Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen traf den saudischen Kronprinz Mohammed Bin Salman 2016
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen traf den saudischen Kronprinz Mohammed Bin Salman 2016 / picture alliance

Mord an Jamal Khashoggi - Die Geschäfte mit den Saudis werden weitergehen

Wegen des grausamen Mordes an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi will die Bundesregierung vorerst Rüstungsexporte aussetzen. Die Symbolik ist wichtig, aber sie dürfte kaum von Dauer sein. Gerade die USA brauchen die Saudis mehr denn je

Porträt Michael Lüders

Autoreninfo

Michael Lüders ist einer der profiliertesten deutschen Nahostexperten. Der promovierte Islamwissenschaftler war viele Jahre Redakteur bei der Zeit und ist heute freier Publizist und Politikberater. Lüders, geboren 1959 in Bremen, hat zahlreiche Bücher über den Nahen Osten verfasst, zuletzt „Armageddon im Orient“ (C. H. Beck, München 2018)

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Der politisch motivierte Mord an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi erschüttert und empört die Weltöffentlichkeit. Auch wegen der unglaublichen Brutalität des Vorgehens: Türkischen Angaben zufolge sind Khashoggi erst die Finger, dann der Kopf abgetrennt worden. Offenbar reichte es den aus Saudi-Arabien angereisten Auftragsmördern des Geheimdienstes nicht, ihr Opfer im saudischen Konsulat in Istanbul zu liquidieren. Es war ihnen wichtig, die Hinrichtung möglichst brutal durchzuführen und die Leiche anschließend zu schänden. Dieses Vorgehen enthält durchaus einen „kulturellen Code,“ offenbart eine abgrundtiefe Verachtung gegenüber dem Opfer.

Bis zum Erdöl-Boom, der im Zweiten Weltkrieg einsetzte, war die saudische Gesellschaft beduinisch geprägt. In weiten Teilen ist sie das noch heute. Kritik am dortigen Herrscherhaus der Al-Saud, nach dem das Land benannt ist, gilt nach dem vorherrschenden Ehrenkodex als Blasphemie. Wer dem Herrscher nicht huldigt, kann nur ein Verräter sein, und ein Verräter hat sein Recht auf Leben verwirkt. Selbst dann, wenn er im New Yorker Exil lebt, wie Khashoggi.

Der Kronprinz ist nur scheinbar ein Reformer

Es ist völlig ausgeschlossen, dass eine Tat von solcher Tragweite, die Ermordung des bekanntesten saudischen Journalisten, ohne Wissen und Billigung von Kronprinz Mohammed Bin Salman erfolgt sein könnte. Der 33jährige Kronprinz, nicht sein dementer Vater, der 82jährige König Salman, ist der mächtigste Mann im Staat. Im Westen galt MBS, wie er vor allem im angelsächsischen Raum gerne genannt wird, als Reformer. Vor allem, weil er Frauen das Autofahren erlaubte, Theater und Kinos wiedereröffnen ließ.

Das alles ist jedoch wenig mehr als Fassade. In Wirklichkeit ist er ein hochgradig narzisstischer, politisch unerfahrener Möchtegern-Machiavelli, der Widersacher mit der Todesstrafe bedroht. Darunter auch mehrere Frauenrechtlerinnen. Im Westen so gut wie unbekannt ist die von ihm angeordnete Belagerung und weitgehende Zerstörung  der saudischen Stadt Awamiyah im Sommer 2017. Über die Zahl der Toten ist nichts bekannt. Dort lebten vor allem Schiiten – und die gelten den sunnitischen Hardlinern in Riad als Feinde, als Agenten des schiitischen Irans. Der Krieg im Jemen, die Blockade Katars, der de facto-Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Kanada im August, nach kritischen Äußerungen der kanadischen Außenministerin zur Menschenrechtslage in Saudi-Arabien  – sie gehen auf das Konto von MBS. Wer ihn kritisiert, hat mit härtesten Konsequenzen zu rechnen.

Die Geschäfte werden weitergehen

Was also tun, wie reagieren auf diese Provokation aus Riad, den Mord an Khashoggi? Die Frage stellt sich auch in Deutschland. Nach Tagen des Abwägens teilte die Bundeskanzlerin mit, es werde „vorerst“ keine Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien mehr geben. Eine richtige Entscheidung, allerdings eher eine symbolische. Der Wüstenstaat ist auf deutsche Waffen nicht angewiesen, die Lücke werden die USA gerne füllen. Fast zehn Prozent ihrer gesamten Waffenexporte gehen nach Saudi-Arabien. Die Prognose sei gewagt: Nach einer gewissen Schamfrist werden die Geschäfte von deutscher Seite weitergehen wie bisher. Auch der Boykott der Wirtschaftskonferenz in Riad in dieser Woche seitens maßgeblicher westlicher Wirtschaftsvertreter und Politiker ist in der Sache richtig, doch ebenfalls eher Symbolik. Der Fall Khashoggi, machen wir uns nichts vor, wird im Sand verlaufen, aus geopolitischen und wirtschaftlichen Gründen.

Letztere sind schnell benannt: Saudi-Arabien liefert zu Vorzugsbedingungen Erdöl an die USA, im Gegenzug garantiert Washington für die Sicherheit der dortigen Herrscher. Seit den 1980er Jahren haben saudische Fonds und Privatpersonen dreistellige Milliardenbeträge in die US-Wirtschaft investiert. Nicht allein der Trump-Clan, auch die Bush-Dynastie unterhält enge Wirtschaftsbeziehungen nach Saudi-Arabien – ebenso texanische Ölbarone. Die Bande sind dermaßen eng, dass sie auch von den Terroranschlägen des 11. September 2001 nicht erschüttert worden sind: Obwohl die meisten Attentäter aus Saudi-Arabien stammten. 

Saudi-Arabien wird von den USA mehr gebraucht denn je

Der saudische Staatsislam, der Wahhabismus, exportiert seine reaktionäre Weltanschauung auch nach Europa und finanziert radikale Islamisten weltweit. Dennoch gilt im Westen in der Regel nicht Saudi-Arabien als „Schurkenstaat“, sondern der Iran. Eine Frage der Geopolitik: der Iran ist der einzige verbliebene Staat im weiten Raum zwischen Marokko und Indien, dessen Politik sich nicht am Westen orientiert. Vielmehr an Russland und China. Für das amerikanische Imperium ist diese Unbotmäßigkeit ein Affront. Setzte Obama noch auf Deeskalation und auf das Atomabkommen mit dem Iran, sucht sein Nachfolger Trump nunmehr den Showdown: einen Regimewechsel in Teheran. Dafür braucht er seine beiden wichtigsten Verbündeten in der Region, Israel und Saudi-Arabien, beide anti-iranisch eingestellt.

Am 4. November greift die nächste Sanktionsstufe der USA gegenüber Teheran. Von dem Tag an macht sich nach amerikanischem Recht jedes Unternehmen strafbar, das mit dem Iran noch Handel treibt. Das bedeutet, dass die iranischen Erdölexporte um voraussichtlich knapp zwei Millionen Barrel pro Tag zurückgehen werden. Damit die Benzinpreise hierzulande nicht explodieren, muss die Lücke anderweitig geschlossen werden. MBS hat Präsident Trump zugesagt, genau das zu tun. Der Deal steht. Jetzt erst recht.

Wer wollte ernsthaft annehmen, der grausame Tod Jamal Khashoggis spiele vor diesem Hintergrund auch nur die geringste Rolle?
 

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Reihnhard Zeiss | Di., 23. Oktober 2018 - 13:26

Hier erkennt man die Doppelmoral des Westens ,
Im Fall Skripal wurden die fadenscheinigsten ,
angeblichen Beweise hervorgezaubert um Sanktionen gegen die Russen durch zu peitschen !
Und nun ? Wo bleiben die Sanktionen gegen die
Saudis ? Waffen sind wahrscheinlich wichtiger,
dabei bleibt die Gerechtigkeit auf der Strecke !

RA Ullrich Dobke | Di., 23. Oktober 2018 - 18:01

Antwort auf von Reihnhard Zeiss

Wie Recht Sie haben! Ich nenne diese "Pfeffersackpolitik unserer Regierung widerlich und letztlich auch rechtlich nicht haltbar.

Yvonne Walden | Di., 23. Oktober 2018 - 13:55

Wenn Deutschland es ernst meint mit seinen "moralischen Ansprüchen" an Staaten, die mit deutschen Waffensystemen beleifert werden dürfen, muß es zu einem dauerhaften Exportverbot in Richtung Saudi-Arabien kommen. Ein Land, daß weiterhin auf Todesstrafen besteht, ist kein "freundliches Land". Wenn Deutschland jedoch auch künftig Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien liefert, zeigt sich damit erneut die scheinheilige Doppelmoral unserer Regierenden. Hauptsache, die Rüstungsindustrie macht satte Gewinne und verkauft ihre Produkte auch an Länder, die Menschenrecht sträflich mißachten und Stellvertreterkriege führen. Also kann es nur heißen: Stoppt die Waffengeschäfte mit Staaten, die solche Waffen mißbrauchen. Hier haben die Diktatoren in Saudi-Arabien sicherlich keine Skrupel. Deshalb dürfen sie weder hofiert noch wirtschaftlich unterstützt werden.

.. muss der Außenhandelsüberschuß ja kommen. Außerdem geht es um Arbeitsplätze und mit den Steuern daraus finanzieren wir unseren nicht abreißenden Strom von Goldstücken. Der Sachzwang ist alternativlos.

Yvonne Walden | Do., 25. Oktober 2018 - 12:43

Antwort auf von Guido Schilling

Rüstungsgüter machen nach Expertenschätzung maximal 9 Prozent unseres Außenhandels aus. Der Einfluß auf Arbeitsplätze und Steuereinnahmen ist also marginal.
Das sollte frau/man wissen, bevor über den Rüstungsexport gesprochen bzw. geschrieben wird.

Tobias Werner | Di., 23. Oktober 2018 - 14:24

Sei es nun friedlich katastrophal oder gar wolorganisiertes bewusstes aussterben, wie es sich bei den Intelligenteren in der westlichen Hemisphäre andeutet, oder gar kriegerisch-apokalyptisch, wo ja viel Energie und Geist immer wieder investiert wird?! So richtig dieser Beitrag ist, auch er lässt mich sehr ratlos u. erschreckt zurück. Von daher bin ich geneigt doch auch nochmal über ein Zurück wenigstens mal nachzudenken. Also kein Auto, keine Flüge, Armut, Bescheidenheit, Askese, Selbstversorgung, zumindest nur von dem was vor Ort vorkommt u. angebaut werden kann, materieller Austausch nur mit gleichartig Lebenden,evtl ein kurzes Leben - wie modernes Mönchstum (ohne religiöse Verbrämung u. rituelle Belastungen). Bliebe das Risiko andere Mitmenschen, von fremden Aggressoren z.B. umgebracht od. verdrängt od. versklavt zu werden, mit all den modernen Waffen u. Tötungsmöglichkeiten u. daß diese dann auch noch so umweltzerstörend hochtechnologisch-globalsiert hernoch weitermachen.

Bernd Muhlack | Di., 23. Oktober 2018 - 14:45

Ein empfehlenswerter Artikel, wie auch die meisten Bücher von Lüders lesenswert sind. Er war einmal bei einer dieser talk-Prinzessinnen zu Gast und ich darf sicherlich die selbstherrliche Anmoderation/Begrüssung seitens Frau Will zitieren? "Zunächst möchte ich Sie erst nochmal vorstellen. Wir haben Sie heute bewusst NICHT als einen neutralen Nahost-Experten vorgestellt, sondern als Autor und als Politik- und Wirtschaftsberater. Sie sind, muss man sagen, "erklären", ein Geschäftsmann, der sein Wissen an Firmen verkauft, die im Nahen und Mittleren Osten ihre Geschäfte machen wollen. Spielt für Ihre wirtschaftlichen Interessen, oder spielen Ihre wirtschaftlichen Interesssen da ’ne Rolle wenn Sie sagen oder behaupten, dass es der Westen sei, der Syrien ins Chaos gestürzt hat?“ => Liebe Ciceronen, kann man das betreute Denken des öff-rechtl TVs noch drastischer manifestieren? Ja, in der Tat kann man das, jedoch "gehen mir die Zeichen aus" und in D die Lichter! & das darf doch nicht sein!!

Juliana Keppelen | Di., 23. Oktober 2018 - 15:06

War doch bis jetzt SA kein Thema in den Medien weder das Feudalsystem noch der Krieg im Jemen noch die wahabitische Rechtsprechung mit den üffentlichen Enthauptungen mit dem Schwert noch auspeitschen noch dass die Haushaltshilfen vorwiegend aus den Philippinen wie Sklaven gehalten wurden. Gegen SA ist der Iran ein aufgeklärter toleranter Staat. Erst jetzt als es einen aus der "kritischen Elite" getroffen hat ist der Aufschrei groß. Und oh Wunder kam doch gestern wie aus dem nichts ein Bericht auf N-TV (der bestimmt schon lange unter Verschluß war und jetzt hat man sich getraut) über die Schattenseiten des von uns so gehätschelten Feudalstaates der mit unserem "Wertesystem" (von Merkel immer als Monstranz gegen Russland gebarucht) nichts aber auch gar nichts zu tun hat.

Georg Zeegers | Di., 23. Oktober 2018 - 16:06

Lug und Betrug ein Land wo man gerne Lebt!

Gottfried Meier | Di., 23. Oktober 2018 - 17:33

Ich war kürzlich in Rumänien und habe mir natürlich auch das Schloss Bran von Vlad dem Pfähler angeschaut. Dieser bekam seinen Namen wegen der ihm zugeschriebenen Grausamkeit, wobei diese im Mittelalter nichts Ungewöhnliches war (Vierteilen etc.). Warum wundern wir uns dann eigentlich, dass ein Land das gesellschaftlich im Mittelalter stehengeblieben ist, nach unseren Maßstäben solche Verbrechen begeht? In Saudi Arabien und den anderen Gottesstaaten werden solche Morde wie der an Khashoggi wahrscheinlich gar nicht als Verbrechen angesehen.

Tomas Poth | Di., 23. Oktober 2018 - 19:42

in dieser Kombination, bleibt uns noch lange als Pulverfass erhalten. Die Folgen kennen wir, sh. Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien - Europa der willige Natopudel der USA, unfähig seine Interessen selbstständig und unabhängig in die Hand zu nehmen.

Thorsten Rosché | Mi., 24. Oktober 2018 - 08:14

Legt sich mit keinem Staat dieser Welt an ! "Man muss doch im Gespräch bleiben" nur so kann man in Saudi Arabien etwas ändern, OT Maas Männchen. Und deutsche Waffen ? Müssen die direkt aus Deutschland kommen ? Wie es geht weiß z.B. Heckler & Koch.

RA Ullrich Dobke | Mi., 24. Oktober 2018 - 09:15

Ja - Sie haben völlig recht. Blockdenken wie im vorigen Jahrtausend. Damals waren die Sowjets die Bösen und heute sind es die Russen. Wenn wir jemand gebrauchen können, benutzen wir ihn und fragen nicht danach, ob er so etwas wie die FDGO, die europäische Menschenrechts-Konvention oder die Charta der Vereinten Nationen kennt und anerkennt. Ist unsere politische Haltung da nicht mal grundsätzlich in Frage zu stellen?

oder

Jens Rotmann | Mi., 24. Oktober 2018 - 09:57

Köpfen, Auspeitschen, Steinigen .......und die westlichen Medien jubeln weil Frauen jetzt Auto fahren dürfen. Diese ganze Heuchelei widert einen nur noch an. Aber dafür hat man einen Begriff kreiert : Realpolitik !

wolfgang spremberg | Mi., 24. Oktober 2018 - 18:30

H. Schmidt : Wertegebundene Außenpolitik ist abwegig.
Ist es schlimm und heuchlerisch wenn "wir" das tun, was alle tun, unseren Vorteil suchen, oder ist es schlimm und heuchlerisch, wenn wir so tun als täten wir das nicht ?

Bernhard K. Kopp | Mi., 24. Oktober 2018 - 19:46

Die deutschen Exporte nach Saudi Arabien sind bereits von 2016 (€ 7.3 Mrd.) auf 2017 ( € 6.5 Mrd.) zurückgegangen. 2018 wird nicht besser. Nachdem dieser Tage der (von den grossen Ländern) kleinste Lieferant von Militärgütern, Deutschland. mit weltweiter, und teilweise sehr wohlwollender Resonanz die vorübergehende Aussetzung der Lieferungen erklärt hat, wird MbS und die Regierung jede Gelegenheit nutzen, um deutsche Bewerber auszugrenzen. Ein weiterer Rückgang der deutschen Exporte nach Saudi Arabien ist wahrscheinlich - natürlich weit über die Militärgüter hinaus. Ausser dem wirtschaftlichen Schaden, und einer fragwürdigen, selbstgerechten und moralinsauren Selbstbefriedigung werden wir nichts haben und nichts bewirken.