÜMA“: die „Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender“.

Aber die Flure sind leer. Im Treppenhaus herrscht gespenstige Ruhe. Die Wartebänke sind unbesetzt. Es kommen vielleicht fünfzig Personen pro Tag.

Nur 16.000 Flüchtlinge wurden im April erstmals in Deutschland registriert. Das gab das Bundesinnenministerium in dieser Woche bekannt.

Die Polizei schreibt Strafanzeigen


Die Prozesse in der Aufnahmestelle laufen schneller, die Warteschlangen sind verschwunden. Da müssten die Polizisten eigentlich früh Feierabend haben.

Doch das Gegenteil ist der Fall: Sie arbeiten am Anschlag. Sie schreiben Strafanzeigen, manchmal bis in die Nacht.

Als Cicero einen Besuchstermin in der Kruppstraße erbittet, um zu schauen, was die Beamten eigentlich tun, wenn es gar keine Flüchtlinge mehr gibt, geht alles ganz schnell. Die zuständige Senatsverwaltung schickt ihren Pressesprecher, auch Polizei und Staatsanwaltschaft sind dabei. Ihre Botschaft: Gefaulenzt wird hier nicht.

Thorsten Höft, weißer Kinnbart, fester Händedruck, fünf Sterne auf den Schulterklappen, ist hier erster Polizeihauptkommissar. Er schätzt, dass inzwischen „bis zu drei Viertel der Personen hier beanzeigt werden“.

In 90 Prozent der Fälle sei der Grund illegaler Grenzübertritt. Seitdem die Balkanroute geschlossen ist, seitdem Stacheldraht und Mauern das Bild Europas prägen, kommen hier weniger Flüchtlinge aus Kriegsgebieten an. Nur noch jeder Dritte sei aus Syrien, Irak, Afghanistan, Somalia oder Eritrea – Ländern also, bei denen die Chancen auf Asyl sehr hoch sind und bei denen die Polizei seit langem darauf verzichtet, Anzeigen zu schreiben. Stattdessen kommen sie vermehrt aus Serbien, der Türkei, Turkmenistan, dem Libanon, aus Moldawien.

Die wenigsten erhalten Asyl. Das ist nicht nur für die Betroffenen frustrierend, sondern auch für die Polizisten. Für jede Strafanzeige brauchen sie bis zu anderthalb Stunden – fürs Anhören, Aufschreiben, Prüfen.

Überlastete Behörden


Selbst die zuständige Staatsanwaltschaft schnauft. Thomas Leipzig, kräftiger Typ, in der Hand einen Pappbecher Filterkaffee, merkt, dass sich seit Februar etwas verändert hat: „Es gibt ein erhöhtes Anzeigenaufkommen.“ Die meisten auch hier – wegen illegaler Einreise. „Oft stellen die Staatsanwälte solche Anzeigen ein.“ Wegen Geringfügigkeit, Paragraph 153a der Strafprozessordnung. Keine Ermittlungen, keine Anklage.

Vollzugs- und Justizbehörden sind überlastet. Das hat auch damit zu tun, dass der Gesetzgeber einen Grenzübertritt ohne gültiges Visum generell als kriminell einstuft. Diese Menschen suchen aber vor allem eine Arbeit, ein besseres Leben – eine Zukunft. Deutschland lässt ihnen meist nur den Weg über das Asylrecht. Ein Einwanderungsgesetz gibt es noch immer nicht. Und das Integrationsgesetz, das das Bundeskabinett in diesen Wochen auf den Weg bringen will, regelt die Zuwanderungsfrage überhaupt nicht.

In der Kruppstraße treffen vermehrt Menschen ein, die in den skandinavischen Ländern Asyl beantragt hätten, aber dort abgelehnt würden, sagt Höft. Deutschland ist nach dem Dublin-III-Vertrag zur Rücknahme verpflichtet, da die meisten hier erstmals registriert wurden.

Erst wurden sie nach Norden durchgewunken – jetzt sind sie wieder da.

Und: Viele Personen in der Kruppstraße kommen ohne gültige Ausweise an. Einige würden sich als Minderjährige ausgeben, andere als syrische oder irakische Staatsbürger. Sie erhoffen sich dadurch einen Asylstatus, sagt Höft. „Dabei ist unsere Erfahrung, dass syrische Staatsbürger fast immer ihre Zeugnisse oder Urkunden dabei hatten.“

„Humanitäre Katastrophe vor den Toren Europas“


Sein Dienstkollege Uwe Schirmer sagt: „Aber diese Menschen kommen gar nicht mehr hier an.“ Die Bilder der Flüchtlinge in Idomeni machen ihm zu schaffen, gesteht er. „Da spielt sich eine humanitäre Katastrophe vor den Toren Europas ab – doch diesen Menschen verwehrt man die Hilfe.“

In der Kruppstraße werden Personen zunehmend – gemäß dem Asylgesetz – durchsucht. Es seien rund ein Drittel, schätzt Höft, die keine Pässe vorweisen könnten.

Der Raum, in dem die Beamten Körper abtasten, ist gleich im Erdgeschoss: eine ehemalige Zelle. Das Backsteinhaus in der Kruppstraße 21 ist ein früheres Gefängnis, es wurde jahrzehntelang nur noch für die Demonstrationen zum Maifeiertag genutzt. Die verliefen dieses Jahr recht friedlich. Seit vergangenem Sommer, als der Flüchtlingszuzug einen Höhepunkt erreichte, sitzen hier nicht mehr Steinewerfer ein – sondern Polizeibeamte. Büros hinter Gitterstäben, ohne Warmwasser oder Klimaanlage: ein Provisorium, das nun Dauerzustand ist.

Vor der Tür zum Durchsuchungsraum sitzt eine Frau, blond, mit drei Kindern. Eines ihrer Mädchen, rosa Jacke, kleiner Rucksack, hält einen Schokoriegel in der Hand. Ein Geschenk der Beamten, um an Informationen zu kommen.

Pässe in der Unterwäsche


Die Mitarbeiterinnen sind stutzig geworden, weil sich die Frau schon einmal in der Kruppstraße gemeldet hatte, als asylsuchende Serbin. Damals sei sie nur mit einem Kind gekommen. Diesmal wolle sie sich mit drei Kindern melden, habe aber keinen Ausweis für jenes Kind, das schon einmal hier war.

Polizeihauptkommissar Thorsten Höft sagt, bei jedem zweiten, den sie durchsuchen, fänden sie doch Personaldokumente. Mal in der Handtasche, mal in der Unterwäsche, mal in der Flüchtlingsunterkunft.

Mitte April kam ein 18-Jähriger in die Kruppstraße, Herkunft: Burkina-Faso. Er wollte einen Asylantrag stellen, war aber schon in Niedersachsen gemeldet. Als sie ihn wieder entließen, beschädigte er die Heckscheiben mehrerer Autos. Bilanz: 30 Sachbeschädigungen in drei Wochen, darunter eine Brandstiftung. Die Staatsanwaltschaft beantragte Haftbefehl, die Richterin ließ ihn wieder gehen. Der Tatverdächtige sei noch ein Heranwachsender, Fluchtgefahr bestehe nicht, teilte das Gericht mit. U-Haft bis zum Prozess sei unverhältnismäßig.

Wenn Anzeigen wegen Straftaten eingehen, die schwerer wiegen als nur illegaler Grenzübertritt, dann müssten diese eigentlich auch den Entscheidern beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bekannt sein. Höft sagt, bislang sei das nicht der Regelfall gewesen. „Unsere ganzen Anzeigen kamen überhaupt nicht beim BAMF an. Die Entscheider wussten also gar nicht, was gegen einen Asylbewerber unter Umständen vorliegt“. Seit mehreren Wochen werden aber alle Strafanzeigen oder sonstigen Vorgänge unmittelbar an das BAMF übersendet.

Beim Bundesamt stapeln sich allerdings noch ältere Asylanträge, knapp 430.000 waren im April unbearbeitet.

Vom Abschiebungsleiter zum Willkommenspolizist


Der Willkommenspolizist Thorsten Höft hatte noch bis vor kurzem eine andere Aufgabe: Er war in Berlin zuständig für „Rückführungen“. So nennt er das selbst. Er meint damit: Abschiebungen. Jeden Monat orderte er Charterflüge für bis zu 60 Personen. „Aber wir haben zig Tausende, die abgeschoben werden könnten.“ In Berlin seien das mehrere Tausend vollziehbar Ausreisepflichtige. Einfach sei das aber nicht: Rund 80 Prozent der geplanten Abschiebungen würden misslingen – weil der Betroffene nicht auftaucht, nicht anzutreffen ist, Rechtsmittel einlegt, einen Arztschein vorweist oder sich der Pilot weigert. Höft sagt, er habe einige Personen „drei bis viermal abgeschoben“.

Er holt einen Sprachmittler heran, er heißt Shaoib Munir. Der gebürtige Pakistaner dolmetscht seit August, zunächst als ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer, bis er vom Lageso eingestellt wurde. Auf die Frage, ob es richtig sei, dass es Abschiebungen gebe, zögert er nicht lange: „Ja.“ Es gebe Asylantragsteller aus Griechenland, Bulgarien, Amerika. „Es ist unglaublich. Solche Leute gehören nicht nach Deutschland, die das Land gnadenlos ausnutzen wollen.“

Terrorverdächtige in der Erstaufnahme


Munir sagt, er habe Abgeschobene nach drei Monaten wieder in der Kruppstraße gesehen. Eine Frau habe sich die Haare anders gefärbt. Seit 2003 lebt Shaoib Munir in Deutschland, er bekam für sein Ingenieursstudium ein Stipendium. Er sagt, er sei „stolz auf dieses Land. Die Arbeit mit der Polizei hier ist eine Möglichkeit, zu dienen“.

Er habe hier schon alles gesehen: Terrorverdächtige, Mörder, Vergewaltiger, Kinderhändler, Auftragskiller. Manchmal sei ihm schon mulmig: „Ich bin derjenige, der die schlechten Nachrichten überbringt.“ Die Leute seien ja nicht in der Erstaufnahme gefährlich, wo es von Polizisten wimmelt, „sondern außerhalb“.

Wenn man Munir fragt, wie das Verhältnis von Asylsuchenden zu mutmaßlichen Straftätern tatsächlich aussehe, klingt das schon wieder etwas anders: „Etwa ein bis fünf Prozent.“ Das ist nicht viel höher als der Anteil an Straftätern an der deutschen Bevölkerung. Wenn man die Gesamtbevölkerung ins Verhältnis setzt – knapp sechs Millionen Kriminalitätsfälle wurden 2012 polizeilich registriert – ist das sogar niedriger.

Nur: In einer Polizeistation werden die Fälle eben sichtbar. Schon von Amtswegen.

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