- „Sex verändert sich nicht“
Der Modehistoriker Colin McDowell hat in London eine Ausstellung über die Macht der Mode kuratiert. Ein Gespräch über die Outfits der Queen, den Vorteil von Uniformen und Merkels Hosenanzug
Mit „Women Fashion Power“ zeigte das Design Museum in London in einer Ausstellung, wie Frauen sich mithilfe von Mode ihren Platz in der Welt erkämpften. Sie zeichnete am Beispiel von feministischen Vorkämpferinnen, Designerinnen und Politikerinnen und zahlreichen Objekten vom Korsett bis zum Hosenanzug nach, wie Frauen in den vergangenen 150 Jahren ihre Macht gestalteten.
Mr. McDowell, im Jahr 1992 haben Sie ein Buch mit dem Titel „Dressed to Kill: Sex, Power and Clothes“ veröffentlicht. Hat sich das, was wir unter „Power“ verstehen, seither verändert?
Colin McDowell: Ich denke schon. Sex verändert sich nicht – davon abgesehen, dass sich die soziale Akzeptanz dessen wandelt, wer mit wem Sex hat. Bei Macht liegen die Dinge schon anders. Sie hängt vollkommen von den Ökonomien der fraglichen Zeit ab, von der sozialen Situation und davon, wer diese Macht innehat.
Was Sie in der Ausstellung deutlich zeigen, ist, wie sich Frauen an die Schaltstellen der Macht gekämpft haben und wie sie das mit den Kleidern, die sie tragen, ausdrücken.
Dabei war es oft die Persönlichkeit der Frauen, die sie an die Macht gebracht hat und nicht ihr Geschlecht. Jeanne d’Arc war eine sehr gute Soldatin und daher entscheidend im Kampf gegen England. Margaret Thatcher war erfolgreich, weil sie cleverer war als die meisten anderen englischen Politiker. Angela Merkel ist überaus erfolgreich, weil – soweit ich das nach meiner Lektüre der englischen Zeitungen beurteilen kann – ihr Handeln mit dem Willen der meisten Deutschen übereinstimmt. Frauen haben die gläserne Decke durchbrochen.
Wie sind Sie und Ihre Co-Kuratorin Donna Loveday bei der Konzipierung von „Women Fashion Power“ vorgegangen?
Zunächst einmal haben wir Stunden damit verbracht, Listen von Personen anzulegen, die wir dabeihaben wollten. Maria Theresia, die ohne Frage eine erfolgreiche Frau war, fiel so zum Beispiel heraus, weil das, was sie trug – ihre Uniform – keine Mode war. Es ging uns um die Entscheidungen, die Frauen ab etwa Mitte des 19. Jahrhunderts in Bezug auf ihre Kleidung getroffen haben. Dann wiederum haben wir ausdrücklich darauf geachtet, dass die Schau für eine möglichst große Gruppe von Leuten interessant ist. Wir wollten keine Modeausstellung kuratieren, sondern eine, die im Grunde politisch ist. Denn versteht man das Wort „fashion“ im Titel als das Verb „gestalten“, ergibt sich fast so etwas wie eine Gleichung: Frauen gestalten Macht.
Weshalb es weniger um bestimmte Designer geht, sondern um konkrete Kleidungsstücke und diejenigen, die sie trugen. Korsetts, aus denen sich die Frauen langsam zu befreien begannen, die Kleider von Frauenrechtlerinnen oder das Kostüm, in dem Maggie Thatcher 1975 zur Parteivorsitzenden der britischen Konservativen gewählt wurde.
Darüber hinaus haben wir knapp 30 Frauen wie Charlène von Monaco oder die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo darum gebeten, uns je eines ihrer Outfits zur Verfügung zu stellen und einen Fragebogen darüber auszufüllen, was sie im Berufsalltag tragen und warum. Für mich ist das der interessanteste Teil der Ausstellung.
Was sieht man da?
Anne Hidalgo hat uns das Ensemble geliehen, das sie am Abend ihrer Wahl zur Bürgermeisterin von Paris trug, einen schwarzen Hosenanzug und einen bunten Schal. Prinzessin Charlène hat gleich drei Outfits des Schweizer Labels Akris gewählt, darunter das graue Abendkleid, das sie anlässlich eines Essens im Vorfeld der Hochzeit von Prince William und Herzogin Kate trug. Miriam González Durántez, die Ehefrau unseres stellvertretenden Premierministers Nick Clegg, sagt zum Beispiel auf die Frage, wie viel ihres Gehalts als Juristin sie für Kleidung ausgebe: „Ich weiß es nicht. Viel mehr, seit Nick in der Politik ist.“
In der Ausstellung wird deutlich, dass die Mode für Frauen lange eine Art Körpergefängnis darstellte und wie sehr sie heute ein Mittel des Selbstausdrucks ist.
Frauen können heute so gut wie alles tragen, was sie möchten. Sie genießen in der Hinsicht eine sehr viel größere Freiheit als Männer. Die Königin von England macht mittlerweile etwas sehr Amüsantes: Sie wählt Kostüme in kräftigen Farben – Pink, Gelb, Lila –, die selbst ein junges Mädchen so nicht tragen würde. Ich finde das wunderbar. Männern steht in vielen Bereichen allein die Wahl der Krawattenfarbe offen. Ich liebe es, wenn zwischen all den dunklen Anzügen Angela Merkel in einem leuchtend orangefarbenen Jackett steht.
Aber diese Freiheit hat ihren Preis. Während die Erscheinung von Männern selten kommentiert wird, sind die Outfits von Politikerinnen oft mehr von Interesse als das, was sie tun. Im New Yorker erschien kürzlich ein Porträt, in dessen erstem Absatz folgender Satz stand: „Eine kleine, leicht gekrümmte Figur in einem fuchsiafarbenen Jackett, schwarzen Hosen und mit einem Helm farbloser Haare“. Die Rede war selbstverständlich von Angela Merkel, der mächtigsten Frau der Welt.
Das ist ja furchtbar.
Denken Sie, ein Porträt Barack Obamas würde mit einer Beschreibung seiner Haare oder seiner Kleidung beginnen?
Auf keinen Fall. Niemand würde seine Krawatte oder die Farbe seiner Schuhe auch nur erwähnen. Wenn ich diesen despektierlichen Satz gelesen hätte, hätte ich das Magazin auf der Stelle beiseitegelegt.
Der Autor interpretiert Merkels unspektakuläre Erscheinung als Versuch, sowohl auf die Bevölkerung als auch die anderen Staatsführer weniger bedrohlich zu wirken.
Womit er im Umkehrschluss sagt, dass sie glaubt, durch ein selbstbewussteres Auftreten würde sie diejenigen verschrecken, die sie gewählt haben. Der Meinung bin ich nicht. Ich glaube, sie denkt: „Ich habe Hunderte Probleme zu lösen, mein Outfit sollte nicht eines davon sein. Ich brauche eine bequeme und unkomplizierte Uniform, wie Männer sie auch haben.“
Durch die Farben, die Merkel trägt, nimmt sie sich die Freiheit, von der Sie vorhin sprachen? Und gleichzeitig geben ihr ihre Kombinationen aus Jackett und Hose die Sicherheit eines formalen Anzugs?
Eine Uniform ist die einfachste Wahl. Und wenn die Leute einmal verstanden haben, was jemand damit kommunizieren will, kann man zu Wichtigerem übergehen. Womit ich nicht sagen will, dass die Art, wie sich jemand kleidet, nicht wichtig ist – das ist es ja, was wir mit der Ausstellung zeigen. Wir wollen die Leute dazu bringen, über Mode in diesem Kontext zu sprechen.
Um noch kurz bei Angela Merkel zu verweilen: Ihr Hang zum Hosenanzug steht in einer langen Tradition. Jahrhundertelang haben sich Frauen wie Männer gekleidet, wenn sie ernst genommen werden wollten: vom einzigen weiblichen ägyptischen Pharao Hatschepsut, die sich wie ihr verstorbener Mann anzog, über Marie Antoinette, die zum Reiten Hosen trug und den Damensattel verschmähte, bis zu den Power Suits der Achtziger, mit denen arbeitende Frauen die männliche Körperform nachahmten.
Wobei ich glaube, dass Frauen wie Marie Antoinette die männliche Reitkleidung nicht deswegen adaptiert haben, weil sie damit ihre Emanzipationsbestrebungen symbolisieren wollten. Es war einfach bequemer und praktischer als das Reiten im Kleid. Dazu kommt: Wir wissen oft nicht, wie Frauen sich in der Vergangenheit anzogen. Diejenigen aus armen Verhältnissen trugen ihre Kleider, bis sie auseinanderfielen. Die existieren also schlicht nicht mehr. Von wohlhabenden Frauen haben wir zwar Porträts, aber was sie auf diesen Bildern tragen, ist nicht ihre Alltagskleidung. Oft gehörten diese Requisiten sogar dem jeweiligen Maler, der ihnen sagte, sie sollen dies oder jenes anziehen, um reicher oder wichtiger zu wirken. Es gibt Gemälde verschiedener Frauen in demselben Kleid. Zusätzlich übertrieben Maler bestimmte modische Merkmale um des Effekts willen.
Zum Beispiel?
El Greco war einer der ersten, der verstanden hatte, dass man Leute glamourös aussehen lassen kann, indem man sie größer und dünner erscheinen lässt. Dahingehend ähneln seine Bilder Modezeichnungen. Und die niederländische Malerei zeigt die Leute mit riesigen runden weißen Krägen, die jegliche Bewegung des Kopfes unmöglich machten. Sie sollten zeigen, dass man reich genug war, um keine Arbeit verrichten zu müssen, und es sich leisten konnte, seinen Kragen täglich waschen zu lassen. Sie wurden also wahrscheinlich nur zu diesen Anlässen getragen. Kurz: Wir wissen sehr wenig darüber, wie Alltagskleidung wirklich aussah.
Zurück in die Gegenwart: Die deutsche Modetheoretikerin Barbara Vinken schreibt, dass die weiblichen Führungseliten in Frankreich sich nicht länger an Hosenanzüge oder Kostüme halten, sondern ihre Weiblichkeit offensiv durch das Tragen von Kleidern betonen – ohne Angst, dadurch ihre Autorität zu verlieren. Beobachten Sie das auch?
Absolut. Immerhin wurde der Sex-Appeal in Frankreich erfunden – lange vor Hollywood. Denken Sie an Versailles. Schon damals wusste man, dass Macht darin bestand, attraktiv zu sein. Das hat man dort nicht vergessen. Überhaupt ist die Art und Weise, wie die Geschlechter im Hinblick auf Sex miteinander umgehen, in mediterranen Ländern anders als in Deutschland oder Großbritannien. Aber das wäre das Thema einer ganz anderen Ausstellung.
Colin McDowell ist Modechef der Sunday Times und hat zahlreiche Bücher über Modethemen geschrieben, darunter auch Biografien von Designern.
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