Lukaschenko
Alexander Lukaschenko, Präsident von Belarus / picture alliance

Wird Putins Vasall abtrünnig? - Lukaschenko geht auf Polen und die EU zu

Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko spricht überraschend freundlich über die EU und besonders Polen. Entweder er will Unabhängigkeit gegenüber Russland demonstrieren. Oder er handelt in Absprache mit dem Kremlherrscher.

Autoreninfo

George Friedman, 74, ist einer der bekanntesten geopolitischen Analysten der Vereinigten Staaten. Er leitet die von ihm gegründete Denkfabrik   Geopolitical Futures  und ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien „Der Sturm vor der Ruhe: Amerikas Spaltung, die heraufziehende Krise und der folgende Triumph“ im Plassen-Verlag.

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Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko hielt letzte Woche eine Rede, in der er dem Westen die Hand zu reichen schien. Belarus ist seit Jahren ein enger Verbündeter Russlands, man könnte es sogar als Satellitenstaat bezeichnen. Bei mehreren Gelegenheiten haben die Russen politischen Einfluss genommen, um Lukaschenkos Präsidentschaft zu stabilisieren. Nach dem Putschversuch der Wagner-Gruppe im Juni gewährte Lukaschenko der Gruppe mit offensichtlicher Zustimmung des russischen Präsidenten Wladimir Putin Zuflucht in Belarus – obwohl es Hinweise darauf gibt, dass viele dieser Truppen das Land verlassen haben. Unabhängig von ihrem Verbleib ist Lukaschenko eng mit Russland verbunden.

Wichtig ist, dass Lukaschenko auch eine neue wirtschaftliche Ausrichtung für Belarus vorschlug und sagte:

Jetzt verdienen wir unser Geld vor allem im Osten: in Russland und China. Aber wir dürfen die Kontakte mit dem High-Tech-Westen nicht vernachlässigen. Sie sind in der Nähe, die Europäische Union ist unser Nachbar. Und wir sollten die Kontakte zu ihnen aufrechterhalten. Wir sind dazu bereit, aber wir sollten unsere Interessen gebührend berücksichtigen. Glauben Sie mir, die Zeit wird kommen (um mit Ihren Fachbegriffen zu sprechen, würde ich sagen, dass wir jetzt die Zeit der Turbulenzen durchlaufen), und 2024-2025 wird es ernsthafte Veränderungen in der Welt geben.

Lukaschenko sagte auch, dass Belarus mit den Polen sprechen müsse und dass er den Premierminister gebeten habe, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. „Wenn sie wollen, können wir reden und unsere Beziehungen wieder in Ordnung bringen“, sagte er. „Wir sind Nachbarn, und das kann man sich nicht aussuchen, Nachbarn sind von Gott gegeben.“ Der stellvertretende polnische Außenminister antwortete, wenn Belarus gute Beziehungen zu Polen haben wolle, müsse es die Angriffe an der gemeinsamen Grenze einstellen und polnische Gefangene aus belarussischen Gefängnissen freilassen.

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Oberflächlich betrachtet sehen Lukaschenkos Äußerungen wie ein vorsichtiger Versuch aus, Belarus aus seiner starken Abhängigkeit von Russland zu lösen und ein Gleichgewicht mit der EU und – überraschenderweise – mit Polen herzustellen. Minsk und Warschau sind einander feindlich gesinnt und haben Truppen an ihrer Grenze zusammengezogen. Das Problem ist, dass es schwer vorstellbar ist, dass Russland angesichts der Haltung Polens zur Ukraine, seiner Hilfe für Kiew und seiner Bereitschaft, als Waffendepot für die Vereinigten Staaten zu dienen, bereit wäre, diese Öffnung gegenüber Polen zu tolerieren. Eine Öffnung gegenüber der EU könnte für Russland als vorteilhaft angesehen werden, da Moskau ebenfalls engere Beziehungen zu diesem Block anstrebt.

Die Annäherung von Belarus an Polen eröffnet eine weitere Möglichkeit. Der ukrainisch-russische Krieg scheint immer mehr zu einem eingefrorenen Konflikt zu werden, den keine der beiden Seiten gewinnen kann, der aber auch nach all dem Blutvergießen auf beiden Seiten nur schwer beizulegen sein wird. Eine Beendigung des Krieges ohne so etwas wie einen Sieg wäre äußerst problematisch. Gleichzeitig kann der Krieg nicht einfach weitergehen, da beide Seiten in Bezug auf Soldaten, Waffen und öffentliche Unterstützung an ihre Grenzen stoßen.

Belarus als Friedensvermittler im Ukrainekrieg?

Vor diesem Hintergrund könnte Lukaschenkos Wunsch nach engeren Beziehungen zur Europäischen Union und vor allem zu Polen von Moskau unterstützt worden sein. Belarus steht Russland sehr nahe und hat eine – wenn auch geringe – Rolle im Krieg gespielt. Es könnte möglich sein, dass die EU mit Belarus zusammenarbeitet, und von dort aus könnte der Weg nach Moskau leichter zu beschreiten sein. Bei den Polen stellt sich eine andere Frage. Ihre Feindseligkeit gegenüber Belarus ist groß, und Polen könnte von Minsk unüberwindbare Zugeständnisse verlangen. Dennoch gibt es auch in Europa den Wunsch nach einem Ende des Krieges, und die EU könnte das Klopfen an die Tür von Belarus als Möglichkeit zur Verbesserung der Beziehungen zu Russland betrachten. Was Polen anbelangt, so gibt es viele in Europa, die Warschaus Haltung zum Krieg als einzigartig für Polen und seine geografische Lage betrachten und nicht in ihrem eigenen Interesse sehen, ihr zu folgen. Sie könnten Polen belohnen oder Druck auf es ausüben, damit es seine Position ändert.

Ich neige dazu, dies als eine Geste Lukaschenkos zu betrachten, der vielleicht versucht, die Rolle eines Staatsmannes zu spielen. Aber ich muss bedenken, dass Belarus seine Position und möglicherweise Lukaschenko sein Leben Putin verdankt. Und Lukaschenkos Rückhalt in Belarus ist unklar. Es ist schwer vorstellbar, dass er eine diplomatische Initiative ergreift, die nicht von Moskau gebilligt wird. Abgesehen von meiner Bauchgefühlsreaktion muss ich die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass es sich hierbei um eine Art Öffnung gegenüber Europa handelt, wobei das Angebot an Polen ein erster Schritt zur Mäßigung seiner Haltung zum Krieg ist. Eine direkte Annäherung ist nicht zu erwarten, aber es ist klar, dass alle Beteiligten des Krieges überdrüssig sind. Das gilt auch für die USA, wo die Wahlen 2024 einen großen Einfluss auf die Haltung der USA zu diesem Konflikt haben werden.

Lukaschenkos verwirrender Ansatz könnte also ein von Russland unterstützter Versuch sein, die Kriegsmüdigkeit der Europäer zu messen. Wenn er abgelehnt wird, ist es nur Belarus, das in Verlegenheit gerät. Wenn dies kompliziert erscheint, so liegt das daran, dass die Situation sehr komplex ist und wir uns dem Zeitpunkt nähern, an dem die Seiten subtile Ansätze ausprobieren werden. Oder es handelt sich um Lukaschenkos eigenen Versuch, die belarussische Unabhängigkeit von Russland zu sichern, was ich wirklich nicht glauben kann.

 

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Gerhard Lenz | Di., 22. August 2023 - 08:31

Vielleicht nimmt sich Lukaschenko ein Beispiel am Ungarn Orban. Der hetzt unentwegt gegen die EU, nimmt aber dankbar lächelnd den Zaster aus Brüssel entgegen. Mit dem modernisiert er sein marodes Land - was er dann als eigene Leistung darstellt, obwohl er ohne EU-Gelder völlig aufgeschmissen wäre. Es gibt gute Gründe für ihn, dass Ungarn EU-Mitglied bleibt - einen Austritt würden selbst die ihm in Wahlen so wohlgesonnenen Ungarn gar nicht mögen.
So wie Orban weiß wohl auch Lukaschenko die wirtschaftliche und technische Attraktivität des Westens zu schätzen. Zwar ist Lukaschenko Regierungschef von Putins Gnaden - gleichwohl ist ihm klar, dass das zwar waffenstarrende, aber ansonsten heruntergewirtschaftete und durch und durch korrupte Russland ihm bei der Entwicklung seines Landes nicht viel zu bieten hat. Und China? Macht sowieso, was es will, und geht dabei, wenn es sein muss, auch über die Leichen zuvor Verbündeter.

Was Sie als Hetze bezeichnen, ist mir die Widerstandsfähigkeit und Standhaftigkeit eines Patrioten, der weiß, daß ein kleines Volk wie die Ungarn verschwinden wird, wenn es sich nicht selbst behauptet. Viktor Orbán hat Mut und sicher auch eine gehörige Portion Schlitzohrigkeit. Ich wünschte mir für Deutschland solche Politiker.
In Bezug auf Lukaschenko bin ich nahe bei Ihnen.

Wenn Orban sich nur im ständigen Abwehrkampf gegen Brüssel und für seine Ungarn befindet, warum leitet er nicht endlich den Austritt seines Landes aus der EU ein?

Wo er doch so ein "mutiger" Politiker sein soll....

Meine Antwort: Weil er ein skrupelloser Egomane ist, der seine Ungarn mit rechtspopulistischem, nationalistischem Pathos betäubt hat, und in Brüssel schmarotzt.

Auf Ihre Antwort bin ich allerdings gespannt...

Thomas Hechinger | Di., 22. August 2023 - 15:59

Antwort auf von Gerhard Lenz

Die EU ist ein Verein formal gleichberechtigter Mitglieder, Ungarn ist ein Mitglied dieses Vereins und nimmt sämtliche Vereinsrechte wahr. In einem Verein hat man auch Pflichten, die sich aus der Satzung ergeben. Wenn nun ein Mitglied eines Vereins mit der Entwicklung desselben unzufrieden ist, kann es versuchen, im Rahmen seiner Rechte und Pflichten Einfluß zu nehmen und Änderungen herbeizuführen. Die letzte Möglichkeit ist immer der Austritt, wie ihn im Beispiel der EU Großbritannien vollzogen hat. Offenbar sieht Ungarn in der Mitgliedschaft zur Zeit die bessere Option. Ich kann daran nichts Anstößiges finden.

Da können sie sehen, Sie Schlaumeier, wie bescheuert die Politiker, die in der EU das Sagen haben, sind
Orban wäre ja mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn er dieses Geschenk nicht annehmen würde.
Aber "auch" das verstehen Sie nicht. Hass blockiert das Denken. Aber Sie wären auch ohne Ihren Hass, wie Ihre Komm., zeigen, zum Denken in der Lage.
Da fehlt einiges!

Peter Sommerhalder | Di., 22. August 2023 - 09:47

überzeugt mich dieses Mal Ihre Einschätzung, Herr Friedmann…

Thomas Hechinger | Di., 22. August 2023 - 10:49

Antwort auf von Peter Sommerhalder

Mich nicht.
Ein Beitrag, in dem der Autor von allem auch das Gegenteil für möglich hält, kann ich nicht gerade als überzeugend empfinden.

Thomas Hechinger | Di., 22. August 2023 - 10:40

Lukaschenko ist ein Chamäleon. Im Unterschied zu diesem possierlichen Tierchen ist er aber grausam und verschlagen. Auf seine Worte gebe ich nichts, und zwar gar nichts. Das Verhältnis Putin-Lukaschenko ist mir undurchschaubar. Wer hat hier eigentlich wen in der Hand?

Jochen Rollwagen | Di., 22. August 2023 - 10:58

Ein Waffenstillstand ohne Abzug de russischen Truppen aus den illegal besetzen Gebieten wäre ein Sieg für Rußland und würde Rußland zu weiteren Überfallen auf Nachbarländer ermutigen.

Das kann Herr Friedman nicht ernst meinen.

Christoph Kuhlmann | Di., 22. August 2023 - 12:06

Ein Blick auf die Landkarte mit der Lage der Pipelines klärt das Rätsel. Seit dem Erdgas-Röhrengeschäft in den 70ern (Westdeutschland baute sie, die DDR verlegte sie und Russland zahlte mit Gas) ist eine enorme Infrastruktur an Pipelines von Ost nach West entstanden. Kein Vergleich zu den Leitungen China. Russland lebt nach wie vor primär vom Erdölexport. Das Öl wird inzwischen zu zwei Dritteln mit Tankern verschifft. Es handelt sich in erster Linie um griechische Reeder, einem Land, welches die Ukraine mit Waffenlieferungen unterstützt. Der Seehandel ließe sich stören. Zudem machen Indien und China ein enormes Geschäft und Russland erhält relativ wenig für sein Öl. Es besteht also sowohl auf russischer, als auch auf europäischer Seite ein großes Interesse an friedlichen und produktiven Handelsbeziehungen. Der Clou ist, alle diese Pipelines verlaufen über polnisches und ukrainisches Staatsgebiet, nachdem Nord Stream 1 und 2 gesprengt wurden. Verhandlungen sind eine Frage der Zeit.

Django Reinhardt | Di., 22. August 2023 - 12:30

Vielleicht auch ...? Könnte aber auch sein ...! Möglicherweise aber, ... jedoch, wer weiß ...?
Kurz, die USA suchen eine Ausflucht, einen Weg zu ebnen, um gesichtswahrend den verfehlten Einsatz als Erfolg zur nächsten Präsidentenwahl verkaufen zu können.
Andererseits ..., sei es drum ...

Ronald Lehmann | Di., 22. August 2023 - 12:59

Fmp. ist POLITIK,
egal ob national oder international,
egal ob kommunistisch oder ein anderes System,
egal welche Flagge & welcher Kontinent,
egal welche Religionsgemeinschaft,

für die feinen & mächtigsten Pinkel dieser Welt ist alles nur ein Schachspiel,

wo es NIE um das Wohl der Menschen ging, deren Freiheit, der Wahrung der Demokratie & der Rechtsstaatlichkeit,
irgend eines Volk ging,

geschweige um LIEBE als Offenbarung 😔

Sie reden alle von
"WIR MÜSSEN"

Aber schließen sich immer SELBST aus (DU musst!!!!!!)

Sie reden alle viel von Frieden, aber ALLE unterstützen das Böse/Übel dieser Welt

Sie reden ALLE
"Ihr müsst kämpfen"
aber ihre Kinder & Enkelkinder sind in sicheren Zonen untergebracht

Sie reden von "Vaterland", aber wird die Schuld eingefordert, ist Vaterland im Nirwana-Land & da ist man
NATIONALIST

Und wer bezahlt die Zeche des gespielten Spieles

wie immer, Schütze A.... im letzten Glied - die Untertanen,
die das Brutto-Sozial-Produkt wie ein Bienchen fleißig wachsen lassen

Ernst-Günther Konrad | Di., 22. August 2023 - 19:38

Miteinander reden kann nie verkehrt sein. Streitigkeiten beenden auch nicht. Auf Augenhöhe und mit den nötigen Respekt friedlich miteinander umgehen ist wünschenswert. Das Lukaschenko sich von Russland "lossagen" oder "befreien" will, glaube ich nicht. Nach meiner Einschätzung hat er ein noch nicht erkanntes Ziel, weshalb man erst einmal verhalten diese Rede und sein Gesprächsangebot annehmen sollte. Ob er nur eigene nationale Interessen verfolgt oder etwas gemeinsam mit Russland plant kann man vermuten, muss man aber abwarten. Das ausgerechnet er als Friedensengel zwischen den Konfliktparteien agieren könnte halte ich für ein Hirngespinst. Sein Verhalten jetzt schon eindeutig einzuordnen, fällt mir jedenfalls schwer. Es gilt mit äußerster Wachsamkeit seitens Polen und der EU auf die weiteren Aktionen von Belarus zu warten. Sie selbst Herr Friedman scheinen auch nicht sicher, sondern zeigen nur mögliche Optionen auf, die sich aus dem Vorstoß Lukaschenkos ergeben könnten.

Henri Lassalle | Di., 22. August 2023 - 19:47

den Willen seines Herrn und Meisters. Andererseit ist sein Land derart gebeutelt, dass er nach Lösungen sucht. Und vielleicht ist ihm die Nibelungentreue an der Seite Putins nicht mehr geheuer.

Axel Gerold | Di., 22. August 2023 - 22:21

Habe ich überlesen, dass belarussische Schalmeienklänge gegenüber der EU und Polen einzig dem Ziel dienen könnten, das Verhältnis Polens, das erwartbar völlig negativ reagieren wird, und der EU-Kommission, die erwartbar nicht völlig negativ reagieren wird, weiter zu zerrütten?