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Homo-Ehe - Konservative, bleibt gelassen!

Wer die Gleichstellungslogik bis ins letzte Detail ausreizen will, hat Rückenwind und wird sich durchsetzen. Fragt sich nur, ob das unsere Gesellschaft nicht eher spaltet als befriedet, meint Ex-Verfassungsrichter Udo Di Fabio

Autoreninfo

Udo Di Fabio ist Professor für öffentliches Recht an der Universität Bonn. Er war von 1999 bis 2011 Richter am Bundesverfassungsgericht

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Wenn ein republikanischer Haudegen wie Clint Eastwood sich für die sogenannte Homo-Ehe ausspricht, ertönt auch für deutsche Konservative das Signal zum Rückzug.

Nüchtern und nur ein wenig resignativ hat der ehemalige, von der Union ins Amt gewählte Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier festgestellt, der Gesetzgeber habe bei der Gleichstellung keine Wahl mehr. Durch die Einführung der eingetragenen Partnerschaft im Jahre 2001 und die Billigung durch das Bundesverfassungsgericht seien die Würfel gefallen. Die Verfassung stelle zwar Ehe und Familie unter besonderen Schutz der staatlichen Ordnung, aber die Richter haben damals schon erklärt, das „Besondere“ an diesem Schutz müsse nicht darin liegen, dass andere Formen des Zusammenlebens nicht dieselbe Ausgestaltung für sich beanspruchen können. Und diesem Anspruch auf gleiche Ausgestaltung müsse auch stattgegeben werden, weil ansonsten diskriminiert würde. Das klingt etwas seltsam, aber Hans-Jürgen Papier hat recht: So denken nun mal die meisten Gerichte der westlichen Welt, und der Mainstream der Intellektuellen geht sowieso in diese Richtung.

Verfassungsrechtlich scheint dieser Ansatz konsequent. Das Grundgesetz geht von der Würde des einzelnen Menschen aus, gewährleistet für jeden das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, ganz nach seinen Vorstellungen, Plänen und Wünschen. Die sexuelle Orientierung darf weder von Staat noch Gesellschaft vorgeschrieben werden. Grenzen bestehen nur dort, wo die Rechte anderer auf dem Spiel stehen. So gesehen ist die Ehe ein historisch gewachsenes, religiös und kulturell geprägtes Institut, das besonderen Schutz verdient – aber sie ist nicht exklusiv gegen den Sinn nach gleichartigen Gemeinschaften gerichtet.

[[{"fid":"53571","view_mode":"teaser","type":"media","attributes":{"height":220,"width":182,"style":"width: 182px; height: 220px; margin: 5px; float: left;","class":"media-element file-teaser"}}]]Greift man hinter solche Rechtserwägungen auf den ideellen Kern der Ehe, fällt der Befund kaum anders aus. Die Ehe unterscheidet sich von bloßen Zweckgemeinschaften durch jene intime Nähe, die wir Liebe nennen, und die mit einer gemeinsamen Lebenspraxis verbunden wird, mit dem Versprechen, füreinander in guten wie in schlechten Zeiten einzustehen. Es ist kein sachlicher Grund zu erkennen, warum zwei sich liebende Frauen eine solche Bindung nicht mit entsprechenden rechtlichen Konsequenzen eingehen sollten. Es ist nicht einzusehen, warum eine solche Bindung zweier sich einander versprechender Männer nicht von der Rechtsordnung in gleicher Weise geachtet werden sollte.

Diese Sichtweise entspricht der Bindungsfreundlichkeit des Grundgesetzes. Die Verfassung gewährleistet gewiss auch die ungebundene Freiheit der Menschen, schützt den, der allein sein will, aber sie fördert doch besonders jenen Freiheitsgebrauch, der auf soziale Bindung zielt. Diejenigen, die sich mit anderen zusammenschließen, um gemeinsam etwas zu gestalten, und mit wechselseitigen Pflichten Verantwortung füreinander übernehmen, geben dem Einzelnen Stärke und entlasten andere Solidarverbände. Solche übernommene Verantwortung verdient den Respekt der öffentlichen Ordnung. Denn nur aus einer freiwillig eingegangenen Bindung wächst eine staatsfreie Gesellschaft, die zwischen dem isolierten Einzelnen und einer ansonsten übermächtigen politischen Ordnung steht: Wir nennen so etwas intermediäre Kräfte.

Gibt es überhaupt sachliche Gründe, die einer völligen Gleichbehandlung der Ehe mit gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften entgegenstehen?

Will man eine Besonderheit der Ehe über den bestehenden Text des Grundgesetzes hinaus begründen, kommt man auf Kinder. Denn aus der Ehe wachsen Kinder, die dadurch entstehenden Familien sind ein originärer Schutz- und Freiheitsraum. Ehe und Familie sind kleinste, aber zugleich vielleicht auch wichtigste Einheiten einer Zivilgesellschaft, die Voraussetzung jeder gelingenden Demokratie ist. Nun weiß jeder, dass Kinder auch außerhalb von Ehen zur Welt kommen, obwohl das nicht die Regel ist, und nicht wenige Ehen gewollt oder ungewollt kinderlos bleiben, obwohl auch das nicht die Regel ist. Wenn man nach einem sachlichen Grund sucht, um einer auf Dauer angelegten, in der eheähnlichen Bindung vergleichbar gewollten gleichgeschlechtlichen Partnerschaft die Gleichstellung mit der Ehe zu verweigern, müsste man also von der Regel, vom typischen Erscheinungsbild einer Verbindung her argumentieren.

Aber auch dieses Eis, das der konservative Rückzug betritt, ist dünn. Wer der Ehe mit ihrer Eignung und Bestimmung als Keimzelle der mit Kindern bereicherten Familie Exklusivität verleihen will, gerät dann aber in die argumentative Falle, wie er den Adoptionswunsch gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften „abwehren“ will. Steht das Kindeswohl einer solchen Adoption entgegen? Maßstab der Adoption ist nicht die Selbstverwirklichung der präsumtiven Eltern, sondern allein das Kindeswohl, sorgfältig zu prüfen in jedem Einzelfall. Doch das empirisch vermutlich belastbare Argument, Kinder von gleichgeschlechtlichen Verbindungen würden leichter Opfer von Mobbing und Diskriminierung, wirkt in etwa so überzeugend wie die abschlägige Bescheidung des Wunsches eines dunkelhäutigen Ehepaars, das ein weißhäutiges Kind adoptieren will.

Hier entfaltet sich nun mal eine Logik, die ein individuelles, sozial und kommunitär weitgehend dekomponiertes Menschenbild mit universell angelegten Entfaltungs- und Gleichheitsrechten durchsetzt und gegen das innerhalb des Rechts kein Traditionsargument ankommt. Traditionen müssen durch bewahrende und entwicklungsoffene Lebenspraxis lebendig gehalten werden, ihre Erosion kann von der Verfassung nicht aufgehalten werden. Causa finita est?

Wer schon keine eigenen überzeugenden Argumente gegen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften findet, könnte allenfalls noch auf andere verweisen, die in anderen Kulturräumen unterwegs sind. Was etwa ist mit den in traditionellen Familienstrukturen verhafteten Einwanderern, was ist mit gläubigen Moslems, Juden oder Christen, die Anstoß nehmen an der Auflösung von Familienordnungen, die für sie durch Herkunft und Glauben garantiert sind? Wird eine Gesellschaft, die praktisch jede traditionelle Institution wie die Ehe dekonstruiert und sie womöglich auch durch Öffnung und Verallgemeinerung um ihre Kontur bringt, wirklich offener für die Integration? Oder fördert sie über kurz oder lang kultur-oppositionelle Abschottungen hinter der Bühne des auf der ganzen Linie erfolgreichen politisch korrekten Schauspiels?

Solche Rücksichtsargumente sind nicht wirklich durchschlagskräftig, weil diejenigen an der Spitze des Fortschritts sich von den Nachzüglern nicht gerne Wegweisungen geben lassen. Aber kulturplurale Hinweise können doch nachdenklich machen. Wenn das konservative Beharren auf einem bürgerlichen Lebensentwurf, der keineswegs andere ausgrenzt, aber seine grundlegend konstruktive Bedeutung für eine freie Gesellschaft lediglich weiter bestätigt haben will, nicht mehr artikuliert werden dürfte, wäre das gefährlich für eine freie Gesellschaft. Aus der Defensive einer in Rollenklischees verhafteten Welt heraus war es durchaus legitim, die Methode des Mainstreamings von „Minderheitenthemen“ anzuwenden. Aber das sollte nicht zu einem permanenten Kulturkampf der Eliten – unter Einschluss der Richter, die scheinbar immer nur Gleichheitsfragen entscheiden – gegen die einstmalige, aber eben noch massenhaft gelebte „Normalität“ werden. Sonst droht eine gerade in ihren liberalen Grundlagen deformierte Gesellschaft.

Auch in westlichen Gesellschaften gibt es viele Menschen, denen das Institut der Ehe und ihre Bestimmung, Form intimer Lebensgemeinschaft und Quelle einer neuen Familie zu sein, etwas ganz Besonderes, für religiöse Menschen sogar etwas Sakramentales ist. Diese Auffassung müssen nicht alle teilen, aber man sollte nicht so tun, als gäbe es jene Alltagsorientierung nicht mehr.

Was bedeuten solche Einsichten für die praktische Politik?

Wer die Gleichstellungslogik bis zum letzten Detail ausreizen will, hat Rückenwind und wird sich durchsetzen: Ehegattenzuschlag im öffentlichen Dienst auch für Lebenspartnerschaften, Ehegattensplittung, Adoptionsrecht. Eine liberal-konservative, eine bürgerliche Politik wäre nicht gut beraten, wenn sie hier symbolisch Widerstand leistete, auf Verteidigungsstellungen, die nicht zu halten sind. Auch der Versuch, die Ehe in ihrer Bedeutung allein auf die Pflege und Erziehung von Kindern zu verengen, ist nicht überzeugend. In diese Richtung geht der Vorschlag, das Ehegattensplitting abzuschaffen und durch ein Familiensplitting zu ersetzen.

Die Behandlung des von den Eheleuten erzielten Einkommens als Gemeinschaftseinkommen, das durch zwei geteilt (gesplittet) wird, bekämpfen manche ideologisch im Herdprämienvokabular, weil sie angeblich nur „Alleinverdienerehen“ privilegiere. In Wirklichkeit verdienen aber kaum je beide Eheleute exakt das Gleiche, sodass die Abschaffung des Ehegattensplittings auf eine fühlbare Steuererhöhung der Verheirateten hinausliefe. Artikel 6 des Grundgesetzes will aber die Ehe gerade als Gemeinschaft, die freiwillig als Solidargemeinschaft begründet wurde, unter den besonderen Schutz stellen.

Das gesamte Einkommen einer Familie mit Kindern durch die Zahl der Köpfe zu teilen, wäre ohne Zweifel genauso folgerichtig wie das Ehegattensplitting und demografisch sowieso angezeigt. Aber wo kommt das Geld her? Es besteht der Verdacht, dass die Einnahmeausfälle des Familiensplittings von kinderlosen Eheleuten bezahlt werden sollen und von denjenigen, die ihre Kinder bereits großgezogen haben, aber jetzt nicht mehr vom Familiensplitting profitieren würden. Mit einer Verfassungsvorschrift, die auch die kinderlose Ehe unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt, lässt sich ein solches Vorgehen nur schwer in Einklang bringen.

Es wäre vielleicht doch naheliegender, der Ehe eine prinzipiell familien- und steuerrechtlich gleichgeregelte Institution an die Seite zu stellen, als sich noch weiter von einem recht eindeutigen Verfassungstext zu entfernen. Gelassenheit des bürgerlichen Lagers ist angezeigt, aber auch mehr Kritik an denjenigen, die so tun, als sei die Politik eine Bühne für den permanenten Kulturkampf gegen ein wohlfeiles Feindbild dunkler konservativer Mächte, die längst nicht mehr existieren. 

Udo Di Fabio ist Professor für öffentliches Recht an der Universität Bonn. Er war von 1999 bis 2011 Richter am Bundesverfassungsgericht

 

 

 

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