Der neu ernannte Premierminister Francois Bayrou während der Übergabezeremonie im Innenhof des Hotels Matignon / dpa

Krise der französischen Politik - In Frankreich wächst die Wut

Wer vergangene Woche genau aufpasste, sah und hörte, dass sich Emmanuel Macrons Zeit an der Macht ihrem Ende zuneigt. Die Franzosen verlieren aber nicht nur mit ihm die Geduld, sondern mit ihrer gesamten politischen Klasse. Daran dürfte auch François Bayrou nichts ändern können.

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Jacob Ross ist Experte für Frankreichs Sicherheitspolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin.

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Als Frankreichs neuer Premierminister Francois Bayrou am Freitagnachmittag endlich das Wort ergriff, stand er neben Michel Barnier. Sein tapferer, aber glückloser Vorgänger war rund drei Monate Regierungschef gewesen. Bevor Bayrou seine Strategie für das Land präsentierte, würdigte er also Barniers Einsatz und erinnerte an seine erste politische Begegnung mit ihm. 1989 war das, in der sogenannten „Rénovateur“-Gruppe, die sich der Erneuerung der französischen Politik verschrieben hatte. Bayrous Hommage hatte etwas Komisches: Hier standen zwei 73-jährige, die ihre Landsleute zur Erneuerung aufriefen.

Die Amtsübergabe war zugleich ein weiterer Schritt auf dem Weg zum Abschied Macrons, den dieser mit seiner zweiten Sorbonne-Rede im April selbst eingeläutet hat. An den Amtszeiten seiner Regierungschefs lässt sich der Kontrollverlust des Präsidenten schon seit längerem ablesen: Edouard Philippe, sein erster Premier, hielt sich noch ganze drei Jahre im Amt. Dessen Nachfolger, Jean Castex, immerhin noch zwei. Es folgten Elisabeth Borne, mit einem Jahr, Gabriel Attal, mit sechs Monaten, und zuletzt eben Michel Barnier, mit drei Monaten. Laut übereinstimmenden Medienberichten zwang Bayrou Macron nun, ihn zu nominieren. Die Methode Macron, die seit 2017 ihrerseits für Erneuerung stand, ist deutlich an ihre Grenzen gekommen.

Warten auf Macron 

Spannender als die Amtsübergabe im Hof des Matignon-Palasts waren aber die Tage und Stunden zuvor. Eigentlich hatte Macron eine rasche Ernennung angekündigt, nachdem Barnier von linken und rechten Populisten mithilfe eines Misstrauensvotums gestürzt worden war. Bei der Wiedereröffnung der Kathedrale Notre Dame de Paris sagte er am 7. Dezember, am folgenden Montag werde er einen neuen Premier bekanntgeben. Doch Montag verstrich und Dienstag hieß es, in „48 Stunden“ werde Macron einen Namen nennen. Auch am Donnerstagabend wartete die Öffentlichkeit jedoch vergebens.

Freitagvormittag, hieß es nun, diesmal wirklich. Also wurden im Fernsehen und im Radio Sondersendungen anberaumt und Experten eingeladen. Als Bayrou am frühen Vormittag lange mit Macron sprach, schien die Sache sicher. So sicher, dass im Hof des Amtssitzes des Premiers, nur wenige hundert Meter Luftlinie entfernt, ein roter Teppich entrollt wurde und Techniker zwei Mikrofone vor dem Stadtpalast installierten. Doch das Gespräch im Élysée-Palast zog sich, länger als erwartet. Plötzlich kam Unsicherheit auf: Doch nicht Bayrou? Hatte es Streit mit dem Präsidenten gegeben? 

Im Schwebezustand 

Ab 11 Uhr wurden die Kommentatoren in den Studios und ihre Korrespondenten vor Ort nervös. Auch in Paris ende der Vormittag um 12 Uhr, versicherte man, nur halb im Scherz, den Zuhörern – und sich selbst. Doch es passierte nichts. Vor dem Matignon-Palast wiederholten die Kommentatoren zunehmend verzweifelt ihren Satz, der rote Teppich sei ausgerollt, ein sicherer Hinweis, dass es bald Bewegung gebe. Als diese Beobachtung vollends ihren zweifelhaften Neuigkeitswert verloren hatte, begannen einige Journalisten, die Höhe der Mikrofone zu kommentieren, die einsam vor dem Gebäude warteten. Eine niedrige Einstellung sei vielleicht ein Hinweis auf Bayrou, die höhere auf den („wesentlich größeren!“) ehemaligen Minister Macrons, Roland Lescure.

Einige Minuten wurde mit diesen Nebensächlichkeiten erfolgreich Sendezeit gefüllt. Doch dann geschah etwas völlig Unvorhergesehenes: Die Journalisten und ihre eingeladenen Experten, die Verfassungsrechtler und politischen Beobachter, sogar ein Sprecher der Partei Bayrous, MoDem, sie alle fielen nach und nach aus ihren Rollen. Es sei eine Schande, was da geschehe, platzte es aus einem Sprecher heraus. Das Land werde von Macron in Geiselhaft genommen, sagte ein anderer. Die politisch-mediale Öffentlichkeit fühlte sich für dumm verkauft vom Präsidenten.

Die Wut wächst

Nur Minuten später veröffentlichte dann der Élysée-Palast das offizielle Communiqué zur Ernennung Bayrous. Verblüffend schnell fanden die Kommentatoren daraufhin zurück in ihre Rollen, klangen fast erleichtert, dass der Präsident doch nicht von dem erwarteten Ablauf abgewichen war und dass die bereits zum Abschicken bereiten Kommentare nicht umsonst geschrieben worden waren. Der kurze Moment der nackten Wahrheit war vorbei, alle Beteiligten fielen in ihre Routinen zurück.

Was aus diesen authentischen Minuten bleibt, ist die Fassungslosigkeit, die aus vielen Reaktionen gesprochen hatte. Wer genau aufpasste, sah und hörte, dass sich Emmanuel Macrons Zeit an der Macht ihrem Ende zuneigt. Die Franzosen verlieren aber nicht nur mit ihm die Geduld, sondern mit ihrer gesamten politischen Klasse. Wie sehr die sich um sich selbst dreht, machten die Stunden rund um die Amtsübergabe einmal mehr deutlich. Es braucht wenig Fantasie, um sich auszumalen, wie französische Arbeitnehmer auf die mediale Deutung des roten Teppichs oder die Höhe der verfrüht aufgestellten Mikrofone reagierten – während in Frankreich gleichzeitig wirtschaftliche Sorgen und Ängste vor der Zukunft wachsen.

Bayrou und seine Regierung müssen deshalb viel mehr leisten, als den Haushalt für 2025 zu verabschieden. Der Vertrauensverlust der Franzosen in ihre politischen Eliten hat sich am vergangenen Freitag so ungefiltert wie selten zuvor Bahn gebrochen. Auch aus deutscher Sicht kann man nur hoffen, dass man im Elysée und in Matignon die Signale gehört hat und reagiert, bevor es zu spät ist. 
 

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Mario Felizzi | Di., 17. Dezember 2024 - 11:06

"...während in Frankreich gleichzeitig wirtschaftliche Sorgen und Ängste vor der Zukunft wachsen."

Frankreich = Deutschland

Wolfgang Borchardt | Di., 17. Dezember 2024 - 12:52

weniger geduldig und oppurtun als die Leute hierzulande es (noch) sind. D hat sich in Europa schon energiepolitisch isoliert und diese Isolation ringsum in allen wichtigen Bereichen wird sich möglicherweise weiter vertiefen Auch nach der nächsten Wahl und der zu erwartanden Koalition derer, die nicht zusammengehören, wird sich wenig ändern.

Markus Michaelis | Di., 17. Dezember 2024 - 12:57

Ja, in Frankreich ist die politische Klasse wohl etwas getrennter von der Normalbevölkerung als in D, aber auch das war lange so ok und gewählt. In Deutschland haben wir doch ähnliche Tendenzen und da repräsentieren die Parteien und Politiker glaube ich ziemlich gut die verschiedenen Bevölkerungsteile.

Aber auch in Frankreich ist es für mich vielleicht 1/3 die politische Klasse selber mit ihren Fehlern. 2/3 ist, dass die Bevölkerung in verschiedene Gruppen zerfällt, die sich gegenseitig nicht mehr ausstehen können, und dass allen zusammen eine Orientierung fehlt, wohin die Reise eigentlich gehen soll und welche Ziele realistisch sein können, welche eher nicht.

Ja, über Politiker zu sprechen ist immer auch wichtig. Aber im Moment sollten wir vielleicht nicht mehr soviel über Politiker sprechen, weil die sich auch nur eng im durch die Bevölkerung vorgegebenen Rahmen bewegen können. Wir sollten mehr darüber sprechen, welche Bev.Gruppen was wollen und wie das zueinander (nicht) passt.

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