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Pharma-Millionär Vasella - 58 Millionen fürs Nichtstun

Ex-Novartis-Chef Daniel Vasella wollte 58 Millionen fürs Nichtstun und reformierte so unfreiwillig das Schweizer Aktienrecht

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Peter Hossli arbeitet als Reporter in den USA. Seine Texte erscheinen bei Cash, Focus und La Repubblica.

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Wer sich alles leisten kann, hat Freude an kleinen Dingen. Eine heiße Schokolade mit Sahnehäubchen stellt der Kellner auf den Tisch des Multimillionärs. „Herrlich“, schwärmt Daniel Vasella, schiebt einen Löffel Schlag in den Mund, lehnt sich zufrieden zurück. „Die erste Frage, bitte.“

Dünn sind die Finger, die den Löffel halten, kantig das Gesicht, die Haut bleich. Gesund sieht er nicht aus, der 59-jährige Herrscher über das Imperium der Gesundheit. Es ist Ende Januar, im Salon eines schicken Hotels in der Alpenstadt Davos. Im Kamin lodert ein Feuer. Eben war bekannt geworden: Vasella tritt nach 17 Jahren an der Spitze des Schweizer Pharmakonzerns Novartis ab.

Einer der schillerndsten Manager Europas hört auf, und einer der umstrittensten. „Große Konzerne überleben ihre Leute“, sagt er am Anfang des Gesprächs. „Sonst sind sie falsch aufgestellt.“

Er hat Novartis aufgestellt, als Höhepunkt einer rasanten Karriere. Er studiert Medizin, ist mit 31 jüngster Oberarzt am Berner Inselspital. Nebenbei unterrichtet er, publiziert über das zentrale Nervensystem. Mit 35 legt er den weißen Kittel ab, will nun Manager sein. Dazu hat er die richtigen familiären Bande. Der Onkel seiner Frau ist Marc Moret, Chef beim Baseler Pharmakonzern Sandoz. Der schickt Vasella 1988 für Sandoz in die USA.

Wenige Jahre später ermöglicht Moret seinem Zögling den großen Coup. Vasella, gerade 42, vereint Sandoz mit dem Stadtrivalen Ciba-Geigy zu Novartis. Der kleinen Schweiz beschert er die bis dahin größte Fusion der Geschichte.

Es ist eine Erfolgsgeschichte. Mit einem Mann im Mittelpunkt: Vasella.

Zuerst als Konzernchef, ab 1999 zusätzlich als Präsident des Verwaltungsrats, vereint er am Rheinknie zwei Kulturen – zur Vasella-Kultur. Sogar die Fische im Teich am Hauptsitz wählt er aus. Er heimst Ehrentitel ein, behauptet, Lepra beinahe ausgerottet zu haben. Fotografen inszenieren ihn auf schweren Motorrädern, mit Lederjacke und Stoppelbart. 2012, in seinem letzten Jahr, setzt Novartis fast 57 Milliarden Dollar um. Nur der amerikanische Pfizer-Konzern verkauft mehr Pillen und Pulver.

Und doch tritt Vasella nun in Schimpf und Schande ab, geht nach Amerika ins Exil. Wie niemand verkörpert der sanfte und kluge Manager den hässlichen Abzocker, angeblich getrieben von Geld und Gier. Schamlos habe er sich aus der Kasse von Novartis bedient, so lautet der Vorwurf,  und umgerechnet 325 Millionen Euro kassiert. Wie viel war es wirklich? „Das weiß ich nicht, ich habe diese Rechnung nie gemacht“, sagt Vasella.

Geht es ums Geld, ist er schmallippig. Was letztlich seinen Ruf zerstört. Schmach statt Ehre erntet er am 22. Februar auf der Generalversammlung, bei der er sich von Novartis verabschiedet. Tage zuvor hat ein Journalist Vasellas letzten Zahltag enthüllt: 58 Millionen Euro für die Zusage, sechs Jahre nicht für die Konkurrenz zu arbeiten. 58 Millionen, um nichts zu tun. An Schweizer Stammtischen, auf Twitter, in Leitartikeln gärt es. Rechte wie Linke, Arme wie Reiche überschütten ihn mit Häme.

Viele sind erstaunt, wie stümperhaft Vasella agiert. Er hat sich die Abfindung 2010 zugesichert, hält sie geheim. Als der Deal auffliegt, will er das Geld erst spenden, sagt aber nicht an wen. Zuletzt verzichtet er, gesteht Fehler ein, versäumt es jedoch, sich zu entschuldigen.

Plötzlich gilt er als einer, der erst eigennützig handelt und unter Druck einknickt. Prompt folgt das Verdikt. Anfang März heißen zwei Drittel der Schweizer Stimmbürger strengere Regeln bei Managergehältern gut. Der Ärger über Vasella gab der Anti-Bonus-Initiative den entscheidenden Kick.

Was tut er gegen das Abzockerimage? „Nichts“, sagt er. „Dieses Wort hat an Bedeutung verloren.“ Er spricht, als sei Geld eine schnöde Nebensache. „Mein Geld? Es ist doch interessant, wie viel andere Leute darüber reden. Bei mir nimmt es nicht so viel Platz ein.“

War er sein Geld wert? „Rational gesehen, ja. Die Reaktionen auf meine Gehälter sind aber emotional.“

So redet einer, der den Bezug zur Realität verloren hat. Die Gier vernebelt den Blick. Ist Geld für ihn die heimliche Sucht, für die er sich schämt? Ist aus dem maßvollen Schweizer einfach ein maßloser Amerikaner geworden?

Zumindest faszinieren ihn die USA. Oft schwärmt er von der betriebswirtschaftlichen Schnellbleiche an der Harvard University. Bei Novartis macht er Englisch zur Konzernsprache, lässt die Buchhalter in Dollar rechnen, schickt die besten Forscher nach Kalifornien, New Jersey und Massachusetts. Bei Pepsico und American Express setzt er sich in die Aufsichtsräte.

Im persönlichen Gespräch wirkt er neugierig, ruhig – und unbeirrt. Vielleicht wegen Schicksalsschlägen, die ihn früh treffen. Mit acht erkrankt er an tuberkulöser Hirnhautentzündung, verbringt ein Jahr im Sanatorium. Der Vater stirbt, als er 13 ist, kurz darauf die Schwester. Für Vasella waren es „Situationen, in denen man glaubt, es gehe nicht weiter – und es ging doch weiter. Das verlieh mir Zuversicht.“

Zuversicht verdrängt manche Kritik. „Für mich zählt nur, was meine Kinder und meine Frau von mir denken, das ist mir wichtig.“ Er nimmt einen letzten Schluck. Jetzt ist der Kakao wohl kalt. 

Peter Hossli ist Autor der Schweizer Blick-Gruppe und schreibt über Wirtschaft und Politik.

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