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() Auf die Verwendung seines Doktortitels verzichtete zu Guttenberg bereits, zumindest vorläufig
Das Plagiat, der Skandal und die Macht. Wann muss Karl-Theodor zu Guttenberg zurücktreten?

Es gibt Politiker, die haben ihre Ämter wegen lässlicherer Sünden aufgegeben als aufgrund eines Plagiatsvorwurfs. Andere konnten sich trotz größerer Skandale im Amt halten. Entscheidend für die politische Zukunft des Verteidigungsministers wird es deshalb sein, wie sich seine Sympathiekurve in den kommenden Wochen entwickelt und wie sich die Machtverhältnisse in der Union verschieben.

Die Frage, wann und warum Politiker zurücktreten müssen, lässt sich so einfach gar nicht beantworten. Die Opposition ist mit der Forderung in der Regel schnell bei der Hand, genauso reflexartig scharen sich Parteifreunde hinter den Angegriffenen und weisen dieses Ansinnen entschieden zurück. Trotzdem stellt sich angesichts der Plagiatsvorwürfe gegen Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg die Frage, wie viel individuelles Fehlverhalten hält ein politisches Amt aus? Wie viel politische Verantwortung kann die Öffentlichkeit von einem Minister erwarten, der eklatant gegen die wissenschaftlichen Regeln, die für alle Doktoranden gelten, verstoßen hat.

Das scheint mittlerweile offensichtlich zu sein. Zumindest Teile seiner Doktorarbeit hat der Freiherr nach dem Prinzip „Copy und Paste“ erstellt. Seine Verteidigungsstrategie, wonach es sich um ein paar Nachlässigkeiten angesichts von 1200 Fußnoten handle, ist zusammengebrochen. Ein Kavaliersdelikt ist dies nicht. Ob es sich um Betrug handelt und der CSU-Politiker sich seinen Doktor-Titel erschlichen hat, muss nun die Universität Bayreuth entscheiden. Nur muss Karl-Theodor zu Guttenberg deshalb vom Amt des Bundesverteidigungsministers zurücktreten? Gute Frage.

Fest steht, es gab Politiker, die haben ihr Amt aus nichtigeren Gründen aufgegeben: eine schwarz beschäftigte Putzfrau, eine Urlaubsreise auf Kosten eines Tourismusunternehmens oder der Privatkredit eines PR-Beraters. Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann stürzte Anfang der 90er Jahre über einen Briefkopf des Ministeriums, auf dem er sich für die geschäftlichen Interessen eines Verwandten eingesetzt hatte. Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf konnte sich nicht mehr im Amt halten, weil publik geworden war, dass er an der Kasse eines Möbelhauses mit Hinweis auf sein Amt um einen Rabatt gefeilscht hat. Petitessen waren dies im Vergleich zu den Vorwürfen, die nun im Fall zu Guttenberg im Raum stehen. Doch meist waren solche Politiker betroffen, die ihren politischen Zenit überschritten hatten und selbst in den eigenen Reihen nicht mehr wohl gelitten waren. Der Skandal war nur der Anlass für den Rücktritt aber nicht der Grund.

Auf der anderen Seite gab es ebenso Politiker, die wesentlich schwerere Vorwürfe politisch ausgesessen und ihre politische Karriere fortgesetzt haben, die trotz Meineides Minister wurden, denen eklatante politische Fehlentscheidungen, die finanzielle Begünstigung von Parteifreunden oder die massive Verschwendung von Steuergeldern wenig anhaben konnten. Der ehemalige hessische Ministerpräsident Roland Koch zum Beispiel überlebte die schwarzen Kassen seines CDU-Landesverbandes. Koch wurde gar der Lüge überführt, er hatte illegale Zuwendungen an die Partei als „jüdische Vermächtnisse“ deklariert. Johannes Rau blieb Bundespräsident, obwohl er als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfahlen zusammen mit seinem Kabinett in eine Flugaffäre um die Westdeutsche Landesbank verwickelt war. Den Fraktionsvorsitzenden der Linken Gregor Gysi wiederum stört es wenig, dass seine Stasi-Kontakte im SED-Staat seit Jahren aktenkundig sind.

Auch der grüne Außenminister Joschka Fischer sah sich nicht zum Rücktritt gezwungen, nachdem er einräumen musste, im Straßenkampf in Frankfurt in den siebziger Jahren einen Polizisten verprügelt zu haben. Doch sowohl Koch und Rau als auch Gysi und Fischer waren für ihre Parteien unverzichtbar, an der eigenen Basis beliebt, sie waren wichtige Identifikationsfiguren und zudem erfolgreiche Wahlkämpfer. Koch gewann für die hessische CDU trotz des Skandals die absolute Mehrheit, Gysi führte die Partei zurück in den Bundestag, auch Fischer und Rau waren Garanten für herausragende Wahlergebnisse. Deshalb konnten sie ihr Fehlverhalten politisch überleben, alle Vorwürfe aussitzen.

Der SPD-Politiker Rudolf Scharping hingegen sah im Sommer 2002 nicht ein, dass er wegen Honorarzahlungen eines PR-Unternehmers in Höhe von 140.000 D-Mark als Verteidigungsminister untragbar geworden war. Er wurde schließlich von Bundeskanzler Gerhard Schröder entlassen, weil dieser zu Beginn des Bundestagswahlkampfs seine Siegeschancen akut in Gefahr sah.

Die Frage, ob ein Politiker zurücktreten muss, ist also häufig keine Frage von Anstand oder Verantwortung, die Konsequenz von eingestandenem Fehlverhalten oder überführter Lügen. In der Regel stellt sich die Frage nach dem Rücktritt erst dann, wenn ein Politiker für die eigene Partei zur politischen Belastung geworden ist, wenn er machtpolitisch in die Defensive geraten ist und sich wichtige politische Mitstreiter abwenden.

Karl-Theodor zu Guttenberg wird also solange nicht zurücktreten, solange seine Partei einerseits und die Bundeskanzlerin andererseits hinter ihm stehen. Beide werden ihn solange stützen, solange er ihnen mehr nützt als schadet. Bislang war der Verteidigungsminister ein politisches Schwergewicht in der Bundesregierung, trotz zuletzt negativer Schlagzeilen, trotz Kunduz-Untersuchungsausschuss und trotz der Diskussionen um den Tod einer jungen Matrosin auf der Gorch-Fock. Seine große Beliebtheit bei den Wählern hatte darunter nicht gelitten.

In der CSU verknüpfte sich mit dem jungen Adligen darüber hinaus die Hoffnung, an alte Stärke in Bayern anknüpfen zu können und erstmals sogar den Bundeskanzler stellen zu können. Zu Guttenberg schien auf geradezu ideale Weise Konservatismus und Moderne verknüpfen zu können, bayerische Lebensart und Weltläufigkeit, Ehrgeiz und Fleiß. Vor allem die Sympathien vieler kleiner Leute, die sich nach Eleganz und Glamour sehnten, flogen ihm zusätzlich zu. Gleichzeitig galt der CSU-Politiker als bürgerlicher Hoffnungsträger für die Zukunft des schwarz-gelben Projekts nach dem absehbaren Scheitern der Regierung Merkel, Westerwelle.
In den eigenen Reihen lauern somit die eigentlichen Gefahren für die politische Karriere des Karl-Theodor zu Guttenberg.

Lesen Sie im zweiten Teil des Artikels, warum nun seine eigenen Anhänger über die politische Zukunft von Karl-Theodor zu Guttenberg entscheiden und welche Verteidigungsstrategien ihm jetzt helfen könnten.

Entscheidend ist, ob wie bei Koch, Gysi oder Fischer die eigenen Anhänger das Fehlverhalten entschuldigen, ob sich mit ihm weiter politische Hoffnungen und machtpolitischer Erwartungen verknüpfen. Die ritualisierte Empörung der Opposition hingegen wird Karl-Theodor zu Guttenberg genauso wenig zum Rücktritt zwingen wie moralisch anklagende Leitartikel.

Wenn seine Anhänger über die lässliche Sünde beim Formulieren seiner Doktorarbeit hinwegsehen, weil ja alle schon mal irgendwo geschummelt haben, bei Klassenarbeiten, bei Bewerbungen oder bei der Steuererklärung, dann ist die Affäre irgendwann ausgestanden. Wenn seine Anhänger in ihm weiterhin einen Hoffnungsträger sehen, dann wird die Plagiatsaffäre irgendwann vergessen sein, selbst wenn dieser seinen Doktortitel zurückgeben muss.

Gefährlich wird es für den Verteidigungsminister und seine politischen Ambitionen erst, wenn seine Anhänger und seine Parteifreunde den Daumen senken. Die Gefahr ist längst noch nicht ausgestanden. Denn beliebt war zu Guttenberg vor allem bei jenen Wählern aus dem politischen Kleinbürgertum, die nach Recht und Gesetz leben, immer brav ihre Steuern zahlen und davon überzeugt sind, dass, wer etwas werden will, sich anstrengen sowie hart arbeiten muss. Beliebt war er bei solchen Wählern, die sich zugleich darüber empören können, wenn die da oben es mit dem Recht und dem Gesetz nicht genau nehmen. Viele dieser Anhänger haben zugleich zu Guttenbergs Ehrgeiz und Chuzpe bewundert. Dass er für seinen Erfolg hart arbeitet, war Teil seines erfolgreichen Images.

Gerade an dieser Stelle könnte die große Bewunderung nun schnell in genauso große Enttäuschung umschlagen. Und wenn sich in der Union oder bei Bundeskanzlerin Angela Merkel der Eindruck verfestigt, die Eskapaden des Verteidigungsministers schaden ihren Wahlaussichten im Superwahljahr 2011, erst dann könnte es für Karl-Theodor zu Guttenberg eng werden. Es wird in den Parteizentralen von CDU und CSU sowie im Kanzleramt deshalb viele geben, die sich dessen Sympathiewerte und die Sonntagsfrage in den kommenden Wochen sehr genau ansehen werden.

Entscheidend wird darüber hinaus jedoch auch die Frage sein, wie sich jetzt die Machtverhältnisse in der Union verschieben. Karl-Theodor zu Guttenberg ist durch die Affäre ohne Zweifel politisch angeschlagen. Seine Gegner in der CDU und in der CSU könnten nun die Chance wittern, einen Konkurrenten politisch ins Abseits zu drängen. Doch gleichzeitig ist zu Guttenberg als Verteidigungsminister gar nicht so einfach zu ersetzen. In der CSU gibt es keinen profilierten Verteidigungspolitiker, der ihn beerben könnte. Ein Rücktritt würde die Bundeskanzlerin fast zwangsläufig zu einer größeren Kabinettsumbildung zwingen, bei der es mehr als einen Gewinner und Verlierer geben würde. Solange nicht absehbar ist, wer von einem Rücktritt profitiert und wer mit ihm zusammen Macht und Einfluss einbüßt, wird sich der eine oder andere Konkurrent bedeckt halten.

Die Plagiatsaffäre um Karl-Theodor zu Guttenberg ist also längst noch nicht ausgestanden. Spannend wird auch sein, zu welcher Verteidigungsstrategie sich Karl-Theodor zu Guttenberg entschließt. Klar ist, niemand glaubt Karl-Theodor zu Guttenberg mehr, dass es bei den Vorwürfen nur um nachlässiges Zitieren geht, die Zweifel daran, dass er die Arbeit ohne fremde Hilfe erstellt hat, wachsen von Tag zu Tag.

Strategien, den Skandal zu überleben, gibt es viele, sie reichen vom standfesten Leugnen, über Wegducken, bis zur reuigen Beichte. Gregor Gysi streitet bis heute alle Vorwürfe ab, obwohl die Aktenlage Bände spricht, der Linken-Politiker stilisiert sich stattdessen erfolgreich als Opfer einer Hetzkampagne der Medien. Roland Koch versprach als die schwarzen Kassen aufgeflogen waren „brutalstmögliche Aufklärung“ und trieb gleichzeitig die Vertuschung voran.

Als Joschka Fischer seine Jugendsünde aus dem Frankfurter Straßenkampf nicht mehr leugnen konnte, gab er sich als reuiger Sünder, entschuldigte sich wortreich in einem Zeitungsinterview und traf sich mit dem damaligen Opfer. Viele andere Politiker, wie zum Beispiel Johannes Rau haben Affären einfach ausgesessen, bis die Opposition keine neuen Vorwürfe mehr vorbringen kann, mit denen sich die Aufregung neu anheizen ließe. Irgendwann wird dann die nächste Sau durchs Mediendorf getrieben.

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