- Klassenkampf in der Wolke
Während wir unsere Daten in die globale Datenwolke geben, kommen die staatlichen Schutzmechanismen nicht mehr hinterher. Es droht eine Cloud der zwei Klassen. Aber was ist eigentlich Cloud Computing?
Lieutenant Thomas Hobbes dämmert im Wachkoma vor sich hin. Allerlei Kabel hängen an ihm herab und bahnen sich ihren Weg entlang der Schädeldecke in kleine Öffnungen hinein. Unter der Kontrolle einer grauen Eminenz muss Hobbes in der virtuellen Realität namens HARSH REALM das Böse in Form eines ziemlich echten Terroristen besiegen. Die Weltensimulation droht im Chaos zu versinken – und das hätte reale Folgen.
Was in der Serie HARSH REALM aus den neunziger Jahren als fantastische Nahrungsergänzung zum realen Platzen der ersten Internetblase gereicht wurde, kommt unserer Gegenwart immer näher. Unter dem wenig alarmierenden Begriff der digitalen Wolke erleben wir die Verlagerung sämtlicher Daten in den globalen Äther namens Internet. Längst hat das Thema eine breite Öffentlichkeit erreicht. Innenminister Hans-Peter Friedrich fordert gar eine Bundescloud für sensible Behördendokumente. Frankreich hat schon eine.
Doch die Schutzreflexe auf nationalstaatlicher Ebene lassen den Verbraucherschutz im globalisierten Wolkenheim außer Acht. Es droht eine Cloud der zwei Klassen.
Ursprünglich als Reizwort für schlaue Betriebswirte belächelt, leiten Datenwolken den zweiten großen Entwicklungsschub des digitalen Zeitalters ein. Vormals konnte der Heimrechner auch etwas Internet, nun werden Immobilien nach ihrer Entfernung zum nächsten Einwahlpunkt bewertet und Unternehmen lösen ihre topologischen Strukturen auf. Jeder, der Mails bei Google abruft, soziale Netzwerke nutzt oder auch nur den Bibliotheksrechner nach Standorten durchsucht, bewegt sich irgendwie in der Cloud. Aus dem Nachgedanken der Generation „internetfähiger“ Geräte wird die kollektive Einswerdung an der Leitung, wie immer begleitet von den düsteren Warnungen der Datenschützer. Aber was ist Cloud Computing eigentlich? Segen oder Unheil?
Der Begriff geht auf das Jahr 1989 zurück, als das Unternehmen Eastman Kodak einen großen Teil der IT an Partnerunternehmen wie IBM delegierte. Was mittlerweile als Outsourcing in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen ist, erzeugte damals jede Menge Aufmerksamkeit und erlaubte Kodak die Entlassung vieler hundert Mitarbeiter bei gleichzeitiger Vereinfachung der Strukturen. Aus unternehmerischer Sicht eine weise Entscheidung. Seither geht der Trend in der Datenverarbeitung zurück zu massiven Zentralcomputern und Rechenzentren, deren gebündelte Kraft als Dienstleistung für Kunden aus aller Welt zur Verfügung steht – die Cloud. Ein Wort, so harmlos wie irreführend. Die Marketingabteilung bedankt sich.
Was anfänglich nur Unternehmen betraf, hat mit der globalen Verfügbarkeit von Breitband jetzt den Konsumenten erreicht. Endgeräte wie Spielkonsolen, Arbeitsrechner und Smartphones stehen in ständiger Verbindung zur Wolke und werden von dort mit Daten versorgt. Neben der IT-Auslagerung entsteht der andere große Bereich der Datenwolke – konsumentengerechte Anwendungen wie Facebook oder Google Docs gehören auch zur Cloud, laufen statt auf der Festplatte im Browserfenster. Aber zwischen dem Milliardengeschäft mit der sicheren IT-Infrastruktur und den oftmals umsonst angebotenen Diensten in der sogenannten Public Cloud vollzieht sich eine qualitative Demarkationslinie. Verbraucherschutz Fehlanzeige.
Warum die Technologiegläubigkeit für alle riskant ist
„Es gibt zwar rechtliche Vorschriften, dass datenschutzrelevante Daten nicht außerhalb der EU abgespeichert werden dürfen“, erklärt Torsten Eymann, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Uni Bayreuth. „Der Konsument muss sich auf solche verbraucherrechtlichen Vorschriften aber blind verlassen, bleibt ansonsten in der Nebelwolke“. Facebook zieht dieser Tage mit einem Teil seiner europäischen Nutzerdaten nach Schweden um, erklärt dies aber nicht weiter. Spiegelungen der Daten wird es weiterhin in den USA geben. Während Konsumenten im Dunkeln tappen, können Unternehmen von Cloudanbietern höchste Transparenz und klare vertragliche Regelungen erwarten.
Doch auch das schützt nicht vor Hackerangriffen, die neue Technologiegläubigkeit bleibt für alle riskant. Laut einer Umfrage im Auftrag der Telekom haben ein Drittel der deutschen Unternehmen bereits Firmengeheimnisse durch Hacks verloren. Firmengeheimnisse, das sind auch die Datenspuren des Gelegenheitsnutzers. „Es gibt eigentlich nur die Variante des mündigen Konsumenten, der so wenig Daten wie möglich herausgibt. Von rechtlicher Seite kann der Wettlauf gegen den technologischen Fortschritt nicht gewonnen werden.“, resümiert Eymann. Um Cloud Computing als Wirtschaftsbereich zu etablieren, muss schnell das Mißtrauen der Kunden getilgt werden. Der Branchenverband BITKOM fordert eine deutsche Standortpolitik, das Bundesministerium BSI bemüht sich um Sicherheitsempfehlungen für hiesige Cloudanbieter. Für den Konsumenten von Billigdiensten in der Wolke ist das wenig hilfreich.
Die Strukturen der Clouddienste sind undurchsichtig und Anbieter von Speicherplatz und Plattformen gibt es tatsächlich verhältnismäßig wenige. Ein großer Player ist dabei Amazon mit schätzungsweise einer halben Million Servern weltweit. Unzählige Anwendungen wie Dropbox oder Soundcloud wiederum mieten sich in der Wolke des Versandhausgiganten ein. Startups schießen aus dem digitalen Boden, der von einer Hand voll Unternehmen bereitgestellt wird. Es gilt die Faustregel: Was casual aussieht, bietet häufig auch das entsprechend lässige Sicherheitsniveau. Der Onlinespeicherdienst Dropbox hat das Datagate schon hinter sich. Wie sich im vergangenen Jahr herausstellte, konnten die Mitarbeiter des Unternehmens aus San Francisco in den privaten Daten der Nutzer herumwühlen, obwohl dies in den Geschäftsbestimmungen ausdrücklich verneint wurde. Eine eklatante Lüge also.
Ein Supercomputer für Max Mustermann
Auf ein Statement zu den Datenschutzbestimmungen warten die Nutzer von Apples Dienst iCloud seit Monaten. Bisher ist unklar, inwiefern Apple die anvertrauten Daten verschlüsselt oder der US-Regierung zugänglich machen könnte. Trotz dieser Fingerzeige auf datenschutztechnische Delinquenten geht das Geschäft mit der Wolke unaufhörlich weiter, die Empörung verpufft irgendwo zwischen den Tweets der Netzaktivisten. Deshalb wird es Zeit für internationalen Verbraucherschutz, so etwas wie die Gewerkschaft der User.
Bei aller Schwarzmalerei – Datenwolken sorgen für mehr Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit in der IT. Ressourcen werden optimal verteilt. „Wir gehen davon aus, dass derzeit nur etwa 5% der Leistung von Desktops und ungefähr 20% der Leistung von Rechenzentren in Unternehmen genutzt werden. Cloud Computing löst dieses Problem über das Pooling von Leistung“, erklärt Professor Eymann.
Unternehmen erhalten die benötigte Rechenleistung von den Anbietern auf das Kilowatt genau. Wenn beispielsweise im Institut für Meeresbiologie nachts das Licht ausgeht, dümpeln die hauseigenen Server nicht länger herum oder arbeiten gar im Leerlauf. Die vorher für das Kleinunternehmen reservierte Rechenleistung wird im entfernten Serverpark nahtlos mit den Aufgaben anderer Kunden gefüttert – die physikalische Einheit des Rechners ist keine entscheidende Größe mehr. Die digitale Wolke ist verformbar, elastisch, wächst und schrumpft je nach Bedarf. So können sich unabhängige Forscher mal eben für ein paar Minuten einen Supercomputer leisten. Die sogenannte dynamische Bedarfsanpassung ist ein wichtiges Merkmal von Cloud Computing.
Steht mit der IT-Auslagerung jetzt der kollektive Exodus der Systemadministratoren bevor? „Nein“, entwarnt Professor Eymann. „In den Neunzigern hat sogar die Deutsche Bank es übertrieben, als sie fast die gesamte IT an IBM auslagerte. Beinahe hätte das kleine bei der Deutschen Bank verbliebene Team die Kontrolle über den Tanker verloren.“ Die Phase des Übermuts ist überwunden.
An Problemen mangelt es indes nicht, gegen die Apologeten der Cloud kann man einwenden: Wenn das Netz einer Weltensimulation gleicht, wo ist dann die Entsprechung der staatlichen Verfasstheit? Bahnt sich auf dem Weg in die Wolke unbemerkt an, wovon wir bisher in der Vergangenheitsform reden – die Tyrannei, das zentralisierte Herrschaftssystem, ein Absolutismus der Datenhäuser von und zu Einsnullingen? Kein Zufall, dass der Held in der Serie den Namen des großen Staatstheoretiker Thomas Hobbes trägt. In seiner Lehre ist individuelle Souveränität die Zündkerze der Demokratie.
Zwei Lesarten der digitalen Gesellschaft im Wolkenheim. Irgendwo dazwischen liegt die Wahrheit.
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