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(picture alliance) Das gute, alte Zeitunglesen: Bald von vorgestern?

Zeitungssterben - Warum wir Papierpresse noch brauchen

Die deutsche Printpresse befindet sich gerade im Todeskampf – und die Onlinewelt schaut hämisch zu. Dass Papierjournalismus komplett verschwindet, so weit darf es nicht kommen, denn bislang erfüllt nur er die gesellschaftlich wichtige Kritik- und Kontrollfunktion

Als Wolfgang Riepl 1913 seine Doktorarbeit über die menschliche Kommunikation seit der Römerzeit schrieb, da war die Welt gerade in einem tiefen Umbruch. Die ersten Filme ratterten über die Leinwand, Telegrafie-Botschaften flogen drahtlos über den Atlantik – die Geburt des Rundfunks. Riepl, damals Chefredakteur der Nürnberger Zeitung, hätte angesichts dieser Neuerungen allen Grund gehabt, sich um die Zukunft seiner Branche zu sorgen.

Tatsächlich aber kam er zur gegenteiligen Erkenntnis: Die ältesten Formen der Mediennutzung, wenn sie nur ausreichend erprobt und eingebürgert seien, würden niemals verdrängt werden, auch wenn der Fortschritt ein neueres, höher entwickeltes Nachrichtenmedium hervorbringe. Und tatsächlich: Die gute alte Tageszeitung, erfunden um 1650 in Leipzig, überlebte – trotz Hörfunk, Film und Fernsehen.

Heute, ein Jahrhundert nach Riepl, ist die Welt wieder im Umbruch. Wenn aber über die digitale Revolution diskutiert wird, zitieren Medienvertreter und Netzaktivisten gern dieses „Riepl’sche Gesetz“. Demnach werde mit dem Internet auch nicht die Tageszeitung verschwinden. Diese Annahme hat nur einen Haken: Das Internet ist nämlich nicht einfach nur ein neues Medium, also ein Kanal, über den Botschaften verbreitet werden. Es ist vielmehr ein Saugfilter, der alles aufnimmt, was es an traditionellen Medien bisher gab: Radio, Fernsehen, Internet. Hinzu kommen neue Formen des Peer-to-peer, Bloggens, Crowdsourcing, Selbstdrehens. Es ist also nicht einfach nur ein moderneres Nachrichtenmedium, es ist das Überall-Medium schlechthin.

Und da sieht es plötzlich ganz düster für die Tageszeitungen aus.

Wenn der bundesdeutsche Journalismus in diesem Monat seinen 50. Geburtstag feiert, mag man nicht nur glauben, dass Riepl Recht gehabt hat, was die gute alte Papierpresse betrifft. Man könnte sogar geneigt sein zu glauben, dass es diese Gattung war, die in Deutschland die Meinungsfreiheit am stärksten vorangetrieben hat.

Aber der Reihe nach: Die freie Presse, die die Deutschen so lieben lernten, manifestierte sich in der Spiegel-Affäre im Oktober 1962. Damals hinterfragten sieben Redakteure die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr – und wanderten ins Gefängnis. Der Vorwurf: Landesverrat. Zu Unrecht, wie sich später herausstellte. In den darauffolgenden Jahrzehnten deckten Zeitungen und Zeitschriften immer wieder Skandale auf oder sahen sich dem Druck von Behörden ausgesetzt. Sei es, als Hans Leyendecker die Flick-Affäre entwirrte, später bei der Süddeutschen Zeitung die CDU-Schwarzkonten aushob, als die Bild-Zeitung die Bonusmeilen-Praxis zahlreicher Politiker anprangerte oder als die Redaktionsräume des Cicero durchsucht wurden, weil das Magazin aus vertraulichen Akten des Bundeskriminalamts zitiert hatte: Oft lösten diese Medienberichte politische Erdbeben aus, führten zu Rücktritten oder Untersuchungsausschüssen. Auch im Regionalen – dort, wo die Sichtbarkeit zwar nicht so groß, die demokratische Kontrolle aber genauso wichtig ist – übte die Presse jahrzehntelang eine Wächterrolle aus.

Wäre Wolfgang Riepl heute noch am Leben, wäre er wohl entsetzt über die Vorgänge bei seinem früheren Blatt, der Nürnberger Zeitung. Diese nämlich ist in ärgsten Finanznöten, Werbe- und Verkaufszahlen schrumpfen seit Jahren. Bis zum Jahresende will der Verlag nun ein Fünftel der Redakteursstellen abbauen.

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Hätte Riepl die jüngsten Meldungen vom Medienmarkt verfolgt, würde ihm sein Gesetz wohl Kopfzerbrechen bereiten. Ein kurzer Rückblick:

20. Juni: Der Kölner Verlag DuMont Schauberg erwägt einen Verkauf der Frankfurter Rundschau (FR). Das krisengeschüttelte Blatt werde auch 2013 rote Zahlen schreiben, heißt es aus der Konzernleitung. Die FR ist seit Jahren in der Verlustzone, Teile des Blattes werden von der konzerneigenen Berliner Zeitung bestückt.

25. Juli: Statistiker vermelden einen alarmierenden Abwärtstrend der Tageszeitungen. Im Vergleich zum Vorjahr schrumpft die bundesweite Leserschaft um rund eine Million auf 48 Millionen, wie die Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse berichtet. Dramatisch ist die Lage bei den regionalen Zeitungen, die zweistellige Verluste einfahren. Doch auch überregionale Blätter wie die Financial Times Deutschland (minus elf Prozent) und das Handelsblatt (minus sechs Prozent) befinden sich im freien Fall.

28. Juli: Die Financial Times Deutschland verkündet ihre Pläne zur Ausdünnung. Schrittweise soll die wochentägliche Ausgabe ins Netz verschwinden. Übrig bliebe dann nur noch eine Wochenzeitung.

20. September: Der Berliner Verlag verkündet einen Stellenabbau bei einem Anzeigenblatt. Nach Gewerkschaftsangaben sind beim Berliner Abendblatt, dem Berliner Kurier und der Berliner Zeitung 50 Arbeitsplätze bedroht.

29. September: Deutschlands älteste Straßenzeitung, das Nürnberger Abendblatt, erscheint nach 93 Jahren zum letzten Mal. Die Münchner Abendzeitung hatte das Blatt schon 2010 verkauft, zuletzt kam es auf eine Auflage von nur noch 14.000 Stück.

2. Oktober: Die Nachrichtenagentur „dapd“ gibt ihre Zahlungsunfähigkeit bekannt. Acht Gesellschaften von Deutschlands zweitgrößter Presseagentur stellen einen Insolvenzantrag. Das Unternehmen konnte seinen Mitarbeitern nicht einmal mehr die September-Gehälter überweisen. „Dapd“ beliefert täglich Dutzende Regionalzeitungen mit Nachrichten.

6. Oktober: Die linke Tageszeitung Junge Welt wendet sich mit einem Rettungsappell an die Leserschaft. Die Existenz der Zeitung (Auflage: 17.000 Stück) sei gefährdet, wenn sich nicht schnell weitere Abonnenten finden. Das Minus seit Jahresbeginn beläuft sich auf 100.000 Euro.

Seite 2: Immer weniger Journalisten füttern immer mehr Medienprodukte

Doch der Trend ist nicht auf Deutschland beschränkt. Im Ausland ist die Lage zum Teil noch dramatischer:

29. September: In New Orleans in den USA erscheint die letzte reguläre Ausgabe der Times-Picayune. Die Zeitung verlagert sich ins Internet, nur noch dreimal wöchentlich gibt es eine gedruckte Version, 200 Redakteure sollen entlassen werden. New Orleans ist nun die größte US-Stadt ohne Tageszeitung. Die Times-Picayune hatte während des Hurrikans „Katrina“ spektakuläre Details berichtet und dafür 2006 den Pulitzer Preis erhalten.

Die Webseite newspaperdeathwatch.com dokumentiert das Zeitungssterben in den USA. Seit März 2007 sind demnach 14 Blätter verschwunden. Auch renommierte Metropolzeitungen stecken tief in der Krise: die Chicago Tribune, die Los Angeles Times, sogar die Washington Post. 2009 stand die New York Times vorm Abgrund. Als Retter eilte ausgerechnet ein großzügiger mexikanischer Milliardär herbei – Carlos Slim.

10. Oktober: Die spanische El País verkündet einen radikalen Sparkurs. Etwa jede dritte Stelle wird gestrichen, die Gehälter verringern sich um 15 Prozent. Im zweiten Quartal betrug der Verlust 53 Millionen Euro.

Natürlich mag es für jeden dieser Fälle zahlreiche Gründe geben: überholte Geschäftsmodelle, die Wirtschafts- und Finanzkrise. Fehlspekulationen und Missmanagement, könnte man mit Blick auf die Presseagentur „dapd“ ergänzen.

Sind das alles Zufälle? Unvermeidliche Marktbereinigungen?

Eines ist es jedenfalls nicht: mangelnde Nachfrage. Denn während die oben zitierte Media Analyse nur die Leser der gedruckten Zeitungen erfasst, hat die Zeitungs Marketing Gesellschaft Ende September alle Vertriebsformen gezählt, also auch die im Netz. Und siehe da: Fast 80 Prozent der Deutschen – 55,7 Millionen – lesen demnach Zeitung.

Riepl würde lachen und sagen: Na also, ich habe Recht gehabt! Guter Journalismus findet nach wie vor reißenden Absatz!

[gallery:Crash-Kurs der lokalen Sprachkultur]

Allerdings – und hier kommt das Problem – nicht mehr auf dem Papier. Ein Fünftel der Nutzer liest Nachrichten nur noch online. Es sind vor allem die jüngeren Menschen, die mit dem Internet aufwachsen, für die soziale Netzwerke und Wikipedia Alltag sind. Sie verzichten schon heute weitgehend auf Abonnements. Wenn die zeitungslosen Jungen älter werden und die gesellschaftliche Mehrheit stellen, wird es für die Printhäuser, die heute noch auf die alten Kohorten setzen, ganz eng. Dann könnte das Internet tatsächlich der Totengräber der Printpresse sein.

Und das wäre dann schlimm, wenn sich der Trend des letzten Jahrzehnts in der Branche so fortsetzt: immer mehr Medien, immer mehr Bling-Bling, aber immer weniger Menschen, die das auch bestücken, die Inhalte liefern. Im Jahr 2000 gab es noch 15.306 Redakteure bei Tages- und Wochenzeitungen in Deutschland, die sowohl Nachrichten für das Netz als auch für das Papier produzieren. Im vergangenen Jahr waren es aber nur noch 12.966, wie aus einer Statistik der Akademie Berufliche Bildung der deutschen Zeitungsverleger hervorgeht. Die müssen nun alles gleichzeitig machen: Schreiben für die Printausgabe, für das Netz, Bloggen, Posten.

Wenn die Presse stirbt, könnte auch der Wächterjournalismus leiden. Denn weder die Blogosphäre noch der Onlinejournalismus in seiner heutigen Form erfüllen die Funktion, die die Printmedien bisher ausgeübt haben.

Dafür genügt ein Blick auf die Laureaten der begehrtesten deutschen Journalistenauszeichnung, des Henri-Nannen-Preises, der ausdrücklich auch Online-Bewerbungen zulässt. Ausgezeichnet in diesem Jahr: die Zeit für die beste Reportage, der Spiegel für die beste Dokumentation, die Bild für ihre Investigativ-Leistung zu Christian Wulffs Privatkredit. Oder 2011: der Weser Kurier für die beste Recherche, die Welt für Hans Zipperts „herausragend humorvolle und unterhaltende“ Glossen. Seit 2005 wurde nur ein einziges Online-Projekt gewürdigt, ein Live-Ticker bei kicker.de.

Es ist zumeist doch die Papierpresse, die kritisch nachfragt, investigativ unterwegs ist, die kleinen und großen Skandale aufdeckt. Die als einzige noch den Lokalfürsten auf dem Land etwas entgegenzusetzen hat.

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