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Zsófia Báns „Abendschule“ - Eine Fibel für Erwachsene

Zsófia Báns „Abendschule” zeigt: Lernen ist zwar meist zwecklos, aber nicht unbedingt sinnlos

Autoreninfo

Strigl, Daniela

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Wenn eine renommierte Kunstkritikerin mit fünfzig ihr literarisches Debüt gibt, dann kann man annehmen, dass sie etwas zu sagen hat. Und wirklich: Ein solches Buch wie Zsófia Báns „Abendschule” kommt einem nicht alle Tage unter.

Die Abendschule ist bekanntlich eine Institution für Leute, die das Versäumte ihrer Kindheit nachholen müssen. Irgendwie aber schwingt im Wort auch der Lebensabend mit, Lernen bei Sonnenuntergang. Und wozu? Lernen, das lernt man bei dieser Lektüre jedenfalls, ist meistens zwecklos, jedoch nicht unbedingt sinnlos. Der Unterschied zwischen der „Fähigkeit, das Nohau weiterzugeben”, und der Fähigkeit, es anzuwenden, entscheidet mitunter über Leben und Tod. Weshalb auch Lehrpersonen spektakulär scheitern können, etwa wenn sie einer Schülerin einen Textvorschlag machen wie diesen: „Die Kutteln stehen auf dem Rechaud, mein Teuerster, du musst sie nur warm machen. Baba. Wenn mich jemand sucht, ich bin ficken gegangen.”

Man sieht: Dies ist in der Tat eine Fibel für Erwachsene, denen erst recht darum zu tun sein muss, nicht für die Schule, sondern fürs Leben zu lernen. Sie enthält, wie es sich gehört, Geschichten, feinsäuberlich nach Fächern aufgefächert, von „Geographie – Geschichte” bis „Ungarische Literatur”. Ein gewisses Wissen wird dabei vorausgesetzt – zum Beispiel, dass die vier Pingpong-Spieler im Fach „Chemie – Leibesertüchtigung” vor der Folie der Goethe’schen „Wahlverwandtschaften” agieren.

Vielleicht hätte Zsófia Bán zur Eröffnung einen anderen Text wählen sollen als gerade „Woist Mama”, eine sehr verquere Parabel um eine zur Entmaterialisierung neigende Dorfmama, die ihrem Kind (dem Dorf) beibringt, wie man scharlachrote Buchstaben und gelbe Sterne mit Würde trägt. Andere Geschichten hätten die Tür in diese seltsam verschlungene und gefährlich strotzende Welt wohl einladender geöffnet. Zum Beispiel „Gustave und Maxime in Ägypten”, in der Flaubert und sein Freund Du Camp erkennen müssen: „Der größte Feind der Freundschaft ist das Reisen. Oder nicht. Aber wenn ja, dann sehr.” Oder die von Frida Kahlos buchstäblich offenherzigem Bild inspi­rierte Erzählung „Die zwei Fridas”, deren Untertitel „Schule jenseits der Grenze” wiederum auf Géza Ottliks Roman „Die Schule an der Grenze” (1959) anspielt und konkret die Militär-Unterrealschule in Köszeg/Güns an der ungarisch-österreichischen Grenze meint. Aus diesem Grenzgebiet stammt auch die Übersetzerin Terézia Mora, und das merkt man, trotz Berliner Sedimenten. Man merkt aber auch, dass es ihr ein höllisches Vergnügen bereitet, mit der Autorin die Grenze der Konvention zu überschreiten, mit ihr in die Freiheit, ja, Willkür der Phantasie, der musikalischen Rede, der Worterfindung zu stürmen.

Mit ihren mehrsprachigen didaktischen Einschüben und den zum Ausschneiden bestimmten Fragen am Kapitelende ist diese Fibel wie ein Arbeitsbuch gestaltet. Die Fragen lauten etwa: „Hand aufs Herz: wäschst du dir vor Operationen immer die Hände?” Oder: „Berechne, wie viele Engel Platz auf einem Stecknadelkopf haben, wenn ein Engel ca. 45 mm groß und ungläubig ist!” Und weil uns das Erscheinungsbild der Bastelarbeit überzeugt, lassen wir uns auch gefallen, dass elf Buchseiten verkehrt herum zu lesen sind. Schließlich betrifft dies „Eine Kiste mit Fotografien (auf die Rückseiten geschrieben)”. Aber dann heißt es mittendrin, das Buch wieder umdrehen – also wohl doch ein Buchbindefehler? Falsch gebunden, falsch verbunden? Macht nichts. Die Bilder, die der Ich-Erzähler aus der Kiste fischt, zeigen Jolika, die schöne Hutmacherin, seine Frau, die in ihrem Sinn für Eleganz der „Woist Mama” ähnelt: Den gelben Stern kann man wirklich nicht in der Oper tragen! So dezent sind die historischen Hinweise der Jüdin Zsófia Bán.

Ob sie in „Nachtzoo” von der verhinderten erotischen Begegnung zweier Frauen unter den wachsamen Augen der Diktatur erzählt oder von der verpatzten Weihnachtsbekehrung der Lehrerin Aranka Fuchs im Hauptpostamt: Die Autorin, in Brasilien geboren und aufgewachsen, spürt die Exotik des Dschungels genauso auf wie die des kommunistischen Ungarn. Dieses Buch ist nichts für eilige Leser, doch wer Zsófia Báns frechem, durchdringenden Blick auf die Welt folgt, wird sich erquickt finden. Ihre Erzähltheorie legt sie, in schönster Gogol’scher Tradition, übrigens ausgerechnet der Hündin Lajka in den Mund, der unfreiwilligen Heldin der sowjetischen Raumfahrt: „Dass es keine Erklärung gibt, bedeutet nicht, dass es auch keinen Sinn gäbe!” – „Gewöhnt euch also an die schwere Freiheit, an die wunderbar schwierige Aufgabe der Interpretation.” Damit haben dann gottlob auch wir Leser ­unsere Haus­aufgabe.

Zsófia Bán
Abendschule. Fibel für Erwachsene
Aus dem Ungarischen von Terézia Mora

Suhrkamp, Berlin 2012
239 S., 22,95 €

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