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Griechenland-Krise - Das Referendum als Verrat?

Der Streit um die geplante Volksabstimmung in Griechenland offenbart eine tiefe Demokratie-Krise in der EU – auch in Deutschland

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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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„Das wäre vielleicht sogar eine richtige Maßnahme, das griechische Volk entscheiden zu lassen“. Das sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble Anfang Mai bei einem Treffen der Eurogruppe in Brüssel. Ausgerechnet der wichtigste Mann im exklusiven Euro-Club sprach sich damit öffentlich für ein Referendum aus.

Heute, sechs Wochen später, will sich niemand mehr daran erinnern, selbst Schäuble nicht. „Griechenland hat den Verhandlungstisch verlassen“, sagte der sonst so nachdenkliche CDU-Politiker am Samstag – nur wenige Stunden, nachdem der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras überraschend ein Referendum angekündigt hatte.

Plötzlich ist eine Volksabstimmung keine „richtige Maßnahme“ mehr, sondern ein falscher Abbruch. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ging sogar noch weiter. Er fühle sich von Tsipras „verraten“, weil dieser „einseitig“ eine Volksbefragung angesetzt habe, sagte er am Montag in Brüssel. Sollten die Griechen am Ende mit Nein stimmen, so wäre das ein „Nein zu Europa“.

Ein Referendum als Verrat, ein Nein als EU-Ausschlussgrund? So weit ist bisher noch kein Europapolitiker gegangen. Bisher war es auch nicht üblich, ein Land seinem Schicksal zu überlassen, noch bevor das Volk entschieden hat. Doch genau das bedeutet der EU-Beschluss, das Hilfsprogramm für Griechenland am Dienstag auslaufen zu lassen – fünf Tage vor der Abstimmung.

Nun nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Die Griechen stürmen die Banken, die Börsen schmieren ab. Die Regierungen in Berlin, Paris und London sind alarmiert. Aus der Griechenlandkrise, die noch am Freitag einer Lösung greifbar nahe schien, ist eine Euro-Krise 2.0 geworden. Und die Demokratie bleibt auf der Strecke.

Volksabstimmungen werden ignoriert
 

Nun sind wir das aus der Europäischen Union ja schon gewöhnt. Die Volksabstimmungen zum Verfassungsvertrag in Frankreich und Holland durften 2005 zwar stattfinden, doch das doppelte Nein wurde ignoriert. Als Irland dann den Lissabon-Vertrag ablehnte, der aus dem Verfassungsvertrag hervorgegangen war, musste es ein zweites Mal abstimmen, damit endlich ein „Ja“ zustande kam.

Auch in Griechenland hatten wir den Fall schon einmal. Als der frühere Regierungschef Giorgos Papandreou 2011 ein Referendum über ein damals schon heftig umstrittenes Sparpaket der Gläubiger ansetzen wollte, wurde er von Kanzlerin Angela Merkel ausgebremst. Sie machte Papandreou – ähnlich wie heute Juncker – klar, dass ein „Nein" den Austritt aus dem Euro bedeuten würde.

Das Referendum kam nicht zustande, ein paar Wochen später war Papandreou kein Regierungschef mehr. Diese Geschichte könnte sich jetzt wiederholen. Denn die Euro-Retter haben es offenbar auf Tsipras abgesehen. In Brüssel und Berlin hoffen viele, dass er sein ungeliebtes Referendum verliert – danach dürfte es Neuwahlen geben und bald auch eine neue, vermutlich kompromissbereite Regierung.

Das klingt wie ein Happy End, ist aber keines. Denn selbst Tsipras’ konservativer Amtsvorgänger Antonis Samaras war nicht bereit und in der Lage, das nun auslaufende zweite Hilfsprogramm und die damit verbundenen Sparauflagen und Strukturreformen umzusetzen. Samaras hat Tsipras zuletzt sogar vorgeworfen, so schlecht verhandelt zu haben, dass die Gläubiger die Konditionen noch verschärft hätten!

Eurorettungspolitik ohne demokratisches Mandat
 

Die Vorlage der Euro-Retter ist und bleibt also eine Zumutung für Griechenland – egal, wer in Athen regiert. Und die unausgesprochene Strategie der EU, Referenden zu ignorieren oder die Bürger so lange wählen zu lassen, bis sie resigniert einlenken, löst kein Problem. Im Gegenteil: Sie hat uns erst in die aktuelle, verfahrene Lage gebracht. Hätte Papandreou sein Referendum gehabt, wären uns vier Jahre Eurokrise erspart geblieben.

Das Demokratieproblem trifft aber auch Deutschland. Seit 2010 betreibt Kanzlerin Angela Merkel ihre Eurorettungspolitik ohne klares demokratisches Mandat. Als sie noch mit der FDP regierte, konnte sie ihre Notmaßnahmen, die in Griechenland und anderswo wie ein Diktat empfunden wurden, nur mit Hilfe von SPD und Grünen durchsetzen. Die eigene Mehrheit im Bundestag hatte sie schon verloren.

Heute stehen nicht etwa Europa und Deutschland gegen Griechenland, wie die Euro-Retter zu ihrer Verteidigung behaupten. Merkel und Schäuble sind selbst über den Kurs in Griechenland zerstritten. Für ein neues, drittes Hilfsprogramm haben sie in ihrer eigenen Fraktion keine Mehrheit mehr. Gäbe es heute ein Referendum in Deutschland, so wäre der Grexit beschlossene Sache.

Das ist der eigentliche Grund, weshalb Merkel, Schäuble und Juncker Volksbefragungen scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Ihre Politik hat die Bürger in Griechenland und Deutschland, in Nord und Süd einander nicht näher gebracht, sondern mit Gewalt auseinander getrieben. Deshalb ist dies auch nicht nur eine wirtschaftliche Krise – sondern eine gefährliche Demokratie-Krise.

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