Die Zentrale des Bundesamts für Verfassungsschutz
Die Zentrale des Bundesamts für Verfassungsschutz / dpa

Demokratie in der Krise - Sollen wir dem Staat vertrauen?

Am Montag stellt Olaf Scholz die Vertrauensfrage. Dabei wird längst die gesamte Gesellschaft von einem Klima des Misstrauens durchzogen. Repressive Informationspolitik sowie ein kollektivistisches Menschenbild sind zur Achillesferse der Demokratie geworden. Höchste Zeit zur Umkehr.

Autoreninfo

Henrieke Stahl ist Professorin für Slavische Literaturwissenschaft an der Universität Trier. 

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‚Vertrauen‘ könnte zum Wort des Jahres 2024 erhoben werden. Aktuell ist in aller Munde die „Vertrauensfrage“ des deutschen Kanzlers an den Bundestag als Konsequenz fehlender „Vertrauensbasis“ beim Finanzminister, seit Jahresbeginn haben wir einen Tiefststand des Vertrauens der Bürger in einen deutschen Kanzler seit Beginn solcher Erhebungen, und es wird vielfältig das immer weiter abnehmende Vertrauen der Bürger in die Regierung, die Parteien, die Behörden thematisiert

Vertrauen in den Staat gilt, so eine weit verbreitete Annahme, als Grundvoraussetzung „für das gerechte und effektive Funktionieren staatlicher Institutionen“ (OECD). Ein Mangel an politischem Vertrauen beeinträchtige die Regierungsfähigkeit. Insbesondere in Krisenzeiten sei der Staat auf „das Vorhandensein eines umfangreichen Vertrauensreservoirs“ angewiesen. 

Bei Vertrauensverlust sehen daher Regierungen Handlungsbedarf. So richtete das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz beispielsweise in der Reaktion auf die Proteste gegen die Coronamaßnahmen im April 2021 einen neuen Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ ein. Der neue Beobachtungsauftrag soll sich mit Akteuren befassen, welche, auch wenn sie keine „offene Ablehnung der Demokratie als solche“ zeigen, diese dennoch gefährden, indem sie „das Vertrauen in das staatliche System zu erschüttern und dessen Funktionsfähigkeit zu beeinträchtigen“ drohen. Solche Akteure untergraben durch „ständige Verächtlichmachung“ und „Agitation“ das Vertrauen in „demokratische Entscheidungsprozesse und Institutionen“, in „behördliche oder gerichtliche Anordnungen und Entscheidungen“, in „demokratisch legitimierte Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Institutionen des Staates“ (S.144 im Verfassungsschutzbericht 2023). 

Seit 1968 tauchte erstmals eine Formulierung zur Unterminierung des politischen Vertrauens im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 1975 auf („Die NPD versuchte wiederum durch ihre verzerrende, realitätsferne Propaganda das Vertrauen der Bevölkerung in die Bemühungen der Regierung und der politisch führenden Kräfte um eine gesunde und stabile Wirtschaft zu erschüttern.“, S. 20), um dann bis 1989 in nur drei Berichten (1976, 1980, 1981) erwähnt zu werden. In den Berichten zwischen 1989 und 2004 wurde diese Formulierung etwas häufiger, wenngleich weiterhin nur als Einzelfall verwendet, zum Beispiel im Jahr 1999 in Bezug auf die REP, die drohe, „das Vertrauen in die Werteordnung des Grundgesetzes zu erschüttern“ (S. 43), und auf die DVU, die „das Vertrauen in die Politik und die Werteordnung des Grundgesetzes“ erschüttern (S. 53 f.) wolle. Seit 2005 tritt das Untergraben von ‚Vertrauen‘ fast in keinem Bericht des Bundesverfassungsschutzes mehr auf (mit den Ausnahmen 2012, S.128; 2016, S.268), um dann 2019 erneut aufzutauchen. Ab 2020 bekommt das Thema dann deutlich mehr Gewicht beigelegt, um schließlich 2021 zu der neuen Beobachtungskategorie zu avancieren, zu deren Umsetzung unter bestimmten Voraussetzungen auch nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden dürfen. 

Der neue Beobachtungsbereich des Verfassungsschutzes steht im Kontext internationaler Informationspolitik. Seit 2020 nimmt die Informationssteuerung mit dem Ziel des Erhalts von politischem Vertrauen nicht nur in Deutschland, sondern auch in der EU, in den USA sowie in vielen anderen Ländern weltweit immens an Fahrt auf. Diese neue Informationspolitik verschreibt sich Informationsintegrität, Informationsmanagement und Abwehr von „Wahrheitserosion“ (Truth Decay). Sie konkretisiert sich supra- wie international und national in „Codes“, Abkommen sowie in Änderungen und Neueinführung von Gesetzen, welche den Bereich illegaler Äußerungen auf bisher legale Äußerungen hin ausdehnen. Dabei werden auch legale Äußerungen, wenn sie politisch als „schädlich“ eingestuft werden, markierbar oder zensierbar gemacht mit der perspektivischen Tendenz, auch diese zu kriminalisieren.

Die Klage über Vertrauensverlust durch Informationsvielfalt mit Subversions- und Irritationspotenzial wird auch für viele andere Themen mit Vehemenz vorgetragen, wie zum Beispiel Vertrauen in die Wissenschaft und in neue Technologien, insbesondere im Bereich Gesundheit beim Thema Impfung und ggf. Impfpflicht. Dabei werden Rufe nach Gatekeepern für die Wissenschaftskommunikation laut. Gut in Erinnerung ist aus dem März 2022, als die Einführung einer Allgemeinen Corona-Impfpflicht im Deutschen Bundestag zur Abstimmung anstand (sie wurde am 7.4.2022 abgelehnt), eine Debatte um Drostens Überlegung zu einem „Mandat“ und „Sanktionsmöglichkeiten“ für die Wissenschaftskommunikation wichtiger Themen insbesondere in Krisensituationen.

Der Ruf nach einer solchen Regelung ist seither nicht verstummt: Vor wenigen Monaten sprach sich zum Beispiel Sandra Ciesek in der FAZ für die Einrichtung eines „Pathogenkompetenzgremiums“ aus, welches „für die Medien und für die Öffentlichkeit […] Einschätzungen und Papiere veröffentlicht“ und das „für größtmögliche wissenschaftliche Evidenz und Seriosität steht“. Probleme einer Privilegierung bestimmter Positionen durch Machtetablierung vermittelst möglicherweise korruptionsanfälliger Mechanismen oder durch „Beschlüsse … politischer Ebene“ (S.4) , wie sie die sog. RKI Leaks offenbarten, werden von Befürwortern einer gelenkten Wissenschaftskommunikation gern ausgeblendet.

Der Kampf um das Vertrauen ist also zugleich ein Kampf um die Informationshoheit, welcher mit repressiven Mittel geführt und durch Gesetzgebung verstetigt werden kann. Im Schoß der Demokratie scheinen sich damit totalitäre Tendenzen anzubahnen, welche nicht nur politische Oppositionsbildung, sondern grundsätzlich die Meinungs- und auch die Wissenschaftsfreiheit und damit am Ende durch Beschränkung der Freiheitsrechte auch die Demokratie selbst bedrohen könnten.

Vertrauen – Bindeelement zwischen Staat und Bürger 

Die Annahme, dass der Staat das Vertrauen seiner Bürger in ihn zur Funktionstüchtigkeit braucht, ist historisch betrachtet keineswegs selbstverständlich. Auch wenn schon die Antike Vertrauen als wichtigen staatsstabilisierenden Faktor kannte, ging es hier keineswegs um Vertrauen im Sinne eines blinden Sich-Verlassens, sondern vielmehr um einen Glauben auf der Basis von „gnosis“, (Er-)Kenntnis (Aristoteles) oder um das Verlassen auf Bewährtes (Demokrit), also auf erfahrungsgesättigtes Wissen, welches Zutrauen für die Erfüllung der Erwartung verleiht.  

Nach Fichtes Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre ist dem Staat dagegen grundsätzlich „nicht zu trauen“ (2. Teil, S. 74). Auch in der modernen Demokratieforschung, die sich eine idealistische Prägung erhalten hat, spielt vielmehr das Misstrauen gegenüber dem Staat eine konstitutive Rolle. So schreibt 1967 der Philosophieprofessor Karl Holzamer: „Denn die Demokratie geht wesensgemäß von dem Vertrauen auf die Freiheit und Würde des Menschen aus. Aber gerade weil sie diese an den Anfang aller ihrer Funktionen stellt, hat sie auch darüber mißtrauisch zu wachen, daß sie nicht verletzt werden.“  

Die Annahme, dass politisches Vertrauen durch repressive Mittel erzwungen werden könne, ist keineswegs selbstverständlich. Vielmehr könnte sogar das Gegenteil der Fall sein, denn eine Atmosphäre der Kontrolle und Denunziation, wie sie die Durchsetzung von Informationshoheit notwendig erzeugt, verbreitet Misstrauen in der Gesellschaft. Schon Aristoteles wusste, dass Misstrauen der Bürger untereinander wie gegenüber dem Staat die Stütze totalitärer Herrschaft ist. Auch Bildung, Wissenschaft sowie die Gerichtsbarkeit könnten unter dem Einfluss einer solchen Atmosphäre des Misstrauens, zumal wenn diese Atmosphäre zur politischen Stabilisierung staatlicher Gewalt gezielt erzeugt wird, in ihrer Unabhängigkeit und Funktionstüchtigkeit beeinträchtigt werden.

John Locke sah die Regierung in der Pflicht, sich das Vertrauen der Bürger zu verdienen und sich stetig um den Erhalt ihres Vertrauens zu bemühen. Nicht eine Regierung soll für ihn die Bürger kontrollieren und ihr Vertrauen fordern bzw. durch Gesetzgebung und Formen der Überwachung erzwingen, sondern vielmehr umgekehrt die Bürger die Regierung, der sie ihr Vertrauen erst nach entsprechender Prüfung schenken. Michaela Rehm spricht von einem „einseitigen Kontrollmechanismus“, den Locke durch das Vertrauen im Staat etabliert sieht: „Die Gesellschaft überwacht, ob die Regierung ihren Aufgaben nachkommt; die Regierung dagegen kann nicht die Gesellschaft insgesamt einer Pflichtverletzung ihr gegenüber bezichtigen. Handelt die Regierung nicht im Sinne des ‚trust‘, hat das schwerwiegende Konsequenzen: Sie ‚verwirkt [‚.] durch einen solchen Vertrauensbruch [‚breach of trust‘] die Macht, die das Volk ihr zu völlig entgegengesetzten Zielen übertragen hatte" (II§ 222), 11 und das bedeutet die Auflösung der Regierung (II§ 221).“  

So meine ich, dass Deutschland heute keine Auflösung von Regierung und Parlament sowie Neuwahlen helfen werden, wenn nicht grundsätzlich das Verständnis von politischem Vertrauen und seine unheilige Allianz mit repressiver Informationspolitik überdacht und beide in einem freiheitlichen Sinn neu gedacht werden. Hierfür muss, so bin ich überzeugt, wieder ein anderes Menschenbild in der Gesellschaft tragfähig werden. Denn der Grund für unsere Misere heute steckt in freiheitsfeindlichen Ideen von Mensch und Gesellschaft.

Gehen wir daher zunächst der Frage nach, wie es zur heutigen allgemeinen Fokussierung von politischem Vertrauen kam, welches zur Kontrolle der Bürger durch die Regierung umgedeutet und mit Maßnahmen repressiver Informationspolitik geschützt werden soll.

Der Teufelskreis der Demokratie

Die Bedeutung von Vertrauen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wird mit der behavioristischen Wende, engl. Behavioral Revolution, in Politik- und Wirtschaftswissenschaft seit den späten 1950er Jahren  zu einem wichtigen Thema. Vertrauen in verschiedene Institutionen wird statistisch erfasst und zum Verständnis politischer wie wirtschaftlicher Fragen herangezogen: Erstmals 1958 und seitdem jährlich wird in den USA statistisch erhoben, ob die Bürger der Regierung vertrauen. In den 1960er Jahren kamen Erhebungen zum Vertrauen in bestimmte Parteien und Amtsträgern hinzu. Bei der amerikanischen Wahlstudie von 1958 sprachen 73 % der Bürger der Regierung ihr Vertrauen aus; 1964 wurde mit 77% der höchste Stand und 2011 mit 10% der niedrigste Stand an Vertrauen gemessen. 2023 waren es 16%, im April 2024 22%.  Vom Höchststand des Vertrauens ist bis 1980, wo nur 25% das Vertrauen aussprachen, eine drastische Abnahme zu beobachten, die seitdem mehr oder weniger niedrig geblieben ist.  

Eine prominente Erklärung für die Erosion des Vertrauens in die Regierung formulierte die 1973 gegründete Trilaterale Kommission in ihrem 1975 unter dem Titel „Krise der Demokratie“ publizierten Bericht, verfasst von Michel Crozier, Samuel Huntington and Joji Watanuki:  Schuld sei, so Huntington, die Delegitimierung der Autorität der Regierung durch die außerparlamentarische Partizipation engagierter Bürger, insbesondere die „‘gegnerischen‘ Medien und der ‚kritischen‘ Intelligenz in öffentlichen Angelegenheiten“ (S. 76): „Die Vitalität der Demokratie in den 1960er Jahren (die sich in einer verstärkten politischen Partizipation ausdrückte) zog in den 1970er Jahren Probleme für die Regierbarkeit der Demokratie nach sich (die sich in einem sinkenden Vertrauen der Öffentlichkeit in die Regierung äußerte).“ (S. 76) Vielleicht nicht zufällig tauchte daher 1975 erstmals dieses Motiv im deutschen Verfassungsschutzbericht auf (siehe hierzu bereits oben).

Huntington formulierte eine Art Teufelskreis der Demokratie: Je besser Demokratie mit stärkerer politischer Partizipation funktioniert, desto mehr Kontroversen gibt es und desto weiter sinkt das Vertrauen in die Regierung, wodurch die Regierbarkeit abnimmt, welche wiederum wirtschaftliche Probleme nach sich zieht. Die wirtschaftliche Rezession aber senke wiederum das Interesse an der politischen Partizipation, so dass es zu einer neuen Stabilisierung des Vertrauens in die Regierung kommen könne. Und dann beginnt der Zirkel von neuem. 

Eine gut funktionierende Demokratie birgt also nach Ansicht Huntingtons Tendenzen zu ihrer eigenen Destabilisierung in sich. Sie wurzeln in der uneingeschränkten Freiheit der Meinung, welche ermöglicht, dass durch Medien und außerparlamentarisches Engagement die öffentliche Meinung beeinflusst und zur Delegitimierung der Autorität der Regierung, ihrer Behörden und damit zum Verlust des Vertrauens in diese mobilisiert wird. Außerparlamentarische Opposition wird daher in der US-amerikanischen Politikwissenschaft der 1970er Jahre zunehmend, wie Daniela Braun und Swen Hutter schreiben, als „rebellisches Verhalten und als Bedrohung für politische Systeme angesehen, während dagegen die Beteiligung an repräsentativen Formen als stabilisierend galt.“ (S. 153

Ende der 1980er Jahre überführte der israelische Politikwissenschaftler und Terrorismusforscher Ehud Sprinzak den Teufelskreis der Demokratie, wie ihn Huntington vorstellte, in ein Stufenmodell. Sprinzak stellt in seinem grundlegenden Artikel „The Process of Delegitimation: Towards a Linkage Theory of Political Terrorism“ (1991)  dar, dass gerade „idealistische Demokraten“, die sich ihre Meinung kritisch bilden und diese zur Delegitimierung aus ihrer Sicht unrichtiger Politik einsetzen, das größte Potenzial zur Radikalisierung bis hin zum politisch motivierten Terrorismus besitzen sollen. Denn gerade sie könnten sich als „Anhänger eines Regimes in dessen ärgste Feinde“ verwandeln (S.53). 

Zugespitzt formuliert: hochengagierte politische Partizipation birgt die Gefahr, zum Terrorismus zu entarten. Diese Radikalisierung beginne, so Sprinzak, mit einer „Krise des Vertrauens“, gefolgt von einem „Konflikt der Legitimität“ und einer „Krise der Legitimität“, welche für die Speerspitze der Aktivisten in Terrorismus münden kann. Da Sprinzak annimmt, dass diese Phasen evolutiv auseinander hervorgehen, schlägt er vor, die „Radikalisierungsindikatoren“ zu erforschen und diese „zu einem ausgefeilten ‚Anti-Terror-Frühwarnsystem‘ weiterzuentwickeln“ (S. 68).

Sowohl der Bericht der Trilateralen Kommission als auch Ehud Sprinzaks Ansatz zu präventiver Bekämpfung von politisch motiviertem Terrorismus fokussieren dasselbe Problem als Achillesferse der Demokratie: den Einfluss auf die öffentliche Meinung, welche durch Delegitimierung der Autorität von Regierungen, deren Repräsentanten und Behörden bzw. von deren Ansichten und Entscheidungen einen allgemeinen Vertrauensverlust unter den Bürgern auslöst und damit Regierungsfähigkeit sowie Wirtschaftlichkeit beeinträchtigen und am Ende sogar dem Staat selbst gefährlich werden kann. Die ‚vierte Gewalt‘ wird, ist sie jeder staatlicher Kontrolle enthoben, aus dieser Sicht zu einer Gefahr des Staates. 

Die historische Antwort auf diese Gefahr ist der Aufbau eines, euphemistisch formuliert: ‚Informationsmanagements‘, also der gezielten staatlichen Steuerung der öffentlichen Meinung, um einem Vertrauensverlust in die Autorität staatlicher Behörden und Repräsentanten sowie in deren Politik vorzubeugen. Im Klartext heißt dies: die Lenkung der ‚Vierten Gewalt‘ und die Einführung von Propaganda und Zensur unter dem Deckmantel der Pflege von Meinungsfreiheit und Demokratie, deren Entgleisungen in Richtung Unregierbarkeit bis hin im Extremfall zu Terrorismus hierdurch verhindert oder zumindest abgemildert werden sollen. Damit kein Widerspruch zur grundgesetzlich verbürgten Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit entsteht, müssen geschickte Techniken indirekter bzw. legalisierter Formen der Steuerung verwendet werden. 

In Deutschland setzt zusätzlich noch der Verfassungsschutz Sprinzaks Vorschlag eines Frühwarnsystems mit seinem neuen Beobachtungsbereich der Delegitimierung des Staates um. Alle diese Techniken sind so konzipiert, dass sie einer verfassungsrechtlichen Konformitätsprüfung standhalten können müssen.

Entwicklung des Informationsmanagements

Die modernen Formen der Meinungslenkung bauen auf der psychoanalytisch basierten Propagandaforschung zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf. Wie Jonas Tögel unlängst in seinem Buch „Kognitive Kriegsführung" herausgearbeitet hat (vgl. S. 51 f.), gelang es 1914 dem PR-Spezialist Ivy Ledbetter Lee im Auftrag von John D. Rockefeller, Jr. eine Propagandatechnik erfolgreich zu etablieren, deren Weiterentwicklung das heutige Informationsmanagement darstellt: die Korrektur ungewünschter, gegnerischer öffentlicher Meinung durch eine Art ‚Pseudoaufklärung‘, indem Fakten – am besten durch Experten bzw., wie es Edward Bernays 1928 formuliert: ‚trusted leader‘ – kommuniziert werden. 

Der Propagandatrick besteht im Anspruch auf eine – scheinbar gut überprüfbare – Wahrheit von Fakten. Denn dem erkenntnistheoretisch unaufgeklärten Bürger erscheinen Fakten leicht als Tatsachen, deren Existenz evident ist. Dass dies mitnichten der Fall ist, ist ihm gewöhnlich nicht bewusst. Fakten setzen grundsätzlich mehr oder weniger komplexe Konzepte voraus. In der Anwendung des Tricks werden entsprechend Sachverhalte so selektiert und präpariert, dass sie eine bestimmte gewünschte Ansicht stützen. Erst eine umfängliche Überprüfung der sogenannten Fakten kann deren Bedeutung im jeweiligen Fall erschließen und eine mögliche Täuschung detektieren. Diese Überprüfung verlangt aber ein solches Ausmaß an Recherchen mit entsprechender fachlich-methodischer Kompetenz, wie es ein Bürger gewöhnlich nicht aufbringt. 

Diese Manipulation der Bürger durch Vertrauen auf Fakten und Autoritäten flankierte Lee durch Wohltätigkeitsaktivitäten und Auszeichnungen, welche den Kritikern bzw. Gegnern das Gewicht entziehen und ein positiv wirkendes Image der Person bzw. Firma, damals: Rockefeller und seine Colorado Fuel & Iron Corporation, aufbauen. 

Mich erinnert dies an die Coronazeit mit einerseits ihren Faktchecks, Depublikationen und Formen von Stigmatisierung und Canceln sowie andererseits ihren medialen Hypes um ikonische ‚Experten‘, die den Staatsdiskurs verkörperten und durch Preisverleihungen auch und gerade aus der Academia ausgezeichnet wurden.

Im Kontext des Ersten Weltkriegs kamen, wie Jonas Tögel ausführt (S.57 f.), weitere Strategien hinzu, die von der US-Regierung eingesetzt wurden: Neben der Steuerung von Medienpublikationen sind dies gezielte Propaganda und die Diffamierung von Kriegskritikern durch zivilbürgerliche Gesellschaften (NGOs) wie „American Defense Society“ oder „American Protective League“, die teils von der Industrie im eigenen Interesse mitgetragen, durch Staatsmittel zufinanziert und für den Geheimdienst instrumentalisiert wurden, sowie der Erlass von Gesetzen wie dem Spionagegesetz von 1917, welches auch gegen Kriegsgegner verwandt wurde. 

Nach dem Beginn der Informationslenkung durch Fakten bei Ivy Lee soll 1923 als erstes Medium die New York Times den Faktcheck etabliert haben.  Insbesondere in den 1990ern wurde er erneut kultiviert und blühte dann angesichts der Möglichkeiten des Internets nach 9/11 weiter auf. Denn mit der Herausbildung der Blogosphäre im Internet trat ein neues Problem hervor: Im Internet entfaltete sich der Faktcheck zu einer Graswurzelbewegung eines unabhängigen investigativen Journalismus, der durch keinerlei Kontrolle gesteuert ist, wie sie dagegen Medien bisher mit Herausgebern, Redakteuren und Verlagen besaßen, und der zugleich in der Lage ist, große Reichweiten und dadurch Einfluss auf die öffentliche Meinung zu generieren. Damit entstand eine bisher in diesen Ausmaßen unbekannte Form von Macht, politische Partizipation auszuüben und das Vertrauen in Regierungen bzw. deren „Narrative“ zu erschüttern. 

Als Gegenreaktion zu dieser Graswurzelbewegung kam es zur Institutionalisierung des Faktchecks. Diese Organisationen sollen auch und insbesondere dem Kontrollverlust im digitalen Raum entgegenwirken. Es entstanden Fakt-check-Organisationen wie Factcheck.org in 2003 und Politifact in 2007. Laut Graves / Cherubini waren 2016 etwa 40% der Faktcheckorganisationen Nachrichtenorganisationen angegliedert, während die Mehrheit als Unternehmen oder als Einrichtung zivilgesellschaftlicher Organisationen arbeiteten

Der Faktcheck bekam ein Image als „unabhängige“ und „neue demokratische Institution“, welche der Bildung und der Pflege öffentlicher Meinung und freier Meinungsäußerung zuträglich sein soll, indem er Falschinformation und Hassrede abwehrt. António Guterres, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, formuliert dies auf der Webseite der UN zur Informationsintegrität wie folgt: „Jeder Mensch sollte in der Lage sein, seine Meinung frei äußern zu können, ohne Angriffe befürchten zu müssen. Jeder Mensch sollte Zugang zu einer Vielfalt von Ansichten und Informationsquellen haben.“ Die Informationskontrolle führt jedoch zu einem gegenteiligen Ergebnis.

Im neuen Jahrtausend verlagerte sich der Faktcheck von der Prüfung von Tatsachenbehauptungen hin zur Detektion von Falschinformation und Entlarvung von sog. Verschwörungstheorien. Die Falsch- oder Desinformation wird differenziert in falsche Information im engeren Sinne (Misinformation) und böswillig täuschende Information (Disinformation). 2017 prägte Hossein Derakhshan für sog. ‚schädliche Information‘ einen weiteren Begriff: die Malinformation, der sich aber nicht durchgesetzt hat. Stattdessen wird Dis-/Misinformation auf die Umschreibung von Malinformation als ‚schädlicher Information‘ hin ausgeweitet (vgl. „ungesetzliche oder anderweitig schädliche Informationen und Aktivitäten“), die nicht unbedingt falsch sein muss.

Das Wort ‚Information‘ eröffnet eine neue Dimension des Faktchecks. Denn es erlaubt, über Tatsachenbehauptungen hinaus begriffliche Konstrukte allerart, also Ideen, Thesen, Deutungen, Meinungen, Modelle und Theorien usw., unter die Lupe des Faktchecks zu nehmen. Auf diese Weise ist die Detektion von Falschinformation sowohl auf die subjektive, nicht argumentativ abgestützte Meinungsäußerung als schlussendlich auch auf Wissenschaft ausdehnbar. Eine solche Prüfung eröffnet einen weiten Spielraum, dessen Kriterien weich und variabel sind. Solche Checks ersetzen – je nach Komplexität der betroffenen Information – eine methodisch reflektierte wissenschaftliche Auseinandersetzung. In der Academia existiert als Äquivalent zum Faktcheck der Peer Review. Im Faktcheck auf Falschinformation ist jedoch eine solche wissenschaftliche Prüfung, wie sie der Peer Review verlangt, wohl kaum von Journalisten zu leisten. An die Stelle der eigenen wissenschaftlichen Prüfung tritt daher im Regelfall der Abgleich der zu prüfenden Information mit autoritativ gesetzten Standards. Wer aber diese Standards definiert, hat die Macht über den Diskurs. 

Mit der Verlagerung des Checks von Fakten auf Informationen wurde die Grauzone zur Bestimmung der ‚Wahrheit‘ noch über solche – scheinbar einfachen – Kriterien wie ‚Realität oder Lüge‘ oder ‚üble Nachrede und Verleumdung‘ hinaus weiter vergrößert. Die Rolle des Gatekeepers der Information ist daher umso leichter politisch instrumentalisierbar. 2012 kommt Michael Dobbs zu dem Ergebnis, dass „die Überprüfung von Fakten als ein Symptom des größeren, jahrhundertealten Kampfes zwischen dem politischen Establishment und der Vierten Gewalt um die Gestaltung des Narrativs, das den Wählern präsentiert wird“, zu betrachten ist. Mark Stencel, der ehemalige leitende Redakteur für digitale Nachrichten bei NPR, oder auch der australische investigative Journalist und Exekutivdirektor von libernet, einer Initiative für digitale Freiheitsrechte, Andrew Lowenthal warnen heute von einer militanten Verwandlung (weaponization) des Kampfes gegen Desinformation in ein politisch gesteuertes Zensurinstrument: „Es geht nicht um Wahrheit oder Unwahrheit, sondern nur um die Kontrolle des Narrativs.“

Faktchecks und die Prüfung auf ‚Wahrheit‘ bzw. die Bekämpfung von Falschinformation machten seit 2010 eine rasante Entwicklung durch. Laut Graves / Cherubini (2016) erfolgte ein gewaltiger Anstieg der Zahl von Fakt-checkorganisationen: „Mehr als 90 % wurden seit 2010 gegründet, etwa 50 davon allein in den letzten zwei Jahren.“ 

2015 kommt ein Qualitätssprung hinzu, indem Zertifizierungen aufgebaut werden, welche Hierarchien im Faktcheck-Universum schaffen. Netzwerke bildeten sich, gaben sich gemeinsame Richtlinien und führen Zertifikationen durch, wie das 2015 vom gemeinnützigen Unternehmen Poynter Institute gründete International Fact-Checking Network (IFCN); im Juli 2024 verzeichnet es 170 international lokalisierte Organisationen als Mitglieder.

Die Finanzierung der Organisationen erfolgt mehrheitlich, wie eine Umfrage des Poynter Instituts ergab, durch große Drittmittelgeber.  Bei seiner Analyse der Twitter-Files kam Andrew Lowenthal zu dem Ergebnis, dass zu solchen Drittmittelgebern neben „philanthropischen Oligarchen“ auch die Regierung zählt. Die Geldgeber nehmen, sei es direkt oder sei indirekt, Einfluss auf die Informationspolitik.

Parallel zum Ausbau der Faktcheckorganisationen wird – gefördert von Regierungen sowie inter- oder supranationalen Organisationen – an der Verbreitung von Begründungen für die Notwendigkeit und Alternativlosigkeit eines Informationsmanagements gearbeitet, wie zum Beispiel der Abwehr von „Wahrheitserosion“ (truth decay) – ein 2017 von Autoren der Rand Corporation geprägter Begriff , der als Grund für den „Rückgang des Vertrauens in Institutionen und herkömmliche Informationsquellen“ und zur „Bedrohung für die Demokratie, für die Politik und für den bürgerlichen Diskurs“ erklärt wird. 

Die Coronakrise schließlich wurde zum Katalysator der Rechtfertigung einer Stärkung des Informationsmanagements, denn „im Ernstfall, also dann, wenn eine akute äußere Bedrohung gegeben ist und Schutzmaßnahmen zu setzen sind, wirken sich Fake news existenzbedrohend aus“ (Hervorhebung im Original). 2020 wird von den Vereinten Nationen (UN) der Begriff der „Informationsintegrität“ bzw. eines „Informationsökosystems“ installiert, das geschützt und präventiv gepflegt werden müsse. 

Die WHO fuhr im Zuge von Corona zur Unterstützung der „Risikokommunikation“ zum Schutz der Weltbevölkerung vor Fehlinformation insbesondere über Virus und Impfung systematisch das „Infodemic Management“ hoch. In der Kooperation mit Big Data Plattformen kam es fast flächendeckend zur Zensur als „irreführend“ deklarierter Informationen sowie umgekehrt zur Flutung bzw. Propagierung mit „gewünschter“ Information. Es wurden quantitativ in einem wohl nie zuvor dagewesenen Ausmaß international auf den großen Internetplattformen die Reichweite von Einträgen beschränkt, Beiträge gelöscht und Nutzer blockiert.  

Das „Infodemic Management“ der WHO baute systematisch Handreichungen und Schulungen auf. Auf der Basis festgesetzter Kriterien der WHO und auch der Regierungen wurde die Verbreitung von als „schädlich“ erachteter Informationen durch Dethematisierung, Depublikation, Faktcheck mit Zensur sowie durch Propaganda bzw. Flutung ‚gewünschter‘ Information, Cancel Culture mitsamt Ausgrenzung und Stigmatisierung von Kritikern usw. eingedämmt. Über die großen Plattformen hinaus wurde die ganze Gesellschaft mitsamt ihren Einrichtungen in Kultur, Bildung und Wissenschaft von der Informationslenkung nach den jeweiligen Vorgaben zu den Corona-Maßnahmen erfasst. 

Der Anwalt Joachim Steinhöfel beschreibt in seinem Buch „Die digitale Bevormundung – wie Facebook, X (Twitter) und Google uns vorschreiben wollen, was wir denken, schreiben und sagen dürfen" (2024), wie er Prozesse im Fall sachlich ungerechtfertigter Zensurmaßnahmen durch die großen Plattformen gewinnt. Aber wer nicht Geld in die Hand nimmt und klagt, bleibt gelöscht. Und es ist zu fragen, wie lange solche Prozesse noch Aussicht auf Erfolg haben werden, wenn erst einmal die Kriterien als bindend betrachteter Organisationen zum auch rechtlich wirksamen Maßstab werden, der eine Prüfung der Sachlichkeit obsolet machen könnte.

Die Coronazeit bedeutete jedoch nicht nur einen quantitativen Sprung in der Etablierung des Informationsmanagements, sondern auch einen qualitativen, indem der Prozess zur Legalisierung des Informationsmanagements durch neue oder erweiterte Abkommen und Gesetze massiv ausgeweitet wurde.

Verstetigung des Informationsmanagements durch Abkommen, Gesetze und Strukturen

Die Phase der Informationssteuerung, die auf ihre dauerhafte rechtliche und infrastrukturelle Verstetigung abzielte, setzte bereits vor Corona ein. Die EU beispielsweise hat seit 2018 gleich einen ganzen Komplex an Maßnahmen und Institutionen zur Bekämpfung von Desinformation geschaffen.  Sie führte 2018 einen „Code of Practise“ bzw. „Praxisleitfaden“ ein, welcher „Online-Plattformen, Handelsverbände und wichtige Akteure der Werbebranche“ „verpflichtet, Desinformation einzudämmen und ihre Online-Politik zu verbessern.“ Der „Code“ wurde 2022 noch strenger gefasst und auf die Bekämpfung von Falschinformation hin zugespitzt („The 2022 Code of Practice on Disinformation“). Er ist Teil eines „umfassenderen Rechtsrahmens in Verbindung mit den Rechtsvorschriften über Transparenz und Zielgruppenorientierung in der politischen Werbung und dem Gesetz über digitale Dienste.“  

Das Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) ist eine EU-Verordnung 2022/2065, die am 17.2.2024 in Deutschland in Kraft trat. Das Gesetz hält sehr große Onlineplattformen und Suchmaschinen mit einer Reichweite von monatlich mindestens 45 Millionen Nutzern unter Androhung von drakonischem Bußgeld zur Überprüfung nicht nur von rechtswidrigem Inhalt, sondern auch „von nur irreführendem oder täuschendem Inhalt einschließlich Desinformationen“ (Erwägungsgrund Nr. 84) sowie von Informationen mit „nachteiligen Auswirkungen“(Art. 34 DSA) an. Unter Desinformation versteht die Europäische Kommission, wie Manfred Kölsch erklärt, „Bedrohungen für die demokratischen politischen Prozesse und die politische Entscheidungsfindung sowie für öffentliche Güter wie den Schutz der Gesundheit …der Umwelt und der Sicherheit.“ Die Kommission setzt, wie Kölsch schreibt, „das Maß“, „an dem die Beurteilung als Desinformation ausgerichtet ist“, so dass „politisch unliebsame Meinungen, ja wissenschaftlich argumentierte Positionen gelöscht werden können.“ 

Die EU Kommission hat außerdem auch das infrastrukturelle Werkzeug mitgeliefert, welches dafür sorgen soll, dass die Anwendung des „Codes“ und des „DSA“ auf die jeweils als Bedrohung definierten Informationen zentral gesteuert erfolgen kann. Dieses Werkzeug hat zwei Seiten: eine für Koordination, eine für die technisch-methodische Umsetzung. Für jede Seite wurde eine Institution bereitgestellt; für die erste wurde die Europäische Beobachtungsstelle für digitale Medien eingerichtet, für die zweite das TrustLab beauftragt.

Die Europäische Beobachtungsstelle für digitale Medien (EDMO) zur Koordination der Bekämpfung von Desinformation wurde am 1.6.2020 gegründet. Sie ist Teil des „im Dezember 2018 veröffentlichten detaillierten Aktionsplans der Kommission gegen Desinformation“. Sie soll Faktcheckorganisationen erfassen und durch „Förderung gemeinsamer und grenzüberschreitender Aktivitäten und spezieller Schulungsmodule“ zusammenführen und koordinieren. Auch „Behörden“ sollen „bei der Überwachung der von Online-Plattformen ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung und der Auswirkungen von Desinformation“ unterstützt werden.  

Innerhalb der Länder setzt sich diese Strukturierung fort: Jedes Land muss einen Koordinator für digitale Dienste benennen (in Deutschland die Bundesnetzagentur), der wiederum Vertrauenswürdige Hinweisgeber erwählt. In Deutschland wurde unlängst die 2017 gegründete „Meldestelle REspect!“ als Hinweisgeber gewählt; sie ist als „Maßnahme der Jugendstiftung Baden-Württemberg“ im staatlich finanzierten Demokratiezentrum Baden-Württemberg wohl kaum als unabhängig zu bezeichnen. 

Zur bisherigen Methode der Hierarchisierung von Faktcheckorganisationen durch Zertifizierung treten nun die staatliche Auslese, samt finanziellen Vorteilen, und die Anbindung der Organisationen an das von der EU koordinierte System hinzu. 

Das TrustLab unter Leitung seines Mitgründers Tom Siegel, der bereits das Google’s Trust & Safety team gegründet hatte, „wurde von der Europäischen Kommission ausgewählt, um für die Verbreitung von Desinformation eine unabhängige Messmethodik zu entwickeln und eine nachträgliche Analyse von Messungen durchzuführen.“ Es ist offizieller Partner auch für „US-Desinformationspraktiken, Inhaltsregulierung und Trendanalysen“. Der CEO Siegel sieht die „Mission“ des TrustLab darin, „Unternehmen, Regierungen und Einzelpersonen mit den richtigen Werkzeugen und Kenntnissen auszustatten, um ein sichereres Online-Umfeld für alle zu schaffen“. Sein erster Bericht aus September 2023 kommt zu dem Ergebnis, dass „Twitter das höchste Verhältnis von Auffindbarkeit und Engagement von Fehlinformationen aufweist, während YouTube das niedrigste hat.“ 

Aus der Koordination privatwirtschaftlicher und staatlicher Interessen baut sich ein Zensurkomplex als Businessmodell auf, das politische Interessen der EU – sowie der jeweiligen Regierungen, möglicherweise aber auch wirtschaftliche Interessen von Großkonzernen – umsetzt. Es wird ein zentralistisch und hierarchisch strukturiertes System installiert, das auf eine koordinierte, effektive Durchsetzung der Löschung von Desinformation zielt und hierfür auch wirtschaftliche Interessen instrumentalisiert. Für die EU könnte perspektivisch das Ergebnis der Analysen der Twitterfiles der Autorengruppe Susan Schmidt et al. 2023 gelten, die vom Aufbau eines ganzen industriellen Zensurkomplex sprach, der seine Profitabilität gerade aus dem Zusammenspiel privater und staatlicher Mittel bezieht.  

Die WHO strebt mit dem Infodemic Management ebenfalls den Aufbau eines solchen Steuerungskomplexes an. Die Ergänzungen zu den Internationalen Gesundheitsvorschriften vom Juni 2024 verpflichten die Staaten, Kapazitäten zur koordinierten Bekämpfung von Desinformation rund um die Verbreitung und Behandlung übertragbarer Krankheiten und Pandemien aufzubauen. Der bisher noch nicht verabschiedete Pandemievertrag geht noch darüber hinaus, indem er Gültigkeit auch für die Zeit „zwischen Pandemien“ (Artikel 2, 2) beansprucht. Der Vertrag sieht den Aufbau eines institutionellen Systems für die ‚Risikokommunikation‘ (Informationsmanagement) in Gesundheitsfragen mit zentralisierter und hierarchischer Struktur für alle beteiligten Länder vor (Artikel 6(2)(d)). Infodemic Management bedeutet aber über die Löschung von Informationen, die als falsch bzw. schädlich erachtet werden, hinaus auch die Förderung von „Vertrauen“ sowie die Verbreitung von gewünschter Information vor (Art. 18 (1)). Grundlage sollen die „beste verfügbare Wissenschaft und Evidenz“ (ebd., auch Art. 3(6)) sein. 

Wie beim DSA ist auch im Fall der WHO unklar, worin die Kriterien für die „beste“ Wissenschaft und zur Bestimmung von gewünschter bzw. schädlicher Information bestehen sollen. Allerdings hat die WHO, analog zu EDMO der EU, bereits ein Zentrum geschaffen, welches sich mit der Auswahl solcher Kriterien befassen kann: EPI-WIN, das WHO Information Network for Epidemics, das für den Fall von Epidemien die „wissenschaftlichen Informationen rechtzeitig bereitstellt“ und diese „in Notfällen für alle Gemeinschaften zugänglich, verständlich und aussagekräftig macht, damit deren Entscheidungen, Strategien und Maßnahmen auf fundierten Erkenntnissen beruhen.“ EPI-WIN wird dementsprechend die Bestimmung beeinflussen, welche Information als gut, welche als schädlich zu gelten hat und damit die Auswahl der konkreten Inhalte für die Verbreitung (Propaganda) resp. für die Bannung (Zensur).

Auch die UN baut, analog zu ihrer Unterorganisation WHO, ein Informationsmanagement auf, das sich auf politisch als hochrelevant eingestufte Themen erstreckt. Die UN hat mit der Coronakrise 2020 am Global Policy Centre for Governance das globale UNDP-Portfolio für Informationsintegrität eingerichtet.  Der 22./23.9.2024 verabschiedete, unter Federführung von Deutschland und Namibia ausgehandelte UN-Zukunftspakt soll die „Verbreitung von Misinformation, Disinformation und Hassrede“ verhindern.  

Das Kapitel zur Informationsintegrität im UN-Zukunftspakt bezeichnet explizit einige Inhalte als Desinformation (Absätze 33-36), wie zum Beispiel den Einspruch gegen die Nachhaltigkeitsziele (Agenda 2030). Auf der Webseite der UN zur Informationsintegrität fallen darunter ausdrücklich auch die Bezweifelung und Leugnung der Annahme, dass es eine wissenschaftliche Einigkeit über den menschengemachten Klimawandel gebe (vgl. zu „Backgrounds“). Eine Widerlegung der Studie von John Cook et al. (2013), auf der diese Annahme beruht , wie sie zum Beispiel unlängst überzeugend Professorin Gisela Müller-Plath auf der Webseite des gegenüber dem menschengemachten Klimawandel kritischen Europäischen Instituts für Klima und Energie (EIKE e.V.) publizierte, ist also laut der Übereinkunft zur Informationsintegrität der UN als Desinformation einzustufen und deren Verbreitung zu verhindern. 

Die UN strebt den Aufbau eines einheitlichen Systems für alle beteiligten Länder an und schlägt hierfür fünf Prinzipien vor, die durch eine ganze Liste an Empfehlungen konkretisiert werden. Wir finden hier alle üblichen Kernpunkte des Informationsmanagements wieder, von der Pflege des „Vertrauens“ und „Mechanismen“ zur Verbreitung „zuverlässiger und genauer Informationen, die dem öffentlichen Interesse dienen“, über „Maßnahmen zur Wahrung der Informationsintegrität“ und „Maßnahmen zur Bekämpfung von Desinformation, Belästigung und Gewalt“ bis hin zu „Geschäftsmodellen, die gleichzeitig die Menschenrechte wahren und die Integrität der Information stärken“ sowie der „Bereitstellung ausreichender Ressourcen für die menschliche und automatische Moderation und Pflege von Inhalten“. 

Das zentralisierte und hierarchisierte sowie durch ökonomische Vorteile gestützte Modell eines Zensur- und Propagandakomplexes, wie ihn die EU – zumindest für die Zensur von ‚falscher‘ bzw. ‚schädlicher Information‘ – bereits aufgebaut und die WHO mit dem Pandemievertrag noch umsetzen will, wird hier auf die UN Ebene ausgeweitet.

Zur sog. Pflege des Informationssystems gehört für EU und UN nicht nur die Informationskontrolle, sondern auch die von den UN 2019 aufgesetzte Agenda gegen Hassrede, welche „eine neue Generation digitaler Bürger“ dazu erziehen soll, „Hassreden zu erkennen, abzulehnen und ihnen entgegenzutreten“. Für die Hassrede gilt dasselbe wie für die Desinformation: Ihre Kriterien und Grenzen sind nicht bestimmt und daher offen, durch die Koordinations- und damit Machtzentren der jeweiligen Struktur von EU, WHO oder der UN bestimmt zu werden. 

Die Hassrede wird, wie die Information, doppelt behandelt: einerseits zensiert oder markiert, andererseits sollen präventiv wirkende Erziehungs- bzw. Bildungsmaßnahmen aufgebaut werden. Auch deren Kriterien können politisch beeinflusst werden. Hiermit könnten Tür und Tor für Oppositionsbekämpfung geöffnet werden. Auch Kultur und Bildung könnten tangiert werden: Satire, Ironie und Polemik können aus dem Verkehr gezogen werden; und es besteht die Gefahr, dass die Grenze von politischer Bildung zu inhaltlicher Indoktrination überschritten und das „Überwältigungsverbot“ des Beutelsbacher Konsens‘ gebrochen wird

Für die weitere Zukunft streben die UN, die EU sowie die WHO jeweils für sich genommen einen weiteren und systematischen Ausbau des Informationsmanagements an, der sich jeweils auf Abkommen und Gesetzgebung stützt und die beteiligten Staaten zur Entwicklung institutioneller Infrastrukturen für die praktische Umsetzung anhält. Die Synergie dieser Bestrebungen dürfte die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit in Bedrängnis bringen.

Deutschland ist EU-Spitzenreiter in der Informationskontrolle

In Deutschland hat sich vor dem Hintergrund der EU- und UN-Maßnahmen zur Bekämpfung von Desinformation und Hassrede eine Konstellation neuer Gesetze bzw. Gesetzesverschärfungen entwickelt, die eine solchermaßen zugespitzte Lage erzeugen, dass unbescholtene Bürger, besonders aber Beamte und politische Beamte, auch außer Dienst bzw. im Ruhestand, sehr genau aufpassen müssen, wann, wo und wie sie etwas äußern: Es wird eine Schere im Kopf, die mentale Vorzensur, notwendig. Schon die öffentliche Feststellung dieser Sachlage und, noch schlimmer, Vergleiche mit ähnlichen historischen Formen können ausreichen, um eine Denunziation bei einer Meldestelle und vielleicht eine Anzeige auszulösen oder den Verfassungsschutz auf den Plan zu rufen: Denn zur als verfassungsfeindlich bewerteten Ideologie zählt der deutsche Verfassungsschutz Äußerungen, welche „die Bundesrepublik Deutschland mit den diktatorischen Regimen des Nationalsozialismus und der DDR“ gleichsetzen. 

Der DSA in Verbindung mit dem deutschen Ausführungsgesetz Digitale Dienste Gesetz, welches ein Einfallstor für politisch motivierte Löschung von Inhalten bildet, wird in Deutschland durch ein seit dem 3. April 2021 gültiges „Gesetzespaket“ mit dem Ziel der „Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“ (BGBl. I 2021, 441) flankiert. Dieses Gesetzespaket sieht unter anderem vor, dass über „Mord- und Vergewaltigungsdrohungen im Netz“ hinaus auch „Beleidigungen im Netz“ mit Freiheitsstrafe geahndet werden können, wobei „antisemitische Motive grundsätzlich strafschärfend zu werten sind“. Für „Personen des politischen Lebens“ wurden in der Neufassung des § 188 StGB Verleumdung und üble Nachrede ergänzt um die Beleidigung,  womit sich ein weiter Spielraum für die Anzeige von Satire, Spott und Polemik, wie sie insbesondere im Wahlkampf üblich sind, aufgetan hat. 

In Kürze wurde daraus ein Geschäftsmodell für Unternehmen wie So Done, das „Stand September 2024“ mit „7816 angezeigten Hasskommentaren“, „95% Prozent Erfolg in von uns geführten Gerichtsverfahren“ und „591 Euro durchschnittlich erstrittene Geldentschädigung“ wirbt.  Der Einsatz amtierender Politiker, im konkreten Fall des NRW-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU), zur Werbung des Unternehmens wurde unlängst untersagt. Joachim Steinhöfel, der die Abmahnung getätigt hatte, äußerte sich hierzu wie folgt: „Dass der Staat, vertreten durch hohe Amtsträger, Werbung für die maschinelle Massenverfolgung seiner Bürger macht, ist rechtswidrig und zeigt ein korrekturbedürftiges Demokratieverständnis.“ Dem Journalisten und Schriftsteller Frédéric Schwilden wird ein „Staat unheimlich“, in dem 2024 „Durchsuchungsbeschlüsse für Memes vollstreckt [werden], die sich über den Vizekanzler und die Außenministerin lustig machen“.  

Aber es kommt noch mehr dazu. Am 2.7.2023 trat das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG), welches die EU-Whistleblower-Richtlinie umsetzt, in Kraft. Es zog die Einrichtung eines flächendeckenden Netzwerks an Meldestellen nach sich. In seinen Anwendungsbereich fallen auch „Äußerungen von Beamtinnen und Beamten, die einen Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue darstellen“ (ebd.). Dies spielt zusammen mit den ebenfalls 2023 vorgenommenen Verschärfungen des Disziplinarrechts, die, wie Josef Franz Lindner im ZER Heft 7/8/2024 (S. 217) schreibt, „in ihrer Gesamtschau […] die Äußerungs- und Verhaltensspielräume von Beamten – mindestens faktisch – unverhältnismäßig zu beschränken“ drohen. Zu diesen Neuregelungen gehört unter anderem eine Umkehr der „Klagelast vom Dienstherrn auf den Beamten“, indem „die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis als intensivste Disziplinarmaßnahme […] also künftig durch bloßen Verwaltungsakt (,,Disziplinarverfügung“) ausgesprochen werden“ darf (ebd., S. 222 f.). Von politischen Beamten wird auch im einstweiligen Ruhestand verlangt, dass sie sich „durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen“ (ebd., S. 217).  

Diese Neuerungen können für Beamte, insbesondere politische Beamte, bedeuten, dass ihnen „verfassungskritische, zugespitzt pointierte Äußerungen“ (ebd., S. 220) zum Verhängnis werden können. Gefährdet sieht Lindner damit die Unabhängigkeit von Beamten und im Besonderen auch deren Pflicht zur Remonstration (ebd., S. 223). Lindner bringt entsprechend gegenüber diesen Verschärfungen des Disziplinarrechts „teilweise verfassungsrechtliche Beden-ken“ (ebd.) in Anschlag. 

Die Tendenz zur Einschränkung der Meinungsfreiheit wird weiter dadurch verstärkt, dass während der Coronazeit der Begriff der „Delegitimierung des Staates“ zu rechtlicher Bedeutung gelangte, indem er nicht nur in die Praxis der Rechtsprechung eines Bundesgerichts einging (Entscheidung des BVerwG vom 14.6.2023 im Fall der Äußerungen eines Hauptmanns auf „Facebook“ anlässlich der Corona-Maßnahmen), sondern auch, wie eingangs beschrieben, besondere Sichtbarkeit durch die Einrichtung als neuer Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes erhielt. Die prominente Einführung dieses Konzepts weckt den Anschein, dass es sich um einen gesetzlichen Begriff handelt. Das ist aber mitnichten der Fall: Er kommt – bisher noch – in keinem deutschen Gesetzbuch vor. 

Wie im Fall von „Desinformation“ und „Hass und Hetze“ ist auch die „Delegitimierung“ ein Begriff mit rechtlich nicht klar definierten Grenzen und Kriterien. Lindner hebt die „Unschärfe“ (S. 222) des Begriffs hervor, die zur Annahme anregen könne, „dass alleine delegitimierende Äußerungen schon genügen, um eine verfassungsfeindliche Betätigung zu bejahen.“ (S. 221) Zwar kann Delegitimierung „ein exemplarischer Anwendungsfall sein, bildet indes kein eigenes Tatbestandsmerkmal“ (S. 221). So sieht Lindner die Gefahr, dass Disziplinarbehörden oder Gerichte nur noch darauf achten könnten, „ob den Äußerungen schon ein delegitimierender Charakter zukomme – was dann bereits für die Annahme der Verfassungsfeindlichkeit genügen würde“, aber nicht mehr ihrer eigentlichen Verpflichtung nachgehen, genau zu prüfen, „ob konkrete Äußerungen das Urteil einer verfassungsfeindlichen Betätigung oder Haltung rechtfertigen“ (S. 221). 

Der Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek hatte bereits 2022 die Delegitimierung des Staates als „Gummibegriff“  und den neuen Phänomenbereich „als Verlegenheitskategorie“ bezeichnet, die „korrigiert werden“ müsse und „sich im nächsten Verfassungsschutzbericht nicht wiederholen“ dürfe. Das Gegenteil ist der Fall: Der Bereich wurde im Jahr 2023 weiter ausgebaut. Eine Schärfung der Kriterien, welche politischen Missbrauch ausschließt, blieb jedoch aus.

Zur konzeptionellen Schwäche des Begriffs, die eine politische Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes ermöglicht, kommt erschwerend eine weitere Änderung hinzu. Die verfassungsschutzrechtliche Überwachung wurde mit Wirkung vom 9.7.2021 vom „Personenzusammenschluß“ auf als möglicher-weise verfassungsfeindlich einzustufende Einzelpersonen ausgeweitet (§ 4 Abs. 1 c BVerfSchG) . Dies gilt ausdrücklich auch für Personen, die gar nicht die Verfassung und / oder die Demokratie abschaffen oder beschädigen wollen (S.144 im Verfassungsschutzbericht 2023), aber vielleicht meinen, sie wieder-herstellen zu müssen und vor allem, wenn sie sich hierfür nicht nur mit sanften kritischen Tönen, sondern vielleicht mit übergespitzten Formulierungen sowie durch agitative Formen politischer Partizipation als außerparlamentarische Opposition engagieren. 

Aktuell werden vom Bundesverfassungsschutz 1600 Personen in diesem Bereich überwacht, darunter zum Beispiel die Bloggerin und freie Journalistin Aya Velázquez (Pseudonym), die daraufhin polemisch mit dem Projekt eines Antragsgenerators  für „Datenauskunfts-Anträge an alle deutschen Nachrichtendienste“ reagierte.

Die wahrscheinlich prominenteste Person, die seit 2023 überwacht wird und seit Bekanntgabe ihres Vorhabens, eine eigene Partei zu gründen, auch im Nachrichtendienstlichen Informationssystem und Wissensnetz (NADIS-WN) geführt wird und damit nachrichtendienstlich kontrolliert werden darf, ist ein ehemaliger Präsident dieser Behörde, der oppositionelle Ansichten vertritt. Die breite Bekanntgabe von Überwachung und Hochstufung in den Medien lässt den Verdacht auf eine „geschickte politische Inszenierung“ zur Schädigung des neuen Parteichefs, wie in Manfred Kölsch einwandte, nicht abwegig erscheinen. 

Dietrich Murswiek bezeichnete in seinem Buch „Verfassungsschutz und Demokratie" die „Information der Öffentlichkeit“ als „Kampfinstrument“ des Verfassungsschutzes, dessen „Einsatz“ „für den demokratischen Willensbildungsprozeß […] sehr viel gravierendere Auswirkungen haben“ kann „als sogenannte ‚operative‘ Maßnahmen.“ (S.75).  Murswiek publizierte dies 2020, vor der oben dargelegten Verschärfung des Disziplinarrechts, die für Beamte, die der Verfassungsschutz am Ende als „gesichert rechtsextrem“ einstuft, das Ende ihres Dienstverhältnisses sowie den Verlust ihrer Pension bedeuten dürfte. Die Folge ist, dass insbesondere Beamten, speziell politischen Beamten, auch wenn sie außer Dienst sind, zur Vorsicht bei Äußerungen geraten ist, zumal wenn sie bereits vom Verfassungsschutz als Einzelperson in das Visier genommen worden sind.

Zusammengefasst ergibt sich für Deutschland ein Bild, welches in der Arena der Informationspolitik die roten Fähnchen für Aktivitäten einer außerparlamentarischen Opposition und Partizipation, welche politisch international wie national gewünschte Agenden und deren Legitimationsnarrative in Frage stellt, absteckt – während aber der Kanzler, wie er am 14. Oktober 2024 gegenüber der Schweriner Volkszeitung bestätigte, keine „roten Linien“ kennt, „weder in der Corona-Pandemie, noch in der Frage von Krieg und Frieden.“ Wird der Krieg in der Ukraine zum „Krieg um die Ukraine“, wie General Harald Kujat unlängst in einem Interview zu bedenken gab, könnte aus der Arena schnell ein Hochsicherheitsgefängnis werden.

Ein Weg aus der Krise oder warum wir dem Menschen vertrauen sollten

Das gesellschaftliche Klima in Deutschland ist schlecht – nicht nur der eingangs geschilderte Verlust an politischem Vertrauen, anders herum formuliert: der gewaltige Anstieg an Misstrauen, prägt das Land, sondern auch eine Atmosphäre von Angst und mentaler Vorzensur auf der einen Seite sowie von Einschüchterung, Denunziation und Ausgrenzung auf der anderen Seite. 

Robert Kogon (Pseudonym eines Journalisten) bezeichnete am 22.10.2024 in einem Artikel des Brownstone Institutes zum Transparenzbericht von X (Twitter) über die Anwendung des DSA durch das Digitale Dienste Gesetz Deutschland als „Zensur-Champion der EU“. Kein Land der EU stellte, wie der Transparenzbericht aus dem Oktober 2024 zeigt, so viele Anfragen zu den Urhebern möglicherweise „illegaler oder schädlicher Äußerungen“, wie Deutschland, auf das, so Kogon (ebd.), fast 90 Prozent aller Meldungen aus allen Ländern entfallen. Auch in der Rubrik Meldungen „illegaler oder schädlicher Äußerungen“ führt Deutschland mit Abstand – wie Kogon errechnet hat, stammen 42 % aller Berichte an X und fast 50 % der Berichte der Mitgliedstaaten aus Deutschland.

Zu den Spaltungen, welche in der Coronakrise ausgelöst wurden, sind neue Risse quer durch die Gesellschaft hinzugekommen. Der Versuch, Vertrauen in den Staat durch Bekämpfung von Desinformation, Hassrede und Delegitimation wiederherzustellen, sät Misstrauen unter den Bürgern untereinander und erst recht auch gegenüber dem Staat. Ob bewusst gesteuertes oder zufälliges Resultat, jedenfalls fördern solche Spaltungen – nach der alten Herrschaftsmaxime „Divide et impera“ – totalitäre Tendenzen. 

Die Demokratie ist in einer schweren Krise, gegen die das Rezept Huntingtons und Sprinzaks mit Informationslenkung und präventiver Kontrolle der Bürger sich nicht nur als unwirksam, sondern vielmehr als Brandbeschleuniger erwiesen hat. Aber jede Krise ist auch eine Chance für Entwicklung. 

Die tiefere geistige Wurzel der gegenwärtigen Krise der Demokratie sehe ich in der ‚behavioristischen Revolution‘, welche, wie eingangs dargestellt, das früher breite Akzeptanz genießende, bis in die Antike zurückführende Verständnis eines ‚wissenden Vertrauens‘ und grundsätzlichen Misstrauens gegenüber Staat, seinen Organen und Repräsentanten aufgegeben hat. 

Für den Behaviorismus ist der Mensch ein steuerbares Tier, das in der transhumanistisch getönten Gegenwart analog zu einer programmierbaren Ma-schine gedacht wird. Die WHO hat dieses Menschenverständnis in ihrem Schulungsprogramm für Infodemic Manager in ein aussagekräftiges Bild gefasst: Der Mensch ist ein Nashorn, das als dumm, potenziell aggressiv und damit schädlich vorgestellt wird. Um es sozial tauglich zu machen, muss es zur programmierten Fabrikware werden. Ziel ist, dass der Einzelne Teil eines Kollektivs der Gleichen unter Gleichen wird. Individualität, Freiheit und Moral sind überflüssig, vielmehr der Anspruch auf sie schädlich – da hierin das Potenzial für Widerstand liegt und somit die Durchsetzung von Maßnahmen, welche die jeweilige Macht anstrebt, erschwert oder verunmöglicht wird. 

Ein solches Menschenbild ist nicht mit der Demokratie zu vereinbaren, so lange sie als freiheitlich verstanden wird. Eine freiheitliche Demokratie kann nur dann funktionieren, wenn sie den Menschen als Wesen ansieht, das zum Gebrauch der Vernunft fähig ist und die Vernunft als ein universelles Prinzip betrachtet, mit Hilfe dessen grundsätzlich eine Verständigung aller Menschen untereinander möglich ist. Außerdem setzt sie voraus, dass der Mensch als ein Wesen erlebt wird, welches soziales Miteinander, Gemeinschaft sowie Liebe, Freundschaft und Tugenden anstrebt. Als Drittes braucht sie die Annahme eines Willens des Menschen, sich an der Gemeinschaft zu beteiligen und für sie aktiv zu werden. Und zu guter Letzt nimmt sie an, dass der Mensch sich selbst erzieht und bildet, indem er seine Defizite im Denken, Fühlen und Wollen erkennt. 

Giovanni Pico della Mirandola lässt 1486 in seiner Schrift „Über die Würde des Menschen" Gott dieses Ideal des Menschen formulieren, dass der Mensch sich selbst als sein „eigener, in Ehre frei entscheidender, schöpferischer Bildhauer“ „zu der Gestalt“ ausformt, die er bevorzugt. Das bei Pico noch theologisch durch die Gottebenbildlichkeit begründete Menschenbild kann durch eine transzendentale Wende, wie sie Immanuel Kant erstmals in der Aufklärung gedacht hat, auch säkular begründet werden.

Soll Demokratie lebendig sein und nicht vom Teufelskreis in eine Sackgasse des Totalitarismus geraten, braucht sie ein Verständnis des Menschen als eines Wesens, das sich seine Individualität selbst gestaltet und, das mag paradox erscheinen, muss es aber bei dem skizzierten Verständnis des Menschen nicht sein: gerade deswegen sozial ist. Ein freiheitlich demokratischer Staat hat nurmehr den Raum zu schaffen und zu schützen, in welchem die Menschen ihre Individualität heranbilden, ohne einander zu beschädigen. 
Von einem solchen Ideal entfernen wir uns heute mit Siebenmeilenstiefeln. Wollen wir in einer wahrhaft freiheitlichen Demokratie leben, müssen wir in uns selbst und in der Gesellschaft daran arbeiten, dass wir wieder Vertrauen in den Menschen als ein Wesen gewinnen, für das nicht das Streben nach Macht und Besitz, sondern das Streben nach Wahrheit, Liebe, Gerechtigkeit und Einzigartigkeit kreativer Individualität prägend ist. 

Abkommen und Gesetze sollten ausschließlich kriminelle Inhalte und Aktionen verhindern. Alle neuen Einschränkungen der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, wie sie in diesem Artikel exemplarisch skizziert wurden, sollten wieder aufgehoben und Abkommen bzw. Gesetzgebung hinsichtlich einer Beeinträchtigung der freien Meinungsäußerung überdacht werden. Ein Verfassungsschutz als Meinungskontrolleur und Geheimdienst zu politischer Maßregelung verfehlt seine Aufgabe. Das mentale Klima einer Gesellschaft kann sich selbst regeln– auch im Internet und auf großen Foren ist dies möglich, indem zum Beispiel Korrekturfenster und Kennzeichnungen bei oft fälligen Korrekturen, welche die User selbst vornehmen, möglich gemacht werden. Informationsmanagement ist nicht „alternativlos“. Oder wir geben mit dem Vertrauen in den Menschen auch die Demokratie auf. 

Ein Hoffnungszeichen kam jüngst aus Australien: Am 24. November 2024 wurde der kontrovers diskutierte Gesetzentwurf zur Änderung der Kommunikationsgesetzgebung 2024 zur Bekämpfung von Fehlinformationen und Desinformation, der eine gewisse Analogie zum DSA der EU bildet, von der Regierung abgelehnt, da es „‘keinen Weg‘ gebe, den Vorschlag im Senat durchzubringen.“ Andrew Lowenthal kommentierte: „Was diese Niederlage wahrhaft bemerkenswert macht, ist die breite Koalition, die sich gebildet hat, um das Gesetz zu blockieren. Im Senat bildete sich eine erstaunliche Allianz – die konservative Opposition, die Grünen und die unabhängigen Senatoren des linken Flügels lehnten gemeinsam den Gesetzesentwurf ab. Diese parteiübergreifende Gemeinsamkeit deutet auf ein zunehmendes Bewusstsein für die Gefahren hin, die mit einem staatlich kontrollierten Informationsmanagement verbunden sind." Dessen ungeachtet gilt in Australien weiterhin der – wenngleich „freiwillige“ – „Verhaltenskodex für Desinformation und Fehlinformation“ (2019, Update 2022).

In welcher Welt und mit welchem Bild vom Menschen wollen wir leben? Wir sind frei, dies zu entscheiden. 
 

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Norbert Heyer | So., 15. Dezember 2024 - 12:52

Ich habe Vertrauen zu meiner Familie, wenigen Freunden und Wegbegleitern. Der Politik traue ich überhaupt nicht mehr - mit Ahnahme der AfD, die meine Meinungen in etwa teilt. Wie sie sich im Falle einer Regierungsbeteiligung verhalten würde, steht in den Sternen. Die Ampel hat existenzgefährdend versagt, Habeck zerstört genüsslich unsere Industrie, legt funktionierende AKW still und verärgert ganz Europa durch Energieaufkäufe im Ausland, was unseren und deren Strompreis in astronomische Höhen treibt, Baerbock befindet sich gedanklich. Im Krieg mit Russland und ihre Wähler sind ihr völlig egal. Der Kanzler versprach Führung und liefert nichts, die FDP hat ihre politische Agenda voll in den Mülleimer getreten, März will Kanzlern, er küsst Habeck die Füße und verrät die Politik seiner Partei. Krieg mit Russland, wir marschieren mal wieder gen Osten, wir werden dadurch -vielleicht- als Nation untergehen und das zu Recht, uns fehlt das Gen zur eigenen Erkenntnis von politischen Irrwegen.

R. Schacht | So., 15. Dezember 2024 - 13:23

Ich würde den Tiefststand des Vertrauens der Bürger in einen deutschen Kanzler sogar noch erweitern um das Vertrauen in das gesamte Wahlsystem. Das Gefühl, die nächste Regierung steht bereits fest, ob mit oder ohne Wählerstimmen, will einfach nicht weichen, jedenfalls bei mir.
Ein (wahlkampf-)prahlender Söder "mit uns keine Koalition mit den Grünen" und ein einknickender Merz "dazu müssten sich die Grünen sehr ändern" tun ihr übriges, um Vertrauen abzuschaffen. Am Ende der "Wahl" machen beide entweder den Scholz "kann mich nicht erinnern" oder den Adenauer "was kümmert mich mein Geschwätz von gestern".
Die Ampel zahlt nun den Preis einer Hochzeit mit ungeliebtem Partner, auf den man zurück greifen musste, weil man eine günstigere Steuerklasse wollte und dem passenden Partner ein schlechter Ruf vorauseilt, den man selber geschaffen hat.
Meine Empfehlung: Drum prüfe, wer sich vorschnell bindet, ob sich nicht doch was bessres findet. Frohe Weihnachtsfeiertage.......

Tomas Poth | So., 15. Dezember 2024 - 13:51

Den aktuellen Regierungen und dem damit verbundenen Staatswesen kann man nicht vertrauen.
Sie bespitzeln über private Organisationen den Bürger und machen mit Hilfe des Staatsapparates Hetzjagd auf Bürger die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehmen.
Ihnen ist das Wohlergehen fremder Ethnien wichtiger als die des eigenen Volkes. Expressis verbis AnnaLena, egal was ihrer Wähler von ihr denken, sie wird alles für die Ukraine tun, wahrscheinlich auch in dem Sinne "wollt ihr den totalen Krieg noch totaler".
Eine Regierung die gemäß Koalitionsvertrag per Regierungsprogramm Europa dienen will. Deutschland kommt da also nicht vor, außer daß wir die Steuern dafür erwirtschaften sollen. Wir werden zur Melkkuh degradiert, um das weltweite protzige und verschwenderische Auftreten dieser Regierungsmischpoke zu ermöglichen.

Jürgen Goldack | So., 15. Dezember 2024 - 13:52

Und noch so ein hervorragender Artikel, den jeder lesen sollte - auch oder gerade Politiker der links-radikalen Prägung wie z. B. die der sogenannten demokratischen "Altparteien"! Aber das bleibt wohl ein Traum!

Manfred Sonntag | So., 15. Dezember 2024 - 14:11

Vielen Dank, Frau Prof. Stahl für diese hervorragende Darstellung des deutschen und europäischen Dramas. Auch ohne diesen Artikel stand für mich seit längerem fest, dass wir mittlerweile im Totalitarismus, egal ob man es Faschismus, Maoismus oder anderweitig benennt, angelangt sind. Im Tatsachenroman von Eugen Ruge "Metropol" wird sehr eindringlich beschrieben wie die Massen im Moskau der Jahre 1936/ 1937 in riesigen Demonstrationszügen die Hinrichtung und Todesstrafe für die "Feinde" von Stalin und der Revolution forderten. Was dann auch weiter geschah. Und heute? Gewerkschaften und Blockparteien demonstrieren mit Plakaten und Gegröle in welchen der Tod von AFD Mitgliedern und ihrer Wähler gefordert wird. Hunderttausende gehen Anfang 2024 auf die Straße um gegen Remigration u. ä. zu demonstrieren welches angeblich in Potsdamer Treffen von AFD Mitgliedern besprochen wurde. Sie sind genauso wie damals in Moskau oder Berlin den gigantischen Lügen des Establishment aufgesessen.

Rainer Dellinger | So., 15. Dezember 2024 - 14:22

Danke für diesen Artikel. Aber genau das ist es doch, ich zitiere: "Um es sozial tauglich zu machen, muss es zur programmierten Fabrikware werden. Ziel ist, dass der Einzelne Teil eines Kollektivs der Gleichen unter Gleichen wird. Individualität, Freiheit und Moral sind überflüssig, vielmehr der Anspruch auf sie schädlich – da hierin das Potenzial für Widerstand liegt und somit die Durchsetzung von Maßnahmen, welche die jeweilige Macht anstrebt, erschwert oder verunmöglicht wird. " Genau das haben im Osten die Marxisten praktiziert + sind gescheitert. Wir nannten es Zwangskollektivierung. Literatur dazu findet man bei Lenin. Ich möchte nicht im Eurokommunismus leben.

Tomas Poth | So., 15. Dezember 2024 - 14:22

Umgekehrt, Regierung und Staat vertrauen dem Bürger nicht!
Das ist, wie auch in dem Artikel aufgezeichnet, an den entwickelten Gesetzen und die Kontrolle/Denunziation durch den Staat und staatlich geförderte Vorfeldorganisationen dargestellt.
Es ist wie immer die Machtfrage, wer bekommt das Sagen und wer kontrolliert wen.
Ganz schlimm, wenn die vierte Gewalt, bei uns die Übelmedien, sich der Staatspropaganda verschreiben.
Ergebnisse dieser üblen Masche kennen wir aus der Zeit des Nationalsozialismus und des DDR/SED-Sozialismus.
Der heutige rotgrüne Öko-Sozialismus ist nur eine andere Fortschreibung früherer Totalitarismen!

Ingofrank | So., 15. Dezember 2024 - 15:02

Hat der Staat der von einer Horde Berufspolitikern (in Mehrheit ohne Lebensarbeitsleistung) zur Beute gemacht wurde, mehr als verspielt und braucht sich absolut nicht zu wundern, dass Umgekehrt das Vertauen des Souveräns in diese Kaste verloren gegangen ist. Zeit für einen politischen Wechsel wäre es, der aber mit einer wiederholt Links Grünen Regierung auch unter einer Union, nicht möglich sein wird. Es wird im Ergebnis nur noch mehr Vertrauen verspielt …..
Mit freundlichen Gruß aus der Erfurter Republik

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