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Geldentwertung - Sparen – ein anderes Wort für Enteignung

Wer 20.000 Euro auf der hohen Kante hat, erhält dafür im Jahr 60 bis 80 Euro Zinsen – und verliert rund 260 Euro Kaufkraft. Ein Abgesang der Ökonomie auf die Kultur der Mittelschicht

Autoreninfo

Christoph Böhr (CDU) ist deutscher Politiker und Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2006 in Rheinland-Pfalz.

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Zunächst schien die Meldung fast unterzugehen, bevor sie dann doch Aufsehen erregte: Der Sparzins in Deutschland beläuft sich derzeit auf durchschnittlich nur noch 0,4 Prozent – und weniger. Das bedeutet: Trotz der im April gesunkenen Teuerungsrate – übrigens bei stark gestiegenen Lebensmittelpreisen – verliert jeder Kleinsparer Tag für Tag einen Teil seines Vermögens. Der Unterschied zwischen Entwertungsverlust und Sparertrag beträgt ein knappes Prozent und wird zusehends größer. Nach der Entscheidung der Europäischen Zentralbank, die Leitzinsen erneut zu senken, wird der Sparzins bald gegen Null gehen.

Diese Entwicklung dauert schon lange an, und eine Entwarnung ist nicht in Sicht. Finanzpolitiker rechtfertigen diese Entwertung kleiner und kleinster Vermögen: Es gehe darum, mit billigem Geld die Welt zu fluten, um Investitionen anzureizen. Gerade einmal sechs Jahre ist es her, dass genau diese Politik des billigen Geldes den bisher größten Finanzcrash aller Zeiten verursachte.

So entstehen Krisen hausgemacht und selbstverschuldet. Denn es liegt auf der Hand: Wer Geld nahezu kostenfrei verleiht, verringert die Kosten der Fremdgeldbeschaffung für Spekulanten gegen Null. Wo Geld umsonst zu haben ist, verführt es dazu, mit ihm zu spielen. Das verhindert keine Finanztransaktionssteuer. Also werden jetzt wieder Anlageformen erfunden, die einen höchsten Ertrag bei geringstem Einsatz versprechen – bis zum nächsten Crash, dessen Kosten dann wieder diejenigen bezahlen dürfen, deren Kleinvermögen gerade enteignet werden. Die Enteignung der Sparer, Folge der Verhöhnung ihrer Bereitschaft zur Vorsorge, ist das Schmiermittel für die Bewältigung der Folgekosten eben dieser Verhöhnung. Kein Kleinsparer ist ‚too big to fail‘. Wohl aber sind ‚too big to fail‘ jene, denen falsche Anreize zu großen Gewinnen verhelfen. Wann hat dieser Teufelskreis ein Ende?

Seit Jahrzehnten weigert sich die Politik in ganz Europa, darüber nachzudenken, wie eine Politische Ökonomie aussehen müsste, die jenem Leitbild Rechnung trägt, das ehemals ‚bürgerliche‘ Parteien auf ihre Fahnen schrieben: das Leitbild der Mittelschichtgesellschaft. Längst ist dieses Leitbild nicht mehr das Papier wert, auf das es geschrieben wird. Vergessen ist die lange Geschichte seiner Erfolge.

Warum ist der lautlose Abschied von diesem Leitbild so folgenschwer? Weil, so lautet die Antwort, ein ökonomisches Leitbild mit kulturellen Überzeugungen Hand in Hand geht. Ändert sich das Leitbild, bleibt diese Veränderung nicht ohne Folgen für die Kultur – und umgekehrt.

In einer Kultur sammeln sich die Erfahrungen einer breiten Mehrheit von Menschen, sie prägt eine Politische Ökonomie. Und die war – nicht nur – in Deutschland lange getragen von einem hohen Maß an Selbstverantwortung: Sparen galt als Vorsorge – bis vor kurzem. Man sparte, um für Zeiten der Not gerüstet zu sein. Und man wollte, wenn Not an die Tür klopfte, aus eigener Kraft auf den Beinen bleiben.

Jetzt wächst eine Generation auf, die von ihren Eltern ganz was anderes hört: Sparen lohnt sich nicht: Denn wer sein Geld spart, wird kalt enteignet. Also ist es nur vernünftig, sein Einkommen stante pete auszugeben. Wer nichts mehr übrig hat, dem kann auch nichts genommen werden. Und wer trotzdem spart und Verzicht übt, ist selber schuld.

Hat sich einmal irgendjemand klar gemacht, was das für die Kultur unserer Gesellschaft – und unsere Politische Ökonomie – bedeutet? Wer 20.000 Euro auf der hohen Kante hat, erhält dafür im Jahr 60 bis 80 Euro Zinsen – und verliert rund 260 Euro Kaufkraft. Bei 40.000 Euro beträgt der Unterschied zu Lasten des Sparers schon bis zu 370 Euro. Peanuts? Man täusche sich nicht: Für viele Menschen sind solche Beträge immer noch ziemlich viel Geld.

Wer angesichts solcher Verluste sein Geld nicht unverzüglich verjubelt, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen, sagen die Finanzpolitiker. Und genau das ist ja der Sinn der Übung – wirksame Anreize zu geben, sein Geld nicht zur Bank, sondern ins Kaufhaus zu tragen. So denken die Amerikaner schon lange. Und in Europa findet dieses Denken immer mehr Freunde. Dass hier zwei ganz verschiedene Kulturen der Ökonomie aufeinanderprallen, wird übersehen.

Jetzt wächst auch hierzulande die Erfahrung, dass es sich nicht mehr lohnt, Verzicht zu üben und Geld zu sparen. Die Prägekraft dieser neuen Erfahrung ist nicht zu unterschätzen. Vollbeschäftigung wird mittels Hunger- und Billigstlöhnen erreicht, Kleinsparer werden enteignet, jeder Kauf auf Pump belohnt und der Lebensstil der Mittelschicht verhöhnt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis mit diesem neuen Lebensstil alles das unter die Räder kommt, was das Leitbild der Mittelschichtgesellschaft kulturell auszeichnete: politische Stabilität, gepaart mit einem hohen Maß an Selbstverantwortung, langfristigem Wachstum, durch Sparsamkeit, Fleiß und Beharrlichkeit geprägte Einstellungen, die Voraussetzung sind, um Wohlstand für alle zu schaffen. Linke Strömungen, die vor dreißig Jahren gegen solche Leitbilder auftrumpften, vermochten sie nicht zu zerstören. Das gelingt erst jetzt – und bestätigt die These, dass Kulturen meist an innerer Auszehrung zugrunde gehen. Wenn eine Kultur schwach wird, hat sie nicht mehr den Willen und die Kraft, der Ökonomie ihr Maß zu geben.

Schuld sind – wahrscheinlich – wieder einmal die Märkte, die uns im Schwitzkasten haben. Welch ein Unfug! Märkte sind Menschenwerk. Es sind Menschen, die ihre Regeln bestimmen, nach denen wir zwischen zulässigen und unzulässigen Mittel unterscheiden, es sind Menschen, die Märkten eine Ordnung geben. Ein Markt ist kein Hirn, das denkt, sondern ein von Menschen gemachtes Regelwerk. Und deshalb ist die Ökonomie des Marktes immer Ausdruck der Kultur einer Gesellschaft. Kulturell geprägt sind die Regeln des Marktes, ökonomisch erwünscht seine Offenheit für Neues, strategisch erfolgreich seine Wirkkraft – unter einer, entscheidenden Voraussetzung: dass er ‚guten‘ – will heißen: gemeinnützlichen – Regeln folgt. Nur dann bringt der Markt Eigen- und Fremdnutzen in ein Gleichgewicht, das wir als gerecht empfinden.

Regeln des Marktes bestrafen oder belohnen – den Sparsamen oder den Verschwender. Entsprechend verändern sich die Einstellungen der Menschen. Die Erfahrung, dass Eigenvorsorge zum Schaden ist, wird nicht folgenlos bleiben. Sie wird die Menschen verändern – und mit ihnen das Menschenbild, den Prägestempel jeder Politischen Ökonomie. Wollen wir das?


Der Verfasser ist Herausgeber der Reihe „Das Bild vom Menschen und die Ordnung der Gesellschaft“ bei Springer VS. und ehemaliger CDU-Vorsitzender des Landes Rheinland-Pfalz

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