- „Wir betreiben eine kranke Rettungspolitik“
Max Otte geht im Gespräch mit Cicero Online hart mit der Bundesregierung ins Gericht. Er attestiert ihr eine schizophrene Rettungspolitik und plädiert für einen raschen Austritt Griechenlands aus dem Euro
Herr Otte, Sie haben schon 1998 das Scheitern des Euro
vorausgesagt. 2006 vor dem großen Crash gewarnt. Heute geben Sie
der Eurokrise noch zwei bis drei Jahre und sehen keinen
Totalabsturz in Europa. Wie kommen Sie zu diesem
Sinneswandel?
Es gibt keinen Sinneswandel. Ein Totalabsturz ist nicht zu
erwarten. Das jetzige Drama wird uns noch zwei bis drei Jahre
begleiten. In dieser Zeit wird es keine dramatische Änderung in
irgendeine Richtung geben.
Was kommt dann nach den zwei, drei Jahren?
Entweder haben wir bis dahin die Inflation angeheizt. Das ist ja
Ziel der Notenbanken. Dann haben wir eine Preissteigerung in
Deutschland. Durch eine höhere Inflation in den Nordländern und
Deflation in den Südländern bekommen wir die Zahlungsbilanzdefizite
wieder in den Griff. Das sehen übrigens Hans-Werner Sinn und Thilo
Sarrazin ähnlich nüchtern. Oder wir bekommen die
Zahlungsbilanzsalden nicht in den Griff, dann kommen wir nicht drum
herum, Schuldenschnitte und eine Währungsreform durchzuführen.
[gallery:Eine kleine Geschichte des Euro]
Wie würde dann eine Währungsreform
aussehen?
Die politische Klasse weigert sich strikt
darüber nachzudenken. Sie hat überhaupt keine Pläne. Weil nicht
sein kann, was nicht sein darf. Insofern kann ich nicht einmal
skizzieren, wie eine solche Währungsreform aussieht.
Aktuell geht es in Brüssel wieder um weitere
Hilfsmilliarden für Griechenland. Das Land soll unbedingt im
Euroraum gehalten werden. Der richtige Weg?
Diese
ganze Diktion, wir müssten ein Auseinanderbrechen des Euro
verhindern, geht am eigentlichen Thema vorbei. Ich bin sofort
dafür, dass Griechenland aus der Eurozone ausscheidet, weil es
viele Freiheitsgrade eröffnet. Wir können dann trotzdem weiter
retten, aber sinnvoller. Wenn Griechenland aus dem Euro
ausscheidet, ist es ja kein Auseinanderbrechen. Da bröckelt nur ein
winziges Stückchen am Rande ab.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht das anders. Sie hält
den sogenannten Dominoeffekt entgegen, die Finanzmärkte fingen an,
gegen weitere südeuropäische Eurostaaten zu spekulieren mit dem
Ziel auch diese aus dem Euroraum zu verdrängen.
Diese
Behauptung ist völlig haltlos. Die Fakten sprechen dagegen.
Griechenland macht gerade einmal 2,6 Prozent des europäischen
Bruttoinlandprodukts aus. Wenn Griechenland ausscheidet, müssen
zwar einige Banken gerettet und rekapitalisiert werden. Natürlich
kostet das auch was. Wir haben dann aber nur einen Patienten in
Quarantäne und müssen nicht alle anderen Patienten mit demselben
starken Antibiotikum behandeln. Zur Zeit zeigt sich ein völlig
undifferenziertes Vorgehen, bei dem der schwächste Patient die
Politik der gesamten Eurozone bestimmt. Der Schwanz wackelt also
mit dem Hund. Und das einzige Argument heißt: Dominoeffekt.
Aber das Argument des unkalkulierbaren Dominoeffekts ist
doch nicht völlig aus der Luft gegriffen.
Nein das
nicht. Aber die politische Elite hat völlig undifferenziert auf den
Panikknopf gedrückt: Dominoeffekt, Flächenbrand ohne dass überhaupt
über Alternativen diskutiert wurde. Diese Begriffe gingen
reflexartig durch unser Parteienkartell.
Auf der folgenden Seite die Alternativen zur aktuellen Krisenpolitik
Auf den Straßen der Krisenländer formiert sich zunehmend
Widerstand gegen die deutsche Austeritätspolitik. Was gibt es denn
für Alternativen zum rigiden Sparkurs?
Der Widerstand gegen die deutsche Austeritätspolitik formiert sich
zu recht! Wir machen Austeritätspolitik für die Bevölkerungen und
eine generöse Vollversorgungspolitik für die Finanzbranche. Wie
krank kann das denn sein?
Die Alternative heißt selektiver Euro-Exit. Die Alternative ist Schuldenschnitte. Wenn man sich die momentane Sparpolitik in Griechenland, Portugal und Spanien anschaut, ist das Politik wie von unserem Reichskanzler Brüning in der Weimarer Republik. Ich verstehe schon, wenn ein Grieche sagt, das sei genauso wie damals nach dem Versailler Vertrag.
Zwischen der Eurogruppe um Jean-Claude Juncker und
Bundesfinanzminister Schäuble und der IWF-Chefin Christine Lagarde
ist es zum Streit gekommen. Der IWF fordert einen Schuldenschnitt
für Griechenland, damit es 2020 seine Schulden wieder bedienen
kann. Die Eurogruppe will Griechenland lieber mehr Zeit geben bis
2022 und um jeden Preis einen Schuldenschnitt
vermeiden.
Das ist doch ein schlechter Witz! Das ist
eine politische Inszenierung, um die Masse zu verblöden. Eine echte
Alternative wäre, wir geben Griechenland jetzt noch ein Jahr oder
Griechenland verlässt die Eurozone. Aber doch nicht die Frage ob
acht oder zehn Jahre. Das ist doch lächerlich. Was ist denn das für
ein Streit? Das ist ein so durchschaubares Ablenkungsmanöver von
den wahren Fragen, dass es durchschaubarer gar nicht sein kann. Die
ganzen Prognosen für Griechenland seitens der OECD und des IWF vor
zwei Jahren waren doch völlig falsch. Die haben gesagt, jetzt
sparen wir rigoros und in zwei Jahren ist der Haushalt wieder
ausgeglichen. Lächerlich! Das war ein Gefälligkeitsgutachten. Man
wusste doch schon, wenn man fiskalpolitisch so auf die Bremse
tritt, dass das Land absäuft.
[gallery:Die Finanzkrise]
Griechenland wird von der Troika aus Kommission, IWF und
EZB die nächste Tranche von 31,5 Milliarden Euro erst ausgezahlt
bekommen, wenn der Streit oder wie Sie meinen Scheinstreit
beigelegt ist. Rechnen Sie darüber hinaus mit weiteren Hilfspaketen
für die Hellenische Republik?
Natürlich. Das war jedes mal so. Die politische Klasse will das,
die Investmentbanken wollen das, alle wollen das. Man wird immer
eine weitere Ausrede finden um die Gläubiger zu subventionieren.
Wir retten ja nicht Griechenland, wir retten in Griechenland die
Gläubiger. Wir retten die griechischen Oligarchen, die korrupten
sieben, acht Familien, die das Land beherrschen und
wiederum Eigentümer der griechischen Banken sind. Dies geht auf
Kosten der griechischen Bürger und auf Kosten der Bürger des
Nordens. Von einer Rettung Griechenlands zu sprechen, geht fehl. Es
ist eine propagandistische Verzerrung dessen, was wir tun. In
Thessaloniki geben griechischen Familien ihre Kinder inzwischen an
Waisenhäuser, weil sie sich den Unterhalt nicht mehr leisten
können. Das ist ganz grausam, was wir da machen und es ist auf
keine Fall Rettung. Und das wird immer so weiter gehen, so lange
bis Deutschland nicht mehr kann. Das aber dauert noch ein
bisschen.
Aus einem Entwurf des Berichts der Troika geht hervor,
dass Griechenland bis ins erste Quartal 2014 flächendeckend seine
öffentliche Daseinsvorsorge privatisieren soll. Ist das die
richtige Strategie gegen die Krise?
Nein. Wieder wird
die Investmentbank Goldman Sachs davon profitieren oder wer immer
den Auftrag dafür bekommt. Wieder nehmen wir ein Stück öffentliches
Gut weg, privatisieren und stärken die Macht der großen
Finanzmarktakteure.
Auf der folgenden Seite: Die Alibi-Veranstaltung der politischen Elite
Am 1. Januar 2013 kommt nun der permanente
Rettungsschirm ESM. Zusammen mit den Anleihenkäufen der EZB
scheinen diese Instrumente ein Mittel gegen die spekulierenden
Finanzmärkte zu sein. Ist das nicht der Ausweg?
Nein.
Natürlich kann man so argumentieren, wir bekämpfen mit den
Maßnahmen die Spekulation und dann haben wir nicht mehr die unfair
hohen Zinsen. Das ist aber nur ein übergelagerter Effekt. Die
Basis, dass der Süden zu wenig arbeitet und zu hohe Preise hat und
damit nicht wettbewerbsfähig ist, bleibt von den Kriseninstrumenten
unberührt. Der Süden wird immer ein Außenhandelsdefizit haben und
der Norden einen Überschuss. Daher ist es sinnvoll, die
krisenhaften Staaten aus dem Euroraum zu entlassen.
Die Konsequenz ist doch dann der sogenannte Nord-Euro.
Ist das nicht ein Hindernis für eine weitere europäische
Integration?
Den von Hans-Olaf Henkel propagierten
Nord-Euro halte ich für ökonomisch machbar, politisch aber für
ausgeschlossen. Er würde die Achse Deutschland-Frankreich kaputt
machen. Das darf nicht passieren. Ich bin selbst ein glühender
Europäer. Aber was wir in den Blick nehmen müssen und da liege ich
mit Henkel, Sarrazin und Sinn auf einer Linie, sind die selektiven
Exits, dieses „Europa à la carte“. Das wäre die Lösung.
[gallery:Die Chronik der globalen Finanzkrise]
Was meinen Sie genau mit selektiven Exits und dem
„Europa à la carte“?
Man kann sich in diesem Konzept
selektiv an Integrationsschritten beteiligen oder auch nicht.
Nach diesem Konzept wäre Griechenland Teil der
Europäischen Union aber nicht Teil der Eurozone.
Richtig. Die restlichen Nicht-Eurozonenländer kommen auch ganz gut
damit klar.
Der Trend geht doch aber dahin, dass Länder wie Polen
oder Litauen, den Euro einführen wollen trotz Finanz- und
Wirtschaftskrise.
Weil die Finanzlobby das will. Ich
finde, der Euro ist unterm Strich für die Bürger nicht hilfreich
gewesen. Es gibt zwar ein paar Vorteile, aber auch erhebliche
Nachteile. Die Gesamtbilanz ist für mich negativ.
In der grassierenden Finanz- und Wirtschaftskrise hat
sich immer mehr ein Schattenbanksystem aus Hedge Fonds und
finanziellen Zweckgesellschaften etabliert. Sie halten inzwischen
einen Vermögenswert von 50 Billionen Euro. Warum versagt die
internationale Finanzaufsicht so fundamental, den Finanzmarkt zu
regulieren?
Die Aufsicht hat nicht versagt. Sie hat
nur ein sehr begrenztes Mandat. Die starken Akteure haben die
Finanzaufsicht für ihre eigenen Zwecke eingespannt. Die Politik ist
in diesem Bereich dysfunktional. Die Finanzmarktakteure kaufen sich
die Politiker. Bestes Beispiel ist Otmar Issing: Hoch angesehen und
respektabel wird „International Advisor“ von Goldman Sachs und von
dort aus wird er zum Chef der Finanzmarkreformkommission der
Bundesregierung berufen. Das sagt alles.
Sind die Politiker der Eurozone so machtlos, wenn die
USA und Großbritannien in der Finanzmarktregulierung nicht
mitziehen wollen?
Es sind vor allem die starken
Finanzmarktakteure. Da hat sich eine sehr starke Koalition
gebildet. Der amerikanische Verfassungsrichter Louis Brandeis
nannte das 1912, vor genau 100 Jahren, in seinem Buch „Das Geld
anderer Leute“ Finanzoligarchie. Da ist ein bisschen was dran. Ein
Machtgeflecht, was extremen Einfluss hat und die Regeln nach
eigenem Gusto beeinflusst.
Das heißt die europäischen Politiker suchen sich andere
Felder, um wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum zu
demonstrieren?
Nehmen Sie Peer Steinbrück. Der will
die Deutsche Bank zerschlagen. Darüber kann man freilich
diskutieren. Auch, dass er mit seiner Kavallerie gegen die Schweiz
reiten will, ist gut und schön, aber im gleichen Moment vergisst er
Jersey, Guernsey, Delaware und die City of London. Die Politik
sucht sich auch die Gegner, die man bewältigen kann, aber wenn sie
das nicht konsequent und konsistent macht, dann hat sie ein
Problem.
Zum Schluss, was ist denn Ihre Prognose für
Europa?
Die ist nicht so spektakulär. Die
Finanzmarktakteure sitzen fest im Sattel und zumindest in den
nächsten zwei, drei Jahren sehe ich ein Weiterwurschteln wie
bisher.
Herr Otte, vielen Dank für das Gespräch.
Max Otte ist Inhaber einer Professur für quantitative und qualitative Unternehmensanalyse am Zentrum für Entrepreneurship und angewandte Betriebswirtschaftslehre der Universität Graz
Das Interview führte Daniel Martienssen
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