Eine Gruppe Zahnräder greift ineinander / dpa

Das Prinzip Leistung - Erspare mir die Fehlerkultur!

Nirgendwo auf der Welt wird die „Fehlerkultur“ so gefeiert wie in Deutschland. Die Beweggründe dahinter sind verständlich. Doch wer genauer hinschaut, erkennt: Die deutsche Wirtschaft braucht keine Fehlerkultur, sondern eine neue Leistungskultur.

Autoreninfo

Anders Indset ist mehrfacher Spiegel-Bestsellerautor und Deep-Tech-Investor. Der gebürtige Norweger blickt auf zwei Jahrzehnte Erfahrung in der Zusammenarbeit mit multinationalen Unternehmen zurück und ist Inhaber der Njordis Group, des Global Institute of Leadership & Technology (GILT) und Initiator der Quantum Economy Alliance. Zuletzt von ihm erschienen: „Wikinger Kodex – Warum Norweger so erfolgreich sind“ / Foto: Alex Kraus
 

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Deutschland: Wir müssen reden. Nirgendwo auf der Welt wird Fehlerkultur so gefeiert wie hierzulande. In den letzten Jahren füllten Eventveranstalter die Hallen, und unzählige Beratungsunternehmen entwickelten kostenintensive Strategien für starre DAX-Konzerne, um ihnen beizubringen, „besser mit Fehlern umzugehen“ und „die Mitarbeiter zu ermutigen, mehr Fehler zu machen, damit Innovation entstehen kann“. Auch wenn ich die Beweggründe dahinter verstehe, frage ich mich: Wollen wir wirklich eine Gesellschaft mit einer besseren Fehlerkultur? Oder haben wir viel eher ein grundlegendes Kulturproblem und ein mangelndes Verständnis von Leadership?

Fortschritt ist der Sinn des Lebens

Wir kommen auf die Welt und sind von Natur aus kreativ und aktiv – wir wollen Fortschritt. Als Säugling fallen wir hin und versuchen wieder aufzustehen. „Pass auf! Sei vorsichtig!“ – Die Eltern achten darauf. Aber all das tritt in den Hintergrund, sobald das Kind Fortschritte macht. Gefeiert werden erste Wort, das Aufstehen, das Winken, das erste „Papa“. Als Eltern verstehen wir die Kraft der positiven Verstärkung. So wird der Nachwuchs motiviert, weiterzumachen. Auf zum nächsten Meilenstein. 

Wir Menschen haben zwei Daumen und können Werkzeuge bauen, die der Menschheit eine bessere Welt ermöglichen. Mit einer leeren Festplatte ausgestattet, sind wir geschaffen, um zu erschaffen. Wir sind unendlich fähig, bessere Erklärungen zu finden – Fortschritt ist somit eine Conditio sine qua non – eine Grundbedingung dessen, was es bedeutet, Mensch zu sein. Wird alles in einen starren Rahmen gezwängt und reguliert, erstarrt die Gesellschaft und Fortschritt bleibt aus. Kinder wollen keine TÜV-zertifizierten Spielplätze. Kinder wollen frei im Wald oder auf einem Müllhaufen spielen, anstatt auf perfekt abgesicherten Spielplätzen, bei denen jede Abweichung und jeder Fehler ausgeschlossen ist.

Sicherheit ist wichtig, dabei sollten wir jedoch darauf achten, dass wir nicht in eine erstarrte Haltung verfallen, bei der wir das Reagieren auf Fehler als Triebkraft für Fortschritt überhöhen. Das ist zu kurz gedacht und letztlich nur Ausweis eines von extrinsischen Faktoren geleiteten Verhaltens. Wenn wir erkennen, dass es nicht um endliche Lösungen geht, sondern immer um Fortschritt, lösen wir uns vom Gedanken der Fehler und streben nach „besseren“ Problemen – ein intrinsischer Antrieb für Veränderung.    

Kultur statt Fehlerkultur

Vor 25 Jahren kam ich nach Deutschland. Ich war neugierig auf Qualität „Made in Germany“, den Weltklasse-Unternehmergeist und den Geburtsort von über 1000 Weltmarktführern in unterschiedlichen Industrien – die Hidden Champions, das Herzstück der deutschen Wirtschaft. Damals waren Anglizismen tabu, ich sollte die deutsche Sprache beherrschen, denn sie war präzise und mächtig.

Als Norweger sage ich heute: Ja! Ich liebe es, mit der deutschen Sprache zu spielen, und finde im historischen Gedankengut der vielen Dichter und Denker Wörter und Sätze, die sich selbst mit der tollsten KI nicht ordentlich übersetzen lassen. „Bodenständigkeit“, das Wort „Mensch“, oder auch „Vernunft“ und „Verstand“. Übersetzt ins Englische verlieren diese Wörter ihre Magie, ihre Lebendigkeit. Ihre Qualität liegt in ihrer Präzision. 

Heute spricht man von „New Work“ und „Purpose“, und ich frage mich regelmäßig, wo der tiefere Sinn von „Purpose“ liegt. Ähnlich stelle ich mir auch bei „Fuck-Up Nights“ – bei denen Gründer vom Scheitern ihrer StartUps erzählen – die Frage nach dem tieferen Sinn. Alle wollen dabei sein, es ist neu und frisch, aber auch sinnvoll? Wir suchen vermeintlich perfekte Antworten, auch wenn die Frage und das Problem die falschen sind. Das Fetischisieren von neuen Begrifflichkeiten und das Erschaffen neuer Kategorien greift nicht den Kern der Herausforderung der aktuellen Deutschen Wirtschaft auf.  

Es geht nicht darum, Fehler zu akzeptieren und auf diese zu reagieren, sondern darum, sich von einer rein reaktiven Haltung zu lösen. Statt den Umgang mit Fehlern als Motor für Fortschritt zu begreifen, sollten wir verstehen, was die Grundlage einer fortschrittsorientierten Kultur ausmacht: Leadership und Leistung. Und hier kommen wir zum Kernproblem der „Fehlerkultur“. Sie suggeriert eine Lösung für ein Problem, das tief in der Unternehmenskultur verankert ist, also darin, wie Menschen zusammenarbeiten – und in der Führungskompetenz, durch die Menschen zu Fortschritt und Leistung motiviert werden. Wir brauchen deshalb keine Fehlerkultur, wir brauchen eine neue Leistungskultur. 

Ein Kultur- und Führungsproblem

Fortschritt wird durch zwei zentrale Kräfte vorangetrieben: Friktion und Vertrauen. Unterschiedliche Meinungen, Perspektiven und sogar Konflikte schaffen die nötige Friktion, um kreative Lösungsansätze und neue Ideen zu entwickeln. Doch um diese Reibung in echte Progression umzuwandeln, braucht es Vertrauen – das Vertrauen, dass man gemeinsam neue Wege beschreiten kann, dass Risiken eingegangen werden dürfen, und dass man das Unbekannte erkundet, ohne Angst vor dem Scheitern zu haben.

Dieses Zusammenspiel von Friktion und Vertrauen bildet die Grundlage für eine Kultur, die nach Fortschritt strebt. Deutschland jedoch steht vor einem kulturellen Dilemma: Statt einer Kultur, die bloß verwaltet, brauchen wir eine, die gestaltet. Und hier kommen wir zum zweiten zentralen Problem vieler Unternehmen: Leadership. Es braucht Führungskräfte, die das Potenzial sehen, Möglichkeiten zu schaffen, um langfristig Wachstum zu ermöglichen. 

In seinem Buch „Creativity.Inc“ beschreibt Ed Catmull, wie er zusammen mit Co-Gründer Steve Jobs eine Kultur schuf, die es Führungskräften ermöglichte, den Spagat zwischen Management und Förderung von kreativer Freiheit zu schaffen, ohne kreative Prozesse einzuschränken. Ein Beispiel ist sein Konzept des „Plussings“. Catmull erkannte, dass Fortschritt nicht aus Fehlern entsteht, sondern aus der konstruktiven Weiterentwicklung von Ideen und dem Erschaffen von „besseren“ Problemen, also solchen, die sich besser lösen lassen. Beim „Plussing“ stehen nicht die Fehler im Mittelpunkt, sondern der gemeinsame Fortschritt, der das Projekt voranbringt. 

Dieses Prinzip der besseren Probleme verdeutlicht, dass Leadership nicht nur darin besteht, Fehler zu managen, sondern darin, kreative Lösungen zu fördern und Potenziale zu entfalten. Indem Plussing dazu anregt, stets über das Vorhandene hinauszudenken, entsteht eine Kultur, die nicht das Scheitern, sondern den Fortschritt in den Mittelpunkt rückt. Es zeigt auf, wie Führungskräfte ihre Teams inspirieren können, kontinuierlich über das Bekannte hinaus nach Progression zu streben, statt sich in einer lösungsfixierten Fehlerkultur zu verlieren.

Zwischen utopischen Optimisten und destruktiven Pessimisten stehen daher die Possibilisten – jene, die Möglichkeiten sehen und sich vom Fortschritt inspirieren lassen. In einer funktionierenden Unternehmenskultur wissen Leader, wie man mit Niederlagen umgeht. Sie zeigen Verletzlichkeit, bauen so Vertrauen auf und können dadurch Menschen inspirieren und aktivieren, über sich hinauszuwachsen. Dabei steht nie die Akzeptanz von Fehlern im Vordergrund, sondern das unermüdliche Streben nach Fortschritt. Leader, die für eine Vision stehen, die den Mut haben, Risiken einzugehen, und die ihr Umfeld aktivieren, das Beste aus sich herauszuholen – das sind die Führungspersönlichkeiten, die heute in Deutschland mehr denn je gebraucht werden. 

Die Unternehmerlegende Götz Werner war ein Beispiel für die deutsche Qualitätskultur. Seine Maxime war eine „permanente, konstruktive Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen“ und der daraus erwachsende Wille, das Unternehmen immer wieder zu verändern. Eine Zukunftsphilosophie – ein unendliches Streben nach besseren Problemen – nach Fortschritt. Dabei stellte er den Menschen in den Vordergrund. Er war ein Leader.

Leistungskultur verwurzelt in Werten

Ich bin überzeugt, dass eine Wiederbelebung der deutschen Leistungskultur der Weg zu einer aktiven und lebendigen Gesellschaft ist. Es ist richtig, dass wir Fehler machen dürfen und auch werden, und ja, sie dürfen auch schmerzen – solange der Anreiz für Fortschritt und das Neue die stärkere innere Triebkraft ist.

Leadership und die Entwicklung leistungsorientierter Kulturen erfordern, dass wir lernen, „gönnen zu können“ – dass wir andere Menschen auch anfeuern können. Nur wenn wir den Erfolg anderer als Teil unseres kollektiven Erfolgs betrachten, schaffen wir eine Atmosphäre des Vertrauens und des Wachstums. Habe ich dann Ansprüche an mich selbst, so nutze ich die Qualität meiner Umgebung und schaffe so gleichzeitig eine Vorbildfunktion, die den Antrieb meiner Kollegen stärkt – ein „Reinforcement Learning“-Modell, das Individualismus und Kollektivismus synergetisch verschmilzt. 

Schaffen wir Anreize für Entwicklung, Räume, in denen Menschen über ihr Leistungsvermögen hinausgehen können, und lernen wir, andere zu stärken, damit wir selbst wachsen können, entsteht eine robuste Kultur. Eine solche Kultur des kumulierten, unendlichen Fortschritts bildet für mich die Basis einer lebendigen und fortschrittsorientierten Gesellschaft, nach der sich viele heute in Deutschland sehen; für eine neue Leistungskultur, verwurzelt in Werten.


 

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Wolfgang Dubbel | Do., 19. September 2024 - 13:54

passt vielleicht gut zu Sündenstolz.

Manfred Sonntag | Do., 19. September 2024 - 15:01

Dieses Thema könnte nicht besser beschrieben werden. Es zeigt den ganzen bescheuerten Aktionismus unserer Eliten welcher immer nur darauf gerichtet ist, den eigenen Stuhl unabsägbar zu machen, aber die Treppe nach oben von abhängigen Lakaien mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln bewachen zu lassen. Das zeigt sich auch ganz deutlich in der Gesetzgebung. Es wird nicht der Bürger als Souverän betrachtet, sondern als "störendes Element". Eigenverantwortung ist verpönt genauso wie Selbstbestimmung, Demokratie und Freiheit. Nicht umsonst wurden die Coronagesetze durch eine eingefügte "Ermächtigung" im Stil schlimmster diktatorischer Zeiten eingeleitet. Und heute wird im großen Stil täglich über neueste Verbote für alles Mögliche diskutiert. So schafft man keinen Fortschritt. Das ist nichts weiter als eine verheerende Machtsicherungsstrategie. In der Folge sind diese, in der Meidung jeglicher intellektuellen Herausforderung "Begabten", nur noch zum Bau von Wagenburgen in der Lage.

Ronald Lehmann | Do., 19. September 2024 - 16:16

& sich nicht nur die Rosinen rauspicken
wie es heutzutage üblich geworden ist

& vor allem ohne Brandmauern & Diffamierung des Gegenüber

& zugeben, wenn man falsch lag, eine falschen Weg man nahm

& var ollem wie in meinem Statusbild zu lesen ist
"DENKEN kann auch Irrungen/Fehleinschätzungen beinhalten, die man berichtigen sollte, aber denk um Gottes Willen für dich SELBST mit Gottesvertrauen & Liebe/Demut

jedenfalls sollte man auch Kritik ertragen können
weil Kritik dazu dient
Anreize zu schaffen
das man es besser will als bisher

aber Werte Genossen & Block-Partei-Politiker

keine Kritik
um den anderen zu diffamieren/degradieren
weil dies für euch viel einfacher ist

& wie so oft geschehen bei der AFD oder anderen

als sich mit ihren Inhalten, Fakten & Argumente auseinander zu setzen

wie bei Höcke, Prof. Bhakti, Dr. Ganser oder Erich von Däniken

wo ganze ORWELL-Söldner-Armeen gegen diese aufzogen

weil sie dem ZEITGEIST widersprachen

was es bei göttlichen Möchtegerne den HASS entfacht👿

Dr. Oliver Strebel | Do., 19. September 2024 - 16:30

Eine gute Fehlerkultur, wo Fehler offen und entspannt besprochen werden, ist die Grundvorraussetzung für gute Leistungen, insbesondere in den Ingenieursdisziplinen. Denn Fehler passieren fortwährend.

Dort wo ein Leistungkult gefeiert wird, funktionieren meiner Erfahrung nach typischerweise die Basics nicht. Stellenangebote dieser Art habe ich stets schnell überblättert, habe bei vernünftigen Firmen gearbeitet und bin rückblickend damit sehr gut gefahren.

Wenn Herr Inset nach dem Titel dieses Posts googelt, findet er eine Rede von Wernher von Braun über Technologie -Management. Dort steht: "Every day we learn something we didn’t know the day before or some smart guy comes up with a new idea or points out a problem we didn’t know existed. Such new information often demands a change of plans, so along with every decision we must bear in mind that we may have to alter, it somewhere along the way."

Das hat Deutschland stark gemacht und nicht Wikinger-Gedöns.

Rainer Dellinger | Do., 19. September 2024 - 17:24

Vor über 25 Jahren war eine andere Generation in der Wirtschafts-, Politik- und Bildungskultur aktiv. Fortschritt ist die Folge von Bildung und freien, selbstbewussten Menschen in politischer Sicherheit. Selbstbewusste, zivilisierte Bürger tauschen ihre Meinung aus, finden bei Unstimmigkeiten einen Kompromiss, egal ob Wirtschaft, Kultur oder Politik. Zur Kultur zähle ich vor allen Dingen den zivilisatorischen Entwicklungsstand einer Gesellschaft. Daraus folgt, je nach Bildungsniveau, Teamarbeit zum lösen der Aufgaben. Außerdem, ich zitiere Ulugh Beg: "Das Streben nach Wissen, ist die Pflicht eines jeden." Wo der Westen gelandet ist, erfahren wir jeden Tag aufs Neue.

Walter Bühler | Do., 19. September 2024 - 18:52

... Faulheit, Bequemlichkeit und Dummheit, die bekantlich alle in der Leistungsfeindschaft enden.

Als eine verharmlosende Ausrede diesser Art kann auch der Begriff "Fehlertoleranz" verwendet werden. Aber es gibt noch viel, viel mehr Begriffe, die die traurige Realität in deutschen Schulen, Universitäten und Betrieben beschreiben und bagatellisieren.

Ein ziemlich schlappes Schlaraffenland.

Albert Schultheis | Do., 19. September 2024 - 19:01

Vieles, was Herr Indset fordert, ist richtig! Allein die Diskussion zeigt bereits, wo es hinten und vorne in Deutschland mangelt! Noch haben wir in den meisten Betrieben einen hohen Grad an Expertise und Leistungsbereitschaft - die Grund-Ingredienzien, die wir im Bundestag, den Länderparlamenten und Kreistagen bis in die Gemeindeverwaltungen kläglich vermissen. Es ist diese verkommene, völlig unqualifizierte Politik, die alles zugrunde richtet, weil sie meint, sich in alles einmischen zu müssen - am schlimmsten wenn sie den Betrieben, der Wirtschaft vollidiotische Vorgaben macht und die willfährigen und buckelnden Unternehmen
auch noch mit Subventionen und Zuwendungen zombifiziert. - Kümmert euch verdammt noch mal um eure Pflichten! Weg mit dem ganzen Bullschitt! Macht den Weg frei und lasst die Unternehmen endlich eigenverantwortlich und im freien Wettstreit miteinander konkurrieren! Nur so entstehen Spitzenprodukte durch Qualitätsmanagement auf der Basis von continuous improvement.

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