- Wiedersehen macht Freude
Was wäre eigentlich so schlimm daran, wenn sich Großbritannien aus der EU verabschieden würde? Das Chaos rund um den Brexit hat die Idee des Ausstiegs schon jetzt so sehr beschädigt, dass die Befürworter ihren Irrtum einsehen müssten. Langfristig birgt das die Chance für einen Neuanfang
In den vergangenen Monaten hat die Welt mit wachsender Befremdung mitverfolgt, wie sich das Mutterland des „Common Sense“ politisch zerlegt. Die Nation ist ziemlich genau in der Mitte gespalten, der Riss geht quer durch die Parteien und die Gesellschaft. Er verhindert jede pragmatische Lösung des leider vom Volke beschlossenen Brexit. Nun hoffen viele remainer in Großbritannien und auf dem europäischen Kontinent, dass in dem gewaltigen politischen Chaos der Brexit vertagt wird und mit etwas Glück ganz auf der Strecke bleibt. Für diese Hoffnung gibt es gute Gründe. Eine breite Mehrheit fürchtet katastrophale Folgen für den Fall eines ungeregelten Austritts. Außerdem gibt es keine Antwort auf die ungelösten Probleme des Brexit, wie etwa die Grenze in Nordirland und den Backstop. Sollen am Ende die Briten doch einfach in der EU bleiben – und alles wird wieder gut!
Sachlich spräche sehr viel dafür. Remainers tragen auf ihren Demonstrationen Plakate vor sich her, auf denen sie sagen, Großbritannien habe bereits „the best deal“. Die EU-Mitgliedschaft ist nach menschlichem Ermessen tatsächlich die beste denkbare Lösung der vielfach diskutierten Probleme, und einsichtige Tories wie Jo Johnson scheinen das zu wissen – und vielleicht auch Theresa May. Anders ausgedrückt: Der Brexit war halt eine blöde Idee. Diese wurde aber leider vom Volk abgesegnet und dadurch beinahe sakrosankt. Aber inzwischen hat die quälende Umsetzung des Brexit die Idee so beschädigt, dass sich vielleicht die Meinungen geändert haben. Da wäre es doch das Beste, diese lästige Sache einfach zu beerdigen.
Remain wäre eine schwere Hypothek für die EU
Das wäre für das Vereinigte Königreich und die Europäische Union eine überaus vernünftige und sinnvolle Lösung. Doch Vernunft und Pragmatismus sind zwar hervorragende und unschlagbare Kriterien, aber leider nicht die einzigen. Bisweilen können sie einen hohen politischen Preis erfordern. Wenn Großbritannien in der EU bliebe, nur weil es keinen anderen Ausweg aus dem selbstgeschaffenen Chaos gefunden hat, wäre das für die EU eine gewaltige politische Hypothek.
Die Brexiteers würden schäumen und vom verratenen Willen des Volkes sprechen, sie würden die EU als Elitenprojekt geißeln, in dem eine indolente und selbstbezogene politische Funktionärskaste das Volk so lange und so oft befrage, bis sie die erwünschten Antworten erhalte. Das Gegeifere würde jahrelang weitergehen. Und die Europäische Union würde wohl wie weiland die Habsburgermonarchie von ihren verschiedenen Völkerschaften als Völkergefängnis verunglimpft, aus dem sich eine stolze Nation nicht mehr befreien kann, wenn sie sich einmal in dem juristischen Unterholz kaum verständlicher Verträge und Verordnungen verfangen hat.
Schmerzliche Amputation
Hat die Europäische Union das verdient? Wohl kaum. Ein politisch vergiftetes Großbritannien wäre für die EU wie ein absterbendes Glied, das, wenn die Dinge schlecht laufen, den ganzen Körper verseucht. Wenn eine Blutvergiftung leider soweit fortgeschritten ist, dann bleibt nur die Amputation als letzter Ausweg. Der Brexit ist eine schmerzliche Amputation, eine Katastrophe, ein Jammer. Ein Körper ist nach der Amputation nicht mehr wie vorher, er ist weniger leistungsfähig. Aber er kann weiterleben und wird nicht an einer Vergiftung sterben. Und die Gefahr, dass diese politische Vergiftung, diese diffuse und weitverbreitete Abneigung gegen Europa, dieser Hass gegen Brüssel auf andere Länder übergreift, die sowieso schon in diese Richtung neigen, sollte sehr sorgfältig bedacht werden.
Der Brexit ist wie Pandoras Büchse: Einmal geöffnet, kommt nur Unheil heraus. Die Büchse ist aber leider schon offen. Wahrscheinlich ist, aus Sicht der EU, nicht mehr die Verhinderung des Brexit, sondern die Schadensbegrenzung das Gebot der Stunde und die beste Lösung. Lasst Großbritannien ziehen, seid so großzügig wie überhaupt nur möglich, erleichtert den Briten den Abschied und versucht, Reibungen zu minimieren. Das Königreich nervt derzeit, und zwar gewaltig; aber es wird immer ein enger Partner und Freund bleiben. In Sachen Sicherheit bleibt man ja ohnehin durch die Nato eng verbunden.
Das Chaos hat erzieherische Funktion
Und vielleicht hat die Sache neben unendlichen Nachteilen auch zwei ganz kleine Vorteile. Das britische Chaos ist abschreckend und hat damit eine erzieherische Funktion. In den ersten beiden Jahren nach dem Referendum hörte man in England viele Stimmen, die behaupteten, zuerst gehen wir und dann die anderen, zum Beispiel die Franzosen – und dann die Deutschen. Die EU sei ein sinkendes Schiff. Dergleichen hört man gar nicht mehr. Zu groß ist das Chaos. Großbritannien gilt als warnendes Beispiel, die EU spricht zum Staunen der Welt mit einer Stimme, und der Brexit ist bereits jetzt ein katastrophaler Misserfolg, der abschreckt, keinesfalls aber zur Nachahmung einlädt.
Die einzige Chance eines glimpflichen Brexits wäre ein reibungsloser Übergang gewesen, der keine Schockwellen verströmt. Es scheint, als habe Theresa May einen solchen versucht, aber sie konnte sich politisch nicht durchsetzen. Und es sieht derzeit nicht danach aus, als könnte ihr das noch gelingen. Alles, was jetzt noch kommen kann, wird einen sehr schalen Beigeschmack haben.
Der Brexit ist außerdem ein gewaltiges politisches Experiment, in dem eine Nation mit 63 Millionen Einwohnern das Testobjekt ist. Die Europäische Union verdankte ihr Image, ihre Popularität und ihre Erfolge nicht nur, aber doch vornehmlich dem Eindruck, sie sei eine Wohlstandsmaschine. Das wurde jedoch nie wirklich bewiesen – die nachrechenbaren ökonomischen Effekte waren immer bescheidener als die behaupteten und gefühlten. Wenn Großbritannien nun aus der Europäischen Union austritt, wird sich nach einiger Zeit zeigen, ob es ihm ökonomisch besser geht als jetzt. Wenn das so sein sollte (was unwahrscheinlich ist), dann stellt sich für die EU die Sinnfrage. Sollte alles so bleiben, wie es ist, dann wäre es bereits ungünstig für das Vereinigte Königreich, weil dann der Brexit nur eine sinnlose Kraftverschwendung gewesen wäre, die nichts gebracht hätte außer einem weltweiten Imageschaden und einem dauerhaften Verlust an politischen Optionen.
Die Chance für ein Comeback
Sollte es den Briten aber hinterher ökonomisch schlechter gehen, wäre dies eine gewaltige Bestärkung der europäischen Idee – und dann könnte es sein, dass die Briten zurückkommen. In der Politik ist schließlich nichts ewig, außer den Interessen. 2016 war bereits das zweite Referendum, denn 1975 hatten die Briten mit 67,2 Prozent Mehrheit aus vorwiegend ökonomischen Gründen für Europa gestimmt. Die Hälfte des Landes ist derzeit ohnehin für remain; diese Gruppe wird weiter wachsen, sie ist jetzt schön wütend und wird immer wütender werden, sollte es hier bergab gehen.
Und dann sehen wir vielleicht in einigen Jahren tatsächlich ein neues Referendum, das aber mit einem fundamentalen britischen Sinneswandel in der Frage der EU einhergehen würde. Freiwilligkeit, vielleicht sogar Enthusiasmus statt des Gefühls, in einem Völkergefängnis zu sitzen, das muss das Kriterium sein. Dieser Sinneswandel, egal wann er kommt, wäre die Grundvoraussetzung für eine gedeihliche neue Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union.
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Der Artikel hat eine klare Sicht: Brexit ist nur dumm und auf lange Sicht schädlich für GB. Ich weiß nicht, ob das nicht zu eng gedacht ist. Langfristig weiß ohnehin niemand was herauskommt. Die Welt wird größer, andere Regionen entwickeln sich - vielleicht mit neuen Chancen. Es gibt sicher auch manche, die gute Gründe für den Brexit haben. Etwa Globalisierungsverlierer. Und wenn die EU da jetzt nachbessert, ist es ja zum Teil nur, weil Druck durch Dinge wie den Brexit von außen kommt. Oder etwa manche Asien-Stämmigen, denen die EU zu klein und zu europäisch ist und die, mit aus ihrer Sicht guten Gründen, gerne mehr Freiheit und Öffnung in z.B. den indisch-pakistanischen Raum hätten.
In der Summe kann man gut zu einem Ramain gelangen. Aber so einseitig, wie in dem Artikel dargestellt, scheint es mir nicht zu sein.
Weil diese EU (wie Deutschland auch) sich zum vormundschaftlichen System entwickelt hat und andere Länder befehligen will, ist es soweit gekommen. Die linke Einheitsfront, welche sich als die Moral-Elite aufspielt, wird nicht mal mehr in Deutschland akzeptiert. Denkende Menschen lassen sich nun mal nicht bevormunden von grün-linken "Weltverbesserern"! Diese Typen haben bis heute für ihren folgenschweren Fehler keine Verantwortung übernommen, die Pädophilie (Sex mit Kindern) salonfähig zu machen im Zuge der sogenannten "Sexuellen Befreiung"! Viele der damaligen "Befreiungsopfer" aus den Berliner grün-linken Kinderläden leiden noch heute darunter.
Großbritannien tut gut daran, diese EU zu verlassen. Und weitere Länder werden folgen.
Aber in manchen Ende wohnt schon ein Neuanfang inne, meinte Hermann Hesse … und er hatte Recht: vielleicht kann dann eine bessere "Europäische Gemeinschaft" entstehen mit ehrlich-kompetenten Politikern, die allen Ländern Raum für ihre Kultur lassen!
sehr schön mit -Hesse- gesagt, Herr Johannsen.
"Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!" (Stufen/Hesse)...statt "Herz" würde sich EU anbieten.
Man sollte ergänzen, dass die einsame Entscheidung von Frau Merkel im Sep 2015 vielen Briten, die sich weder für noch gegen einen Brexit entschieden hatten, die Vorlage für den Brexit geliefert hatte.
Leider ist meine Wahrnehmung nicht, dass viele Bürger die Linke Moralisierende Einheitsfront ablehnen würden. Dann wären sowohl die letzten Bundestagswahlen als auch die Wahl von KKR anders ausgefallen.
Denn Es wurde eine Riege von naiven und teilweise halbgebildeten (abgebrochenes Studium und/ oder ohne Erfahrungen in der Privatwirtschaft) Menschen in den Bundestag gewählt. Und die Mehrheit der Wahlberechtigten hat sich diese Abgeordneten „ausgesucht“!
Ihr Wunsch, nach ehrlich-kompetenten Politikern teile ich zwar, allerdings wird es ein Wunschbild bleiben. Es erinnert mich an die Karikatur, auf der ein Politiker sich als ehrlicher Mann und eine Prostituierte als Jungfrau vorstellt.
Zurück zum Brexit: Ich hoffe, dass die Briten Ihren Brexit noch auf die Reihe bekommen!
Schade, dass Sie als Historiker das Brexit Thema ausschließlich auf die ökonomische Ebene beziehen. Keinerlei Bezug zu demokratischer Verfasstheit oder gar dem Verständnis freiheitlich bürgerlicher Rechte? Diese sehr verkürzte Sicht übersieht, dass die EU keineswegs mit einer Stimme spricht. Sie vernachlässigt völlig, dass die EU einen „gemeinsamen Geist“ zwar ständig proklamiert, dieser jedoch eine inhaltslose Phrase ist, da er sich nicht an gewachsenen (geistig-historischen)Strukturen orientiert. Ein Neu-Anfang muss mit einem Neu-Denken der EU beginnen. Dazu könnte der Brexit Anlass sein.
Natürlich belastet es die Wirtschaft kurz- bis mittelfristig, wenn GB aus der EU austritt. Aber die Briten gewinnen die Kontrolle über ihr Land zurück und das ist langfristig viel mehr wert.
Freiheit ist das Stichwort!
Zum Beispiel die Freiheit, Gesetze zu erlassen, ohne sich an EU-Vorgaben halten zu müssen, die sich mehrheitlich andere ausgedacht haben.
Und insbesondere die Freiheit, die Masseneinwanderung effektiv zu unterbinden.
Man hat schließlich schon genug Parallelgesellschaften im Land, weil man in der Vergangenheit den Fehler begangen hat, eine massive Zuwanderung aus den damaligen Kolonien zu erlauben. In geradezu chauvinistischer Verblendung, diese Menschen würden sich im Mutterland integrieren, weil die britische Kultur so großartig sei.
Bei viel zu vielen gelingt dies leider nicht. Vor allem dann nicht, wenn eine Religion wie der Islam die Immigranten unter sich hält und eine Durchmischung der Familien verhindert.
Eine Nation ist nicht nur ein "Wirtschaftsraum".
und zwar mit einem deal der die Zustimmung findet.
Einer "erzieherischen Wirkung" widerspreche ich. Wir brauchen ein komplette Reform der EU die die Eigenverantwortung der Länder stärkt. Brüssel und Straßburg schließen und die erforderlichen, nötigen Kompetenzen in die Mitgliedsländer verlagern, in Europaministerien. Auf dieser Ebene können die Mitglieder gemeinsame Projekte starten und verhandeln und von jedem Landesparlament in Abstimmungen realisieren.
was sie vom Brexit halten habe ich nun gelesen. Das ist ihre Meinung , wird aber nicht meine werden. Ich bin überrascht von ihrem Staats- und Demokratieverständnis, wenn sie schreiben ....
" Diese wurde aber leider vom Volk abgesegnet und dadurch beinahe sakrosankt." Wieso leider? Wieso beinahe? Die Mehrheitsentscheidung eines Volkes ist sakrosant. Nur das Volk selbst kann und darf es ändern, wenn die Mehrheit es will.
Das Volk ist der Souverän und dieser hat zu entscheiden, die Politker haben nur auszuführen, sie werden vom jeweiligen Volk genau dafür bezahlt. Mich überzeugen die Horrorvisionen zum Ausstieg nicht.
Ihre Schlussfolgerungen sind einseitig. Ein Ausstieg kann auch andere beflügeln, es den Briten gleich zu tun, wenn sich die EU nicht grundlegend reformiert.
Ich habe fertig, weil schon genug zu Artikeln gleichen Inhalts geschrieben.
Durchtrennt den gordischen Knoten: Die EU sollte nur dann einer Verlängerung zustimmen, wenn in GB ein Volksentscheid durchgeführt würde mit drei Optionen:
Brexit ohne Vertrag
Brexit mit dem mit der EU ausgehandelten Vertrag
Kein Brexit
Die beiden Optionen mit der meisten Stimmzahl kämen in eine Stichwahl. Das Ergebnis der Stichwahl ist bindend für Parlament und Regierung. Das wäre ein eindeutiger Fahrplan, der zu einem Ergebnis führt.
Es reicht mit dem Chaos rund um den Brexit von Großbritannien.
Der Austritt gehört vollzogen und kein großes Bedauern würde im Rest der EU darüber erfolgen.
Großbritannien kann jederzeit ohne EU wirtschaftlich überleben und die EU ohne Großbritannien.
Wir erfahren wiederholt, dass der Autor den Brexit nicht befürwortet, garniert mit pejorativen Begriffen. Wir erfahren nicht, warum es in GB zur Abstimmung kam, was die innerbritischen Konfliktlinien sind, warum die Briten die EU kritisieren, was daran valide und was zu kritisieren ist. Wir erfahren auch nicht, ob die Kritik an der Verhandlungsstratwgie der EU gerechtfertigt ist oder nicht. Was wir wiederholt erfahren ist, dass die Briten Deppen sind, die kein Mitleid brauchen. Diese Art Journalismus erwarte ich in ZO, SPON oder FAZ, aber nicht im Cicero.