- Viele offene Fragen
Nach dem Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt ist die Zahl der Toten auf vier gestiegen. Der Tatverdächtige aus Saudi-Arabien war zuvor nicht als Islamist bekannt. Er soll sogar Islamkritiker gewesen sein.
Nach der tödlichen Attacke auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg ist die Zahl der Toten auf vier gestiegen. Nach Informationen aus Sicherheitskreisen wurden zudem 41 Menschen schwerstverletzt. Die Bild-Zeitung und weitere Medien berichteten von insgesamt mehr als 200 Verletzten. Ein Autofahrer war am frühen Freitagabend auf den Weihnachtsmarkt in der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt in eine Menschengruppe gefahren.
Einen Tag nach der Tat sind weiterhin viele Fragen offen - allen voran nach den Motiven des festgenommenen Tatverdächtigen. Weiterhin gehen die Ermittlungsbehörden von einem Einzeltäter aus. Hinweise, nach denen ein zweites, möglicherweise tatrelevantes Auto in der Innenstadt gesichtet wurde, hätten sich nicht bestätigt, teilte die Polizei auf X mit. Der Tatverdächtige wurde nach offiziellen Angaben verhört.
Der Mann aus Saudi-Arabien ist als islamkritischer Aktivist bekannt. Nach Informationen der dpa bezeichnet sich der 50-jährige Arzt, der seit 2006 in Deutschland lebt, selbst als Ex-Muslim. In sozialen Medien und Interviews erhob er zuletzt teils wirr formulierte Vorwürfe gegen deutsche Behörden. Er hielt ihnen unter anderem vor, nicht genügend gegen Islamismus zu unternehmen. Nachdem er vor Jahren mit seiner Unterstützung für saudische Frauen, die aus ihrem Heimatland fliehen, an die Öffentlichkeit gegangen war, schrieb er später auf seiner Website in englischer und arabischer Sprache: „Mein Rat: Bittet nicht um Asyl in Deutschland.“
Der 50-Jährige aus Saudi-Arabien war am Tatort von Einsatzkräften gestellt und festgenommen worden. Der Verdächtige sei Arzt, lebe und arbeite in Bernburg, sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Nach bisherigen Erkenntnissen sei er den Behörden nicht als Islamist bekannt. Der Täter raste laut Haseloff mit einem Leihwagen in die Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt. Nach Angaben von Bild unter Berufung auf die Polizei erstreckte sich die Fahrt auf dem Gelände über 400 Meter.
Augenzeugenberichte
Eine dpa-Reporterin berichtete kurz nach der Tat, es wimmele auf dem Weihnachtsmarkt von Rettungswagen und Sanitätern. An einer großen Weihnachtspyramide wurden demnach Verletzte versorgt. Mehrere verletzte Menschen wurden weggetragen.
Der AfD-Politiker Tobias Rausch ist nach eigenen Angaben Zeuge der Attacke geworden. „Wenn man das miterlebt hat, das war erschreckend, wie die Panik ausgebrochen ist, wie die Leute umgefallen sind“, schilderte Rausch seine Eindrücke am Morgen danach vor Pressevertretern in Magdeburg. Ein Polizist sei dem Auto hinterhergerannt und habe den mutmaßlichen Täter an der Ampelkreuzung gestellt. Das habe er mit seinem Handy gefilmt, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt.
Rausch berichtete, wie er am Freitagabend die Straße überquert habe, um den Weihnachtsmarkt zu besuchen. „Auf einmal hat man ein dumpfes Geräusch gehört, da waren schon Schreie, Panik ist ausgebrochen.“ Ein Motor habe laut aufgeheult, Scheinwerfer seien auf ihn und seine Begleitung zugekommen. „Meine Begleitung sagte geistesgegenwärtig, der fährt auf uns zu, rennt weg.“ Dann sei bereits die Polizei an ihm vorbeigerannt, das Auto des mutmaßlichen Täters habe an der Kreuzung gestanden. Er habe mit dem Handy gefilmt, wie der Täter von Polizei gestoppt wurde und sich auf den Boden gelegt habe, berichtete Rausch.
In einem Handyclip ist zu sehen, wie ein Polizist seine Waffe auf den Verdächtigen richtet und ihm zuruft, sich hinzulegen: „Die Hände auf den Rücken!“ und „Bleib liegen!“ Der Mann legt sich neben einem schwarzen - sichtbar beschädigten - Auto auf den Boden und befolgt die Anweisungen. Schließlich kommt Verstärkung, mehrere Polizisten springen aus dem Einsatzwagen und umkreisen den am Boden liegenden Verdächtigen. Der Polizist weist seine Kollegen an, „nicht so nah ran“ zu gehen.
Bundesinnenministerin Faeser teilte mit, sie werde heute mit Scholz nach Magdeburg kommen, „um unser tiefes Mitgefühl auszudrücken und den Einsatzkräften zu danken.“ Faeser hatte zuletzt wiederholt zu Wachsamkeit bei Weihnachtsmarktbesuchen aufgerufen. Konkrete Gefährdungshinweise gebe es aktuell nicht, hatte sie Ende November gesagt.
Gedenkfeier für die Opfer im Magdeburger Dom
Fast auf den Tag genau vor acht Jahren, am 19. Dezember 2016, war in Berlin ein islamistischer Terrorist mit einem entführten Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz gerast. Dabei wurden zwölf Menschen getötet, das 13. Opfer starb 2021 an den Folgen. Mehr als 70 Menschen wurden verletzt. Der Attentäter floh nach Italien, wo er von der Polizei erschossen wurde.
Auch in anderen Städten mit Weihnachtsmärkten ist die Polizei nun besonders achtsam. In Stuttgart sagte ein Polizeisprecher, die Polizeikräfte seien vor Ort sensibilisiert worden. In Berlin sagte ein Sprecher, man habe die Beamten aufgerufen, ein erhöhtes Augenmerk auf Weihnachtsmärkte zu richten.
Am Abend soll es eine Gedenkfeier für die Opfer im Magdeburger Dom geben. Man wolle Betroffenen, Angehörigen und allen anderen Bürgern eine Möglichkeit zum Trauern geben, sagte Oberbürgermeisterin Simone Borris am Abend unter Tränen vor Journalisten. „Wir werden eine lange Zeit zum Trauern brauchen“, sagte sie sichtlich fassungslos. „Wir werden das alles umfassend aufarbeiten.“ Stadtsprecher Michael Reif sagte, es sei „ein Anschlag“ gewesen.
Bundeskanzler Scholz schrieb auf der Plattform X: „Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen. Wir stehen an ihrer Seite und an der Seite der Magdeburgerinnen und Magdeburger. Mein Dank gilt den engagierten Rettungskräften in diesen bangen Stunden.“ Auch Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) zeigte sich entsetzt und sprach von einem feigen Anschlag. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dankte den Rettungskräften und schrieb: „Die Vorfreude auf ein friedliches Weihnachtsfest wurde durch die Meldungen aus Magdeburg jäh unterbrochen.“
Internationale Reaktionen
Auch in den Niederlanden ist die Gefahr von Anschlägen nach Einschätzung der Behörden real. Darauf hat der Nationale Koordinator für Terrorismusbekämpfung und Sicherheit, Pieter-Jaap Aalbersberg, unter Hinweis auf die Attacke in Magdeburg aufmerksam gemacht. Die zweithöchste Terrorwarnstufe (4 von 5), die seit Dezember 2023 besteht, bleibe weiter in Kraft. „Das bedeutet, dass die Möglichkeit eines Anschlags real ist.“
Zuvor hatte Ministerpräsident Dick Schoof der Bundesregierung sein Beileid ausgesprochen. „Die Niederlande stehen in diesen dunklen Momenten an der Seite unserer deutschen Nachbarn“, schrieb der Regierungschef auf X. Seine Gedanken seien bei den Opfern und ihren Angehörigen. Die niederländischen Behörden würden die Entwicklung aufmerksam verfolgen.
Nato-Generalsekretär Mark Rutte kontaktierte nach eigenen Worten Bundeskanzler Scholz und drückte ihm sein Mitgefühl aus. „Meine Gedanken sind bei den Opfern und deren Familien“, schrieb Rutte auf der Plattform X. „Die Nato steht an der Seite Deutschlands.“ Die Vereinten Nationen bekundeten ebenfalls ihr Beileid. Man sei schockiert, sagte Stéphane Dujarric, Sprecher des UN-Generalsekretärs. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verurteilte die Attacke. „Meine Gedanken sind heute bei den Opfern der brutalen und feigen Tat in Magdeburg“, schrieb sie auf der Plattform X.
Der französische Präsident Emmanuel Macron schrieb auf X, Frankreich teile den Schmerz des deutschen Volks. Er sei zutiefst erschüttert über „den Horror“, der den Weihnachtsmarkt heimgesucht habe. Die USA versicherten ihre Solidarität. Die USA seien bereit, Unterstützung zu leisten, hieß es vom Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller. Der designierte US-Vizepräsident J.D. Vance zeigte sich bei X ebenfalls betroffen: „Was für eine entsetzliche Attacke so kurz vor Weihnachten.“
Auch Saudi-Arabien verurteilte die tödliche Attacke. „Das Königreich bringt seine Solidarität mit dem deutschen Volk und den Familien der Opfer zum Ausdruck“, schrieb das Außenministerium in einer Mitteilung auf X. In der Stellungnahme erwähnte das Land den Verdächtigen, der aus Saudi-Arabien stammt, nicht.
Quelle: dpa
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