- Chaos im Kampf gegen den IS
Kolumne: Leicht gesagt. Der Einsatzwille vieler Staaten im Kampf gegen den IS ist begrenzt. Und die Mächte, die wirklich kämpfen, verfolgen nur ureigene Interessen. Von diesem Chaos unter einander profitiert vor allem der IS, aber auch Assad. Eine erfolgreiche militärische Anti-IS-Allianz scheint undenkbar
Es sagt sich zu leicht, dass die Phalanx gegen diese Krake namens Islamischer Staat nur gemeinsam zuschlagen müsse – und schon wäre das mörderische Ungetüm platt. In Zahlen wirkt der Verbund mächtig. 60 Staaten beteiligen sich an dem, was die USA bereits im vergangenen Jahr als Anti-IS-Allianz geschmiedet haben. Seitdem Russland aktiv durch Luftschläge kämpft und nach dem Terror von Paris geben sich viele weitere Staaten solidarisch mit Frankreich. Der IS-Widerstand scheint unschlagbar.
Er scheint es aber nur. Denn tatsächlich ist der Einsatzwille vieler Staaten sehr begrenzt. Das größte Hindernis jedoch ist, dass die wirklich kämpfenden Mächte jeweils eigene Interessen verfolgen. Dieses Kreuz und Quer sowie jeder gegen jeden führt zu Chaos, von dem vor allem der IS, aber auch Assad profitieren. Denn beide wirken unbesiegbar.
Unterstützung für Frankreich
Am Abend wird Bundeskanzlerin Merkel in Paris Frankreich deutsche Unterstützung versichern. Zuvor hat das Großbritanniens Premier Cameron für seine Nation getan, danach Präsident Obama für die USA. Russlands Präsident Putin wird seit den Attentaten von Paris als ernstzunehmender Kämpfer gegen den gemeinsamen Feind IS von Hollande geachtet; am Donnerstag wird der Franzose den Kreml besuchen.
Hollande hat sich in den ersten Tagen nach der Verwundung seines Landes tatsächlich als jemand fühlen können, der nun die wichtigsten Mächte zusammenbringt – vor allem Russland und die USA, aber eben auch die an sich Russland skeptisch gesonnenen Europäer. Hinzu kommen etliche weitere Gegner des IS. Doch allein deren Aufzählung zeigt bereits, wie tief dieses Lager in sich zerrissen ist wegen anderer, älterer Konflikte: Iran, Irak und Saudi-Arabien; Türkei und die Kurden; und nicht zuletzt das Syrien Assads.
Zwischen der Türkei und Russland droht nun ein kleiner Krieg inmitten des großen. Die Türken schossen einen russischen Jet ab, der ihren Luftraum durchflogen haben soll. Das war kein Versehen. Ankara verteidigt offen die Turkmenen, jenen kleinen Volksstamm aus Syrien, der ebenfalls den IS bekämpft. Aber die Turkmenen sind von Anbeginn des Syrienkriegs Gegner Assads, kämpfen gegen dessen Terror. Die Russen wiederum verteidigen Assad und zielen vor allem auf die Rebellen gegen ihn – wie eben jene Turkmenen.
Kampf gegen IS als Vorwand
Den Vorwurf machen auch andere, dass Russland der Kampf gegen den IS als Vorwand diene, Assads Ur-Gegner zu treffen, die wiederum selbst Kämpfer gegen den IS sind. Gleiches gilt für Iran. Die Regierung in Teheran lehnt den sunnitischen IS entschieden ab, ist aber gerade deswegen am Machterhalt Assads interessiert. Auch Iran hat nichts gegen ein Scheitern der inner-syrischen Rebellen gegen den IS, weil dadurch eben auch Assads Gegner geschwächt werden.
Saudi-Arabien wiederum weigert sich wegen seines tiefen Misstrauens gegen eine schiitische Vormacht Iran offen in den Konflikt einzutreten. Solange der sunnitische IS vorerst in Schach gehalten wird und Rakka nicht zur Konkurrenz Riads in der Region wird, ist den Saudis das gegenwärtige Gemetzel lieber als eine gänzlich neue Ordnung.
Die Türkei will sowohl Assad als auch den IS stürzen sehen. Doch noch mehr als diese beiden Nachbarn fürchtet Ankara einen kurdischen Staat an seiner Grenze. Der jedoch könnte entstehen, wenn der IS fällt. Denn vor allem die Kurden setzen den Islamisten zu.
Türkei sieht Unterstützung der Peschmerga als Bedrohung
Die Kurden werden von Deutschland unterstützt mit Waffen und Ausbildern. Dass Deutschland durch die Hilfe der Peschmerga kämpfen lässt, anstatt selber in den Konflikt zu gehen, sieht die Türkei als Bedrohung. Sie jedoch wird von Deutschland gebraucht als Stauraum für die Flüchtlinge aus Syrien. Mit deutschem Geld soll Ankara künftig dafür sorgen, dass die Fliehenden menschenwürdig untergebracht sind und sich nicht auf die lebensgefährliche Route in die EU machen. Erst dann kann die Kontingentierung umgesetzt werden. Die weitere Aufrüstung der Kurden könnte den türkischen Kooperationswillen in der Flüchtlingsfrage schwächen.
Die Kurden haben auch ihre begrenzten Interessen in diesem Krieg. Sie haben die Stadt Sindschar erobert, der IS hat sie als verbrannte Erde zurückgelassen. Denn diese Stadt würde Teil eines künftigen Kurdistan sein. Solchen Einsatz werden die Kurden aber für Mossul nicht leisten. Denn das wäre später ein Vorteil für die irakische Regierung in Bagdad. Sie aber gilt als Gegner der Kurden wegen der Öl-Aufteilung im Lande und dem umstrittenen Status der Stadt Kirkuk, die sowohl die kurdische Regierung in Erbil als auch die irakische in Bagdad für sich beanspruchen.
Weltmächte scheuen den Konflikt
Je tiefer man in das regionale Wurzelwerk des Konflikts steigt, desto dichter erscheint das Gestrüpp der Probleme. Und das genau scheuen die großen Weltmächte. Die USA wollen keine Bodentruppen schicken. Sie sind kriegsmüde und noch dazu im Präsidentschaftswahlkampf. Auch Russland will es bei der Bekämpfung aus der Luft belassen, das Land ist wirtschaftlich nahe dem Kollaps, ist geschwächt durch den Krim-Konflikt und stets gewarnt durch ihr Afghanistan-Desaster.
Der Westen insgesamt verlangt wiederum von Russland, seinen Kampf auch wirklich auf den IS zu konzentrieren und nicht die anderen Assad-Gegner aus Syrien zu bomben. Denn die wiederum vergrößern nur das europäische Flüchtlingsproblem.
Solange jeder gegen jeden nur die ureigenen Interessen durchzukämpfen versucht, wird das Problem IS nicht wirklich bekämpft. Und das gilt wohlgemerkt nur für das Macht-Gebilde im Nahen Osten. Eine ganz andere Bedrohung ist der Terror durch Attentäter, die sich auf den IS berufen. Gegen diese Gefahr kann keine militärische Anti-IS-Allianz helfen – vermutlich würde sie dadurch sogar noch größer.
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