- Der neue Kulturkampf
Kolumne Empörung: Der Kabarettist Dieter Nuhr wird bezichtigt, ein Islam-Hasser zu sein – na und? Aber die Aufregung darüber zeigt, wie sehr wir unsere Souveränität als Demokraten verloren haben. Und genau das wollen die Feinde unserer offenen Gesellschaft erreichen
Jetzt hat also auch Erhat Toka aus Osnabrück seine Viertelstunde an Berühmtheit genießen dürfen. Herzlichen Glückwunsch! Um ins grelle Licht der Medienöffentlichkeit zu gelangen, brauchte der 41 Jahre alte Muslim und Kampfsportlehrer nicht viel mehr tun als den Kabarettisten Dieter Nuhr anzuzeigen – weil dieser Witze über den Islam gemacht hatte.
Skandalös ist an diesem Vorfall zunächst einmal überhaupt nichts. Wenn Erhat Toka der festen Überzeugung ist, Dieter Nuhr habe während seiner Auftritte den Straftatbestand nach § 166 StGB („Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen“) erfüllt, dann ist es natürlich sein gutes Recht, dies der Polizei zu melden. Wir leben schließlich in einem Rechtsstaat, und dessen Institutionen stehen zum Glück auch jenen offen, die diesen Rechtsstaat ablehnen oder denen man wie Herrn Toka aus Osnabrück erst noch die Grundsätze von Kunst- und Meinungsfreiheit erklären muss. Kurzum: Seine Anzeige wird keinen Erfolg haben, und damit sollte der Fall eigentlich erledigt sein.
Weimarer Verhältnisse
Ist er aber nicht, und darin besteht das eigentliche Problem. Denn in diesem Land vollzieht sich mittlerweile ein regelrechter Kulturkampf, dessen Beteiligte nur auf irgendeinen Vorwand warten, um losschlagen zu können – verbal oder auch gleich mit den Fäusten, wie jetzt die Hooligans in Köln. Es geht längst nicht nur um den Islam, sondern um alle Feinde der offenen Gesellschaft, die immer unverfrorener die Prinzipien unserer freiheitlichen Demokratie in Abrede stellen und zu unterminieren versuchen. Das fängt bei den Putin-Freunden im Lager der Linkspartei an und reicht über die Salafistenszene bis hin zu den sogenannten Reichsbürgern und rechten Verschwörungstheoretikern wie einem Jürgen Elsässer, mit dem jetzt auch noch die „Alternative für Deutschland“ gemeinsame Sache macht.
Wer die Demokratie in Gefahr sieht, der dürfe übertreiben, heißt es. Doch die Kölner Vorfälle haben gezeigt, dass es gar keiner Übertreibung mehr bedarf: Ein enthemmter Mob hat dort die fortwährenden Provokationen durch eine winzige Minderheit verpeilter Islamisten nur allzu gern zum Anlass genommen, um auf Polizisten einzuprügeln und größtmöglichen Schaden anzurichten. Weimarer Verhältnisse.
Auf der Webseite „pi-news“, einem vielfrequentierten Internetforum, das sich selbst perfiderweise als „proamerikanisch, proisraelisch, gegen die Islamisierung Europas, für Grundgesetz und Menschenrechte“ bezeichnet, wird die Randale von Köln mit folgenden Worten beschrieben: „Testosteron ist gut. Gegen Salafisten helfen Bonmots nur sehr eingeschränkt, aber physische Präsenz weist sie in ihre Schranken. Ganze Kerle. Kompakte Typen. Man sieht sie ab 14 Uhr in rascher Folge und in wachsenden Formationen aufmarschieren. Physische Präsenz, die klar kommuniziert: Wir sind Deutschland, und wir lassen uns nicht länger wie die Lämmer zur Schlachtbank führen, nur weil radikale Muslime das so wollen.“ Klassischer Neonazi-Jargon – unter dem Deckmantel eines vermeintlich legitimen Aufstands gegen Salafisten. Es ist nichts anderes als der Aufruf zur Selbstjustiz und ein frontaler Angriff auf den demokratischen Rechtsstaat.
In einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ hat Dieter Nuhr soeben ein paar sehr ernstzunehmende Sätze gesagt. Es geht in dem Gespräch um die Reaktionen auf die Anzeige durch besagten Osnabrücker Muslim: „Natürlich bekommt man auch die Freunde auf der falschen Seite. Das ist sehr unangenehm. Ich würde mir wünschen, dass wir so etwas hätten wie eine Bürgergesellschaft, die gemeinschaftlich sagt, wir haben bei uns Meinungsfreiheit, wir haben bei uns Bürgerrechte, die lassen wir uns nicht nehmen.“
Machtkampf zwischen Testosteron und menschlicher Vernunft
In der Tat, genau darum geht es inzwischen – und nicht um interessengeleiteten Partikularwiderstand gegen Islamisten, Autonome, Krypto-Faschisten, Neo-Rechte, Hooligans und sonstige Brunnenvergifter. Wir haben viel zu lange geglaubt, die Demokratie müsse nicht ernsthaft verteidigt werden, weil deren Feinde allenfalls Randerscheinungen seien. Mag sein, dass sie es immer noch sind – aber sie wittern Morgenluft und tasten sich langsam in Richtung Mitte der Gesellschaft vor.
Erst gestern wurden die Ergebnisse des alle drei Jahre stattfindenden „Studierendensurveys“ vorgestellt. Demnach haben nur 24 Prozent der befragten Hochschüler sehr starkes Interesse an politischen Geschehnissen, 29 Prozent halten Politik hingegen für unwichtig. „Studenten so unpolitisch wie lange nicht“, lauten heute die entsprechenden Schlagzeilen. Politik werde immer komplexer und unüberschaubarer, heißt es in der Studie zur Begründung für das grassierende Desinteresse. Dabei stimmt das gar nicht mehr. Es geht inzwischen wieder um den einfachen Machtkampf zwischen Testosteron und menschlicher Vernunft.
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