Demonstranten halten iranische, palästinensische und Hisbollah-Fahnen und ein Poster des iranischen Obersten Führers Khamenei bei einer Kundgebung zum Gedenken an den getöteten Hisbollah-Generalsekretär Nasrallah / picture alliance

Nahost-Konflikt - Irans Machtposition bröckelt

Seit vier Jahrzehnten ist Teheran bemüht, seine Einflusssphäre in Nahost auszuweiten. Die Dezimierung der Hisbollah-Führung durch Israel ist daher ein herber Rückschlag für den Iran. Aber bei weitem nicht sein einziges Problem.

Autoreninfo

Kamran Bokhari ist Experte für den Mittleren Osten an der Universität von Ottawa und Analyst für den amerikanischen Thinktank Geopolitical Futures.

So erreichen Sie Kamran Bokhari:

Einen Tag, nachdem der Iran rund 200 ballistische Raketen auf Ziele im ganzen Land abgeschossen hatte, kündigten israelische Beamte am 2. Oktober Pläne für umfangreiche Vergeltungsmaßnahmen an, die sich möglicherweise gegen die iranische Ölproduktion und Atomanlagen richten könnten. Der nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, warnte Teheran in ähnlicher Weise vor „schwerwiegenden Konsequenzen“, während Washington erklärte, es werde Israels Reaktion unterstützen. Unabhängig davon begann Israel eine Bodenoffensive im Südlibanon, um Hisbollah-Kämpfer aus dem Gebiet südlich des Litani-Flusses zu vertreiben.

Der iranische Raketenbeschuss – der zweite gegen Israel innerhalb von sechs Monaten – erfolgte nur wenige Tage nach einem israelischen Luftangriff in Beirut, bei dem Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah getötet wurde. Mindestens ein halbes Dutzend weiterer hochrangiger Mitglieder der Gruppe sind in etwas mehr als einer Woche bei israelischen Luftangriffen ums Leben gekommen. Die Dezimierung der Hisbollah-Führung und ihrer kriegerischen Fähigkeiten durch Israel hat den Weg für eine massive Veränderung der geopolitischen Landschaft im Nahen Osten geebnet. 

Nach einer jahrzehntelangen Zementierung der eigenen Macht hat der Iran einen schweren Rückschlag erlitten. Teheran sieht sich nicht nur mit einer regionalen Umkehrung konfrontiert, auch seine Position im eigenen Land ist angesichts der direkten Konfrontation mit Israel verwundbar. Diese Entwicklungen bieten den Vereinigten Staaten, der Türkei und – in geringerem Maße – den arabischen Staaten eine historische Chance, den unverhältnismäßig großen regionalen Einfluss, den der Iran in den letzten vier Jahrzehnten aufgebaut hat, zurückzudrängen.

Knockout-Schlag

Die Hisbollah war noch nie so geschwächt. Die Anfang der 1980er Jahre gegründete Gruppe entwickelte sich zur dominierenden Kraft im Libanon, stärker noch als die libanesischen Streitkräfte. Im Jahr 2000 zwang sie Israel nach 18-jähriger Besatzung zum Rückzug aus dem Südlibanon. Sechs Jahre später bestätigte sie ihre militärische Stärke, als sie gegen Israel eine Pattsituation erreichte. 

Die Erfolge der Gruppe waren so beeindruckend, dass der Iran sie zur Grundlage seiner regionalen Strategie machte. Teheran baute seine bewaffneten Stellvertreter im Irak, in Syrien und im Jemen nach dem Vorbild der Hisbollah auf, die gleichzeitig zum Juniorpartner Irans beim Aufbau seines Stellvertreternetzes wurde.

Die Beschädigung der militärischen Fähigkeiten der Gruppe und die Zerstörung mehrerer Führungsebenen sind somit ein systemischer Schlag für den regionalen Einflussbereich und die nationale Sicherheit des Irans. Da die Hisbollah Israels Nordflanke bedrohte, konnte der Iran eine aggressive Außenpolitik in der arabischen Welt betreiben und sein Atomprogramm vorantreiben, ohne einen israelischen Angriff befürchten zu müssen.

Aus demselben Grund kam Israel zu dem Schluss, dass der Schlüssel zur Bekämpfung seiner strategischen Einkreisung durch iranische Stellvertreter in der Lähmung der Hisbollah liegt. Die Gelegenheit, seine Pläne in die Tat umzusetzen, bot sich im vergangenen Jahr nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober. 

Als die israelischen Streitkräfte mit dem Ziel der Vernichtung der Hamas durch den Gazastreifen fegten, koordinierte der Iran seine Stellvertreter, um Israels Ressourcen zu erschöpfen und gleichzeitig Teherans eigene Position zu stärken. Während die im Jemen ansässigen Huthis die Handelsschifffahrt mit Drohnen und Raketen unterbrachen, beschoss die Hisbollah Israels nördliche Gemeinden mit Raketen und Artillerie.

Schwerpunkt auf der Nordfront

Während die Gaza-Operation andauerte, verlagerte die israelische Führung ihren Schwerpunkt auf die Nordfront und verstärkte ihre Angriffe gegen die Hisbollah. Seit Monaten hatte Israel zunehmend Hisbollah-Führer und iranische Militärbefehlshaber ausgeschaltet, doch der Wendepunkt kam letzten Monat, als es Tausende von Pagern und Funkgeräten der Gruppe zur Explosion brachte und einen Großteil ihrer hochrangigen Militärführung bei Luftangriffen ausschaltete. 

Die israelische Kampagne gipfelte vor einer Woche dann in einem Luftangriff auf den Kommandobunker der Hisbollah, bei dem der seit 32 Jahren amtierende Führer der Gruppe, Hassan Nasrallah, getötet wurde, unter dessen Führung die Hisbollah zu der gewaltigen Kraft wurde, als die sie heute bekannt ist.

Am Dienstag startete Israel einen Bodenangriff auf den Südlibanon und erklärte zunächst seine Absicht, die Hisbollah von der Grenze zu vertreiben. Wahrscheinlich aufgrund des anfänglichen Erfolges hat Israel jedoch seine Ziele ausgeweitet. Es will nun die militärischen Verluste der Hisbollah in eine politische Schwächung ummünzen und so den Gegnern der Hisbollah die Möglichkeit geben, sich zu erheben und die Macht der Gruppe zu begrenzen. Ein Erfolg Israels könnte das Ende der iranischen Regionalstrategie bedeuten, birgt aber auch die Gefahr, einen Bürgerkrieg im Libanon auszulösen, dem interne Konflikte nicht fremd sind.

Domino-Effekt

Die Schwächung der Hisbollah hat erhebliche Auswirkungen auf Syrien. Seit 2011 haben die Hisbollah und der Iran entscheidend dazu beigetragen, das Regime von Bashar Assad zu stützen. Assad hat sich jedoch aus dem aktuellen Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah herausgehalten und sich stattdessen darauf konzentriert, die Beziehungen zu den arabischen Staaten und der Türkei zu verbessern. Er ist sich bewusst, dass er sich vor allem nach dem syrischen Bürgerkrieg zu sehr auf den Iran und die Hisbollah verlassen hat, und sieht Russland, seinen anderen wichtigen Verbündeten, durch den Ukraine-Krieg geschwächt. 

Assad wird versuchen, die Situation im Libanon sorgfältig zu steuern, um eine Destabilisierung seines fragilen Regimes zu verhindern. Eine geschwächte Hisbollah und der Iran könnten syrische Rebellengruppen ermutigen – eine Bedrohung, die Assad vermeiden möchte. In der Zwischenzeit wird die Türkei, die seit jeher durch den iranischen Einfluss im Irak und in der Levante eingeschränkt wird, wahrscheinlich versuchen, ihren Einfluss auszuweiten.

Der Iran ist viel schwächer als Israel

Die Situation stellt einen schweren Rückschlag für den Iran dar und gefährdet seine seit vier Jahrzehnten andauernden Bemühungen, eine Einflusssphäre von Teheran bis zum östlichen Mittelmeer aufzubauen. Nach den Ereignissen der letzten Tage ist dies jedoch die geringste Sorge Teherans. Der Iran sieht sich nun der Bedrohung durch unmittelbar bevorstehende und noch nie dagewesene israelische Angriffe auf sein Territorium und neuen Enthüllungen über die Schwäche des Regimes ausgesetzt. Mehrere Runden von Vergeltungsschlägen sind möglich, auch wenn die Entfernung zwischen Israel und dem Iran einen anhaltenden direkten Krieg unwahrscheinlich macht.

Der Iran ist viel schwächer als Israel und hätte in einem solchen Konflikt mehr zu verlieren. Eine der Hauptsorgen Teherans ist, dass ein Konflikt das Land destabilisieren könnte, da das Regime vor einem historischen Führungswechsel steht. Sollte Israel jedoch umfangreiche Vergeltungsmaßnahmen ergreifen, könnte der Konflikt auf den Golf übergreifen und möglicherweise die Vereinigten Staaten einbeziehen. Auch wenn die Situation noch im Fluss ist, steht fest, dass sich der Iran nach vier Jahrzehnten als aufstrebende Regionalmacht nun in einem starken Niedergang befindet.

In Kooperation mit

GPF

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Wilhelm Keyser | Fr., 4. Oktober 2024 - 18:25

Die von MSM u. Polit-"Elite" (in DE) z.T. ausgeblendeten Gegebenheiten werden richtig referiert, m.E. für die Zukunft aber falsch extrapoliert. Israels Fähigkeiten genügen nicht für einen Highnoon gegenüber Iran. Es fehlt z.B. an Tankflugzeugen (Zahl, Modernität), Bunkerbrechern (Zahl, Durchschlagskraft), Trägersystemen (Zahl), Begleitflugzeugen (Zahl), wobei erstere die USA lange nicht liefern wollten. Auch heute: Biden ist eine lame duck, Harris überfordert, Trump würde eine "nicht lohnend"-Rechnung aufmachen. Eine kleinere Aktion ist da wahrscheinlicher, anschließend würde weitergemacht wie bisher. Anders könnte es nur werden, wenn auch die "Nachbar"-Feinde des Iran wie Saudi-Arabien evt. doch die Gelegenheit beim Schopfe packen wollten, die USA "motivierten" und gemeinsam den Einsatz erhöhten. Saudi-Arabien hat sich nach dem Huthi-Angriff auf seine Ölanlagen allerdings zum Appeasement entschlossen. Die Saudis wollen (wie Trump) ihren Geschäften nachgehen. Ich sehe keine Ambitionen.

Romuald Veselic | Fr., 4. Oktober 2024 - 18:46

retardierte Gewaltsysteme, menschenverachtend u angeführt von klerikalen Finsterlingen. Diese "Pfaffen" (Wächterrat!) besitzen so viel Humor, wie der Y-Schnitt bei der Obduktion. Mehrstufige Gewalt- und Kontrollapparate sichern diesen Unsympathen ihre feudal-absolutistische Macht, was man daran erkennt, dass man wegen Nichtigkeiten hingerichtet wird, speziell bei den hässlichen Mullahs, mit ihrer Todesstrafen Dichte, dass man glauben könnte, dass es sich um deren Hobby handelt. Früher nannte man diese Herrschaftsform - orientalischer Despotismus. Das Menschenleben spielt bei diesen Bösewichten keine Rolle. Diese Unmenschlichkeit sollte man täglich vor Augen führen, schon deshalb, dass all diese "Karikaturen", unsere Lebenskultur als gottlos betiteln. Es ist 1e Anmaßung sondergleichen. Keine Macht den bigotten Hassprädigern. 😈

Chris Groll | Fr., 4. Oktober 2024 - 19:04

Herr Bokhari, Sie haben die Situation sehr gut beschrieben.
Ich wünsche mir und bete dafür, daß Israel diesen Krieg/Machtkampf gewinnt.
Vielleciht kehrt dann endlich für die von den Terroristen unterdrückten Völker im Nahen Osten wieder etwas Normalität und Frieden ein, wenn die barbarischen Verbrecher eliminiert sind.

Wilfried Düring | Fr., 4. Oktober 2024 - 19:08

Die Ereignisse des letzten Jahres haben gezeigt: Das Mullah-Regime MUSS WEG - auch durch Krieg.
Es bleibt zu hoffen, daß Israelis und Amerikaner durch maßvolle und intelligente chirurgische Schläge das herrschende islamo-faschistoide Regime soweit destabilisieren, daß es durch die iranische Opposition vollständig gestürzt werden kann.
Israelis Feinde sind die Mullahs und ihre Schergen - nicht die Menschen im Iran!
Eine weitsichtige Politik sollte sich darum bemühen, daß die iranische Opposition ein weitgehend unzerstörtes Land übernehmen kann.
In Europa muß hart und unerbittlich mit den Israel-Hassern, Mullah-Freunden, den Terrorunterstützern und - Finanzierern (UNRWA - Tarnorganisation von Hams-Palis !) abgerechnet werden. Diese Abrechnung sollte an den Universitäten und in den Rundfunksendern beginnen - und auch vor Spitzenpolitikern nicht halt machen!!
Wer übernimmt die STRAFRECHTLICHE Verantwortung für das Verschieben deutscher Steuergelder an Pali-Terroristen?
Masel tov Israel .

Henri Lassalle | Fr., 4. Oktober 2024 - 19:41

Regimes, eines das sich noch dazu als inhuman und mittelalterlich erweist, ist immer begrenzt. Vielleicht beeilt sich deshalb der Iran mit der finalen Entwicklung der A-Bombe. Den inneren Frieden kann das Regime damit natürlich nicht sichern.

Christoph Kuhlmann | Sa., 5. Oktober 2024 - 07:12

Es kommt darauf an, welche Fortschritte Israel im Libanon macht. Die unterirdischen Raketenlager der Hamas lassen sich nicht alle aus der Luft zerstören. Es sei denn, der Geheimdienst hätte auch diese Positionen herausbekommen. Es hängt davon ab, welche Verluste die IDF am Boden hat. Bisher weiß niemand, wie die Reaktion Israels auf den letzten Luftangriff aus dem Iran reagiert. Das iranische Atomprogramm ist nur schwer zu zerstören. Ein wochenlanger Angriff der Luftwaffe kostet enorme Ressourcen und die Chance auf neue Verhandlungen. Die Zerstörung der iranischen Ölproduktion würde die Weltmarktpreise für Öl hoch treiben. Mitten im amerikanischen Wahlkampf. Nur Sullivan weiß, wie die USA dann reagieren würden. Eines ist klar, Spekulationen bringen uns nicht weiter. Ein guter Artikel, der sagt was sich sagen lässt.

Albert Schultheis | Sa., 5. Oktober 2024 - 11:07

Wie gesagt, die Gemengelage ist äußerst komplex und entsprechend gefährlich! Eine Schwächung des Iran bedeutet zugleich eine Stärkung des türkischen Adolf Hitler Erdogan - siehe Bergkarabach! Sowie eine Stärkung der sunnitischen IS-Terroristen, die auch mit den USA sehr eng kooperieren. Und die wollen alle das relativ stabile, sogar westlich orientierte Regime in Syriens zu Fall bringen. Foul and fair sind im Nahen Osten engstens miteinander verquickt! Und der Goodwill der Saudis ist in meinen Augen sehr trügerisch! Die wollen natürlich, dass Israel die iranischen Atomanlagen zerstören - kaum auszudenken, dass der Iran die Bombe hätte vor den Saudis! Und letztere wollen die Bombe natürlich auch - deshalb der jetzige Goodwill mit USA und Israel und die Öffnung für westliche Freizügigkeit. Aber sobald die Saudis die Bombe haben, ist Schluss mit Lustig. Ich vermute, es bestehen bereits Absprachen zwischen USA und Saudi Arabien zum Bau der Bombe. Aber das darf natürlich nicht raukommen.

Dietmar Philipp | Sa., 5. Oktober 2024 - 18:22

Welche Macht bröckelt nicht?