Eine wahre Delikatesse im Frühling: weißer Spargel / picture alliance

Erfrischender Streit über Genusskultur - Auf der Suche nach dem „Highway to Joy“

Unser Genusskolumnist und der Ernährungssoziologe Daniel Kofahl sind in einen heftigen, aber produktiven Streit über Saisonalität und Regionalität geraten. Daran möchte er die Leser teilhaben lassen.

Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Eigentlich mag ich mich nicht mehr streiten. Jedenfalls nicht über elementare Fragen wie die Kriege in der Ukraine und im Gaza-Streifen. Wenn man etwa die Sinnhaftigkeit der NATO-Narrative und des Fleischwolfs an der Ostfront in Frage stellt und für einen Waffenstillstand eintritt, wird man ganz schnell zum „Putin-Troll“ erklärt. Und wenn man trotz der unerträglichen Situation der Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen darauf beharrt, das Massaker der Hamas am 7.Oktober als Auslöser der Eskalation zu benennen, gilt man in manchen Kreisen als Sprachrohr „zionistischer Propaganda“. Zwischentöne sind in solchen Disputen fast vollständig verklungen.

Bei Themen, die die Lebens- und Genusskultur betreffen, ist meine Streitlust allerdings ungebrochen. Jedenfalls dann, wenn es sich um argumentativ unterfütterte Diskurse handelt. Wer kräftig austeilt, muss natürlich auch mal kräftig einstecken können. So brachte mir mein unermüdlicher Feldzug gegen die Entwürdigung des weißen Spargels durch Sauce Hollandaise oder andere Scheußlichkeiten den Ehrentitel „Spargel-Stalinist“ ein. Und meine mehrmals erneuerten Fatwas gegen das scheußlichste Getränk der Welt machten mich für einige Zeitgenossen zum „Glühwein-Taliban“.

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Thomas Hechinger | Sa., 2. März 2024 - 09:58

... daß sie auch mal ‘ne Ausnahm’ verträgt.“ (Sachs in Wagners „Meistersingern“)

Auch ich halte mich, wenn ich selbst koche, bei meinem Speiseplan an die Jahreszeiten, allerdings nicht pedantisch und kompromißlos. Spargel gibt es bei mir im Frühjahr und Erdbeeren im Sommer, Kohlgerichte eher im Herbst. Das mache ich ähnlich wie der „Cicero“-Genußkolumnist.
Ich habe aber auch kein Problem damit, wenn einmal eine größere Festivität, bei der man etwas Besonderes bieten will, ansteht und eine Nachspeise mit Erdbeeren gereicht wird, selbst wenn draußen Schnee fällt. Aber eben als Ausnahme, die auffällt. Einen besonders teuren Wein trinkt man ja auch nicht zum werktäglichen Abendessen, wenn man müde von der Arbeit nach Hause kommt. Man hebt ihn auf für die besonderen Anlässe.

Prinzipien sind wichtig, Prinzipienreiterei ist unangenehm.

Maria Arenz | Sa., 2. März 2024 - 10:34

Abgesehen von der Schweinerei mit dem Wasser ist der Punkt mit dem "Warten können" als Geheimis des wahren Genusses wirklich der entscheidende. Ich versage mir inzwischen sogar weiteghend die Crécy-Erdbeeren und die anderen Supermarkt -Sorten und freue mich auf Lambada und Mieze Schindler, die es nur relativ kurz im Juli/August gibt. Und das auch nur auf dem Markt oder in Inhaber-geführten Obst-und Gemüsegeschäften, deren Besitzer nicht zu faul sind, jeden Morgen zum Großmarkt rauszufahren. Diese Sorten sind nämlich sehr empfindlich und vertragen kein langes herumliegen. Dagegen ist aber eben alles andere nur rotes Wasser.

Sabine Lehmann | So., 3. März 2024 - 07:28

Nun, als Kämpfer im Dienste kulinarischer Genüsse muss man im Gefecht tapfer ein paar Federn lassen, werter Autor. Es sei Ihnen im übrigen verziehen, mir meine geliebte Sauce Hollondaise madig zu machen, mein Friedensangebot wäre eine Sauce Bernaise, vielleicht;-) Mir persönlich ist es bei unverhandelbaren Genüssen eh völlig wurscht, ob Saison ist oder nicht, ein Leben ohne Tomaten jedenfalls mag zwar möglich sein, für mich aber sinnlos. Denn ohne Tomaten, fast täglich(!), geht bei mir gar nichts. Die Geschmackspolizei möge es mir bei der nächsten Hausdurchsuchung verzeihen, ist bei mir stets willkommen, Hauptsache keine Scharia-Polizei;-) Womit wir gleich beim Thema wärn, denn über Politik lässt sich herrlich streiten. Das ist gut so, auch wenn unsere amtierende Einheitsfront und die schreibende Zunft das gerne unterbinden würden. Die Würde des Menschen, das wusste schon die Heilige Angela, ist unantastbar u. deshalb quatscht mir keiner ins Essen u. in meine Meinung erst recht nicht!

Wie Sie esse ich gerne Tomaten. Es kommt aber selten vor, daß ich mir außerhalb der Saison, in der Tomaten im Freien wachsen, welche kaufe. Weil sie mir einfach nicht schmecken: ohne „Pfiff“, Wasser mit roter Haut drumrum. Ich habe das Glück, ein kleines Stück vor meinem Haus zu haben, an dem ich selbst Tomaten anpflanzen kann. Wenn diese im Juli reif werden, sind für mich Tomaten-Festtage. Vom ordinären Tomatensalat über Aufläufe mit Tomaten bis zum Gazpacho steht alles auf dem Speiseplan. Ich freue mich immer auf diese Zeit. Wie Frau Arenz es in ihrem Kommentar geschrieben hat: das „Warten können“ erhöht den Genuß um ein Vielfaches. Da habe ich wohl eine etwas andere Philosophie als Sie. Aber nach meiner Devise „leben und leben lassen“ will ich Ihnen Ihre Ganzjahrestomaten nicht vermiesen. Gehen Sie ans Gemüsefach, holen Sie eine raus und beißen Sie kräftig rein, wenn Sie meinen Kommentar lesen. Und denken Sie: selber schuld, wenn er auf den Genuß verzichtet. Guten Appetit!

Rainer Mrochen | So., 3. März 2024 - 13:59

Das Endstadium eines Hyperglobalismus wird die extreme Beliebigkeit alles Seienden sein.
Soylent Green für alle. Wohl bekommt es.
Saisonal und Regional könnte ja auch etwas mit Gesundheit uns Wohlbefinden zu tun haben. Körper und Geist als Duopol in der jeweiligen, (Jahres)zeitlichen Einordnung, haben vermutlich ihre Bedeutung. "Nicht umsonst soll deine Medizin Deine Nahrung sein – dies sagte bereits Hippokrates – Je ursprünglicher, saisonaler und regionaler die Herkunft unsere Lebensmittel ist, desto besser ist die Vitalität und der Mehrwert für unseren Körper – ja unsere Gesundheit." Ich sehe das so, weil es ja dabei wirklich nur auf mich ankommt. Soviel Egoismus darf sein.