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Weltwirtschaft - Die unterschätzte Wirtschaftsmacht der Schwellenländer

Der Abgesang auf die großen Schwellenländer ist verfrüht. Denn ihre staatlich durchdrungenen Marktökonomien könnten eine dauerhaft erfolgreiche Kapitalismusvariante sein

Autoreninfo

Professor für Politik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main

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In diesen Tagen ist vielfach zu hören, dass die Wachstumsphase der großen Schwellenländer vorbei sei. Bereits seit einiger Zeit wird auf das verringerte Wachstum in Brasilien und China verwiesen, ganz zu schweigen von der wirtschaftlichen Stagnation in Indien und Südafrika. Die Ankündigung einer weniger lockeren Geldpolitik durch die Fed hat nun zu einem dramatischen Abzug von Kapital aus diesen Ländern geführt, gefolgt von erheblichen Kursverlusten von Rand, Real und Rupie.

Diese Dynamik soll nun die These stützen, dass die „Wachstumsstory“ der großen Schwellenländer ohnehin nicht so rosig sei. Der seit mehr als zwei Jahrzehnten anhaltende Boom der Schwellenländer sei vorbei, sogar vom „Elend“ der Schwellenländer oder vom bevorstehenden großen Crash wird gesprochen. Langfristig sei das liberale Wirtschaftsmodell des Westens ohnehin überlegen und dem Staatskapitalismus des Südens stünden jetzt schmerzhafte Strukturreformen bevor.

In der Tat gibt es derzeit Schwellenländer, die ernsthafte Probleme haben. Dazu gehören etwa Argentinien, Ungarn, die Ukraine und Venezuela, bei denen die wirtschaftlichen Turbulenzen vor allem politische Gründe haben. Auch Südafrika und die Türkei sind in dieser Hinsicht verletzbar, zumal ein Gutteil der wirtschaftlichen Dynamik hier auf einer zunehmenden Verschuldung der Privathaushalte beruht.

Für die großen Schwellenländer Brasilien, Indien und insbesondere China ist dieser Abgesang aber verfrüht. Er ist ein typischer Auswuchs der Kurzfristorientierung an den Kapitalmärkten, beruht aber auch auf einer systematischen Fehlinterpretation der wirtschaftlichen Situation in den „emerging markets“. So ist China – dessen Wirtschaft größer ist als jene aller anderen Schwellenländer zusammen – von den jüngeren Entwicklungen ohnehin nicht betroffen. China birgt in seinem einheimischen Kreditsektor zwar auch das Potenzial für eine Krise, hat aber bereits mehrfach gezeigt, dass es solche Probleme durch eine Rekapitalisierung seiner Banken bewältigen kann.

Große Devisenreserven erzeugen Unabhängigkeit vom IWF
 

Aber auch die langfristigen Aussichten in Brasilien und Indien werden von den aktuellen Entwicklungen weniger eingetrübt als derzeit vielfach erwartet. Die globalen Kapitalmärkte sind für die Unternehmensfinanzierung in den großen Schwellenländern von relativ geringer Bedeutung. Zudem verfügen diese Staaten über flexible Wechselkurse und große Devisenreserven, sodass sie – anders als noch in der Asienkrise – auch nach Abzug ausländischen Kapitals weiterhin zahlungsfähig bleiben und somit nicht auf Unterstützung durch den IWF angewiesen sind. Generell sind die drei großen Schwellenländer viel stärker binnenmarktorientiert als gemeinhin wahrgenommen und können daher weltwirtschaftliche Turbulenzen robust überstehen – robuster womöglich als die hochgradig von den globalen Finanzmärkten abhängigen Ökonomien des Westens.

Dem aktuellen Krisengesang unterliegt vielfach eine naive Modernisierungstheorie, die davon ausgeht, dass alle Ökonomien sich in Richtung eines Modells entwickeln müssen: dem liberalen Modell angloamerikanischer Prägung. Diese Interpretation vernachlässigt nicht nur, dass die koordinierten Ökonomien Kontinentaleuropas ein erfolgreiches Alternativmodell darstellen, sondern auch die Möglichkeit, dass die staatlich durchdrungenen Marktökonomien der großen Schwellenländer eine dauerhaft erfolgreiche Kapitalismusvariante abgeben.

Immerhin haben die großen Schwellenländer die jüngste Weltfinanzkrise weitaus besser überstanden als die westlichen Ökonomien. Und man möchte sich gar nicht vorstellen, zu welchen Verwerfungen die Straffung der amerikanischen Geldpolitik führen würde, wenn die Verantwortlichen in den großen Schwellenländern dem von interessierter Seite vorgebrachten Ratschlag gefolgt wären, ihre Unternehmen vermehrt über die Weltkapitalmärkte zu finanzieren.

Ein westliches Triumphgeheul ist daher nicht angemessen. Im Gegenteil, die aktuellen Entwicklungen werden die großen Schwellenländer eher dazu bringen, sich auf ihrem eingeschlagenen Kurs bestärkt zu sehen und die Abhängigkeit von den globalen Kaptalmärkten noch weiter zu reduzieren. Und jene Schwellenländer, die westlichem Kapital bisher noch recht offen gegenüber stehen, werden sich womöglich dem insbesondere von China verkörperten Alternativmodell gegenüber noch aufgeschlossener zeigen.

Gegenmodell zum „Washington Consensus“
 

Das wenig rücksichtsvolle Ende der lockeren Geldpolitik durch die Fed und vor allem die panikartige Reaktion der globalen Kapitalmärkte können daher sogar dazu führen, dass das Modell einer national kontrollierten und staatlich durchdrungenen Ökonomie gegenüber liberalen Wirtschaftsmustern an Boden gewinnt. Es könnte sich daher noch deutlicher als Gegenmodell zu dem bisherigen globalen Leitmodell des „Washington Consensus“ profilieren. Diese Entwicklung dürfte auch Auswirkungen auf die globalen Wirtschaftsinstitutionen haben, denn eine weitere Vertiefung der bisher dominierenden liberalen Ordnung erscheint dann sehr unwahrscheinlich.

Für westliche Anleger ist so oder so keine Entwarnung angesagt. Auch wenn die großen Schwellenländer das Ende der lockeren Geldpolitik gut überstehen, ist westliches Anlagekapital dort nur als willkommenes Zubrot angesehen, das die Kontrolle nationaler Eigner oder auch des Staates nicht grundlegend in Frage stellt. Im Gegensatz zum liberalen Modell gibt es dort keinen offenen Markt für Unternehmenskontrolle und der Schutz von Minderheitenaktionären genießt einen weitaus geringeren Schutz als im angloamerikanischen Kapitalismusmodell. Kapitalanlagen in Schwellenländern müssen daher die Robustheit der dortigen Ökonomien nicht notwendigerweise spiegeln, auch wenn deren Wachstumsraten weiter deutlich über jenen der westlichen Ökonomien liegen.

 

 

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