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Finanzverfassung - Disruption durch Steuerrecht

Keine der Parteien wagt in ihrem Wahlprogramm, die Grundübel unseres Steuersystems anzugehen. Vorschläge für eine Änderung des Steuerrechts, die Effizienz, Transparenz, Gerechtigkeit und Bürgernähe dramatisch erhöhen würde.

Autoreninfo

Wilhelm Haarmann ist Rechtsanwalt, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. www.haarmann.com

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Die Wahlprogramme der aktuell wahlkämpfenden Parteien enthalten allenthalben zahlreiche steuerliche Änderungsvorschläge. Keines davon wagt jedoch auch nur ansatzweise das, was man einen großen Wurf nennen könnte. Keiner traut sich, die eigentlichen Grundübel unseres Steuersystems und der gesetzlich vorgegebenen Verwaltungspraxis klar zu adressieren. Dabei würde die Adressierung dieser Grundübel unser Steuersystem nicht nur transparenter und effizienter machen, sondern vor allem auch disruptive Kräfte in viele Richtungen hin freisetzen, was auf die künftige Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland nachhaltig einzahlen würde. 

Unsere vom Grundgesetz vorgegebene Finanzverfassung gibt die meisten Gesetzgebungskompetenzen im Steuerrecht an den Bund, wohingegen den weit überwiegenden Teil der steuerlichen Verwaltungskompetenzen an die Länder, was z.B. zu der Paradoxie führt, dass der Bund gesetzgeberisch über Steuern, die allein den Ländern zufließend, bestimmt. Ganz konkret sind dies etwa die Erbschaftsteuer oder die Grunderwerbsteuer (außer dem Steuersatz). Umgekehrt verwalten die Länder u.a. die Lohn-, Einkommen-, Körperschafts- und Umsatzsteuer sowie den Solidaritätszuschlag. Allesamt Steuern, die wiederum ganz oder teilweise dem Bund zustehen. 

Bund, Länder und Gemeinden steuerlich voneinander unabhängig machen

Auch für die Gemeinden bestimmt der Bund Gewerbesteuer oder bestimmen Bund oder bei Abweichungen die Länder, wie etwa bei der Grundsteuer, die steuergesetzlichen Regelungen. Den Gemeinden verbleibt lediglich die Definition des Hebesatzes. Im Gegenzug bedürfen Bundesgesetze über Steuern, deren Aufkommen den Ländern oder den Gemeinden ganz oder zum Teil zufließt, der Zustimmung des Bundesrates, was zu hoher Komplexität führt. Da sehr viele Bundesgesetze zumindest auch Gesetze über Steuern sind, hat der Bundesrat eine erhebliche Gesetzgebungsmacht und kann auf diese Weise viele Gesetze verhindern, zu Lasten der Effizienz und Effektivität der Politik insgesamt. Sowohl für die Bundesregierung als auch für die Regierungen der Länder wirken die genannten Regelungen in der Praxis folglich wie Fußfesseln und führen zu ständigen und bisweilen eben auch faulen Kompromissen. 

Richtiger wären dagegen Lösungen, wie etwa in den USA oder der Schweiz. Dort laufen Aufgabenzuordnung, Gesetzgebungs- und Verwaltungszuständigkeit weitestgehend parallel. Wer die Aufgabe hat, hat in aller Regel auch die Gesetzgebungs- und Verwaltungszuständigkeit. Es gibt auch keine Regelungen, die vorsehen, dass bestimmte Steuern nur von bestimmten Gebietskörperschaften erhoben werden dürfen. So kann es eben eigenständige Bundes- und Landeseinkommen- sowie -körperschaftsteuern geben. Gemeinden bestimmen demnach nicht nur über den reinen Steuerhebesatz. Dadurch entsteht mehr Wettbewerb sowohl zwischen den Bundesländern als auch zwischen Gemeinden. 

Da Wettbewerb noch nie geschadet hat und der Bund keine Gesetze mehr verabschiedet, die (auch) das Steueraufkommen von Ländern und Gemeinden betreffen, bedürfen künftige Gesetze auch nicht mehr der Zustimmung der Länder. Es gäbe dann endlich glasklare Aufgaben-, Zuständigkeits- und Verantwortungsbereiche. Allein die Umsatzsteuer sollte dabei bundeseinheitlich gleichbleiben, um keine faktischen Handelshemmnisse und künstliche Wettbewerbsverzerrungen in Deutschland zu schaffen, wie wir das etwa kontraproduktiv aus Indien in der Zeit vor Modi kennen. Im Übrigen wird der Finanzausgleich zwischen den Ländern durch die Änderungen steuerlicher Zuständigkeiten nicht beeinträchtigt. 

Zentrale Erhebung aller Steuerdaten 

Die Tatsache, dass Bund, Länder und Gemeinden unabhängig in der Besteuerung ihrer Bürger sein sollen, sollte jedoch nicht dazu führen, dass die Bürger drei verschiedene Steuererklärungen abgeben müssen.

Alle für die Steuerbemessungsgrundlagen relevanten Daten, für alle Bundes-, Landes- und Gemeindesteuern, sollten für alle Gebietskörperschaften durch eine gemeinsame, einheitliche Einrichtung des Bundes und der Länder erhoben und geprüft werden. Bund, Länder und Gemeinden erhalten von dieser Einrichtung – wie heute die Kirchen für die Kirchensteuer – alle für ihre Besteuerung maßgeblichen Daten. Diese Einrichtung zieht dann ganz praktisch die Steuern ein und gibt sie dann unmittelbar an die maßgeblichen Gebietskörperschaften weiter. D.h., jeder Bürger hat für Steuern nur einen Ansprechpartner, eben diese Einrichtung. Diese Einrichtung, wir nennen sie hier der Einfachheit halber einmal „Bundesfinanzamt“, ist auch für die Prüfung und alle verbindlichen Auskünfte zuständig. Auch die Sozialabgaben und andere Zahlungen (z.B. Kindergeld, Wohngeld, BAföG, Bürgergeld, Schlechtwettergeld) sollten von dieser Einrichtung verwaltet werden. Allein der Effizienzgewinn im Verwaltungsverfahren wäre es wert, diesen Weg zu gehen. 

Selbstveranlagung für alle Steuern 

Alle Steuern sollten, wie bereits in vielen Ländern der Welt so umgesetzt, im Wege der Selbstveranlagung auf digitalem Wege erhoben werden. Für kompliziertere Fälle und Fälle höherer Steuerbelastung muss zwingend ein ggf. sogar spezialisierter Steuerberater hinzugezogen werden. Die Selbstveranlagung ist auch deshalb notwendig, weil nur so das Problem der zunehmenden Personalknappheit bei den Finanzämtern auf Dauer gelöst werden kann. In Verbindung mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz wäre damit die Verwaltung künftig das, was sie in ihrem Kern auch sein sollte, nämlich eine schlanke, effiziente und im besten Sinne des Wortes ein „Diener“ ihrer Bürger. Freiwerdende Veranlagungsbeamte werden entweder zu Prüfern oder Steuerberatern. 

Jeder Inländer gibt somit für seine Besteuerung jährlich zu einem festen Zeitpunkt digital eine Steuererklärung ab; für Minderjährige tun dies die Eltern. Es gibt keine Personen, die keine Steuererklärung abgeben. Damit werden auch die Geringverdiener erfasst. Die Abgabe erfolgt in aller Regel digital. Mit Abgabe der Steuererklärung wird zugleich die Steuer fällig. Beim „Bundesfinanzamt“ wird für jedermann ein Konto eingerichtet, von dem Steuern wie Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden. Dieses wird selbstverständlich auch banküblich verzinst.

Durch einen solchen Gleichlauf von öffentlichen Aufgaben, Gesetzgebungs- und Verwaltungszuständigkeit und die Kombination mit der Freiheit des Bundes, der Länder und der Gemeinden, alle Steuerarten (außer Umsatzsteuer) für ihr Steueraufkommen zu nutzen, ergänzt durch zentrale Steuerdatenerhebung in einer gemeinsamen Einrichtung von Bund und Ländern sowie durch Selbstveranlagung auf digitalem Wege für alle Inländer, würden Effizienz, Transparenz, Gerechtigkeit und Bürgernähe dramatisch erhöht, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands signifikant gestärkt und das Vertrauen der Bürger in den Rechts- und Steuerstaat nachhaltig restauriert. Es bedarf dazu nur eines, was aktuell beim Blick in die Wahlprogramme aller Parteien leider noch zu wünschen übriglässt: Mut zu Transparenz und Disruption!

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Walter Bühler | Di., 18. Februar 2025 - 13:30

Unsere Berufspolitiker drücken sich gerne um schwierige Aufgaben. Meistens wird nur ein mit viel Steuergeld versorgter "Beauftragter" installiert, der ihnen die Verantwortung und aufreibende Mühe des eigenen Nachdenkens abnimmt.

Mit dem Beitritt zur EU hätte schon längst die Verfassungsstruktur aus Bund, Ländern und Gemeinden revidiert und angepasst werden müssen.

Außer heißer Luft ist jedoch bisher für die Erneuerung der staatlich-rechtlichen Infrastruktur noch gar nichts geschehen.

Unsere "regierungsfähigen" Parteien diesseits der Brandmauer haben schon lange auch vor diesem Problem einfach kapituliert, ähnlich wie in der Bildung, in der Verteidigung oder beim "demografischen Wandel".

So ist es halt im faul gewordenen Deutschland.

Nix für ungut.

Ingofrank | Di., 18. Februar 2025 - 14:02

mal im anderen Teil Deutschlands.
Steuererklärungen waren nur für Freiberufler, Selbstständige und Betriebe üblich.
Die Beschäftigten waren unterteilt in Lohn- & Gehaltsempfänger.
Die Lohnsteuer betrug 7% vom Lohn bei einem Gehaltsempfänger bis 20 % v Lohn. Die AG der Beschäftigten führten diese „Einkommenssteuern direkt ab. Folglich war für die überwiegende Anzahl der Bürger eine Steuererklärung nicht notwendig. Und die jeweilig zuständigen Finanzämter waren in Bruchteil der Beschäftigten von heute die I.ü.
für die wirtschaftende Produktion zu Verfügung standen. Das wäre durchaus auch eine Möglichkeit dem so genannten Arbeitskräftemangel entgegen zu wirken. Und wenn ich mir die Beschäftigten in der Kreisverwaltung von heute im Vergleich zu damals (u.a. ohne PC Kopierer und funktionierenden Telefon) ansehe sind da auch zig Tausenden unproduktive Arbeitsstellen auszumachen. Da will ich gar nicht Länder und Bundesverwaltung betrachten …. Wir wären bei einer AL Quote von 20%
MfGadERep.