Das Wahlsystem in Großbritannien sorgt für klare Mehrheitsverhältnisse: Abgeordnete des Unterhauses / dpa

Mit 33 Prozent 66 Prozent der Sitze - Das britische Wahlrecht ist fairer als die Wahlrechtsreform der Ampel

Ein Wahlsystem kann, wenn der Gesetzgeber es darauf anlegt, den Wählerwillen grob verfälschen. Doch selbst ein faires Wahlrecht kann den Wählerwillen verzerren. Das zeigt das Ergebnis der britischen Unterhauswahl sehr deutlich.

Hugo Müller-Vogg

Autoreninfo

Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Die Briten, die sich traditionell durch einen beachtlichen Sportgeist auszeichnen, wollen Sieger sehen. Ihr Mehrheitswahlrecht ist simpel: Wer in einem der 650 Wahlkreise die meisten Stimmen bekommt, darf die Wähler in Westminster vertreten – ganz gleich, ob er 55 oder nur 25 Prozent der Stimmen erhält. Wer die meisten hat, hat gewonnen: „First past the post“. 

Das lässt den Erfolg der erfolgreichen Partei überdimensioniert erscheinen. So kommt Labour mit 33,7 Prozent der Stimmen auf zwei Drittel der Sitze, nämlich auf 412 – ein riesiger Zugewinn gegenüber den 201 Sitzen von 2019. Dabei hat Labour im ganzen Land gerade einmal um knapp zwei Prozentpunkte zugelegt. Knapp 34 Prozent, das erinnert an die alles andere als berauschenden Wahlergebnisse der CDU/CSU bei den Bundestagswahlen 2005 (35,1 Prozent), 2009 (33,8) und 2017 (32,9). Mit einem gewichtigen Unterschied. Der neue Premier Keir Starmer verfügt über eine komfortable absolute Mehrheit, Angela Merkel hingegen war jeweils auf Koalitionspartner angewiesen.

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Hans Jürgen Wienroth | Di., 9. Juli 2024 - 08:18

Es wurde sehr viel darüber geschrieben, dass die CSU bei Unterschreitung der 5%-Hürde nicht in den Bundestag einziehen könnte. Nur ist das Bundestagswahlrecht eines mit L a n d e s -listen. Wie werden die Stimmen auf die anderen Parteien aufgeteilt? Bekommen die Bayern entsprechend ihrem Wähleranteil Sitze im neugewählten Bundestag und wenn ja, wie werden die bayerischen Stimmen auf die anderen Parteien aufgeteilt? Nach dem Ergebnis in Bayern oder dem im Bund? Oder werden die Stimmen möglicherweise auch auf andere Bundesländer verteilt?

Wenn das Wahlrecht keine Bundeslisten, sondern nur Landeslisten kennt, diese der Grund für den aufgeblähten Bundestag sind (weil die Mandate auf Landesebene ausgeglichen werden müssen!), dann kann es keine 5%-Hürde für den Bund geben.

Es scheint mir, das BVerfG hat hier eine schwierige Aufgabe, wenn das Gericht gleiches Recht für alle sicherstellen will.

Gerhard Hellriegel | Di., 9. Juli 2024 - 08:23

Ich vermute mal, der Artikel wurde geschrieben, um Widerspruch zu provozieren.
Ist hiermit geschehen.

Straub Klaus Dieter | Di., 9. Juli 2024 - 09:24

Über den ganzen Artikel kann man genüsslich streiten. Was mir immer wieder stinkt sind Äußerungen aus der CDU/CSU, Rechtspopulisten und Rechtsradikale. Nehmen sie ihre beiden Augenklappen ab Hr Müller-Vogg. BSW, Grüne und die SPD sind lupenreine Demokraten. Ich frage mich immer, wo kamen die vielen Politiker der CDUCSU nach dem Krieg her. Mir schwant böses!!!

Wolfgang Borchardt | Di., 9. Juli 2024 - 09:48

Rechts, während Links-Grün ganz unpopulistisch grundsätzlich das Vernünftige tut: Abschaltung der dem Volk Angst einflößenden Kernkraftwerke, Abschaffung der auf dem Weg in die Bequemlichkeit so störenden Wehrpflicht, steigende Sozialausgaben. Die Thüringer SPD verspricht allen Kleinrentnern ein Weihnachtsgeld von 500 €, wenn sie die SPD in den Landtag wählen. Aber sicher nur dann, wenn die Partei gewinnt und nach dem Geld der Steuerzahler greifen kann. Mit Speck fängt man Mäuse. Populismus und Stimmenkauf. Und der feste Glaube, dass die Bürger noch dümmer sind, als man ohnehin schon wusste. Das ist wiederum von der SPD sehr, sehr dumm.

Christoph Kuhlmann | Di., 9. Juli 2024 - 10:17

sind wir ja nun gewohnt. Es ist alles nur Gerede, wenn die Union bei den nächsten Wahlen nicht große Teiler ihres Programmen durchsetzt, sondern einfach Programme andere Parteien übernimmt. Wer vor der Wahl eine klaren Positionen formuliert und kommuniziert, der will einfach nur einen Blanko-Scheck für die Macht. Macht zum Zwecke des Erhalts der Macht erfüllt jedoch das Kriterium der Paradoxie. Von paradoxen und absurden Parteien gibt es bereits genug im Bundestag.

Karl-Heinz Weiß | Di., 9. Juli 2024 - 10:23

Eine gute Erklärung der verschiedenen Ansätze für ein "gerechtes" Wahlsystem. Es bleibt zu hoffen, dass das BVerfG der perfiden Strategie der Ampel einen Riegel vorschiebt. Dass das Thema schwieriges Terrain ist, hat die Wahl in Frankreich gezeigt. Sämtliche Mainstreammedien haben im Vorfeld voneinander abgeschrieben - und sich getäuscht.

Gerhard Lenz | Di., 9. Juli 2024 - 11:37

das angeblich zu Lasten der Union geht - die natürlich wiederum alles besser machen würde?
Das perfekte Wahlsystem gibt es nicht. Im UK gewinnt die Labour Party mit 33% als stärkste Partei eine beeindruckende Parlamentsmehrheit. In FRA kommt die stärkste Partei mit gerade mal einem Prozent weniger bei den Wählerstimmen, der RN, nur an dritter Stelle bei der Zahl der Parlamentarier.
Das in beiden Ländern angewandte Mehrheitswahlrecht zeigt eine beeindruckende "Beliebigkeit". Was nicht verwundert: Im Endeffekt dürfte die Parteizugehörigkeit gar keine Rolle spielen, man wählt ja einen Kandidaten. Entscheidet man nur wegen der Parteizugehörigkeit, reicht ein reines Verhältniswahlrecht.
Das Mehrheitswahlrecht soll über die Kandidaten mehr Bürgernähe garantieren. Nur: Wer kennt schon seinen Wahlkreiskandidaten, wer trifft ihn schon mal persönlich, wo er doch meist abwesend ist: Im Land- oder Bundestag, bei Parteitagen usw.
Kurz: Das Mehrheitswahlrecht verspricht viel, hält aber wenig.

Theodor Lanck | Di., 9. Juli 2024 - 12:32

Das Wahlrecht steht ja nicht isoliert, sondern es fußt auf der politischen Kultur, und es dient als Basis für politische Entscheidungen.

In Deutschland krankt es weniger am Wahlrecht, denn an der immer hysterischeren politischen Kultur. Ein echter Austausch, ein Dialog (ob zwischen den Parteien, Politikern oder den Volksteilen) findet kaum mehr statt. Medial dominiert eine Einheitsmeinung, um den heiligen "Zusammenhalt" gegen die böse "Spaltung" zu verteidigen. Kindisch nenne ich das.

Politische Entscheidunge wiederum werden zunehmend abgekoppelt von der Wahlentscheidung. Einmal durch besagte Einheitsmeinung (grün/"divers"/links), zum anderen durch den Weg über Bande (EU/Brüssel). Von der Macht der Konzerne nicht zu sprechen.

Souveränität, sowohl des Volkes (des Deutschen!) als auch des Staates, wird ausgehöhlt. Da hilft auch ein noch so "faires" Wahlrecht nicht.

Gerhard Weißenberger | Di., 9. Juli 2024 - 13:46

Die Briten haben offensichtlich die Kandidaten
großteils nach Parteizugehörigkeit gewählt und damit das Majoritätsprinzip ad absurdum geführt. Die deutschen Blockparteien mit den Medien im Rücken haben den Gedanken vom
mündigen Wähler schon lange aufgegeben und das nicht erst mit dem neuen Wahlrecht.