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Facebookdemokratie - Tunesiens Jugend will es wissen

Am 14. Januar 2011 stürzten die Tunesier Präsident Ben Ali. Drei Jahre, zwei politische Morde und eine Regierungskrise später ist die Stimmung am Mittelmeer auf dem Tiefpunkt. Die Jugend gibt dennoch nicht auf: In sozialen Netzwerken kandidieren junge Tunesier für Regierungsposten – politische Programme inklusive

Autoreninfo

Katharina Pfannkuch studierte Islamwissenschaft und Arabistik in Kiel, Leipzig, Dubai und Tunis. Sie veröffentlichte zwei Bücher über das islamische Finanzwesen und arbeitet seit 2012 als freie Journalistin. Neben Cicero Online schreibt sie u.a. auch für Die Welt, Deutsche Welle und Zeit Online.

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Emir Sfaxi ist 26 Jahre alt, diplomierter Software-Ingenieur und arbeitet im tunesischen Ministerium für Jugend und Sport. Sfaxi gehört keiner Partei an, ist aber ein leidenschaftlicher Bürgerrechtler. Seinen Chef, den amtierenden Staatssekretär Fethi Touzri, schätzt Sfaxi, doch wenn es nach dem 26-Jährigen geht, gibt es einiges zu verbessern: Kommunikationswege müssten verkürzt, der Zugang zu sportlichen Aktivitäten erleichtert werden. Jugendliche sollen verstärkt für Themen wie religiöser Extremismus und Terrorismus sensibilisiert und vor deren Gefahren gewarnt werden. Auch das Amt eines „Botschafters der Jugend“ würde Sfaxi schaffen, wenn er Minister für Jugend und Sport wäre. Genau für dieses Amt kandidiert er nun auch – auf Facebook.

Die 28-jährige Wiem Abichou sieht ihre Zukunft derweil im Industrieministerium: Ein Diplom als Industrie-Chemikerin hat Abichou bereits in der Tasche, derzeit absolviert sie ein Masterstudium in Sicherheitstechnik an einer belgischen Universität. Ganz oben auf ihrer politischen  Agenda stehen die zu verbessernde Nachhaltigkeit staatlicher Unternehmen, eine gerechtere Verteilung der Ressourcen und die rechtlichen Rahmenbedingungen des in Tunesien vernachlässigten Umweltschutzes. Auch Abichous Kandidatur ist auf Facebook zu finden.

Hunderte Kandidaturen junger Tunesier kursieren seit rund zwei Wochen in sozialen Netzwerken, vor allem auf Facebook finden sie Beachtung.

„Es ist wie eine Lawine“, sagt Tarek Cheniti noch immer überwältigt. Der 35-jährige Absolvent der Oxford University setzte diese Lawine an einem trüben Samstagmittag in Tunis in Gang – ohne zu ahnen, wie viele Landsleute seinem Beispiel folgen würden. Angefangen hat alles mit Chenitis Unzufriedenheit über die langsamen Fortschritte des Nationalen Dialoges, in dem die Übergangsregierung unter Führung der islamistischen Ennahda-Partei gemeinsam mit Opposition und Gewerkschaften seit vier Monaten nach einem Ausweg aus der politischen Krise sucht, die mit dem Mord an dem säkularen Oppositionspolitiker Mohamed Brahmi am 25. Juli ihren Anfang nahm.

Das Ende der Gespräche war für den 14. Dezember angesetzt – nach zahlreichen Verzögerungen seitens der amtierenden Ennahda-Regierung und der Opposition ist das Misstrauen der Tunesier jedoch groß. Auch Tarek Cheniti bezweifelte, dass zum Stichtag tatsächlich ein neuer Regierungschef verkündet würde, der das Land bis zu den Neuwahlen führen soll. „Also kündigte ich auf Facebook an, mit eigenem Programm für das Amt des Premierministers zu kandidieren, falls die Gespräche erneut scheitern“, erzählt Cheniti. Gesagt, getan: Pünktlich um 12 Uhr 45 veröffentlichte Cheniti seine Kandidatur in dem Netzwerk, stellte seinen Lebenslauf und seine politische Agenda vor und rief junge Tunesier auf, es ihm gleichzutun. „Bei allem Respekt vor der Erfahrung und den Leistungen der älteren Politiker: Tausende junge Tunesier werden aus dem politischen Diskurs völlig ausgeschlossen, obwohl sie die Fähigkeiten und vor allem das Recht haben, die Politik des Landes mitzugestalten“, ist Cheniti überzeugt.

Nur wenige Stunden nach Chenitis virtueller Kandidatur gaben die Sprecher des Nationalen Dialoges zwar bekannt, dass man sich nunmehr auf einen Übergangs-Premierminister geeinigt habe: Der 51-jährige parteilose Mehdi Jomaa, bisher Industrieminister, soll eine Expertenregierung bilden, die die noch immer ausstehende neue Verfassung Tunesiens verabschieden, eine Wahlbehörde gründen und schließlich einen Termin für Neuwahlen festlegen soll. Doch da war die virtuelle Lawine schon längst in Gang gesetzt, Chenitis Kandidatur und Aufruf verbreiteten sich rasend schnell im Internet, weitere junge, hochqualifizierte Tunesier folgten seinem Beispiel. Männer und Frauen, religiös und säkular – aus allen Richtungen kommen die Kandidaturen und Vorschläge für eine politische Neuordnung Tunesiens, ein Ende ist nicht abzusehen.

Die einen begnügen sich mit einer kurzen Statusmeldung, in der sie ihre Qualifizierung und das Amt erläutern, für das sie kandidieren, andere veröffentlichen aufwendig gestaltete Wahlkampfplakate. In eigens eingerichteten Gruppen werden die Kandidaten vorgestellt, ihre Programme diskutiert und kommentiert. „Hkoumetna“, Tunesisch für „unsere Regierung“, heißt eine der größten Seiten mit mittlerweile über 13.000 Fans.

Ein Name fällt dabei  immer wieder in den virtuellen Diskussionen: Sebastian Kurz. Der 27-Jährige, seit dem 16. Dezember Österreichs neuer Außenminister, ist ein Hoffnungsträger für die ambitionierten Tunesier, in deren Heimat junge Politiker Mangelware sind und ein Regierungschef unter 50 geradezu als utopisch gilt. „Es ist sehr schwierig, mit der Vorstellung zu brechen, dass nur ein potentieller >Vater der Nation< das Land führen könne“, erklärt Tarek Cheniti: „Das Klischee vom älteren Herren, der weiß, was gut für das Land und seine Kinder ist, aufzubrechen, gehört zu den wichtigsten Erfolgen unserer Kampagne“, sagt Cheniti und betont: „Auch junge Menschen und Frauen können ein Land führen“.

Tunesiens Jugend will es wieder wissen: Auf die Euphorie zu Beginn des sogenannten Arabischen Frühlings, der vor drei Jahren von dem kleinen Mittelmeerland aus die gesamte arabische Welt zu erfassen schien, folgte bittere Ernüchterung: Die konservative Ennahda-Partei versucht, Gesellschaft und Justiz zu islamisieren, radikale Salafisten gehören mittlerweile zum Straßenbild im einst so liberalen Tunesien. Die Wirtschaft schwächelt, die Arbeitslosigkeit ist hoch, Inflation und die instabile politische Lage führen zu immer neuen Herabstufungen durch internationale Ratingagenturen. Cheniti ist zwar überzeugt, dass es noch lange dauern wird, bis sich die Idee von jungen, innovativen Politikern auch in der breiten Masse der Bevölkerung durchsetzt. Doch er ist zuversichtlich: „Es gibt hier so viele begabte junge Menschen, die Tunesien früher oder später in die Richtung führen werden, die das Land verdient.“

„Facebook-Revolution“, das war eines der medialen Schlagworte, als im Frühjahr 2011 erst in Tunesien und dann in Ägypten die Diktaturen fielen – auch dank der virtuellen Mobilisierung tausender Demonstranten auf sozialen Netzwerken. Nun, drei Jahre später, erweisen sich genau diese Netzwerke erneut als politische Plattform und als Instrument der Demokratisierung. „Das ist es, was ich an sozialen Netzwerken so schätze“, erklärt Tarek Cheniti: „Sie ermöglichen es den Menschen, am politischen Leben und am öffentlichen Diskurs teilzuhaben, und ihre Meinung ohne Angst und frei auszudrücken. Das ist Demokratie für mich“.

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