FDP-Chef Lindner im Fokus / dpa

Die Krise der FDP - „Die Ampel führt uns in den Abgrund“

Im Dezember 2023 stimmte eine knappe Mehrheit der FDP-Mitglieder für einen Verbleib in der Ampel. Im Interview spricht der FDP-Politiker und Initiator der Abstimmung, Matthias Nölke, über Mutlosigkeit in der Parteiführung und Frust an der Basis.

Autoreninfo

Clemens Traub ist Buchautor und Cicero-Volontär. Zuletzt erschien sein Buch „Future for Fridays?“ im Quadriga-Verlag.

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Matthias Nölke ist in Kassel FDP-Kreisvorsitzender sowie Stadtkämmerer und Wirtschaftsdezernent. Von April 2020 bis Oktober 2021 war er Mitglied des Deutschen Bundestages. Außerdem war er Mitinitiator der Aktion „Ampel beenden“, die im Dezember 2023 zu einer FDP-Mitgliederbefragung über den Verbleib der Liberalen in der Ampelkoalition geführt hat. Damals stimmten 48 Prozent für den Austritt der FDP aus der Bundesregierung.

Herr Nölke, die FDP hat in allen drei ostdeutschen Landtagswahlen den Einzug in den Landtag deutlich verpasst. In Sachsen fuhr selbst die Tierschutz-Partei ein besseres Ergebnis ein. Wie ist die Stimmung an der Basis?

Nach den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg liegen die Nerven an der Basis blank. Ich finde es erstaunlich, wie viele Liberale jetzt den Austritt aus der Ampel fordern, die bei der Mitgliederbefragung im Dezember die Koalition noch verteidigt haben. Ich nehme derzeit viele Mitglieder wahr, die ihre Meinung um 180 Grad geändert haben. Damals schon habe ich prophezeit, dass wir massive Verluste bei den ostdeutschen Landtagswahlen haben werden, wenn wir als FDP in der Ampel bleiben.

Vor drei Wochen hat Lindner in einer internen Nachricht an die FDP-Bundestagsabgeordneten noch um Geduld gebeten. Zitat: „Entscheidungen zur weiteren Strategie mit Blick auf 2025 stehen erst nach Brandenburg an“. Lindner hat am Montag dann einen „Herbst der Entscheidungen“ angekündigt. Haben Sie sich mehr erhofft?

Ehrlich gesagt, bin ich nicht enttäuscht, weil ich darauf ohnehin nicht mehr viel gebe. Es gab in den letzten Monaten und Jahren bereits viel zu viele Ankündigungen, die am Ende nichts Weiteres als Worte waren. Ich finde es dennoch bemerkenswert, dass am Tag nach der Landtagswahl in Brandenburg nicht mehr Liberale in den Parteigremien gegen die Ampel aufbegehrt haben. Ich hörte von lediglich zwei Stimmen, die ihre Kritik in der Sitzung des Bundesvorstands äußerten. Denn wir dürfen doch eines nicht vergessen: Unmittelbar nach der Wahl gibt es wahrscheinlich das allerletzte Momentum, um der Koalition den Stecker zu ziehen.

Sie sprachen gerade an, dass sich laut Insiderkreisen nur wenige Stimmen in der Sitzung des Bundesvorstands für einen Ausstieg aus der Ampel ausgesprochen haben. Nach all den desolaten Wahlergebnissen: Haben die Gremien den Bezug zur Realität verloren? Oder kleben zu viele FDP-Mitglieder zu sehr an ihren Mandaten?

Die Mitglieder der Gremien wissen, dass es nichts nutzt, sich gegen den Kurs von Christian Lindner aufzulehnen, denn die Parteiführung wird ihren Kurs durchziehen. Mit dem neuen Wahlrecht wären wir bei einem Ergebnis bei der nächsten Bundestagswahl von 5 Prozent der Stimmen nur noch bei 31 Abgeordneten – aktuell haben wir noch 91 Sitze. Die Führung ist also bereit, zwei Drittel der Fraktion zu opfern. Ich finde es bemerkenswert, dass die Abgeordneten das mit sich machen lassen. Es stehen nun die ganzen Listenaufstellungen auf den Landesparteitagen an. Viele hoffen sicherlich, dass sie den gewünschten Listenplatz bekommen, wenn sie brav in der Spur laufen, um damit doch nicht aus dem Bundestag zu fliegen. Das ist der Grund, warum die Mitglieder der Gremien nicht auf Revolution gepolt sind.

Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass die FDP doch noch aus der Ampel aussteigt?

Wenn der Bundesvorstand nicht den Mut hat, der Ampel den Stecker zu ziehen, sollte er wenigstens einen zeitnahen Mitgliederentscheid auf den Weg bringen. Es wäre ein Zeichen der Wertschätzung gegenüber der Basis, die in den letzten Jahren viel zu kurz gekommen ist. Das Ergebnis wird sicherlich zum Ausdruck bringen, wie groß der Unmut über die Ampel ist. Ich mache mir allerdings nichts vor: Die Chance auf diesen Mut des Bundesvorstands ist sehr überschaubar.

Matthias Nölke / Stella von Saldern

Christian Lindner sprach gestern auf einer Pressekonferenz in der Parteizentrale wiederum von „Mut“, den es nun bräuchte, um der Ampel als FDP selbstbewusst den liberalen Stempel aufzudrücken. Was denken Sie darüber?

Mir fehlt sehr stark der Glaube, dass in drei Monaten gelingen soll, was vorher in drei Jahren nicht funktioniert hat. Wir tragen als FDP rot-grüne Politik mit, für die wir Liberale 2021 nicht gewählt wurden. Das reicht von einer planwirtschaftlichen Energiepolitik bis hin zu einer verantwortungslosen und laschen Migrationspolitik, die zu einer Zuwanderung in unsere Sozialsysteme führt. Die Bürger haben das Gefühl, dass unser Land wirtschaftlich vor die Wand fährt: Stellen werden abgebaut und Unternehmen verlagern ihre Produktion ins Ausland. Dieser Politik entgegenzusteuern ist mit rot-grünen Koalitionspartnern nicht zu machen. Die Ampel ist für mich eine Totgeburt gewesen, in der die FDP als wirtschaftsliberale Partei keinen Blumentopf gewinnen kann.

Bundesvize Wolfgang Kubicki stellte der Ampel hinsichtlich der Lösung drängender Migrations- und Wirtschaftsprobleme ein Ultimatum von drei Wochen, andernfalls müsse die Koalition grundlegend überdacht werden. Was ist Ihre Meinung hierzu?

Ich bekomme an der Parteibasis mit, dass viele Kubicki gar nicht mehr ernst nehmen. Er hatte früher einmal ein recht hohes Ansehen, doch mittlerweile ändert er seine Meinung wöchentlich wie ein Brummkreisel. Das System Kubicki funktioniert so: Es läuft in der Ampel etwas falsch, er poltert los, fordert gegebenenfalls noch einen Rücktritt und am Ende passiert nichts. Bei Abstimmungen im Bundestag trägt Kubicki die rot-grüne Politik ohnehin kritiklos mit. Kubicki darf sagen, was Lindner nicht sagen möchte oder kann.

Johannes Vogel plädiert für einen Verbleib in der Ampelkoalition, da die FDP in der Krise nun Verantwortung für den Staat übernehmen müsse. Kann die liberale Basis solche Sätze noch hören?

Ich verbuche das unter Plattitüde. Das erinnert mich doch sehr stark an die Mitgliederbefragung im Dezember. Damals gab es auch Floskeln wie „wir stehlen uns nicht davon“ oder „wir tragen die Verantwortung“. In all der Zeit hat jedoch nie ein Mitglied aus der Führungsriege einmal erklärt, was das konkret heißt. Inwiefern tragen wir staatspolitische Verantwortung, indem wir eine Regierung stützen, die unserem Land schadet?

Außerdem müssen wir realistisch bleiben: Je näher der Termin der Bundestagswahl rückt, desto unwahrscheinlicher wird es für die FDP doch, ihre Anliegen durchzubekommen. Immerhin müssen sich die Sozialdemokraten und die Grünen gegenüber ihrer eigenen Wählerschaft auch beweisen. Die SPD und die Grünen werden sich dreimal überlegen, ob sie der FDP Zugeständnisse machen werden. Die Ampel war von Anfang an wie ein Hemd, das oben falsch zugeknöpft wurde, und deswegen unten auch nicht mehr sauber zusammengebracht werden kann.

Realistisch betrachtet würde es nach einem Austritt der FDP aus der Ampel zu Neuwahlen kommen. Was macht Sie so sicher, dass die FDP die Fünfprozenthürde schaffen wird? In einer Wahlumfrage des Deutschlandtrends stehen die Liberalen bei vier Prozent.

Ich denke nicht, dass es einen Automatismus für Neuwahlen gibt. Bereits bei der Mitgliederbefragung im Dezember haben viele das Schreckgespenst der Neuwahlen vor sich hergetragen. Der Prozess der Neuwahlen ist ein langer Weg: Zunächst einmal muss die Vertrauensfrage durch den Kanzler gestellt werden und am Ende müsste der Bundespräsident den Bundestag auflösen. Es kann auch sein, dass eine rot-grüne Koalition eine Minderheitenregierung bis zum regulären Ende der Legislaturperiode bis Herbst 2025 stellt. Sollte es dennoch zu Neuwahlen kommen, wäre es gewiss ein Risiko. Aber dieses selbstbestimmte Risiko ist immer noch attraktiver, als weiterhin in der unbeliebtesten Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik zu bleiben und ihr damit eine Mehrheit zu geben. Wir dürfen uns nicht unserem Schicksal ergeben.

Glauben Sie, dass die FDP einen Gang in die Opposition als Partei überleben würde?

Es gibt genügend Menschen, die es honorieren würden, wenn wir der Ampelkoalition endlich ein Ende bereiten würden. Wir werden erst wieder wählbar sein, wenn wir die Ampel nicht mehr wie eine Fußfessel mit uns schleppen müssen. Die meisten Menschen sagen doch: „Weg mit dieser Regierung.“

Braucht es die FDP noch? Die Bürger in Sachsen, Thüringen und Brandenburg haben diese Frage immerhin deutlich verneint.

Insbesondere in einer Zeit der wirtschaftlichen Krise gibt es einen dringenden Bedarf für eine marktwirtschaftliche Partei. Ich bin von der Existenzberechtigung einer liberalen Partei absolut überzeugt. Wir müssen wieder mit wirtschaftspolitischen Themen punkten. Auch mit Zukunftsthemen wie Digitalisierung und Bildung können wir Bürger erreichen. Doch sicherlich ist Ordnung und Sicherheit zurzeit eines der wichtigsten Themen. In all diesen Themenfeldern kann die FDP in der Ampelkoalition kein Land gewinnen.

Durch den Eintritt der Liberalen in die Ampelkoalition ist sie in eine existenzielle Krise geraten. Dies hat vor allem der Parteivorsitzende zu verantworten. Selbst im Falle eines Austritts aus der Koalition würde Lindner immer mit der Ampel in Verbindung gebracht werden. Ist er noch der richtige Vorsitzende der FDP?

Wenn er sich klar hinstellt und in einem Akt der kritischen Selbstreflexion eingesteht, dass die Ampelkoalition ein Fehler war, können wir verloren gegangenes Vertrauen zurückholen. Ich halte nichts von Personaldiskussionen, da wir keinen Wechsel hinsichtlich des Personals benötigen. Wir brauchen einen deutlichen Politikwechsel. Ich traue Lindner zukünftig durchaus zu, auch wieder für eine andere Politik zu stehen. Aktuell ist er allerdings durch den Koalitionsvertrag gefesselt. In der schwarz-gelben Koalition von 2009 bis 2013 wurde Guido Westerwelle als Bundesvorsitzender durch Phillipp Rösler ersetzt. Rösler sagte schließlich auf dem Parteitag: „Ab morgen wird die FDP liefern.“ Das Ergebnis ist bekannt – wir sind 2013 aus dem Bundestag geflogen.

Das Gespräch führte Clemens Traub.

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Sabine Lehmann | Mi., 25. September 2024 - 18:37

Für eigene Fehler muss man selbst einstehen. Niemand hat die FDP gezwungen Teil dieser Koalition zu sein. Ebenso wenig war die FDP gezwungen die gesamte Legislaturperiode durchzuhalten. Sie hätte, wie damals 1982, die Vertrauensfrage stellen und Queen Olaf vom Thron stürzen können.
Können! Aber sie wollte wohl nicht. Was sie aber um wirklich jeden Preis wollte: weiter regieren nach dem Motto, lieber schlecht als gar nicht. Anders herum wäre besser gewesen. Nicht für die FDP, aber für unser Land.
Und die Ampel? Die hat unser Land in denn Abgrund gestürzt, macht tagtäglich mit großer Freude u. nicht schwinden wollendem Elan damit weiter.
Die nächste Katastrophe bahnt sich gerade an: Karls Krankenhausreform. Weiter in den Niedergang. Es wird eine veritable Pleitewelle der Krankenhäuser auslösen, die Letzten ihrer Art, die guten, qualifizierten Ärzte werden Deutschland in Scharen den Rücken kehren. Nancy & Olaf werden, eloquent wie Dick & Doof, "Nachschub" holen aus Afrika u. Usbekistan!

Andreas Braun | Mi., 25. September 2024 - 18:57

Die FDP wird die Koalition nicht verlassen. Und wenn Cicero täglich 5 Hoffnungsartikel veröffentlicht. Es mag ja sein, dass es in den Niederungen der Partei noch Menschen mit Anstand gibt, aber die haben nichts zu entscheiden. Wie schon bei letzten Regierungsbeteiligung sind die FDP-Leute ausschließlich an der Befüllung der eigenen Taschen interessiert und bei dieser Verrichtung lassen sie sich von nichts und niemandem aufhalten.
Man hätte es wissen können, aber das Wahlvolk ist halt vergesslich.

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