- „Ich bin stolz auf das, was wir geleistet haben“
Hillary Clinton kandidiert für das US-Präsidentenamt. In den Mittelpunkt des Wahlkampfes will sie die Chancengleichheit für alle Amerikaner stellen. Teile ihres Programms hatte Clinton bereits vor einem halben Jahr in dem Buch „Entscheidungen“ angekündigt. Ein Auszug
Wir alle werden im Leben vor schwere Entscheidungen gestellt. Manchen von uns wird dabei sehr viel aufgebürdet. Wir müssen entscheiden, wie wir die Anforderungen von Beruf und Familie miteinander vereinbaren. Sei es, dass ein krankes Kind oder unsere alten Eltern zu pflegen sind, sei es, dass wir eine College-Ausbildung finanzieren müssen, einen guten Job finden oder damit umgehen müssen, wenn wir ihn verlieren. Sollen wir heiraten – oder uns scheiden lassen? Wie eröffnen wir unseren Kindern die Möglichkeiten, die sie sich erträumen und die sie verdienen? Leben heißt, solche Entscheidungen zu treffen.
Unsere Entscheidungen und wie wir mit ihnen umgehen machen uns zu den Menschen, die wir sind. Für hochrangige Politiker und für Nationen können sie den Unterschied bedeuten zwischen Krieg und Frieden, Armut und Wohlstand. Ich bin unendlich dankbar dafür, dass ich als Kind liebevoller und fürsorglicher Eltern in einem Land zur Welt kam, das mir alle Möglichkeiten und Segnungen bot – Faktoren außerhalb meiner Kontrolle, die die Bühne bereitet haben für das Leben, das ich geführt habe, und die mir die Werte und den Glauben mitgaben, zu denen ich mich bekenne.
Als ich als junge Anwältin beschloss, eine Karriere in Washington nicht weiterzuverfolgen, sondern stattdessen nach Arkansas zu ziehen, um Bill zu heiraten und eine Familie zu gründen, fragten mich Freundinnen und Freunde: „Bist du nicht mehr ganz bei Trost?“ Ähnliche Fragen bekam ich zu hören, als ich mich als First Lady für eine Reform des Gesundheitswesens starkmachte, später selbst für die Präsidentschaft kandidierte und schließlich das Angebot von Präsident Barack Obama annahm, unser Land als Außenministerin zu vertreten.
Wenn ich Entscheidungen treffe, höre ich dabei sowohl auf mein Herz als auch auf meinen Verstand. Ich folgte meinem Herzen nach Arkansas; mein Herz quoll über vor Liebe, als unsere Tochter Chelsea geboren wurde; und mein Herz schmerzte, als mein Vater und meine Mutter starben. Mein Verstand drängte mich, meine Ausbildung voranzutreiben und berufliche Chancen zu ergreifen. Herz und Verstand bewegten mich, öffentliche Ämter anzustreben.
Osama-Operation war einer der schwersten Befehle
Auf diesem ganzen Weg habe ich mich bemüht, Fehler nicht zweimal zu machen, dazuzulernen und mich weiterzuentwickeln; und ich habe darum gebetet, die Weisheit zu erlangen, künftig klügere Entscheidungen zu treffen. Was für das tägliche Leben gilt, gilt auch für die höchsten Ränge der Regierung. Wer dafür sorgen muss, dass Amerika sicher, stark und wohlhabend bleibt, wird vor eine endlose Abfolge von Entscheidungen gestellt, wobei oft nur unzureichende Informationen vorliegen und widerstreitende Notwendigkeiten zu berücksichtigen sind.
Das berühmteste Beispiel dafür aus meiner vierjährigen Amtszeit als Außenministerin ist vielleicht Präsident Obamas Befehl, ein Team von Navy SEALs in einer mondlosen Nacht nach Pakistan zu senden, um Osama bin Laden seiner gerechten Strafe zuzuführen. Die wichtigsten Berater des Präsidenten waren in dieser Sache geteilter Meinung. Die Informationen, die wir besaßen, waren triftig, aber alles andere als eindeutig. Die Risiken eines Fehlschlags waren beängstigend.
Es stand immens viel auf dem Spiel – für unsere nationale Sicherheit, unseren Kampf gegen al-Qaida und unsere Beziehungen zu Pakistan. Doch vor allem begaben sich die tapferen SEALs und Hubschrauberpiloten in unmittelbare Todesgefahr. Es war eine so energische und mutige Demonstration von Führungsstärke, wie ich sie selten erlebt habe. In diesem Buch geht es um Entscheidungen, die ich als Außenministerin traf, und um Entscheidungen, die Präsident Obama und ausländische Spitzenpolitiker aus aller Welt trafen.
Einige Kapitel handeln von Ereignissen, die Schlagzeilen machten, andere befassen sich eher mit langfristigen Entwicklungen, die auch für künftige Generationen unsere Welt bestimmen werden. Natürlich habe ich eine ganze Reihe wichtiger Entscheidungen, Personen, Länder und Ereignisse nicht erwähnt. Wenn ich ihnen allen den Platz eingeräumt hätte, den sie verdienen, hätte ich noch viel mehr Seiten gebraucht. Und ein weiteres Buch könnte ich füllen mit Würdigungen meiner großartigen Kollegen im State Department, für deren Dienste und Freundschaft ich überaus dankbar bin.
Als Außenministerin teilte ich unsere Entscheidungen und Herausforderungen in drei Kategorien ein: die Probleme, die wir geerbt hatten, darunter zwei Kriege und eine globale Finanzkrise; die neuen, oft unerwarteten Ereignisse und heraufziehenden Gefahren, von den Treibsänden des Nahen Ostens über die stürmischen Gewässer des Pazifiks bis hin zum unbekannten Terrain des Cyberspace; und schließlich die Möglichkeiten, die sich in einer zunehmend vernetzten Welt bieten und die dabei helfen können, das Fundament für die Vormachtstellung Amerikas im 21. Jahrhundert zu legen.
Ich ging diese Arbeit voller Vertrauen in die fortwährende Kraft und Entschlossenheit unseres Landes an, aber auch voller Demut, angesichts dessen, wie viel sich doch immer noch unserer Kenntnis und Kontrolle entzieht. Ich habe darauf hingearbeitet, die amerikanische Außenpolitik an dem neu auszurichten, was ich mit dem Begriff Smart Power bezeichnet habe.
Um im 21. Jahrhundert erfolgreich zu sein, müssen wir die traditionellen Werkzeuge der Außenpolitik – Diplomatie, Entwicklungshilfe und Militär – besser miteinander verzahnen, zugleich Energien und Ideen aus dem privaten Sektor aufnehmen und die Bürger – zumal jene Aktivisten, Organisatoren und Problemlöser, die wir unter dem Begriff der Zivilgesellschaft subsumieren- befähigen, sich ihren Herausforderungen selbst zu stellen und ihre Zukunft selbst zu gestalten.
Wir müssen alle Stärken Amerikas darauf verwenden, eine Welt aufzubauen, in der wir mehr Partner und weniger Widersacher haben, mehr geteilte Verantwortung und weniger Konflikte, mehr gute Arbeitsplätze und weniger Armut, mehr gesamtgesellschaftlichen Wohlstand und weniger Umweltschäden. Wie es im Nachhinein immer so ist, wünschte ich, wir könnten noch einmal zurückgehen und bestimmte Entscheidungen noch einmal überdenken. Ich bin aber doch stolz auf das, was wir geleistet haben.
Dieses Jahrhundert begann für unser Land auf traumatische Weise – mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001, mit den langen Kriegen, die darauf folgten, und mit einer tiefen Rezession. Wir mussten es besser machen, und ich glaube, das haben wir getan.
Diese Jahre waren für mich auch eine persönliche Reise, sowohl buchstäblich (ich besuchte insgesamt 112 Länder und legte fast eine Million Meilen zurück) als auch im übertragenen Sinne: vom schmerzlichen Ende meines Wahlkampfs 2008 bis hin zur unerwarteten Partnerschaft und Freundschaft mit meinem vormaligen Rivalen Barack Obama.
Es gibt immer noch Helden dort draußen
Ich diene unserem Land seit Jahrzehnten auf die eine oder andere Weise. Dennoch habe ich in meinen Jahren als Außenministerin noch sehr viel über unsere außergewöhnlichen Stärken dazugelernt und darüber, worauf es ankommen wird, damit wir auch künftig daheim und im Ausland im Wettbewerb bestehen und erfolgreich sein werden.
Ich hoffe, dieses Buch wird all jenen dienlich sein, die erfahren möchten, wofür Amerika zu Beginn des 21. Jahrhunderts stand und wie die Regierung Obama in einer schwierigen Zeit großen Herausforderungen entgegentrat. Meine Ansichten und Erlebnisse werden sicherlich von den Anhängern der Washingtoner Endlos-Soap – wer hat welche Position vertreten, wer hat sich wem widersetzt, wer war top, wer eher Flop – eingehend analysiert, doch für sie habe ich dieses Buch nicht geschrieben.
Ich habe es vielmehr für Amerikaner und Menschen überall geschrieben, die in unserer sich rapide ändernden Welt nach Orientierung suchen, die verstehen möchten, wie Politiker und Nationen zusammenwirken können, warum es manchmal zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen ihnen kommt und wie ihre Entscheidungen unser aller Leben beeinflussen: wie eine schwere Wirtschaftskrise in Athen, Griechenland sich auf Unternehmen in Athens, Georgia, auswirkt; welche Folgen eine Revolution in Kairo, Ägypten, für das Leben in Cairo, Illinois, hat; und was eine diplomatische Krise in St. Petersburg, Russland, für Familien in St. Petersburg, Florida, bedeutet.
Nicht jede Geschichte in diesem Buch geht glücklich aus oder hat überhaupt ein Ende – so ist es nun mal in der Welt, in der wir leben –, aber sie alle sind Geschichten über Menschen, von denen wir etwas lernen können, egal ob wir mit ihnen übereinstimmen oder nicht. Es gibt immer noch Helden dort draußen: Friedensstifter, die auch in aussichtslos erscheinender Lage durchhielten; Regierungschefs, die sich allem Druck und aller Parteipolitik widersetzten und schwere Entscheidungen trafen; Männer und Frauen, die den Mut aufbrachten, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, um eine neue, bessere Zukunft zu gestalten. Das sind einige der Geschichten, die ich in diesem Buch erzähle.
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Mehr über die politischen Erfahrungen von Hillary Clinton lesen Sie in ihrem neuen Buch "Entscheidungen", Droemer, 2014, München 944 S., 28,00€.
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