() Radoslaw Sikorski
Radek sucht das Radoslaw Abenteuer
Er lebt auf einem altpolnischen Gutshof, sammelt Pilze und liest Clausewitz. Der ehemalige Kriegsberichterstatter und heutige polnische Außenminister Radoslaw Sikorski will Nato-Generalsekretär werden.
Dekommunisierte Zone“ steht auf einem roten Schild am Einfahrtsweg zum Herrenhof des zentralpolnischen Weilers Chobelin. Der Besitzer des Anwesens an den Flussauen des Notec’, Polens Außenminister Radoslaw Sikorski, hatte es dort angebracht, nachdem die Postkommunisten vier Jahre nach der Wende die Parlamentswahlen in Polen gewonnen hatten. Ihre Rückkehr an die Macht bedeutete ein jähes Ende für den jungen Sikorski, der nach dem Amt als Vizeverteidigungsminister mit nur 30 Jahren polnischer Botschafter in Belgien werden sollte. Heute greift der inzwischen 46-Jährige erneut nach den Sternen; trotz aller halbherzigen Dementis möchte er der erste osteuropäische Nato-Generalsekretär werden.
Sein abgelegenes Landgut spielt dabei nicht mehr die Rolle eines sicheren Horts vor der roten Gefahr, sondern dient Sikorski als Fenster zur Welt und als Bühne der Selbstinszenierung. An seinem Kamin, an den er seit Jahren illustre Gäste – so im April 2008 auch den deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier – zum Privatplausch einlädt, steht neben einer Kopie des angeblich wundertätigen Marienbildes von Ostrobramska in Wilno eine Fotografie, die den jungen Sikorski in Afghanistan hoch zu Ross mit der Kalaschnikow in der Hand zeigt. Tiefe Verwurzelung in Polens Tradition und unbändiger Freiheitswille treffen hier zusammen. Präsentiert werden sie in aristokratischer Atmosphäre zu englischem Tee mit frischem Ingwer. Auch hausgemachte Marmeladen der Hausherrin Anne Applebaum werden den Gästen serviert, die mit dem Hubschrauber auf einer künstlichen Insel direkt vor dem Herrenhaus landen können.
Sikorskis Familie hatte den auf das 14. Jahrhundert zurückgehenden Gutshof Chobelin in den achtziger Jahren für 1200 Dollar von einem Staatsbauernhof, der polnischen Version der sowjetischen Kolchose, erworben und über Jahre hinweg selbst renoviert. Das Geld hatte Sikorski aus seinem englischen Exil überwiesen. Kurz nach dem Abitur im mittelpolnischen Bydgoszcz war der aus einfachen Verhältnissen stammende Sikorski im Sommer 1981 nach London gegangen, um dort seine Englischkenntnisse aufzubessern. Am 13. Dezember erreichte ihn die Nachricht von der Ausrufung des Kriegsrechts in Polen. Der 18-Jährige erhielt politisches Asyl in Großbritannien und ein Stipendium, das ihm die Aufnahme eines Philosophie-, Politologie- und Ökonomiestudiums am Pembroke College in Oxford ermöglichte.
Gleich nach dem Studium – Sikorski war gerade mal 23 Jahre alt – verschlug es ihn 1986 zum ersten Mal als Kriegsberichterstatter nach Afghanistan. Drei längere Reportagereisen hat er in den folgenden Jahren dorthin unternommen, als teilnehmender Beobachter der gegen die Sowjets kämpfenden Mudschaheddin. „Ich habe mich mit den Kämpfern identifiziert“, bekannte Sikorski, der in den Warschauer Salons Anfang der neunziger Jahre als Afghanistankämpfer Furore machte, in einem Interview mit der Gazeta Wyborcza. Er habe aufdecken wollen, was die Sowjets in Afghanistan anrichten. Der Frage, ob er damals selbst sowjetische Soldaten getötet habe, weicht er hingegen bis heute aus: „Das bleibt mein Geheimnis.“ Mit seinem Reportagefoto „Victims“, das eine bei einem sowjetischen Bombenangriff getötete Mutter mit ihren zwei Kindern zeigt, gewann Sikorski 1988 den „World Press Photo Award“.
Während des Berliner Mauerfalls lernte Sikorski, der im Spätsommer 1989 aus London als Korrespondent nach Warschau zurückgekehrt war, seine spätere Frau, die Amerikanerin Anne Applebaum kennen. „Das waren tolle Tage“, erinnert er sich, „die Ereignisse haben uns für immer zusammengeschweißt.“ Applebaum zog sich mit Radek, wie sie ihren Mann nennt, ins Gutshaus von Chobelin zurück, schrieb dort ihr pulitzerpreisgekröntes Buch „Gulag“ und bekam zwei Söhne. Unterdessen war Sikorski Berater des Pressezaren Rupert Murdoch in Polen.
„Den Antikommunismus habe ich wohl mit der Muttermilch aufgesogen“, sagt Sikorski, dessen Eltern in den Untergrundstrukturen der Gewerkschaft Solidarnosc aktiv waren. Noch im Gymnasium hatte er zusammen mit Mitschülern die „Volksbefreiungsunion“ gegründet und einen Schulstreik geplant. Selbst als Vizeverteidigungsminister fühlte sich Sikorski, dessen Büro sich in unmittelbarer Nähe der sowjetischen (und später russischen) Botschaft in Warschau befand, überwacht und ließ 1992 ein Satellitentelefon einrichten. Wichtige Gesprächspartner traf er im nahen Lazienki-Park.
Geleitet von Pragmatismus und Machtkalkül mäßigte Sikorski in den vergangenen Jahren sein Kommunistenfresser-Gebaren. Von der rechtsextremen „Bewegung für die Wiedergeburt Polens“ (ROP) über die Kaczynski-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ zur rechtsliberalen Bürgerplattform, der er im Dezember 2007, kurz nach seiner Vereidigung als Außenminister der Regierung Tusk, beitrat. Geblieben ist dem 46-Jährigen trotz mehrfachen Parteiwechsels die eigene Meinung, mit der er selten zurückhält. Unter Regierungschef Jaroslaw Kaczynski trat er als Verteidigungsminister bereits nach kurzer Zeit zurück; bei seinem jüngsten Besuch in Washington soll er laut Brüsseler Gerüchten mit antirussischer Rhetorik das höchste Nato-Amt aufs Spiel gesetzt haben.
Foto: Picture Alliance
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