Lars Klingbeil und Saskia Esken
Erfolgreiche Doppelspitze? Lars Klingbeil und Saskia Esken beim SPD-Bundesparteitag /dpa

SPD-Vorsitz - Für Olaf Scholz ist ein Führungsduo Klingbeil/Esken die perfekte Aufstellung

Auf Lars Klingbeil könnte sich der künftige Bundeskanzler voll und ganz verlassen, während Saskia Esken für Ruhe auf dem linken Parteiflügel sorgt.

Hugo Müller-Vogg

Autoreninfo

Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Bei der SPD bahnt sich etwas an, was seit Jahrzehnten nicht mehr vorgekommen ist: Ein Vorsitzender tritt nicht zur Wiederwahl an, obwohl niemand seinen Rücktritt gefordert oder versucht hat, ihn zum Aufgeben zu zwingen. Die Regelung der Nachfolge scheint ebenfalls ohne die üblichen Flügelkämpfe abzulaufen. Die neue Doppelspitze wird aus dem bisherigen Generalsekretär Lars Klingbeil und der seit zwei Jahren amtierenden Saskia Esken bestehen. Ihre Aufgabe: die Partei auf dem Kurs zu halten, den der mutmaßliche Bundeskanzler Olaf Scholz vorgibt.

Noch vor einem halben Jahr hätten nicht viele darauf gewettet, dass das 2019 ins Amt gekommene Duo Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken es wagen könnten, nochmals anzutreten. Denn die beiden erklärten GroKo-Gegner hatten längst ihren Frieden mit der ungeliebten Regierungsbeteiligung der SPD gemacht, die Partei bis dahin aber keineswegs – wie vollmundig angekündigt – aus dem Umfragetief herausgeholt. Seit dem Wahlerfolg vom 26. September gelten die beiden SPD-Linken plötzlich als Sieger.

Esken und Walter-Borjans tauchten im Wahlkampf ab

In der Tat ist es ihnen gelungen, die Kühnerts der SPD im Wahlkampf mehr oder weniger zum Schweigen zu verdammen – sich selbst eingeschlossen. So konnte sich Scholz als männlicher Merkel profilieren. Lauten Widerspruch jener Genossen, die massive Umverteilung, staatliche Gängelung der Wirtschaft und eine Rundum-Vollkasko-Sozialpolitik als Inbegriff sozialdemokratischer Politik ansehen, blieben aus. Noch ein Verdienst ist Esken/Walter-Borjans nicht abzusprechen: Sie waren im Wahlkampf – jedenfalls auf Bundesebene – mehr oder weniger unsichtbar, überließen Scholz die Bühne allein und erfreuten die linken Genossen nur gelegentlich mit Träumereien von Rot-Grün-Rot.

Walter-Borjans alias „Nowabo“ war vor zwei Jahren aus dem Politik-Ruhestand zurück in die Arena gekommen, um unbedingt einen SPD-Vorsitzenden Scholz zu verhindern und die SPD aus dem GroKo-Joch zu befreien. Jetzt zieht er sich wieder aus dem aktiven Geschäft zurück, weil er selbst keinen Ehrgeiz für weitere Ämter hat und die Partei auf einem guten Weg sieht.

„Nowabo“ sorgte im Abgang für Ämtertrennung

Im Abgang hat „Nowabo“ allerdings noch Leitplanken für potentielle Nachfolger eingezogen. Er plädierte dafür, dass die SPD künftig nach grünem Vorbild geführt werde: Minister dürften keine Parteivorsitzenden sein – um umgekehrt. Damit verdarb er gleich zwei möglichen Aspiranten auf den Parteivorsitz die Option für diese Doppelfunktion. Esken musste deshalb schweren Herzens die Hoffnung auf ein Ministeramt für Digitales oder Bildung ebenso aufgeben wie Klingbeil, der beste Chancen hatte, ins Verteidigungsministerium einzuziehen.

Die Wahl zum Parteivorsitzenden wäre für Klingbeil der Lohn für seine Kärrnerarbeit als Generalsekretär in stürmischen Zeiten und seine Leistungen als Wahlkampfmanager. Er steht für den Typ des „Regierungs-Sozi“, wobei auch an ihm ein Bündnis mit der Linkspartei nicht scheitern würde. Esken hingegen kann weitermachen wie bisher: als Frontfrau der Parteilinken, die nichts lieber täte, als gemeinsam mit der Linkspartei und von „Fundis“ dominierten Grünen dieses Land von Grund auf zu erneuern – im Sinne des „demokratischen Sozialismus“. Das wird die Ampel nicht leisten können. Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt – vor allem bei Linken, die zwischen Kapitalismus und sozialer Marktwirtschaft ebenso wenig einen Unterschied erkennen wollen wie zwischen rechts und rechtsradikal.

Aus der Sicht des potentiellen Kanzlers Scholz ist ein Führungsduo Klingbeil/Esken die perfekte Aufstellung. Auf Klingbeil kann er sich voll und ganz verlassen, und Esken sorgt für Ruhe auf dem linken Flügel, gelegentliches ideologisches Aufflackern eingeschlossen. Vor allem hat er mit Klingbeil einen Parteivorsitzenden, den er in den kommenden Wahlkämpfen nicht verstecken muss. Im Gegenteil.

Preisfrage: Wie lange hält die SPD-Linke still?

In der Endphase des Wahlkampfes, als sich eine Kanzlerschaft von Scholz bereits abzeichnete, hat der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel auf folgende SPD-Besonderheit hingewiesen: Die Partei, so Gabriel, halte nach einer erfolgreichen Wahl dem eigenen Mann etwa eineinhalb Jahre den Rücken frei. Spätestens dann werde dieser innerparteilich kritisiert und attackiert. Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder haben diese „Regel“ erfahren und erleiden müssen. Alle drei sind letztlich an den eigenen Genossen gescheitert. Sollte das bei Scholz anders sein, wäre das eine sozialdemokratische Uraufführung. Schaun mer mal.

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Karl-Heinz Weiß | Fr., 5. November 2021 - 11:32

Die SPD steckte noch im Frühjahr bei 15%. Wer hat den Sprung auf 25% bewirkt? Angela Merkel und ihre Auswirkungen auf die ihr nahestehende Partei. Olaf Scholz hat als einziger unbeirrt daran geglaubt und ist deshalb der alleinige Wahlgewinner-Du hast keine Chance, also nütze sie!
Respekt.

Gerhard Lenz | Fr., 5. November 2021 - 12:51

Antwort auf von Karl-Heinz Weiß

über die beliebtesten Politiker*innen im Lande an.

Herr Weiß, ich schätze, Sie irren. Mit Merkel hätte die Union wohl wieder die Wahlen gewonnen. Und das sage ich, obwohl ich mich freue, dass endlich wieder ein Sozialdemokrat das Kanzleramt übernehmen darf - die CDU war mir immer zu konservativ.

Es lag wohl eher am Kandidaten Laschet. Der vollbrachte das fast schon famos zu nennende Kunststück, innerhalb von Monaten einen 10-Prozent-Umfragevorsprung zu versemmeln. Dank unbegrenzter Beliebigkeit, Anflügen von Populismus bei den Corona-Maßnahmen und dem fast schon manischen Bemühen, bloß niemanden zu verprellen, nicht einmal den Rechtspopulisten Maaßen.

Andererseits hätte Friedrich Merz zweifellos mit seiner "Gestrigkeit" der CDU ein noch miseres Ergebnis eingebracht.

Aber es geht ja um die neue SPD-Führung. Und da ist Klingbeil eine exzellente Wahl.
Aber Frau Esken, als Vertreterin des linken Flügels? Sorry, aber da hat die SPD sicher attraktivere Kandidat/inn/en zu bieten.

Auf Umfragen wette ich nur Inflations -Reichsmarkscheine aus dem Antiquariat. Frau Merkel war 2005 beliebteste Politikerin, obwohl sie erst Wochen im Amt war. Ich hoffe nicht, dass Herr Scholz ähnlich sedierende Wirkung auf den Verstand der Wählerschaft hat.

Christoph Kuhlmann | Fr., 5. November 2021 - 11:42

wo rechtschaffenen sozialdemokratischen Kanzlern von einer pseudosozialistischen Partei-Nomenklatura die Regierungsgeschäfte versaut werden. Bur bevor es soweit ist, Frage ich mich, springen nun die Grünen über ihren Schatten oder FDP und SPD. Noch ist Merkel nicht in Rente!

Ingofrank | Fr., 5. November 2021 - 15:10

Und die Analyse teile ich mit Ihnen im punkto SPD. Gleichfalls ist für mich die Frage, wann die Linken der SPD den sicheren Schützengraben verlassen, und mit Esken & Kühnert als Standartenträger mit dunkelroter Fahne, zur Attacke blasen. Eines glaube ich nicht , begründet durch das sehr sehr große Ego v. Kühnert + Esken, das wir da noch lange warten müssen. Sie halten sich beide besser als Scholz, dass Amt als BK auszufüllen. Mal sehen, wie lange der Burgfrieden hält.
Im übrigen mehren sich die Vorzeichen bei den Grünen, der größer werdenden Unzufriedenheit bei den Extremen (Grüne Jugend, FfF, Fundis ….) Luft gegenüber dem bisher verhandelten zu machen. Da ist beim Segen über die Koalition, der Käse noch lange nicht gegessen.
Mit freundlichen Grüßen aus der Erfurter Republik

Ernst-Günther Konrad | Fr., 5. November 2021 - 15:46

Das Borjans wirklich freiwillig geht glaube ich ihm nicht. Da dürften durchaus wohl parteiinterne Querelen eine Rolle spielen, ich halte die derzeit bei der SPD eine vorgespielte äußere Ruhe nur für ein Blendwerk. Warum? Wie sich die Linksextremisten in der SPD verhalten werden, wenn ein Koalitionsvertrag konkret mit Inhalten versehen zur Abstimmung kommt, werden wir sehen, wenn es soweit ist.
Ob die alles mitmachen, was Olaf aushandelt ist fraglich. Dieser Burgfrieden in der SPD ist nur von kurzer Dauer. Und wenn es tatsächlich so kommen sollte, dass die SPD ihrer Historie treu bleibt und nach ca. 1,5 Jahren beginnt ihren eigenen Kanzler zu demontieren kommt ein weiterer Grund hinzu, für mich anzunehmen, dass eine Ampel keine volle Legislaturperiode halten wird. Entweder springt die FDP von der Schippe oder die SPD würgt sich selbst ab.
Aber noch ist die Ampel nicht da. Abwarten und Tee trinken. Jedenfalls Borjans wird sicher nicht vermisst werden.

Ich sehe es ähnlich, werter Herr Konrad.

Aus der linke Ecke der SPD wird bald zum Sturm geblasen.

N. Borjan war das erste Opfer, da er erkennbar nie so weit links stand wie Esken u. Kühnert.

Er war m. E. nur deren beider Erfüllungsgehilfe um überhaupt an die Macht zu gelangen.

Rob Schuberth | Fr., 5. November 2021 - 18:27

M. E. ergreift sie, Frau Esken, nur die ihr noch verbliebe Option der erneuten Kandidatur als Parteivors.

Es hat ihr von denen die da verhandeln wohl doch keiner ein Min.Amt zugetraut, resp. man will sie da nicht haben.

Was ich auch gut verstehen kann.

Die Linken treiben es immer weiter und irgendwann ist der Bogen überspannt.
Die Linke hat das schon deutlich zu spüren bekommen.

Nur weil ein Dritter ebenfalls sein Direktmandat gewonnen hat dürfen sie - aufgrund der Grundmandatsklausel - mit Ach u. Krach noch im Parlament sein.

Die Wähler haben sie deutlich für ihren "marxistischen Einschlag" abgestraft.

Rob Schuberth | Fr., 5. November 2021 - 18:47

Das ist m. E. die Frage die sich schon jetzt stellt.

Der linke Flügel der SPD scharrt ja bereits erkennbar mit den Füßen.

N. Borjan musste gehen. Der Moor hat seine Ausgabe (an die Macht zu gelangen) erfüllt.

Und das Esken freiwillig auf ein Min. Amt verzichtet hat, nehme ich ihr nicht ab.

Immerhin war sie bis zur Wahl als Co-Vors. parteiintern eher eine Hinterbänklerin.

Darum hat sie die ihr einzig gebliebene Option der möglichen Wiederwahl gewählt.

ich muss Ihnen an dieser Stelle zu Ihren Einlassungen über die angeblichen Vertragsverletzungen der EU-Institutionen antworten.

Ihre Sammlung ist ja schön und gut, nur ist ein juristischer Kommentar, der die Grenzen gemeinschaftlicher Zuständigkeit aufzeigt und diskutiert, etwas ganz anderes als ein rechtskräftiges Urteil über eine in der Tat begangene Vertragsverletzung.

Das gilt mehr noch für irgendeine Masterarbeit. Selbstverständlich finden Sie jede Menge EU-kritisches Zeug im Internet - Beweiskraft? Meistens NULL.

Also: Kommen Sie mit Quellen kompetenter Organe (d.h. Gerichte), die Ihre Aussagen tatsächlich bestätigen. Und nicht mit irgendwelchen Kommentaren, Meinungen, Interpretationen...

Davon abgesehen: Sie können sicher sein, dass die AfD (oder andere europäische Rechtsextremisten) bei einer tatsächlichen Verletzung der EU-Verträge sofort zum nächsten Gericht laufen würden...

Was aber, wie man sieht, nicht geschieht.

Und wenn doch, kassieren sie Pleiten - siehe Lucke.