() Joseph Biden
Die Leiden des jungen Biden
Mit Joseph Biden hat sich Barack Obama einen Vizepräsidentschaftskandidaten geholt, der vieles mitbringt, was ihm noch fehlt. Vor allem aber rührt der US-Senator von Delaware die Wähler mit seinem persönlichen Schicksal
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Begünstigen persönliche Tragödien den Aufstieg in höchste Führungsämter in den USA? Der eine Präsidentschaftskandidat, John McCain, war fünf Jahre Kriegsgefangener, die Nordvietnamesen folterten ihn. Der andere, Barack Obama, wuchs ohne Vater auf und durchlitt deshalb sowie wegen seiner dunklen Hautfarbe tiefe Identitätskrisen. Sein Vize Joseph Biden verlor seine erste Frau und ein Baby bei einem Autounfall; zwei kleine Söhne überlebten schwer verletzt. Da war Biden 29 Jahre alt und gerade in den US-Senat gewählt worden.
Mit den politischen Positionen der drei Politiker sind Amerikas Wähler nur begrenzt vertraut. Die anrührenden Details ihrer jeweiligen Dramen kennen alle. Sie formen das öffentliche Image und dienen als ultimativer Charaktertest. Nicht der geniale Überflieger, der schon immer als „Leader“ herausstach, ist das Leitbild der Präsidentenwahl 2008. Sondern das Opfer harter Schicksalsschläge, das gestählt aus der Prüfung hervorging.
So erzählte Obama Bidens Lebensweg denn auch, als er den 65-jährigen Senator von Delaware vor dem Nominierungsparteitag der Demokraten als seinen Vizepräsidentschaftskandidaten vorstellte. Joe habe als Junge gestottert und sei deshalb gehänselt worden. „Wenn du am Boden liegst, steh wieder auf!“, war das Leitmotiv seiner Jugend. Sein Senatsamt wollte Biden nach dem Tod von Frau und Tochter erst gar nicht antreten, Parteifreunde überredeten ihn, es wenigstens zu versuchen. Seinen Amtseid legte er am Krankenbett der Söhne Beau (3 Jahre) und Hunter (2 Jahre) ab. Fortan war er ein alleinerziehender Vater, der jeden Tag mit dem Zug von Wilmington, Delaware, nach Washington DC pendelte. Erst fünf Jahre später heiratete er wieder.
Heute ist Biden eine graue Eminenz im Senat. 36 Jahre gehört er der kleineren, aber feineren Kammer des Kongresses an – mehr als anderthalbmal so lang wie John McCain. Warum suchte Obama ihn aus und nicht einen jüngeren Gouverneur aus einem wahlentscheidenden Battlefield State, wie zum Beispiel Tim Kaine aus Virginia? Kaine war der öffentliche Favorit. Mit ihm hätte Obama die Botschaft des Generationswechsels verstärkt, Regierungserfahrung in sein Team geholt – in den USA gelten Abgeordnete und Senatoren als „Schwätzer“, Gouverneure dagegen als „Macher“; und schließlich hätte er die Chance erhöht, Virginia, das seit Jahrzehnten in Präsidentschaftswahlen republikanisch stimmt, für die Demokraten zu gewinnen.
Doch die Weltpolitik kam dazwischen. „Georgia on his mind“, ließe sich Obamas Hauptmotiv umschreiben, in Abwandlung des berühmten Ray-Charles-Songs. Wladimir Putin, Micheil Saakaschwili und Pervez Musharraf zwangen ihm die Wahl auf. Wenige Tage zuvor waren russische Truppen in Georgien einmarschiert. McCain forderte Härte gegen Moskau und griff zum Schwarz-Weiß-Vokabular des Kalten Kriegs: Mächtige Diktatur überfällt kleine wehrlose Demokratie. Obama äußerte sich vorsichtiger, verlangte auch von Georgien Mäßigung und brauchte Tage, bis er sich zu einer klaren Einteilung in Gut und Böse durchrang. McCain war der Sieger der Georgien-Debatte. Auch die labile Lage in Pakistan nach dem Rücktritt des langjährigen Machthabers ließ die Wähler überlegen, ob der junge Obama die nötige Härte für den Spitzenjob habe oder ein zu großes Risiko sei. Der greise, aber erfahrene McCain holte in den Umfragen auf. Bidens Erfahrung soll Obama vor solchen Zweifeln retten. Er ist Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses.
Die neue Zuordnung dreht die Hierarchie der beiden Alphatiere endgültig um. Früher war Obama der Lehrling und Biden der Meister. Barack Obama war elf, als Joe 1972 in den Senat gewählt wurde. Als Obama 2004 ebenfalls ins Oberhaus einzog, nahm Biden den Novizen unter seine Fittiche und war sein Mentor im außenpolitischen Ausschuss. In der Frühphase des Präsidentschaftswahlkampfs waren sie Rivalen, auch Biden wollte als Nummer eins ins Weiße Haus, schied aber früh aus. Heute können die Republikaner Zitate aus den Fernsehdebatten der demokratischen Konkurrenten als Munition gegen das neue Team verwenden. Obama sei „not ready to be President“ und das Weiße Haus kein Ort für „training on the job“, hatte Biden damals gesagt.
Doch Biden ist eine Mehrzweckwaffe, weit über die Außenpolitik hinaus. Die Arbeiterschaft soll er gewinnen, die mit dem dunkelhäutigen Obama fremdelt. Und die enttäuschten Hillary-Clinton-Wähler binden. Er verkörpert ähnliche Werte wie sie – ohne die breite Ablehnung hervorzurufen, die ihr in den USA entgegenschlägt.
Auch Joe Biden stammt aus Scranton, dem Industriestädtchen in Pennsylvania, wo Hillarys Vater aufwuchs und sie als Kind die Sommerferien bei den Großeltern verbrachte. Er gilt bis heute als „regular guy“, der seine Herkunft nicht vergessen und das Gespür für Arbeiter und untere Mittelschicht bewahrt hat. Der studierte Jurist Biden leitete über Jahre den Justizausschuss des Senats und erwarb sich den Ruf, Härte in der Drogenpolitik und Verbrechensbekämpfung mit Pragmatismus zu verbinden. Er darf McCain frontal angreifen, ohne dass ihm das, wie bei Obama, als respektlos ausgelegt würde. Denn Joe hat gelitten wie John.
Foto: Picture Alliance
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