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() Das Geburtshaus der Brüder Lehmann in Rimpar bei Würzburg
Herr Lehmann, Herr Goldmannund Herr Sachs aus Franken

Alle drei waren sie Juden, die keine Perspektive in ihrer Heimat sahen und das Glück in Amerika suchten: Heinrich Lehmann aus Rimpar, Marcus Goldmann aus Trappstadt, Joseph Sachs aus Unterfranken. Eine Spurensuche

Lesen Sie auch: Matthias Kaufmann: Gorilla mit neun Leben Er hat es nicht geschafft. „Zion M. Lehmann“ steht auf dem schwarz glänzenden Grabstein auf dem jüdischen Friedhof von Würzburg. 30 Jahre hat er in Amerika gelebt, gestorben aber ist er in Würzburg. Denn „wer drüben nicht erfolgreich war, der kam zurück“, erzählt Historiker Roland Flade und mustert das Grab, auf dem sich die milde Herbstsonne spiegelt. Irgendwo hinter den Mauern ist der Lärm der Stadt zu hören. Wer es in Amerika geschafft hat, der blieb dort. Zions Onkel ist so einer: Heinrich Lehmann, ausgewandert 1844 im Alter von 23. Er gründete einen Gemischtwarenladen in Alabama – und daraus wurde eine der größten US-Investmentbanken, die Lehman Brothers. Was für eine Karriere – aus Unterfranken in die große Welt. Geboren wurde Heinrich Lehmann in Rimpar, einer 7500-Seelen-Gemeinde zehn Kilometer nördlich von Würzburg, und hier trägt man dieser Tage Trauer. „Es ist traurig, wirklich traurig“, sagt der Apotheker im Vorbeigehen. Ja, die internationale Finanzkrise ist traurig, und im Herbst 2008 ist sie auch nach Rimpar gekommen. Im kleinen Ort weinen sie um den berühmten Sohn. So stolz waren sie hier auf ihn, der es geschafft hat, und nun? Die Lehman-Bank ist pleite, Heinrichs Erbe passé. In den neunziger Jahren, als man das Wort „Investmentbank“ noch mit staunender Bewunderung aussprach, als Hohn und Spott der vergangenen Wochen noch undenkbar waren, da haben die Rimparer Heinrich Lehmann entdeckt. Genauer gesagt hat Roland Flade ihn entdeckt. Eines Freitagabends saß der Historiker in seinem Büro, als das Telefon klingelte. Es war ein Nachfahre Lehmanns, einer, der seine Wurzeln suchte und Flade um Hilfe bat. Flade fand Rimpar. Er fand die dunkelrot-weiß gestrichene Rats-Apotheke, in der Lehmann 1822 geboren wurde. Ganz in der Nähe wohnt heute Ludwig Heldwein, und er hat es auch schon gehört: „Lehman ist pleite, im Radio kam es“, sagt er. Der kräftige Mann fährt mit der Hand durch die weißen Haarborsten und schließt eben schnell sein Hoftor auf, denn hinter Plastik-Hirschen, Gartenzwergen, Kaninchenställen und den rot-schwarzen Fahnen des 1.FC Nürnberg verbirgt sich ein besonderer Schatz: die Synagoge, in die vor fast 200 Jahren Heinrich Lehmann als Kind regelmäßig gegangen ist. Der Putz bröselt von der Decke, die rostroten Wandbemalungen sind nur noch schwach zu erkennen. Aufgeschreckt flattern und gackern 30 Hühner durch die ehemalige Synagoge. Sie leben hier. „Ich bin Geflügelzüchter“, sagt Heldwein und schält für die Besucher die blaue Plastikplane von einem Denkmal für die vier jüdischen Rimparer, die im Ersten Weltkrieg gefallen sind. In guten Zeiten, da haben die Rimparer davon geträumt, dass die Investmentbank aus New York vielleicht Geld rausrückt, damit die Synagoge renoviert werden kann. Für Geflügelzüchter Heldwein wäre das sogar auch in Ordnung gewesen – die Hühner, die hätten schon irgendwo anders Platz gefunden. Aber aus, vorbei, das wird wohl nichts. Die Hühner bleiben, wo sie sind, und Geld wird keines fließen. Lehman hat Konkurs angemeldet, die Bank wird abgewickelt. Da bleibt auch für die Träume eines unterfränkischen Dorfs kein Geld mehr. Eine Autostunde entfernt von Rimpar liegt Trappstadt. Noch weiter weg von der Welt, noch kleiner. Doch die neuesten Hiobsnachrichten gelangen sogar bis hierher: Weitere Banken straucheln, in Amerika und in Großbritannien – meldet das Radio. Auch in Trappstadt haben sie einen berühmten Sohn, um den sie sich nun sorgen. Cordula Kappner hat ihn entdeckt. Die fidele pensionierte Bibliothekarin hat jede Menge Ideen, was sie mit ihrer Zeit anfangen kann. Sie sucht jüdische Familien, und wen sie findet, den packt sie in eine braune Mappe. „Heimann“ steht dann drauf oder „Oppenheimer“. 500 solcher Mappen hat sie schon und Anfang dieses Jahres, da hat sie in Trappstadt Marcus Goldmann gefunden. Das ist nicht irgendwer, sondern der Gründer der US-amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs. Ausgerechnet. Drei der ganz großen amerikanischen Bankengründer vergangener Zeiten kommen aus Unterfranken: Heinrich Lehmann aus Rimpar. Marcus Goldmann aus Trappstadt. Und auch Joseph Sachs, dessen Sohn Samuel in Goldmanns Geschäft einstieg, kommt aus Unterfranken. Woher genau, weiß man nicht, aber Kappner ist schon dabei, ihn zu suchen. Bald wird sie wieder in Würzburg ins Archiv gehen; den Joseph Sachs, den treibt sie auch noch auf. Dann wird es eine weitere braune Mappe geben und ein weiteres fränkisches Dörfchen, das sich über einen berühmten Sohn freuen kann. Drei Banker von Weltruhm – alle drei waren sie Juden, die keine Perspektive sahen in Unterfranken, Mitte des 19. Jahrhunderts. Keine Zukunft, kaum Spielraum – die Gesetze für Juden waren hier sehr streng. Jüdische Bürger konnten sich nicht einfach niederlassen oder heiraten, wenn sie wollten. Sie durften keinen Beruf erlernen. Zahlen mussten sie aber – Steuern und Sonderabgaben für alles und nichts. Heinrich Lehmann, Marcus Goldmann, beide Söhne von Viehhändlern, wollten so nicht leben. „Man kann nur hoffen, dass es Goldman Sachs besser ergeht als Lehman“, sagt die sonst so muntere Cordula Kappner nachdenklich. Kürzlich hat das Institut Zahlen vorgelegt, die sahen nicht wirklich gut aus. Um die Investmentbank geht es der 67-Jährigen nicht wirklich, die ist ihr ziemlich egal. Es geht ihr um Marcus Goldmann. „Ich habe mich so gefreut, dass es ihm so gut ergangen ist, einem von hier, der so viel erreicht hat“, sagt Kappner energisch. Das soll doch nun bitte nicht den Bach runtergehen. Bankenkrise hin, Finanzkrise her. In Rimpar gibt es eine Genossenschaftsbank und eine Sparkasse, in Trappstadt noch nicht einmal das. Wozu auch, bei 1100 Einwohnern. Lehmanns und Goldmanns gibt es hier heute nicht mehr. Nicht in Rimpar, nicht in Trappstadt. Die, die im 19.Jahrhundert nicht aus Franken wegzogen, blieben meist kleine Händler. Im 20. Jahrhundert leiteten die Nachkommen von Heinrich Lehmann und Marcus Goldmann, mittlerweile riesigen Banken in New York. Die Nachfahren der Zurückgebliebenen wurden im nationalsozialistischen Deutschland verfolgt. Die letzte Lehmann-Erbin, die noch in Unterfranken lebte, starb 1942 in Treblinka, im KZ. Heute finden sich kaum noch Spuren der Familien. Ein paar Grabsteine, wie der von Heinrichs Neffen Zion M. Lehmann auf dem Würzburger Friedhof, den Roland Flade nun auch wirklich wieder zusperren muss, denn die Arbeit ruft. Hier, auf demselben Friedhof liegt auch eine Schwester von Marcus Goldmann begraben. Goldmann und Lehmann – in Deutschland kannten sie sich nicht, aber sie kamen aus dem gleichen Milieu. Und es war das gleiche Leben, das sie nicht mehr leben wollten.

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