"Ich kann wieder einparken"

Hätte es nicht anschließend Neuwahlen gegeben, Heide Simonis wäre die tragische politische Figur des Jahres 2005 geworden. Immerhin war sie ein Auslöser dieses ungewöhnlichen politischen Sommers.

Was machen Sie jetzt eigentlich, Heide Simonis? Ich versuche, meinen Tag zu strukturieren, indem ich unter anderem Ablagen mache, Ordnung in meinen Papieren schaffe und Computer lerne. Wie ist das für Sie? Ich wurde im Juni in den Vorstand von Unicef Deutschland gewählt. Ich sammle nun Spenden, und ich war gerade acht Tage in Angola, um mich um das Projekt „Schulen für Afrika“ zu kümmern. Da stapeln sich rasch die Unterlagen. Bis Jahresende hilft mir noch ein junger Mann vom SPD-Landesverband, dann muss ich es alleine schaffen. Was ist das für ein Gefühl? Außer, dass ich Sachen an der falschen Stelle ablege, nicht so schlimm. Was vermissen Sie? Den liebenswürdigen Menschen, der mich herumchauffiert hat. Denn als Erstes habe ich mir einen Strafzettel über 30 Euro eingehandelt, weil ich mich vor den Mülltonnen eines Altersheims aufgebaut hatte – ich fand, das war ein wunderbarer Parkplatz. Ich wurde ja viele Jahre gefahren, konnte im Auto arbeiten und wurde immer vor der Haustür abgesetzt. Das spart Nerven, viel Zeit und viel Geld. Ich musste mich daran gewöhnen, selber am Steuer zu sitzen, jetzt kann ich auch wieder linksrum einparken. Sie haben einmal gesagt: „Das Schöne an meinem Amt als Ministerpräsidentin ist, dass mir die anderen zuhören müssen.“ Wie ist das heute? Sie müssen das jetzt nicht mehr, aber sie tun es freundlicherweise. Viele sagen: „Schade, dass Sie nicht mehr dabei sind.“ Kürzlich war ich auf dem Sommerkonzert der HDW-Werft. Auf der Bühne wurde ich als ehemalige Ministerpräsidentin begrüßt, und darauf folgte ein freundlicher, richtig warmer, lang anhaltender Beifall. Das hätten sie nicht gemusst, ich fand das sehr, sehr lieb. Das hat mich gerührt. Früher hat Ihnen ein ganzer Stab zugearbeitet. Fehlt Ihnen der? Vieles kann man sich ja im Internet raussuchen. Wenn ich nach Angola fliege, informiere ich mich über das Land. Klar, ich hätte gerne eine Mitarbeiterin, aber diese Sachen mache ich nun eben selbst. Ich habe einen Computer, nur leider gehorcht er nicht sonderlich gut, mir jedenfalls nicht. Manchmal muss ich jemanden kommen lassen, der mir eine Datei wieder rausfischt. Früher konnte ich irgendwo anrufen und bitten: „Kannst du das mal schnell für mich erledigen.“ Das kann ich mir jetzt abschminken: Ganz schnell geht gar nichts. Was vermissen Sie denn nicht? Die Hektik. Ich bin mit bis zu zwölf Terminen durch den Tag gerast – der helle Wahnsinn. Ich war natürlich selber schuld, weil ich nicht nein sagen kann. Wenn ich gesagt hätte: „Das geht wirklich nicht“, dann wäre es eben nicht gegangen. Und wenn Sie am Samstag und Sonntag so weiterhetzen, dann merken Sie nach einem halben Jahr, dass der Kopf nicht mehr frei ist. Jetzt lasse ich einfach mal eine Sache liegen, und das tut sehr gut. Fragen Sie sich zuweilen: Was habe ich mir da eigentlich die ganzen Jahre angetan? Nein, ich habe es gerne gemacht. Ich hätte auch gerne weitergemacht, wenn ich gewählt worden wäre. Nach dem 17. März hatte ich das Gefühl, als hätte mir jemand mit dem Hammer vor den Kopf gehauen. Das ist vorbei. Man muss solche Sachen schnell akzeptieren – klagen bringt nichts. Wissen Sie, wer Sie verraten hat? Ich für mich sage immer: Ich weiß es. Aber da ich es nicht beweisen kann, werde ich mich hüten, den Namen zu nennen. Haben Sie ihn angesprochen? Nein, ich kann ihm ja nichts beweisen. Keine Lust, ihm in die Augen zu sehen, seine Reaktion zu testen? Nein, das ändert nichts an der Situation. Man muss es jetzt so lassen. Das einzig Traurige für ihn ist: Er kann nichts damit anfangen. Er kann es keinem erzählen, jedenfalls noch nicht, vielleicht sein ganzes Leben lang nicht. Haben Sie eine Idee, warum er Ihre Wahl torpediert hat? Nein. Ich würde es gern wissen. Wofür nehmen Sie sich heute mehr Zeit? Ich lese viel, Kriminalromane ohne Ende, besonders die von dem Schweden Håkan Nesser. Auch die Isländer sind sehr gut. Haben Sie sich schon Ihren Traum erfüllt und die Seidenstraße bereist? Nein, leider nicht. Aber als ich im vergangenen Jahr in Usbekistan war, habe ich das Schild „Taschkent 50 km“ gesehen. Das nächste Mal muss ich sehen, dass ich den Abzweig hinkriege. Wird es Ihnen am Wochenende zuweilen langweilig? Nein, überhaupt gar nicht. Ich habe mir eine Dauerkarte für das Schwimmbad geholt, mein Mann macht mit mir Nordic Powerwalking. Er findet das furchtbar, aber er geht mit, damit ich nicht allein laufen muss. Ich komme endlich wieder dazu, mich um die Familie zu kümmern, mal anzurufen, was früher so nebenbei alle vier Wochen passierte. Das Gespräch führte Dirk von Nayhauß

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Rotter Rabe | Fr., 17. März 2017 - 17:03

Die Zahl derer, auf die Heide Simonis' Angaben zum vermuteten Abweichler passen, ist nach diesem Interview sehr begrenzt. Ich selbst habe am Wahlabend die Fernseh-Interviews (ARD/ZDF) gesehen. Da war ein Interview so anders als die anderen, dass ich persönlich überzeugt bin, den "Abweichler" zu kennen.