- Die One-Woman-Show
Der Wahlkreis Berlin-Mitte ist hart umkämpft. Für die FDP geht Katharina Ziolkowski ins Rennen. Statt dem Wähler schenkt sie ihre Aufmerksamkeit jedoch lieber anderen
„Guten Morgen. Darf ich Ihnen unser Programm und ein Schokobrötchen mitgeben?“ Lächelnd streckt Katharina Ziolkowski Passanten die beiden Dinge entgegen, hinter ihr steht ein kleiner Kaffeestand. Sie ist Direktkandidatin der FDP für den Bezirk Berlin-Mitte. Ihren Wahlkampfstand hat sie direkt am Ausgang der Bahnstation Birkenstraße in Berlin Moabit aufgebaut. Es ist Montag 7:30 Uhr morgens, die Sonne geht auf und blendet stark. Die 44-Jährige hat einen blauen, gesteppten Parka an, braune Haare in einer Bobfrisur und trägt Brille. Schulkinder, Bauarbeiter in orangefarbener Kleidung und Leute auf dem Weg zur Arbeit, in Anzug oder ohne, müssen an ihr vorbei zur Bahn.
Dazwischen steht eine Wahlhelferin der Grünen. Sie trägt eine Weste mit Aufschrift „Green Runners“ und ist allein gegen die acht anwesenden FDPler. Auch Journalisten von Spiegel Online sind da und drehen ein Video über den FDP-Wahlkampfstand. Die Passanten nehmen selten sowohl ein Programm von den Grünen als auch eins der FDP mit. Der Wahlbezirk sei nicht homogen, sagt Ziolkowski. Manche Stadtteile seien eher nicht FDP-affin. Im Vergleich zu 2013 herrsche aber ein neuer, respektvoller Umgangston.
Die Journalisten gehen vor
Ziolkowskis Themenschwerpunkt ist Cybersicherheit. Für die Sicherheit im Netz sei jedoch nicht nur der Staat verantwortlich. Dafür müsse auch jeder selbst sorgen, sagt die 44-Jährige. Deswegen fordert sie, dass es Unterricht zu Medien- und Methodenkompetenz in der Schule geben muss, um das schon den Kleinsten beizubringen. Dabei sollen diese unter anderem lernen, mit der Freiheit des Internets und mit ihren Daten umzugehen. Leider hat sie keine Zeit, sich mit den Passanten darüber zu unterhalten, denn der Videodreh von Spiegel Online nimmt sie in Beschlag.
Ein Bettler um die 70 sitzt am Eingang der Bahnstation und streckt Passanten seine Hand entgegen. Er hat einen magentafarbenen Kaffeebecher der FDP neben sich. Ansonsten wird er von Ziolkowski nicht weiter beachtet. Es ist mittlerweile acht Uhr morgens und auffallend weniger Menschen sind unterwegs. Dementsprechend bleiben weniger Passanten stehen, um mit den Wahlhelfern zu reden. Viele stürmen regelrecht an ihnen vorbei und in den U-Bahn-Schacht hinunter. Viele Programme werden nur kurz angeschaut und dann in den Mülleimer unten an der Treppe geworfen.
Die Spitzenkandidatin ist die ganze Zeit über mit der Presse beschäftigt. Die 13 Jahre als Bundesbeamtin in der Rechtspflege der Bundeswehr und die damit einhergehende Medienerfahrung sind ihr anzumerken. Sie fasst die Journalisten permanent spielerisch am Arm an, macht Witze und lacht viel. Bei detaillierten Nachfragen winkt sie jedoch auch mal ab. Auch als Ziolkowski zum dritten Mal „Oh là là, das ist eine schwierige Frage“ in die Kamera sagen muss, wirkt es aufgesetzt mit müdem Unterton. Von da an wirkt sie unsicherer und wandelt in all ihren Antworten an der Grenze zwischen dieser Unsicherheit und extremer Freundlichkeit.
Wenn selbst Kaffee nicht mehr hilft
Dabei kann sie auch aus dem Kopf sichere Alternativen für den Messengerdienst Whatsapp aufsagen oder andere Wege für mehr Sicherheit im Netz aufzählen. Nur eine Bundestagswahl, die könne noch nicht online stattfinden, findet sie. Sie selbst besitzt ein altes Handy, mit dem sich lediglich telefonieren und simsen lässt. Nicht mal Fotos kann sie damit schießen. Die Personalisierung Ziolkowskis passt jedoch perfekt zum Grundton der One-Man-Show ihres Parteichefs Christian Lindner. Auch Ziolkowski inszeniert sich allein im Vordergrund, während ihre Wahlhelfer die Programme verteilen. Von einer weiß sie nicht mal den Namen.
Um 8:30 Uhr fallen nur noch irritierte Blicke zum Kaffeestand. Einen Kaffee-to-go nehmen sich kaum welche mit. Es wirkt, als seien die Menschen des Wahlkampfs überdrüssig geworden. Zwischen der FDP-Direktkandidatin und einer grünen Wahlhelferin entwickelt sich über zwei Meter Abstand ein kurzer Dialog. Die Grüne lächelt sie an und sagt: „Bisschen grün schadet nie.“ „Farbvielfalt ist doch schön“, entgegnet Ziolkowski. Aber in einem Punkt sind sie sich dann doch einig: Das Blau der AfD sei in der Farbvielfalt nicht eingeschlossen.
Auf die Frage, ob Populismus und Politik nicht oft bei allen Parteien zusammenkommen, schüttelt die FDPlerin energisch den Kopf. Populismus lasse sich verhindern, indem man Inhalte biete und den Leuten nicht nach dem Mund rede. Außerdem solle „man zum Wahlprogramm stehen“. Das scheint bei manchen Wählern schon funktioniert zu haben, sie lehnen die Programme mit den Worten ab, dass sie die FDP schon gewählt hätten. Wahrscheinlich sagen das viele aber auch einfach nur als Vorwand, um ihre Ruhe zu haben.
Keine Lust mehr auf Wahlkampf
Auf einmal ist auch der Grünen-Direktkandidat Özcan Mutlu mit zwei neuen Wahlhelfern da. Die beiden Direktkandidaten geben sich die Hand, nicken sich flüchtig zu und sagen: „Alles gut?“ Das war es dann aber auch an Gesprächen. Zumindest ein potenzieller Wähler setzt sich über diese Distanz hinweg: Ein Mann um die 40 steht mit einem grünem Parteiprogramm unter dem Arm am Stand der FDP. Er unterhält sich bei einem Kaffee mit einem liberalen Wahlhelfer über den Flughafen Tegel.
Es ist jetzt neun Uhr, die Journalisten des Spiegel packen ihre Sachen ein. Die Passanten versuchen mit gesenktem Kopf zwischen all den Wahlkämpfern vorbeizuschleichen. Sie haben Kopfhörer auf, senken den Blick und versuchen krampfhaft, Blickkontakt mit jedem Anwesenden zu vermeiden. Manche legen auch einfach einen Sprint ein und tun so, als ob sie eine Bahn kriegen müssten. Dabei fährt die nächste erst in zwei Minuten ab. Ziolkowski raucht und steht mit dem Gesicht zur Sonne. Der Presse hat sie sich heute Morgen versucht von ihrer Schokoladenseite zu präsentieren, mit den Wählern dafür kaum geredet. Die scheinen größtenteils aber eh keine Lust mehr auf Wahlkampf zu haben.
Dieser Text ist Teil einer Serie, für die Cicero sich bis zur Bundestagswahl an Berliner Wahlkampfständen verschiedener Parteien umsehen wird. Hier finden Sie die vergangenen Teile zur SPD, zur CDU, zur AfD und zu den Grünen.
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Acht FDP- ler am Wahlstand interessiert vorwiegend der Video-Dreh von Spiegel-Online. Die Wahlkämpfer und Bürger (Wähler) wollen gegenseitig möglichst nichts miteinander zu tun haben.
FDP und Grüne sind sich einig: Hauptsache schön bunt, außer blau.
Gut gelaufen, alles o. k.