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USA zur deutschen Teilung: - „Eine Mauer ist verdammt noch mal besser als ein Krieg“

Am 13. August 1961 begann der Bau der Berliner Mauer. Die Amerikaner hätten die Errichtung der steinernen innerdeutschen Grenze befürwortet, sagt Eva C. Schweitzer. In ihrem Buch „Amerikas Schattenkrieger“ beschreibt sie die deutsch-amerikanischen Beziehungen als eine Abfolge gegenseitiger Manipulation und Spionage. Ein Auszug

Autoreninfo

Eva C. Schweitzer arbeitet als freie Journalistin für verschiedene Zeitungen in New York und Berlin. Ihr neuestes Buch ist „Links blinken, Rechts abbiegen“.

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In Rapid City, South Dakota, mitten in der Prärie, zwischen Sioux-Reservaten und dem Missouri River, steht die Berliner Mauer. Es ist ein Mahnmal: Originalteile in einem kleinen Park, dazu ein Gedenkstein, der an Senator William Fulbright erinnert, den außenpolitischen Berater von John F. Kennedy. Eine Tafel erzählt von der Berlin-Krise, als jeden Tag Tausende flohen, der sowjetische Staatschef Nikita Chruschtschow Truppen zusammenzog, Kennedy die U.S. Army verstärkte und die Chancen für ein Armageddon eins zu fünf standen.

Am 30. Juli 1961 aber habe Fulbright die rettende Idee gehabt: Man könne die Krise lösen, indem man West-Berlin abriegele. »Eine Woche später erzählte der ostdeutsche Staatschef Walter Ulbricht Chruschtschow von Fulbrights Vorschlag. Er gewann das Einverständnis der Sowjets und baute die Berliner Mauer. Sieben Tage später ging die Barriere hoch.« Die Schrift auf dem Gedenkstein lässt einen ratlos zurück.

Fulbright war der wichtigste US-Außenpolitiker der Nachkriegszeit. Er stand dem Auswärtigen Ausschuss des Senats vor. Kennedy wollte ihn zum Außenminister machen, aber der liberale Demokrat, der gegen McCarthy Stellung bezogen hatte, galt als zu links. Am 30. Juli 1961, zwei Wochen vor dem Bau der Mauer, sagte Fulbright im US-Fernsehen: » Ich verstehe nicht, warum die ostdeutsche Grenze nicht einfach zugemacht wird. Die Russen haben ohnehin die Macht, dies zu tun. Wir würden nicht viel aufgeben, denn wenn die Russen nächste Woche die Grenze schließen würden, könnten sie das tun, ohne einen einzigen Vertrag zu verletzen. Und auch die Ostdeutschen hätten das Recht dazu.«  

Kennedy hatte die Berlin-Krise von Eisenhower geerbt
 

Fulbrights Worte schmückten die Titelseite des Neuen Deutschland. Weniger begeistert war man in Bonn. Die US-Botschaft kabelte nach Washington, es passiere selten, dass eine Erklärung eines US-Politikers so viel Entsetzen, Ärger und Wut hervorrufe wie die von Fulbright. Egon Bahr, Pressesprecher von Berlins Regierendem Bürgermeister, soll gesagt haben: » Privat nennen wir ihn Fulbricht. « Kennedy aber rief Fulbright nicht zurück. Damit habe der Präsident Chruschtschow das Signal gegeben, dass die USA mit dem Mauerbau keine Probleme hätten, glaubt der Journalist Frederick Kempe, der ein Buch über die Mauer schrieb; Berlin 1961. Kennedy selbst sagte damals: »Eine Mauer ist verdammt noch mal besser als ein Krieg.«

Erst 2013 haben die National Archives in Washington, D.C., einige Dokumente zum Mauerbau freigegeben. Und die erzählen eine andere Geschichte als die von einem Präsidenten, der ein Berliner war. Kennedy hatte die Berlin-Krise von Eisenhower geerbt oder, genau genommen, von dessen Außenminister John Foster Dulles. Seit 1958 gab es das Chruschtschow-Ultimatum. Der sowjetische Staatschef wollte der DDR die Kontrolle über den Zugang zu West-Berlin überlassen. Und Llewellyn Thompson, der US-Botschafter in Moskau, warnte Dulles im März 1959: Er befürchte, dass die Deutschen die Vereinigung mit Waffengewalt erzwingen würden. Man könne nicht immer darauf vertrauen, dass Deutschland so einen weisen Kanzler habe wie Adenauer, der nur von Wiedervereinigung rede, sie aber nicht wolle. Allerdings könne man mit den Sowjets reden. »Wir können recht sicher sein, dass Chruschtschow keinen totalen Krieg wegen Berlin riskiert, und das Gleiche denkt er wahrscheinlich über uns.«

Kennedy traf Chruschtschow im April 1961 auf einem Gipfel in Wien, aber er erreichte keine Lösung in der Berlin-Frage. Noch Wochen vor dem Mauerbau wurden im State Department Planspiele debattiert: US-Botschafter Walter Dowling sagte, wenn es in der DDR wieder einen Volksaufstand gäbe, sollten die USA diesmal nicht zugucken, sondern ihn unterstützen. Hingegen warnte John Ausland vom »Berlin Desk«, Berlin sei »ein Vulkan «. Letztlich stellte das State Department fest, dass »eine Revolte in Ostdeutschland nicht im Interesse der USA« liege.

Kennedys Außenminister Dean Rusk, der sich Tage vor dem Mauerbau mit seinen französischen, britischen und westdeutschen Kollegen in Paris traf, sagte, für die USA sei die Präsenz ihrer Truppen in West-Berlin wichtig, sie seien der »physische Zugang zur Stadt«. Dabei wäre eine Mauer sogar hilfreich, denn sie garantierte, dass sich die Sowjets nicht nach West-Berlin ausdehnten. Die Sicherheit der West-Berliner spielte eine gewisse Rolle, nicht aber die Bewegungsfreiheit der DDR-Bürger. Ähnlich dachte die Adenauer-Regierung, die nicht weiter Millionen neuer Flüchtlinge aus dem Osten aufnehmen wollte. Die letzte Warnung kam von der CIA am 10. August 1961, drei Tage vor dem Mauerbau: Die DDR plane »harsche Maßnahmen, um den Flüchtlingsstrom abzuschneiden«, hieß es. Der Einzige, der danach überrascht reagierte, war Kennedy, der fragte: »Warum wussten wir davon nichts?«

Die Mauer sei »kein Grund zu schießen«
 

Nur in West-Berlin war die Empörung groß. Der Regierende Bürgermeister Willy Brandt forderte, dass die Westalliierten den Mauerbau vor die Vereinten Nationen bringen sollten. Botschafter Dowling warnte vor »Ärger und Empörung« bei den Deutschen über das Ausbleiben westlicher Gegenwehr. Washington müsse etwas »Dramatisches« unternehmen, um das »psychologische Klima« zu verbessern. Daraufhin geißelte Außenminister Rusk den Mauerbau als »Verletzung des Rechts auf freie Bewegung in der Stadt durch die Kommunisten«. Allerdings, fügte er hinzu, verletzte das nicht die Präsenz der Westalliierten in Berlin und damit die vitalen Interessen der USA. Intern sagte er, die Mauer sei »kein Grund zu schießen«. Um die Stimmung in West-Berlin zu verbessern, verstärkten die USA ihre Garnison. Überdies sandte der Präsident seinen Vize Lyndon B. Johnson zu einem Goodwill-Besuch in die nun geteilte Stadt. Als Johnson vor dem Berliner Abgeordnetenhaus sprach, nahm er den beliebten Lucius D. Clay mit.

Am 25. Oktober 1961 sattelte die U.S. Army noch eins drauf, als sie eine Panzereinheit zum Checkpoint Charlie schickte, um zwei Dutzend sowjetischen T-54-Tanks Paroli zu bieten. Der Anlass war banal: Allen Lightner, Chef der US-Mission, der sich in Ostberlin ein Theaterstück hatte ansehen wollen, war von DDR-Grenzern der Einlass verweigert worden. Drei Tage lang standen die Panzer am Checkpoint Charlie, dann wurden sie zurückgezogen. Mit den dramatischen Bildern, die auf den Titelseiten der Zeitungen erschienen waren, war den Deutschen, aber auch den Amerikanern klargemacht worden, dass die USA West-Berlin nicht aufgeben würden – und ihren vom Viermächtestatus garantierten Zugang zum Osten auch nicht. In einer Studie aus dem Jahr 1970 stellte das State Department fest: »Die Vertrauenskrise wurde überwunden.«

Die Haltung der USA war doppelzüngig, aber nicht unvernünftig. Als Eisenhower im Januar 1961 abtrat, warnte er das Land in einer berühmten Rede vor der wachsenden Aufrüstung und dem »militärisch-industriellen Komplex«. Im November desselben Jahres trafen sich Kennedy, Rusk, Allen Dulles, Armeechef Lyman L. Lemnitzer, Verteidigungsminister Robert McNamara, sein deutscher Amtskollege Franz Josef Strauß und Adenauer im Weißen Haus, um »Notfallpläne für Berlin« zu besprechen. Adenauer warnte davor, dass die Sowjets binnen Kurzem West-Berlin, Hamburg und München einnehmen könnten; Kennedy erwiderte, diese würde einen Atomkrieg auslösen. »Was würden die Deutschen sagen, wenn sie begreifen, dass es die totale Zerstörung von Deutschland bedeutet, wenn die USA Atomwaffen einsetzen würden?«, fragte er. Würden die Europäer unter diesen Bedingungen kämpfen?

Mitten in Downtown Dallas, zwischen den Hochhäusern, liegt das Schoolbook Depository, das Schulbuchlager, von dem aus Kennedy erschossen wurde. Das Gebäude ist die wichtigste Touristenattraktion von Dallas (zusammen mit der Southfork Ranch aus der TV-Serie Dallas). Das Fenster im sechsten Stock bietet einen Blick auf die Dealey Plaza, wo die Präsidentenlimousine am 23. November 1963 einbog, und auf den Grashügel, auf dem vielleicht, vielleicht aber auch nicht, ein zweiter Schütze stand. Jeder Besucher (auch ich) probiert im Geiste aus, ob es möglich ist, von diesem Fenster aus das Ziel zu treffen. Möglich wäre es wohl schon. Aber nicht einfach. Kennedy hatte zweimal ein potenzielles Weltkriegsfeuer ausgetreten. Aber aus Sicht seiner Feinde in den USA hatte er zweimal bewiesen, dass er zu schwach war, dem Sowjetkommunismus entgegenzutreten: in Kuba und in Berlin.

Foto: Thilo Rückeis

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Eva C. Schweitzer, Amerikas Schattenkrieger: Wie uns die USA seit Jahrzehnten ausspionieren und manipulieren, Piper, 400 Seiten, 22,99 Euro

Hinweis: In einer früheren Version war die Rede davon, dass Fulbright am 30. Juli 1963 die rettende Idee hatte. Tatsächlich war es der 30. Juli 1961. Dieser Fehler der Jahreszahl fand sich nur in der Version bei Cicero Online, nicht im Buch selbst. Wir bitten unsere Leser, das zu entschuldigen.

 

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