- Ein Verlag hat Angst
Der Erfolgsautor Thomas Brussig verlässt seinen Verlag. Denn das Traditionshaus S. Fischer schreckt vor einem Rechtsstreit mit dem ehemaligen NVA-Offizier Holger Bismark zurück, der namentlich im Brussig-Roman „Das gibts in keinem Russenfilm“ erwähnt wird. In der Causa geht es aber nicht nur um Juristerei, sondern auch um Verantwortung.
Wüsste man es nicht besser, könnte man den renommierten S. Fischer Verlag nach seinen jüngsten Verlautbarungen für ein mittellosen, krämerladenähnlichen Independent-Player halten. Dieser Eindruck stellt sich insbesondere bei seinem aktuellen Umgang mit seinem bisherigen Stamm- und Erfolgsautor Thomas Brussig ein, der mit „Helden wie wir“ (1995) oder „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“ (1999) berühmt wurde.
Nachdem Brussig in seinem Roman „Das gibts in keinem Russenfilm“ (2015) den ehemaligen NVA-Offizier Holger Bismark namentlich erwähnt und dessen unrühmliche Taten während der DDR-Zeit offenlegt, fühlte sich dieser in seinen Persönlichkeitsrechten beschnitten. Ungeachtet der Tatsache, dass er seine Identität und Funktion bereits 1985 selbst in einer Zeitung publik machte, signalisierte ihm der Verlag schon vor Jahren ein Entgegenkommen.
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Wie hältst du es mit der Moral? Diese Frage muß weit über literarische Werke hinaus zur Diskussion gebracht werden. Während es offenbar zahlreiche Personen als völlig legitim erachten, anders Denkende mit der Waffe der Moral und Hypermoral zu richten und zu desavouieren, verwandelt sich Moral in Fällen des Nichtgefallens zu Unmoral, ja zu Illegalität. Mir scheint, dass die Moral inzwischen der Deutungshoheit derer unterworfen wurde, die jede unwillkommene Rede oder Meinung mit der Unterstellung der Unmoral abbügelt, skandaliert oder als „juristisch“ problematisch erklärt. Entlarven sich hier Feigheit, Orientierungslosigkeit, der Verlust moralischen Bewusstseins?
Persönlichkeitsrechte sind zu achten, das gilt sonst sogar für verurteilte Straftäter, oder? Wenn Brussig sich an seinem Kompaniechef rächen will, muss ihm ein anonymes "Denkmal" reichen, alles andere ist blanke Denunziation mit der Hoffnung auf gesellschaftliche Ächtung. Das dies beim Schreiben und auch noch beim Lektorat durchgeht, hat nur mit der Unkultur zu tun, alle DDRler für vogelfrei halten zu dürfen, nachdem es ihren Staat nicht mehr gibt. Das ist ein direkter Vorlauf für die Cancel Culture, die wir heute sehen. Ein von wem auch immer gesetzter, geradezu beliebiger moralisitischer Imperativ wird gesetzt und schafft Fakten. Insofern muss man dem Ex- Offizier und dem Verlag dankbar sein, daß ein wenig Rechtsstaatlichkeit wiederhergestellt wurde. An "zwielichtige Gestalten" herrscht auch heute kein Mangel, übrigens.
als Vorläufer für cancel culture? Ziemlich weit hergeholt! Das ist ein extremistisches Programm zur Zerstörung von Demokratie, Freiheitsrechten, Meinungsfreiheit. Von wo es kommt, ist bekannt. Aber es gibt überhaupt keinen Zusammenhang zu den Verbrechen, die im Unrechtsstaat ddr an Menschen von Menschen erwiesenermaßen begangen wurden, und wenn der exNVA Offizier daran beteiligt war, und das hätte bewiesen werden können, wäre es ein Zeitzeugnis gewesen, so wie die Verurteilung von "kleinen" Mauerschützen oder die Nürnberger Prozesse. Denunziation ist es, wissentlich Unwahrheiten über andere Personen zu behaupten. Die Wahrheit denunziert nicht. Ich habe sehr gute Freunde aus dem "Osten", die sind nicht "vogelfrei". Ein exNVA Offizier stellt die Rechstaatlichkeit wieder her? In welchem Ministerium in der ddr haben Sie gedient?
Auch mir, lieber Herr Matting, kommt sofort der gleiche Gedanke wie Herrn Latell: das Ihr Kommentar dem eigenen schlechten Gewissen entsprungen ist, und Sie hier einen Mittäter verteidigen möchten.
"[...] alle DDRler für vogelfrei halten zu dürfen [...]" das ist Unfug - oder können Sie mir auch nur EINEN Beleg dafür liefern.
Die DDR wurde vom Westen kolonialisiert und ausgeplündert - richtig. Jedoch das Rechtssystem hat bis vor kurzem auch dort noch prima und neutral funktioniert.
Das scheint zwar langsam zu kippen - aber das ist ja im ganzen Land so.
Dieser Verlag betreibt einen Eiertanz und nicht nur hier. Entweder man hätte das Buch nicht herausgebracht oder man steht zum Autor. Ein bisschen schwanger gibt es nicht. Da der Betroffene sich selbst "geoutet" hat dürfte eine juristische Auseinandersetzung für ihn nicht günstig sein. Anderseits sehe ich die Meinungs- und Kunstfreiheit erneut in Gefahr, wenn man nicht mehr Ross und Reiter nennen darf. Wäre das ein Buch über einen Nazi gewesen, würde Brussig jetzt gefeiert. Und da ist sie wieder, die Doppelmoral bis tief hinein in die Verlagshäuser und Medien.
Das neue "work in progress" verteilt sich wie ein Nebel des Grauens in alle Ritzen unserer Gesellschaft. Ich glaube allerdings, dass sich dieses ideologische Dogma von ganz alleine wieder auflöst. Es ist nur ein unangenehmer Trend, der irgendwann an einen gewissen Punkt kommt. Und dann wird es wahrscheinlich ins krasse Gegenteil kippen, was eigentlich ja auch keiner möchte.
Die Meinungskorridore der Minderheiten werden irgendwann so eng, dass ihre Dogmatiker selbst nicht mehr genug Luft darin bekommen. Bis dahin sollte sich jeder seine Haltung bewahren und so lange es noch geht der Dinge frönen, die uns vielleicht demnächst per Gesetz verboten werden....Savoir vivre.