US-Präsident Joe Biden und EU-Kommissionspräsidentin beim G-20-Treffen im November auf Bali / dpa

Inflation Reduction Act - Das ist kein Wirtschaftskrieg

EU-Kommission und Unternehmerverbände instrumentalisieren den US-amerikanischen Inflation Reduction Act. Die einen, um ihren Einfluss zu vergrößern, die anderen, um an Subventionen zu kommen. Stattdessen sollte die EU schnellstmöglich auf ein Freihandelsabkommen mit den USA hinarbeiten – und die eigene Wettbewerbsfähigkeit steigern.

Jan Schnellenbach

Autoreninfo

Jan Schnellenbach ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg.

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Der von der amerikanischen Regierung auf den Weg gebrachte Inflation Reduction Act (IRA) erhält auch auf unserer Seite des Atlantiks einige Aufmerksamkeit. Dies geht so weit, dass einzelne Kommentatoren von einem in den USA angezettelten Wirtschaftskrieg sprechen. Wirklich treffend ist das nicht, denn ein Wirtschaftskrieg wird in der Regel innerhalb eines größeren politischen Konfliktes mit wirtschaftlichen Sanktionen ausgetragen.

In einem solchen Wirtschaftskrieg schadet man ökonomisch nicht nur seinem Gegner, sondern auch sich selbst. Indem man sanktioniert, verzichtet man auf gegenseitig vorteilhafte Geschäfte, weil übergeordnete politische Ziele dies nötig machen, wie etwa die Beschränkung des Zugangs zu militärischer Ausrüstung für ein politisch aggressives Land. Von all dem kann hier aber nicht die Rede sein.

Inflationsbekämpfung ist nicht Hauptziel

Was also tun die USA mit ihrem Maßnahmenpaket tatsächlich? Zunächst einmal kann man feststellen, dass das Paket innenpolitisch zwar mit dem Ziel der Inflationsbekämpfung verkauft wird, aber eigentlich andere Ziele hat. Ein Großteil der Maßnahmen hat mit kurz- und mittelfristiger Inflationsbekämpfung nichts zu tun, sondern soll strukturelle Probleme der amerikanischen Wirtschaft adressieren. Das Congressional Budget Office schätzt, dass der IRA insgesamt mehr oder weniger inflationsneutral wirken wird.

Auch ist der IRA nicht als defizitfinanziertes Ausgabenpaket intendiert, sondern er enthält auch Maßnahmen zur Verbesserung der Staatseinnahmen. Dazu zählen eine Mindeststeuer für Großunternehmen, eine Steuer auf Aktienrückkäufe von Unternehmen und Maßnahmen zur konsequenteren Steuerdurchsetzung. Ob diese tatsächlich im erhofften Umfang Einnahmen generieren, bleibt jedoch abzuwarten.

Die Diskussion fokussiert sich in Deutschland und Europa vor allem auf die Ausgabenseite des IRA, und hier vor allem auf 375 Milliarden Dollar, die über einen Zeitraum von zehn Jahren helfen sollen, die Energiesicherheit und die Transformation zu klimafreundlichen Technologien abzusichern. Bezüglich der Höhe der Ausgaben besteht noch eine gewisse Unsicherheit: Die Fördersumme ist nicht gedeckelt, die tatsächliche Inanspruchnahme durch Bürger und Unternehmen könnte also auch höher ausfallen als bisher geschätzt.

Zehn Jahre Laufzeit

Dennoch sieht man, dass das Paket bei einer Laufzeit von zehn Jahren nicht zu derart exorbitant hohen jährlichen Ausgaben führt, wie man es auf den ersten Blick vielleicht vermuten würde. Außerdem wird das Geld auf eine Vielzahl verschiedener, konkreter Maßnahmen verteilt.

Knapp 130 Milliarden stehen für die Installation erneuerbarer Energien und von Energiespeichern zur Verfügung, 30 Milliarden für die Förderung von Kernenergie, insgesamt 36 Milliarden für die Verbesserung von Energieeffizienz und -angebot privater Haushalte und 37 Milliarden werden eingesetzt, um energieeffiziente, moderne Produktionstechnologien zu fördern. Kleinere Beträge stehen für die Förderung von E-Auto-Anschaffungen bei Konsumenten bereit. Wohlgemerkt: jeweils über einen Zeitraum von zehn Jahren.

Protektionistische Anteile

Eine protektionistische Schieflage hat der IRA tatsächlich. Einige der gewährten Steuererleichterungen können nur dann vollständig in Anspruch genommen werden, wenn fest definierte Anteile der Investitionssummen aus lokaler, amerikanischer Produktion stammen. Ebenso ist die Unterstützung für Privathaushalte beim Kauf elektrischer PKW daran gebunden, dass diese in Amerika produziert wurden.

Dies ist zweifellos kritisch zu sehen. Mit solchen Klauseln, die Konsum und Investitionen aus heimischer Produktion privilegieren, wird eine effiziente internationale Arbeitsteilung verzerrt. Dennoch sollte man, bevor man hier von einem Wirtschaftskrieg spricht, an die Dimensionen des Pakets denken. Die prognostizierten jährlichen Ausgaben, die an Domestic-Content-Klauseln gebunden sind, sind am Ende dann doch nicht dramatisch hoch.

Zwar ist es durchaus möglich, dass wir in den kommenden Jahren die eine oder andere besonders energieintensive Produktion in die USA abwandern sehen werden. Verantwortlich hierfür dürften aber vor allem die im Vergleich zu Europa um Größenordnungen geringeren Energiekosten sein. Verglichen mit den Kostenvorteilen, die Unternehmen etwa durch günstigere Gas- und Strompreise in den USA realisieren können, sind die zusätzlichen Anreize, die durch den IRA gesetzt werden, recht gering.

Freihandelsabkommen mit den USA jetzt

Umso unangemessener ist die europäische Reaktion auf den IRA. Rational wären auf dem alten Kontinent drei Antworten: erstens eine schnelle Ausweitung des Energieangebots unter Nutzung aller Optionen, um unser Energiepreisniveau mit dem der USA wettbewerbsfähiger zu machen. Eine Reaktivierung noch verfügbarer Atomkraftwerke und längerfristig auch ein erneuter Ausbau der Kernenergie, sowie auch heimisches Fracking, sollten nicht tabu sein.

Zweitens sollte versucht werden, endlich ein Freihandelsabkommen mit den USA zu verhandeln. Dies wäre schon deshalb vorteilhaft, weil einige der Domestic-Content-Klauseln des IRA verlangen, dass geförderte Produktion aus den USA kommt, oder aus einem Land, mit dem die USA ein Freihandelsabkommen abgeschlossen haben. Mit einem neuen Abkommen könnten solche Regelungen zugunsten der EU noch ausgeweitet werden.

Gemeinsame Schulden als Antwort?

Drittens sollten die EU-Mitgliedstaaten natürlich an ihrer Attraktivität als Investitionsstandort arbeiten. Neben den schon angesprochenen Energiepreisen gäbe es hier auch bei anderen Parametern noch viel Verbesserungsbedarf. Dies betrifft das Steuerniveau, aber auch die Regulierungsdichte und das Angebot qualifizierter Arbeitskräfte.

Statt den Weg sinnvoller, aber oft auch politisch mühsamer Reformen zu gehen, werden nun aber Rufe laut, ein gemeinsames, schuldenfinanziertes Subventionsprogramm auf europäischer Ebene anzustoßen. Dies ist interessant, da der amerikanische IRA gerade nicht schuldenfinanziert geplant ist, sondern staatliche Einnahmenverbesserungen zur Finanzierung vorsieht. In Europa dagegen steht wieder einmal der Glaube an einen „Hamilton-Moment“ im Vordergrund. Also der Glaube, über gemeinsame Schulden doch noch den Weg zu einer Form europäischer Staatlichkeit finden zu können.

Machtverschiebung Richtung Brüssel

Es scheint, dass die EU-Kommissionspräsidentin die durch den IRA für Europa entstehenden Herausforderungen bewusst deutlich übersteigert, um Unterstützung für genau diesen Weg zu mobilisieren, der für sie selbst auch mit einem erheblichen Machtzuwachs verbunden wäre. Wieder einmal sieht man eine Chance, in einer Krise eine Machtverschiebung in Richtung Brüssel einzuleiten.

In diese Richtung wirkt auch der Vorschlag, die EU-Kommission mit weiteren industriepolitischen Kompetenzen auszustatten. Die EU würde hier weitgehend dem französischen Weg folgen, der eine viel weitreichendere staatliche Investitionslenkung beinhaltet als wir sie in Deutschland und vielen anderen Ländern kennen. Für die Annahme der Effizienz einer solchen Politik gibt es aus ökonomischer Sicht kaum gute Gründe und auch keine robuste Evidenz. Für Politiker attraktiv ist der damit verbundene Einflussgewinn aber allemal.

Rückendeckung bekommt die EU-Kommission von einzelnen Unternehmensvertretern und -verbänden. Sollte das unsere Skepsis mindern? Eher nicht. Wir haben es hier mit einer Interessenidentität zu tun zwischen der Kommission, die ihren Macht- und Einflussbereich ausweiten will und von Unternehmen, die sich gerade hiervon hohe Subventionen versprechen. Dagegen hilft nur eines: nüchterne Ordnungspolitik, die auf den Markt und eine Verbesserung der Investitionsbedingungen anstatt auf staatliche Steuerung setzt.

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Ingo Frank | Di., 13. Dezember 2022 - 08:20

Könnte man zum Schluss kommen, dass es im Artikel nicht um das Wirtschaftsprogramm der USA, sondern um den Wirtschaftskrieg, den die EU und insbesondere Buntland Germany, gegen Russland führt.
Dennoch sehr informativ.Danke dafür.
Mit freundlichen Gruß aus der Erfurter Republik

Gabriele Bondzio | Di., 13. Dezember 2022 - 09:47

in einer Krise eine Machtverschiebung in Richtung Brüssel einzuleiten."

Das ist wohl ein wahres Wort, Herr Schnellenbach.
Aber ob diese Chance von Realismus gestützt wird, ist die andere Frage.

Fau konnte ja beobachten, dass als Gegengewicht zum US-geführten Wertesystem, mit seinen Wirtschaftssanktionen, die wie sie richtig erkennen..." Indem man sanktioniert, verzichtet man auf gegenseitig vorteilhafte Geschäfte,.."...die BRICS entstanden ist.

Die eine große Anziehungskraft auf aufstrebende Länder rund um den Erdball ausübt.
Weil sie dem finanziellen und wirtschaftlichen Druck (inklusive Sanktionen) durch den Westen nicht mehr tragen wollen.

Da ist es naheliegend, von einem Schuss ins eigne Bein zu reden.
Schon weil sich westliche-orientierte Staaten (dazu gehört grundsätzlich die EU) ja selbst um wesentlich (bisher kostengünstige) Möglichkeiten der Rohstoffbeschaffung bringen.
Und noch dazu untereinander konkurieren.

Ronald Lehmann | Di., 13. Dezember 2022 - 11:09

damit Systeme effizient & optimal für das Glück & Wohl ALLER (ich betone aller, die können & wollen) mit geringstmöglichen Aufwand funktionieren.

Und hier liegt fmp. das Übel der Entwicklung der Gesellschaften begraben.

Das aufblähen von Behörden & Institutionen &&&
Hinzu die immer größer werdende Gier nach exorbitanter Besoldung & Prämien, die aber absolut nicht mehr im Verhältnis in der Abwärts-Spirale der übernommenen Verantwortlichkeit, deren Rechenschaftslegung & der nicht mehr vorhandenen Kontrolle durch & an den "Souverän/Mehrwerterzeuger (& nicht der bestochenen Macht selbst) erfolgt.

Das gleiche betrifft das Wirtschaftssystem selber, wo
1. Nahrungsmittel nur aus dem Profit heraus exportiert/importiert zu Lasten der Umwelt werden
2. wo Wirtschafts -& Konsum-Güter auch nur aus der Gier/Profit heraus exportiert/importiert werden.

Und die gottgleichen Ritter aus Brüssel wachen darüber, dass das arbeitende Volk seinen Verpflichtungen nachkommt, Steuern ... & nicht aufzubegehren

Brigitte Simon | Di., 13. Dezember 2022 - 22:20

Brüssel fühlt sich durch das 369 Milliarden Dollar schwere Förderprogramm Washingtons herausgefordert. Die europäische Industrie könnte von der amerikanischen Konkurrenz ausgelöscht werden, sollte die EU auf ein neues Subventions-Programm verzichten. Die EU als globale wirtschaftliche Größe ist noch mehr als "zunehmend gefährdet". Daß sich die Größe in ein Nichts entwickelt sind für mich die unnötigen Sanktionen gegen Rußland.

Wir haben China, das seine Industrie schützt, die USA, die ihre Industrie schützt. Und wir haben Deutschland, das seine Industrie verkauft und ein Europa, das offen ist.

Frankreich und mit Sicherheit auch Italien, ja das gesamte Westeuropa bis auf D wird sich retten können in der multipolaren Welt.

Das deutsche Gehörsamkeits-Gen in Kombi-nation mit instalierten grünen Transatlantiker sorgt wieder einmal für den beispiellosen Untergang. Wir lernen niemals aus der Geschichte.
E-Autos ade, unsere besten Fachkräfte finden wir weltweit, nur nicht mehr in D.

Albert Schultheis | Do., 15. Dezember 2022 - 13:49

Im Übrigen möchte ich verhindern, dass vergessen oder unter den Teppich gekehrt wird, dass da ein blinkender rosa Elefant im Raum steht, über den alle, besonders die Scholzische Regierung Deutschlands, sich verschworen haben, ihn tunlichst nicht zu erwähnen: Dass die USA, wahrscheinlich in Kooperation mit ihren Pudels in UK, unsere Pipeline nach Russland in die Luft gesprengt haben! Das ist und bleibt unser 9/11-Ereignis! Und die Terroristen sitzen in Washington. Wenn man jetzt noch annimmt, dass der korrupte Joe unter anderem deshalb die Ukraine hochgerüstet hat, um das Land in den Krieg zu treiben, dann wird aus dem rosa Elefanten ein Schuh! Zu diesem Coup kann man unsere besten Feinde in USA nur beglückwünschen: Deutschlands Aorta zu Russland endgültig kaputt, der Exportweltmeister ruiniert, Russland isoliert, die korrupte EU als Transferunion gestärkt, die slawischen Brüder metzeln sich gegenseitig und die USA sitzen im driver seat! - Der müde Joe mag korrupt sein, er ist genial!