Geraubte Schönheit
Kunstwerke aus jüdischem Besitz wurden während des Dritten Reiches zu tausenden beschlagnahmt, zwangsversteigert oder schlicht gestohlen. Der vereinbarte Rückkauf unwissentlich erworbener Raub-Kunst sprengt jedoch die Budgets der meisten Museen.
Der Berliner Auktionator Max Perl hatte Angst. In weniger als zwei Wochen sollte eine große Auktion expressionistischer Kunst in seiner Galerie Unter den Linden stattfinden, doch fast täglich beschlagnahmte und zerstörte das Reichskulturministerium zeitgenössische Gemälde, die dem Kunstgeschmack und dem Weltbild der Nazis widersprachen.
„Ich habe große Probleme mit diesen Bildern“, schrieb Perl am 15. Februar 1935 einem Bekannten. Zeitungen und Magazine hatten sich geweigert, Anzeigen für die Auktion zu drucken, und er war sogar zum Reichskulturminister zitiert worden mit dem Ergebnis, dass er keine weiteren Ausstellungen expressionistischer Kunst mehr zu planen wagte.
Seine Angst erwies sich als begründet. Einen Tag vor der Auktion kam die Gestapo und nahm 64 Gemälde mit, die angeblich „kulturbolschewistische Tendenzen“ aufwiesen. Die meisten dieser als „entartet“ bezeichneten Gemälde stammten aus der Sammlung Ismar Littmann, auf Position drei der Beschlagnahmungsliste stand Karl Hofers „Sitzender Akt auf blauem Kissen“. Das Bild war sieben Jahre zuvor gemalt worden, als Ismar Littmann noch ein prominenter jüdischer Kunstsammler und Rechtsanwalt in Breslau gewesen war. Kurz nach der Machtübernahme der Nazis hatte Littmann Berufsverbot bekommen, 1934 beging er Selbstmord und hinterließ eine Familie mit vier Kindern sowie eine einzigartige Sammlung deutscher expressionistischer Kunst, mit 289 Gemälden und 5800 Arbeiten auf Papier.
Bevor die Familie des Sammlers aus Breslau floh, verkaufte sie einige Bilder, um die Flucht aus Deutschland zu finanzieren – jene Bilder, die noch übrig waren, nachdem viele bereits vorher konfisziert worden waren. Auf diese Weise gelangten einige der Gemälde auch zum Kunsthändler Max Perl, unter anderem Alexander Kanoldts „Olevano“, Lovis Corinths „Portrait of Charlotte Corinth“, Lucien Adrions „La procession“ und Emil Noldes „Buchsbaumgarten“.
Sechs Jahrzehnte nach der Auktion hing der Kanoldt in der Alten Nationalgalerie Berlin, der Corinth befand sich im Besitz der Hamburger Landesbank und den Adrion hatte ein Privatsammler der Friedrich-Ebert-Stiftung vermacht. Bereits 1956 hatte die Stiftung Wilhelm Lehmbruck-Museum in Duisburg den Nolde gekauft. Das Schicksal dieser Gemälde zeigt sehr deutlich sowohl den Erfolg als auch die Schwächen der offiziellen deutschen Versprechungen, man werde alles daransetzen, beschlagnahmte Kunstwerke aus der Nazizeit zu identifizieren und die Nachkommen der Beraubten zu entschädigen. Obwohl die Gemälde alle aus derselben Sammlung stammen, gab es sehr unterschiedliche Reaktionen auf die Ansprüche von Ruth Haller, der einzigen überlebenden Tochter Ismar Littmanns. Während die ersten drei Bilder der Littmann-Tochter 2001 und 2003 übergeben und dann rechtmäßig zurückgekauft wurden, verweigerte das Lehmbruck-Museum hartnäckig die Herausgabe – bis heute.
Die Rechtslage ist ein Patchwork unterschiedlichster Gesetze, die zudem auch sehr unterschiedlich interpretiert werden. Eine erste Rückgabewelle erfolgte direkt nach Kriegsende, als alliierte Truppen geheime Kunstdepots mit geraubter Kunst entdeckten. Über drei Millionen Kunstwerke sind damals an ihre ursprünglichen Besitzer und in ihre Ursprungsländer zurückgegeben worden. 1949, nach der Gründung der Bundesrepublik, übernahm man formell die Rückgabepraxis der Alliierten, die eine aktive Suche nach geraubter Kunst und ihren geschädigten Besitzern einschloss. Die DDR dagegen betrachtete sich als antifaschistischer Staat und wies jede Verantwortung für die Verbrechen der Nazizeit zurück – auch nach dem Mauerfall; obwohl nun alle einschlägigen Gesetze auch in Ostdeutschland galten, war man lediglich damit beschäftigt, Wiedergutmachungsanträge von Enteigneten des kommunistischen Regimes zu bearbeiten. Nach der Intervention der „Conference on Jewish Matrial Claims Against Germany“ 1998 wurden die Auflagen noch verschärft: Jeder Verkauf aus jüdischem Besitz zwischen 1933 und 1945 wurde automatisch als Zwangsverkauf eingestuft und daher als unrechtmäßig.
„Museumsdirektoren wollen nie Gemälde oder andere Kunstobjekte herausgeben“, sagt Anja Heuss, Autorin der Untersuchung „Kunst- und Kulturgutraub“, die 2000 erschien und in der sie die Beutekunst-Praxis in Frankreich und der Sowjetunion dokumentiert. „Sie sind nun mal Sammler. Es geht dabei nicht um Antisemitismus – die einen sagen einfach, das sei doch mittlerweile so viele Jahrzehnte her, andere beteuern, es sei Aufgabe der Museen, zu sammeln und auszustellen, und nicht, sich um Wiedergutmachungen zu kümmern.“
Aber es gibt auch prominente Beispiele mit Happy End. Die Alte Nationalgalerie in Berlin beherbergt eine umfangreiche Sammlung deutscher Kunst des 19. Jahrhunderts, ein ganzer Saal ist dem Maler Caspar David Friedrich gewidmet, einem der bedeutendsten deutschen Maler der Romantik. Das zentrale Werk dieses Saals ist „Der Watzmann“, ein Gemälde, das als nationales Kulturgut angesehen wird und seit der Wiedereröffnung des Museums nach zahlreichen Renovierungsarbeiten eine echte Publikumsattraktion ist.
Wenige Monate nach der Wiedereröffnung jedoch erhielt die Museumsleitung, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), einen Brief, in dem die Erben von Martin Brunn ihren Anspruch auf das Bild geltend machten: Brunn war ein jüdischer Sammler gewesen, der das Werk 1937 hatte verkaufen müssen, um seine Flucht aus Deutschland zu finanzieren. „Der Saal zeigt die Entwicklung Friedrichs – das macht den Watzmann für uns zu einem einzigartigen Bild“, erklärte Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der SPK. Daher werden wir um das Bild kämpfen.“
Aus der Perspektive der Antragssteller wurde es ein äußerst einvernehmlicher Kampf. David Rowland, Rechtsanwalt der New Yorker Kanzlei Rowland&Petroff, der die Erben vertrat, betonte, dass die SPK-Offiziellen mit hehren Beweggründen und sehr offen aufgetreten seien. „Sie argumentierten, wir sollten sie erst einmal von unseren Ansprüchen überzeugen, damit sie dann entscheiden könnten, ob sie das Bild her-ausgeben oder nicht“, erzählt Rowland. Bekannt wurde der Fall, als es zu einer finanziellen Einigung kam. Näheres über die Höhe der Entschädigung wurde zwar nicht bekannt – Rowland sagte jedoch, dass die Summe geringer als der geschätzte Marktwert gewesen sei.
Das Geld wurde von der DeKaBank gezahlt – die der SPK das Bild als Dauerleihgabe überließ. Seitdem, so Lehmann, hat die SPK zwanzig Gemälde zurückgegeben, zwanzig Skulpturen und 150 Zeichnungen.
1999 unterzeichnete Deutschland die so genannte „Berlin Declaration“, in der festgelegt wurde, dass von den Nazis beschlagnahmte Kunstwerke aktiv ausfindig gemacht und zurückgegeben werden sollten – und solche, die verfolgungsbedingt und daher unter Zwang verkauft worden waren. „Auch sechzig Jahre nach Kriegsende erkennen wir die moralische Verantwortlichkeit der Bundesrepublik an“, stellte Christina Weiss, Staatsministerin für Kultur, klar. „Gerade die Rückgabepraxis der SPK ist ein Zeichen dafür, dass die deutschen Museen zuverlässig die Richtlinien der ‚Washington Conference on Holocaust Era Assets‘ einhält und umsetzt.“
Obwohl die meisten Kunstwerke aus jüdischem Besitz auf unterschiedlichen Wegen und in höchst unterschiedlichen Rechtskonstellationen in deutsche Museen und Sammlungen geraten sind, bleibt deren Rückgabe, so Reinhard Baumstark, Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, „die Hauptaufgabe und vor allem die moralische Aufgabe“. Seit er 1999 als Generaldirektor berufen wurde, hat Bayern zwei Kunstwerke zurückgegeben. „Das reicht nicht“, gibt Baumstark zu, „es müssen mehr werden. Ich denke aber, dass das Procedere immer einfacher wird. Das hoffe ich jedenfalls.“
Für viele derjenigen, die ihre Ansprüche geltend machen, hängt die Chance, die Kunstwerke ausfindig zu machen und zurückzuerhalten, wesentlich davon ab, in wessen Besitz sie sich zurzeit befinden. Die Institutionen der Länder reagieren erfahrungsgemäß liberaler als die staatlichen, die wiederum liberaler agieren als die Städte. „Man kann genau sehen, dass die Ansprüche auf Objekte, die unter genau denselben Umständen verkauft oder beschlagnahmt wurden, ganz unterschiedlich behandelt werden“, sagt Anja Heuss. „Das hängt davon ab, in welchem Museum sie hängen. Deshalb sind viele Erben natürlich irritiert.“
Das betrifft auch die Erben der Sammlung von Ismael Littmann, deren Familiengeschichte immerhin an offizieller Stelle Eindruck machte. „Die Geschichte der Littmann-Sammlung war der ausschlaggebende Grund für die Bundesregierung zu befürworten, dass die Kunstgegenstände, die während der Verfolgung durch die Nazis erbeutet wurden, jetzt identifiziert und den Erben ihrer rechtmäßigen Besitzer zurückerstattet werden“, schrieb Christina Weiss, Staatsministerin für Kultur und Medien in einem Brief an Ruth und Chaim Haller im Februar 2003.
Dennoch gab es keine öffentliche Institution, die den Littmann-Erben half, jene Kunstwerke zu finden, die einst in der Auktion von Max Perl in Berlin versteigert wurden. „Wir haben sieben Werke zurückbekommen“, sagt Chaim Haller. „Und von acht weiteren wissen wir, wo sie sich befinden. Aber das ist nur ein winziger Teil dessen, was unsere Familie verloren hat.“
Übersetzung: Thomas P. Bamberger
Marilyn Henry arbeitet für das Magazin ARTnews. Der Artikel ist ein Auszug aus ihrem Essay „Restitution: Broken Promises“, der in ARTnews erschien
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