- „Was hast du vor, du Schuft?“
Philip Roth ist gestorben. Er galt als einer der bedeutendsten Autoren der Gegenwart und als Seismograph der modernen US-amerikanischen Gesellschaft. Schon 2009 haben wir ihn gefragt, wie sehr es ihn schmerzt, dass er nie den Literaturnobelpreis gewonnen hat
Herr Roth, Sie haben die wichtigsten Auszeichnungen der USA erhalten, die Liste ist lang: unter anderem den Pulitzer-Preis, die National Medal of the Arts, zweimal den National Book Award, zweimal den National Book Critics Circle Award. Was fehlt, ist der Literaturnobelpreis. Schmerzt das?
Ach, wissen Sie, das Kind in mir ist natürlich begeistert, wenn ich einen Preis bekomme. Doch als Erwachsener schätzt man das anders ein. Preise sind eine feine Sache, es ist besser, sie zu bekommen als leer auszugehen – schon deshalb, weil man dann umso snobistischer die Nase über sie rümpfen kann. Aber sie können letztlich nichts daran ändern, dass man sich jeden Tag wieder mit seinen Texten abplagen muss. Und das tun Sie wirklich.
Mittlerweile publizieren Sie fast jährlich einen Roman, in diesem Jahr „The Humbling“, die Geschichte eines gefeierten Schauspielers, der über Nacht sein Talent verliert. Wie kamen Sie auf das Thema?
Ich hatte vor Jahren solch eine Geschichte gehört – ein legendärer Schauspieler vergisst, wie man eine Rolle spielt. Wie aus dem Nichts entstand der Satz: „Er hatte seine Magie verloren.“ Das waren die ersten Worte des Buches, mein
Sprungbrett. Hat Ihre immense Produktivität möglicherweise damit zu tun, dass auch Sie Angst vor dem Verlust Ihrer Schaffenskraft haben? Die Tatsache, dass ich im Grunde ohne Pause schreibe, entspringt keiner bestimmten Ambition – ich habe einfach keine andere Art einer menschenwürdigen Existenz gefunden, als mich täglich hinzusetzen und zu schreiben.
Der Held Ihres neuen Romans „The Humbling“ ist ein gealterter Künstler, und nachdem er nicht mehr auftreten kann, beginnt er eine Liaison mit der erwachsenen Tochter eines befreundeten Paars. Eine typische Roth-Erfindung?
Ich plane meine Geschichten nicht, sondern lasse mich beim Schreiben Zeile für Zeile von der Story überraschen. Sagen wir es so: Ich „entdecke“ schreibend die Geschichte. Was die Affäre meines Helden mit der jungen Frau betrifft, erging es mir wie bei der Lektüre von Updikes „Rabbit in Ruhe“. In diesem Roman erholt sich der
Protagonist im Haus seines Sohnes von einer Herzoperation. Die Schwiegertochter pflegt den Bettlägerigen – und auf einmal entspinnt sich ein sehr flirtiger, sehr erotischer Dialog. Als ich das las, dachte ich: Was hast du vor, du Schuft? Du wirst doch nicht etwa mit deiner eigenen Schwiegertochter ins Bett gehen! Er tat es. Es war
dreist, es war wunderbar, und es war völlig unausweichlich!
Haben Sie versucht, Ihren Helden an ähnlichen Eskapaden zu hindern?
Nein, denn ich empfand beim Schreiben das Gleiche wie bei „Rabbit in Ruhe“: Was hast du vor, du Schuft? Das kann doch wohl nicht wahr sein! Willst du das wirklich tun? Und es war dann genauso dreist, genauso wunderbar und genauso unausweichlich. Also holte ich die Werkzeuge aus meinem Pornobaukasten und schrieb die Szene.
Das ist ja praktisch, dass Sie immer einen Pornobaukasten dabeihaben!
Na ja, im übertragenen Sinne natürlich. Manche Leute meinen, dass er eine Menge wert ist. Vielleicht verkaufe ich ihn eines Tages! (lacht) Wobei wir beim Thema der autobiografischen Spuren in Ihrem Werk wären. Natürlich kann ein Schriftsteller das reale Leben als Steinbruch benutzen, und den kann man wirklich unendlich ausbeuten. Aber wenn man dann eine Geschichte erzählt, ist sie nicht die Kopie der Realität. Im Gegenteil: Das Autobiografische bleibt weitgehend unangetastet.
Ihre Leser sind da ganz anderer Meinung.
Dann täuschen sie sich. Letztlich ist das nur ein Ausdruck ihrer Unfähigkeit, sich mit einer fiktiven Geschichte auseinanderzusetzen. Alles, was ihnen dazu einfällt, ist, sie auf den Autor zu projizieren, sie also letztlich wie Klatsch zu behandeln. Wenn man das als Autor ablehnt, sind sie mit einem Mal wie taub und wissen nichts mehr mit einem Buch anzufangen.
Das klingt jetzt ziemlich ärgerlich.
Seit Hemingway ist das Leben des Schriftstellers ein Teil seines Mythos. Hemingway lud förmlich dazu ein, Parallelen zwischen sich und seinen Figuren herzustellen.
bei Faulkner wäre niemand auf die Idee gekommen. Er ging den Leuten aus dem Weg, und dieser ganze Kult um Interviews existierte noch nicht. Er hat seinen Wohnort Oxford, Mississippi, nie wirklich verlassen. Als Kennedy ihn ins Weiße Haus einlud, sagte er, das sei ein zu langer Weg, nur um essen zu gehen. So blieb er zu Hause.
Dieser Artikel erschien im Dezember 209 im Cicero-Magazin. Alle Ausgaben können Sie unserem Onlineshop bestellen
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Jahrelang als Favorit gehandelt und nie bedacht worden. Aber mehr als die Nichtberücksichtigung hätte mich an P. Roths Stelle so mancher Preisträger/in geschmerzt, aber so etwas sagt man natürlich nicht. Nur ein Außenstehender darf das wagen!
Philip Roth ist da kein Einzelfall. Gleiches gilt für John Updike. Und wie sieht es aus mit Martin Walser ? Wenn man bedenkt, wer aller aus dem deutschen Sprachraum und wofür den Nobelpreis f. Literatur bekommen hat!
"... bekommt man verliehen - die Achtung der Kollegen muss man sich erarbeiten." (was er sicherlich getan hat)
Selbst die Nobelpreise für Physik und Chemie sind politische Preise, was man insbesondere an den sowjetischen/russischen Preisträgern sieht, die ihn - nach 40, 50 Jahren - erst erhalten haben, nachdem sie an eine US-amerikanische Universität gewechselt sind bzw. auch dort tätig wurden.