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Anti-Israel-Demos - Der Judenhass ist wieder da

Kisslers Konter: An den pro-palästinensischen Protesten bricht sich der Antisemitismus Bahn. Die Ausschreitungen in ganz Europa machen eines deutlich: Der Rücksturz in die Barbarei ist wieder eine Option

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Wo der Antisemitismus blüht, ist Recep Tayyip Erdogan nicht weit. Der türkische Ministerpräsident weiß, was er seinem Ruf schuldig ist. Und so ließ er sich nicht lange bitten und bescheinigte den Israelis „kein Gewissen, keine Ehre, keinen Stolz“ zu haben. Im Gaza-Konflikt hätten sie „Hitler in Sachen Barbarei übertroffen.“ Damit bewegt er sich in vertrautem Fahrwasser, ist weiten Teilen des Islam doch die Judenfeindschaft eingeschrieben, seit Mohammed für ein von Juden und Christen gesäubertes Medina kämpfte. Andere Muslime lassen es nicht bei Worten bewenden. In Paris wurden zwei Synagogen angegriffen und Autos abgefackelt, um der Forderung nach einem „freien Palästina“ Nachdruck zu verleihen. In London geriet eine Demonstration gegen die israelischen Luftangriffe auf den Gaza-Streifen zum antisemitischen Spektakel. Israel, so die Botschaft beteiligter Muslime, vollende Hitlers Vernichtungskrieg, wolle einen Endsieg. In Zürich wurde zur „Demo für Palästina in der Schweiz“ auch mit den Worten geworben, nur ein toter sei ein guter Jude. In Innsbruck griffen antijüdische Demonstranten eine Frau mit Israel-Flagge an und verletzten sie. Tumulte gab es auch in Wien, wo Plakate „Dein Ende wird kommen, Israel“ verkündeten und den Davidstern mit dem Hakenkreuz gleichsetzen, und in Bregenz.

Doch warum in die Ferne schweifen, wenn das Böse liegt so nah? „Hamas, Hamas, Juden ins Gas!“ lautete der Ruf, der eben nicht von stiernackigen Neonazis, sondern von enthemmten Muslimen in Gelsenkirchen erscholl. So wie es auch nicht die Springerstiefel-Fraktion war, die in Frankfurt am Main Kindermörder Israel!“ skandierte und Plakate trug mit der Botschaft „Ihr Juden seid Bestien“. In Berlin wiederum hieß es „Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein!“ und „Scheiß-Juden, wir kriegen euch!“. Ein Imam rief dazu auf, allen „zionistischen Juden“ den Tod und entsetzliche Qualen zu bereiten, ein israelisches Paar wurde angegriffen. In Hannover wurde „Free Palestine“ zum Vorwand, „mit Anlauf und einem Sprungtritt“ einen Mann zu verletzen, der sich erdreistete, eine Israel-Fahne zu tragen. Und in Nürnberg stürmten junge Männer mit Salafistenkäppis und Palästina- und Türkei-Flaggen an der Seite von Frauen mit Kopftüchern eine „Burger King“-Filiale, damit an diesem vermeintlichen Symbolort jüdischen Kapitalismus‘ Israel in Grund und Boden geschrien werden konnte. Eine gespenstische, eine widerliche Szene, mitten im Deutschland des Jahres 2014.

In all den Fällen gab es eine klare Dreiteilung: Muslime – die übrigens das Leid, das „IS“ oder „Boko Haram“ oder die Taliban über Muslime bringen, nicht zu vergleichbaren Solidaritätsaktionen motiviert  – agierten als Antisemiten, Juden waren die Hassobjekte. Die deutsche Polizei schaute zu, war anderweitig beschäftigt oder schlicht überfordert. Oder gar klammheimlich einverstanden? Auch die deutsche Justiz ist bemüht, sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, sie sei allzu forsch umerzogen worden. Während Hakenkreuze in der Öffentlichkeit eine Straftat sind, ist das Signet der Hamas aus Gründen der Meinungsfreiheit wohlgelitten – bekräftigt und besiegelt vom Berliner Verwaltungsgericht im Jahr 2009. Wir erinnern uns: Hamas ist jene charmante Terror-Organisation, die ausweislich ihrer eigenen Charta die Vernichtung Israels und die Tötung der Juden anstrebt.

Bedingt abwehrbereit

Warum sind die westlichen Gesellschaften so wenig abwehrbereit gegenüber dem alten Gift des Antisemitismus? Erstens reicht die besonders in Deutschland so stolz zelebrierte „Aufarbeitung“ doch nicht bis in jene Regionen von Hirn und Herz, wo die Keime des Bösen sprießen. Der schlimme Verdacht gegen die Juden als heimliche Herren der Welt, denen letztlich alles zuzutrauen sei, hält sich wacker. Zweitens gibt es keine Konzepte wider die in einer Migrationsgesellschaft eben ansteigenden antijüdischen Stereotype des Islam. Und drittens war man wohl auch auf dem linken Auge blind. Nicht erst die perverse Eskalation bei einer Demonstration der „Linken Jugend“ (NRW) in Essen, wo Antisemiten die Hamas feierten und „Adolf Hitler“ skandierten und im Medium angeblicher Friedensliebe Schmähkritik gegen Israel vorgetragen und schließlich ein Häuflein Gegendemonstranten durch die Straßen gejagt wurde, zeigt: Der Antisemitismus von links ist genauso unappetitlich und geistlos wie der Antisemitismus von rechts.

Eine jüdische Bloggerin schreibt im Lichte der jüngsten Ausfälle und Übergriffe: „Wo ist der Aufschrei der Bevölkerung, wenn Menschen, denen es allein um ihren Hass gegen uns Juden geht, die keine Differenzierung machen, über die gleichen Straßen marschieren, wie es einst die Nazis taten? Wo ist die doch sonst so gern empörte Gesellschaft? Wo der Wutbürger? Wo? (…) Endlich darf man wieder seinen Antisemitismus offen leben – solange man kein Parteibuch der NPD hat. (…) Ja, ich habe Angst. Mit jedem Tag mehr. Ich fühle mich nicht mehr sicher.“

Wir alle müssen zur Kenntnis nehmen, wir Zugezogenen und Hiergeboren, wir Klein- und Anders- und Ungläubigen: Der Rücksturz in die Barbarei ist wieder eine Option. In Deutschland und weit darüber hinaus.

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