() Migranten in Berlin
Die Opferlüge
Muslimische Migranten scheitern nicht an der Gesellschaft, sondern an ihrer eigenen Verantwortungslosigkeit
Was heute der „Migrationshintergrund“ ist, das war mal die Oma aus Schlesien. Sie saß den ganzen Tag in der Küche rum und verbreitete Schuldgefühle. War sie schlecht gelaunt, schaute sie stumm aus dem Fenster. War sie dagegen guter Laune, erzählte sie Geschichten von früher: dass in Ratibor alles schöner, besser und sauberer war. Oma war eine Nervensäge, aber ein harmloser Mensch, der sich nach etwas sehnte, das es nicht mehr gab. Nie wäre sie auf die Idee gekommen, das Essen aus dem Fenster zu werfen oder ihre Enkel zu schlagen, weil sie selbst als Kind Haus und Hof verlassen musste. Denn Oma hatte zwar einen „Migrationshintergrund“, sie hatte aber auch Manieren. Einer ihrer Lieblingssätze war: „Das macht man nicht.“
Der Satz reichte, um sich im Leben zurechtzufinden. Heute dagegen bedeutet „Migrationshintergrund“ eine Art Freifahrtschein für alle Fälle. Wer einen „Migrationshintergrund“ hat, der braucht nur noch in ganz extremen Fällen einen Anwalt, zum Beispiel wenn er einen Filmemacher auf offener Straße abschlachtet. Bei minderen Vergehen gegen Recht, Gesetz und Ordnung reicht der Hinweis auf den „Migrationshintergrund“ gegenüber den Medien und der Öffentlichkeit, um umgehend Emphatie mit dem Täter, Kritik am Verhalten des Opfers („Ein Provokateur, der vor nichts und niemand Respekt hatte“) und die bewährte Frage zu evozieren: Was tun wir ihnen an, dass sie uns so hassen?
Der Soziologe Michal Bodemann, der sich lange Zeit mit dem Antisemitismus beschäftigt hat, bevor auch er die „Islamophobie“ entdeckte, nennt die sich häufenden Berichte über „Ehrenmorde“ und andere Verbrechen „Gruselgeschichten“, die „mit einer erstaunlichen Ignoranz und Hysterie… kolportiert“ werden, „antimoslemische Hetze“. Er spricht von „Anpassungsproblemen vor allem von Menschen aus traditionellen Milieus“ und rät zur Geduld: „All die hier dramatisierten Probleme sind aus anderen Einwandererländern hinlänglich bekannt und verschwinden nach der ersten oder zweiten Generation.“ Ungeachtet der Tatsache, dass es eben die dritte Generation ist, die hinter die erste und zweite zurückfällt.
Werner Schiffauer, Professor für Kultur- und Sozialanthropologie, Migrationsforscher und Gerichtsgutachter in sogenannten Ehrenmordprozessen, sieht die Debatte „mit großem Unbehagen, denn mit dem Etikett ,Ehrenmord‘ wird auch eine Lust am Schaudern bedient“. Er spricht von einem „Desintegrationsproblem“ und empfiehlt, „Männerforschung“ zu betreiben, „denn es sind ja die Männer, die mit ihrer Situation nicht klarkommen, wenn sie gewalttätig werden“.
Was Schiffauer damit sagen will, ist, dass der Staat (oder wer auch immer) mehr Geld für seine Projekte bereitstellen sollte. Denn rund um das Themendoppel „Migration/Integration“ ist eine „cottage industry“ entstanden, die von Zuwendungen lebt. Ähnlich wie „Eventmanager“ und „Konkursverwalter“ ist auch „Migrationsforscher“ ein Beruf mit Zukunft.
Wie die Gegenwart dieser Branche aussieht, wurde am Rande des Karikaturenstreits klar, als 60 selbst ernannte und bis dato unbekannte „Migrationsforscher“ in der Zeit einen offenen Brief an die deutsch-türkische Soziologin Necla Kelek schrieben, nachdem ihr Buch „Die verlorenen Söhne – Plädoyer für die Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes“ erschienen war. Ein Jahr zuvor hatte Kelek schon mit ihrem Buch „Die fremde Braut“ für Aufsehen gesorgt, in dem sie das Sklavendasein moslemischer „Importbräute“ in Deutschland beschrieb. Bei den „verlorenen Söhnen“ ging es darum, warum sie scheitern. Nicht weil sie von der deutschen Gesellschaft diskriminiert, ausgegrenzt und sozio-ökonomisch benachteiligt werden, schreibt Kelek, sondern weil sie es nicht lernen, sich vom „Herdentier“ zum „Individuum“ zu emanzipieren, weil sie alles nachmachen, was ihnen die Väter vorleben, und weil sie immer darauf achten, was die anderen über sie sagen, statt ein eigenes Gewissen zu entwickeln.
Das war mehr, als die mit Migranten befassten Gutmenschen verdauen konnten, die ihre Aufgabe in erster Linie darin sehen, das Bild des „edlen Wilden“ zu verteidigen. In ihrem Appell („Gerechtigkeit für die Muslime!“), der Anfang Februar in der Zeit erschien, greifen sie nicht nur Necla Kelek, sondern auch Ayaan Hirsi Ali und Seyran Ates¸ an, zwei weitere moslemische Autorinnen, die über ihre Erfahrungen mit ihrer Religion geschrieben haben. Was die Autoren aber noch mehr aufregt als authentische Erlebnisberichte, die sie als „billige Klischees über den Islam und die Türken“ abqualifizieren, ist die Tatsache, dass Kelek damit jenseits der universitären Forschungsgruppen wahrgenommen wird.
Der Brief der 60 Migrationsforscher verströmt aus jeder Zeile den Neid von Leuten, die sich von der Öffentlichkeit nicht genug beachtet fühlen, obwohl sie „differenzierte wissenschaftliche Forschung“ betreiben, während Necla Kelek für ihre „unseriösen Pamphlete“ sogar den Geschwister-Scholl-Preis bekommen hat und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beraten darf: Was für eine Schweinerei!
So schreiben die 60 „Migrationsforscher“ in ihrem Manifest „Gerechtigkeit für die Muslime“, natürlich gebe es „arrangierte Ehen“ als Folge von „Heiratsmärkten“ zwischen den Herkunfts- und den Einwanderungsländern, man müsse solche Märkte nicht gut finden, sollte aber „ihren Entstehungskontext begreifen“, nämlich als „Ergebnis der Abschottungspolitik Europas gegenüber geregelter Einwanderung“. Gewiss, wenn Europa sich nicht so blöde anstellen und alle Grenzen aufmachen würde‚ wären die türkischen Jungs nicht gezwungen, sich ihre Jungfrauen aus Anatolien zu holen, sie könnten sie auch gleich nebenan, bei Rudis Reste-Rampe, finden.
Dass Kelek selber Türkin ist und sich in dem Milieu, über das sie schreibt, gut auskennt, wurde ihr nicht zugute gehalten, sondern zum Vorwurf gemacht. So wie man früher Schwarze als „weiße Neger“ beschimpfte, nur weil sie anderer Meinung waren als die Weißen, die sich der Sache der Schwarzen annahmen. Darin kommt ein Rassismus zum Ausdruck, der das Verhalten der Gutmenschen auch heute bestimmt: Wehe, die Objekte ihrer Fürsorge wollen sich nicht helfen lassen und entwickeln eigene Ideen darüber, was für sie gut oder nicht so gut sein könnte. Dann ist Schluss mit der multikulturellen Solidarität.
Kelek selbst reagierte auf die Attacken mit Argumenten und einer Ruhe, wie sie Therapeuten aufbringen, die mit verhaltensgestörten Kindern zu tun haben. Sie erzählte, dass sie mit dreizehn Jahren „Vom Winde verweht“ gelesen und sich mit Scarlett O’Hara identifiziert hat. „In den meisten türkischen Familien gibt es so gut wie keine Bücher. Die Mädchen lernen kein eigenständiges Denken. Die Eltern sagen, wo es langgeht.“ Und sie widersprach immer wieder der Unterstellung, die „Migranten“ seien Opfer dieser Gesellschaft. „Das ist zu einfach. Auch sie selbst reproduzieren ihre Lage, indem sie zum Beispiel ihre Kinder arrangiert verheiraten und so aus dem Integrationsprozess dieser Gesellschaft herausreißen. Was gibt es Wichtigeres als das Recht auf selbstbestimmtes Leben und Freiheit?“ Solche Selbstverständlichkeiten brachten die „Migrationsforscher“ noch mehr in Rage, denn wenn die Gesellschaft nicht der Alleinschuldige ist, entfällt auch der Ansatz, dass sich vor allem die Gesellschaft ändern müsse, wenn die Lage der Migranten verbessert werden soll.
Warum die Riege der Gutmenschen aus Politik, Medien und Wissenschaft nie um eine kommode Ausrede verlegen und allzeit bereit ist, beide Augen zuzudrücken, ist einfach zu erklären. Erstens macht es viel mehr Spaß, sich für die Befreiung Palästinas und der Gefangenen von Guantanamo einzusetzen, weil man dafür nichts anderes tun muss, als auf die Straße zu gehen und ein Poster in die Luft zu halten. Hinzu kommt, dass solche Aktionen garantiert folgenlos sind. Kein Demonstrant wäre gehalten, einen der Gefangenen von Guantanamo bei sich zu Hause aufzunehmen, mit ihm Tisch, Bad und Küche zu teilen, um ihm bei der Rückkehr ins normale Leben zu helfen. Würde er sich aber mit derselben Intensität um die verletzte Menschenwürde der „Importbräute“ sorgen, hätte er bald deren Männer, Brüder und Väter am Hals. Ein letzter Rest seiner längst erloschenen Wirklichkeitswahrnehmung signalisiert ihm, dass ihm das nicht gut bekäme. Da unterschreibt er lieber eine Resolution gegen Zwangsprostitution und genießt zwischen zwei Margaritas das Gefühl, sich ganz toll engagiert zu haben. Es geht also nicht darum, etwas zu tun, sondern darum, so zu tun, als ob man was täte.
Wissend, dass es ein Problem gibt, dem man nicht gewachsen ist, entscheidet man sich für aktive Ignoranz, organisiert Straßenfeste, gemeinsame Gottesdienste zu Mohammeds Geburtstag, Konferenzen zum Dialog der Kulturen, kurzum, man agiert wie der Kapitän der „Titanic“, der das Bordorchester aufspielen lässt, um den Passagieren den Untergang so angenehm wie möglich zu gestalten.
Wie der Genosse Zufall es wollte, kamen im Frühjahr 2006 drei mediale Großevents zusammen: der Karikaturen-Streit, die Diskussion um Ehrenmorde und andere Familienverbrechen in „Migrantenfamilien“ und die Entdeckung, dass es an vielen deutschen Schulen zugeht wie in einem Piranha-Becken. Allen gemeinsam war, dass sie erstens um das Thema „Gewalt“ kreisten und zweitens nichts als Ratlosigkeit evozierten.
Ende März wurde bekannt, dass die Rektorin der RütliSchule in Berlin-Neukölln im Auftrag der Lehrerkonferenz einen Brief an den Schulsenator geschrieben und ihn gebeten hatte, die Schule aufzulösen. In dem Brief hieß es, ein geordneter Unterricht finde nicht mehr statt, die Stimmung sei geprägt von Zerstörung, Gewalt und menschenverachtendem Verhalten, Lehrer würden ignoriert und oft auch attackiert, in bestimmte Klassen gingen sie nur noch mit Handys, um im Notfall Hilfe holen zu können. Der Anteil der Kinder deutscher Herkunft an der Rütli-Schule, also ohne „Migrationshintergrund“, liegt knapp unter 20 Prozent, der Anteil der Kinder „arabischer Herkunft“ dagegen bei 35 Prozent, der „türkischer Herkunft“ bei 26 Prozent. Wer unter solchen Umständen den Ton auf dem Schulhof angibt und wer ein „Integrationsproblem“ hat, liegt auf der Hand. Die Schüler deutscher Herkunft werden als „Schweinefleischfresser“ beschimpft; sie versuchen, sich der Mehrheit anzupassen, indem sie bewusst gebrochen Deutsch sprechen, um weniger aufzufallen.
Über die Frage, wie man das Problem wieder in den Griff bekommen könnte, kommt es zu einem permanenten Wettbewerb der Ideen. Der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm schlug die Einführung einer „Schnupperknast“-Regelung vor. Gewalttätige Schüler sollten der Schule verwiesen und für einige Tage in Jugendarrest genommen werden. Die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth sprach sich für „verbindliche Elternkurse“ aus, „auch für deutsche Familien“. Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller wollte diejenigen Migranten, die sich weigerten, an „Integrationskursen“ teilzunehmen, bestrafen lassen.
So lief die Diskussion in den eingefahrenen Bahnen: Mehr Staat, mehr Geld, mehr Sozialarbeiter, mehr Anreize, mehr Gebote und Verbote, mehr Fordern und Fördern, mehr Verständnis, mehr Dialog, Hauptsache mehr. Bis der Tagesspiegel Mitte Mai mit einer überraschenden Geschichte erschien: „Ausländer bevorzugen Schulen ohne Ausländer.“ Unter den türkischen Migranten gebe es „immer mehr bildungsbewusste, die auch vor einem kostspieligen und schwierigen Umzug nicht zurückschrecken, damit es ihren Kindern im sozialen Fortkommen besser geht als ihnen“. Sie würden alles unternehmen, um ihre Kinder an Schulen mit einem möglichst kleinen Anteil an Ausländern zu schicken. Vor allem unter Migranten aus Vietnam habe Bildung „oberste Priorität“, deswegen seien die vietnamesischen Kinder „meistens sehr leistungsstark“, schon die zweite Generation der Vietnamesen sei „sprachlich und kulturell in Deutschland verortet“.
Man kann wohl ohne große empirische Studien davon ausgehen, dass die Vietnamesen ebenso wie die Türken und alle anderen Migranten nicht mit einem Business-Class-Ticket in Deutschland einschweben, dass niemand ihnen den roten Teppich zum Empfang ausrollt, dass sie aus kleinen Verhältnissen kommen und enorme Schwierigkeiten überwinden müssen, bevor sie in der Lage sind, eine Inszenierung von Claus Peymann am Berliner Ensemble zu verstehen. Warum schaffen es dann die Vietnamesen (wie die meisten anderen Asiaten), sich zu integrieren, obwohl auch sie in Ghettos und „Parallelgesellschaften“ leben, zu Hause ihre Muttersprachen sprechen, im Wok kochen und natürlich auch dazu neigen, untereinander zu heiraten?
Vielleicht weil sie aus einer Kultur kommen, in der Arbeit und Lernen zu den primären Tugenden gehören, während es bei den Moslems aus der Türkei und den arabischen Ländern (natürlich mit Abstufungen) vor allem die Ehre, der Respekt und die Unterwerfung sind. Hier stößt eine Kultur des Fleißes und der Betriebsamkeit mit einer Kultur der Scham und der Schande zusammen, die auf jede „Provokation“ beleidigt und aggressiv reagiert. Kaum denkbar, dass ein vietnamesischer Vater, dessen Sohn einen Lehrer angegriffen hat, das Verhalten mit dem Satz rechtfertigt: „Er musste sich nur verteidigen“; das dagegen ist wirklich passiert: Ein zwölfjähriger türkischer Junge, wegen gewalttätigen Verhaltens schon öfter aufgefallen, schickt mit einem einzigen gezielten Faustschlag die 60-jährige Lehrerin zu Boden, was seine Mutter als ein „Versehen“ erklärt: „Mein Sohn hat nicht absichtlich geschlagen.“
Es ist diese Weigerung, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, das Necla Kelek beschreibt und das dazu geführt hat, dass fast jeder Täter das Opferprivileg für sich reklamiert. Er ist ein Opfer seiner Erziehung, der Gesellschaft, der Umstände – in Wirklichkeit ist er aber vor allem das Opfer der sozialpädagogisch delirierenden Kapitulanten, die ihm all das einreden, weil es die einfachste Art ist, mit dem Phänomen fertig zu werden.
Hinzu kommt, dass sich in den letzten Jahren eine Kultur der Gewalt und der Gewaltakzeptanz etabliert hat, was seltsam anmuten muss, weil es doch vor allem junge Menschen, Schüler und Lehrlinge sind, die sich auf Friedensdemos in Pace-Fahnen hüllen, „Gewalt ist keine Lösung!“ und „No blood for oil“ schreien. Aber das Bild führt in die Irre, man sollte nicht alle Friedensfreunde unter den Generalverdacht des Pazifismus stellen. Es kommt darauf an, wer bombt und tötet. Am Rande der Demos gegen den Krieg im Irak wird für den „irakischen Widerstand“ gesammelt, dessen Terror Tausende von Irakern das Leben gekostet hat, normale Menschen, die auf einem Markt einkaufen oder in einem Café die Zeitung lesen wollten. Deren Blut darf vergossen werden, sie sterben für eine gerechte Sache.
Und dann ist da noch der legitime und revolutionäre Widerstand der Palästinenser gegen Vertreibung und Völkermord. Übrigens der einzige Völkermord in der Geschichte, bei dem die Bevölkerung nicht dezimiert wurde, sondern sich kräftig vermehrt hat – um den Faktor neun. Wohl deswegen weisen Kommentatoren bei jedem Anschlag darauf hin, dass die Palästinenser keine anderen Mittel haben, um sich gegen das an ihnen begangene Unrecht zu wehren. Auf deutschen Universitäten gibt es Vorlesungen und Seminare über die „Ethik des Terrors“, und sogar in der ARD und im ZDF ist gelegentlich von „Widerstandskämpfern“ die Rede, wenn eigentlich nur Terroristen gemeint sein können, die sich in Cafés und Bussen in die Luft sprengen.
Dieselben Leute wundern sich dann über türkische Jugendliche, die sich ihren Extrakick im „Tal der Wölfe“ holen. Die Kids jubeln, wenn Amis in kleine Stücke zerlegt werden, und klatschen Beifall, wenn es Juden an den Kragen geht. Unfähig, gegen die eigenen Eltern zu rebellieren, gefangen in einem Käfig aus Tradition und Repression, toben sie ihren Frust an der eigenen Lage und ihren Hass gegen die „Gesellschaft“ auf der Straße aus. Den Eltern ist das recht, so bleibt der Hausfrieden erhalten. Und die Gesellschaft bringt ihnen viel Verständnis entgegen, fragt nach ihren Motiven, schickt Sozialarbeiter los und vergibt Forschungsaufträge an Migrationsforscher. Das Ergebnis der gebündelten Anstrengungen ist so dünn, dass es in eine Pita passen würde: Gewalt ist geil! Und wer am lautesten schreit, wird am ehesten gehört.
So führt eine direkte Linie von der Al Qaida im Irak und der Intifada in Palästina zu den Jugendlichen mit „Migrationshintergrund“ in Neukölln und Moabit. „Man hat das Gefühl“, schreibt Necla Kelek, „die Muslime wollen im Verbund mit den Nationalisten ausprobieren, ob und wie sie dem Westen die Stirn bieten können. Sie demonstrieren gegen die Mohammed-Karikaturen, feiern im Kino schon mal einen Sieg gegen die Amerikaner.“
Das erstaunliche Selbstbewusstsein der moslemischen Jugendlichen, die ihre Mitschüler „Nutten“ und „Schweinefleischfresser“ schimpfen, speist sich nicht aus Erfolg oder Leistung, sondern aus ihrer Gruppenzugehörigkeit. Osama bin Laden zeigt der ganzen Welt den Stinkefinger – sie machen es auf dem Schulhof und in der U-Bahn.
Derweil veranstaltet der Zentralrat der Juden gemeinsam mit der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion ein Symposium über „Antisemitismus, Islamophobie und Fremdenfeindlichkeit“ und gibt damit dem Phantombegriff „Islamophobie“ den Anschein des Realen, schlägt der grüne Abgeordnete Hans-Christian Ströbele die Einführung eines muslimischen Feiertages und zum Ausgleich die Streichung eines christlichen Feiertages vor, und die EU arbeitet an einem politischen Wörterbuch für den Hausgebrauch ihrer Bürokraten, in dem der vieldeutige Begriff „Dschihad“ nicht mehr vorkommen soll und das diskriminierende Wort „Terrorist“ vermutlich auch nicht.
Nur nicht provozieren, die Terroristen könnten ja noch böser werden.
Henryk M. Broder ist Publizist und schreibt unter anderem für den Spiegel und den Tagesspiegel. Der vorliegende Essay ist ein Vorabdruck aus seinem Anfang September erscheinenden neuen Buch „Hurra, wir kapitulieren!“ im wjs-Verlag Berlin
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