- Je größer die Krise, desto beliebter die Queen
Großbritannien droht der Staatszerfall, Cameron will über den EU-Austritt abstimmen lassen: Inmitten der politischen Erschütterungen wirkt das Königshaus wie ein Hort der Stabilität. Das wird auch deutlich, wenn Queen Elizabeth II. ab Dienstag zum fünften Mal Deutschland besucht
Im wunderschönen Monat Mai, wenn wir in Blüten und Blumen schwelgen, gibt die Natur gerne Contra mit metereologischem Ungemach. „Rough winds do shake the darling buds of May”, erinnert uns Shakespeare in seinem berühmtesten Sonnet, „Shall I compare thee to a summer’s day?“ – „durch Maienblüten rauhe Winde streichen“, wie Dorothea Tieck es übersetzt hat.
So kam der 7. Mai im politischen Kalender der Briten heran, der Tag der Unterhauswahl. Und fürwahr, raue Winde strichen durch Maienblüten der Hoffnung. Mehr als raue Winde – ein Beben suchte die britische Insel heim. Aus all den Zerstörungen ging eine neue politische Kraft hervor, die schottischen Nationalisten, die über Nacht zum unglaublichen Hulk der britischen Politik geworden sind, die drittstärkste Fraktion im Parlament. Ein Menetekel.
Doch vier Tage zuvor hatte ein anderes Ereignis die Politik vergessen lassen. Am 3. Mai wurde Charlotte geboren, ein Mädchen, das zweite Kind des Herzogs und der Herzogin von Cambridge und das fünfte Urenkelkind Ihrer Majestät, Königin Elizabeths der Zweiten. Baby Charlotte warf einen Zauber über die Briten und weit über sie hinaus, das Land stand Kopf. Die Radio- und Fernseanstalten, rund-um-die-Uhr-Sender wie BBC und SkyNews, warfen ihre Programme über den Haufen, auch den Wahlkampf und seine Aufgeregtheiten, und schalteten wie auf Befehl komplett auf Royalty.
Royal Family profitiert vom Ansehensverfall anderer Institutionen
In einem Land, an dem zentrifugale Kräfte rütteln, die das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland zunehmend unvereinigt aussehen lassen, erschien die Monarchie plötzlich – und wieder einmal – als einigendes Band der an sich selbst zweifelnden Gesellschaft. Gewiss, die Begeisterung galt in erster Linien der Prinzessin, niemand kann sich der Ausstrahlung einer königlichen Geburt entziehen. Aber ihr Appeal gründet auch auf einem seltenen Kontrast. Man muss das Kind gegen die Präsenz – die Immanenz – der fast 90-jährigen Königin setzen, einer Ikone, die nicht wegzudenken ist aus dem Pantheon der Gegenwart. Hier die Neugeborene, dort die alterlos Immerwährende, der jüngste und der älteste Spross einer Königsfamille, der Windsors.
Wer hätte vor 25 Jahren, als die Royal Family aufgrund einer nicht enden wollenden Skandalserie auf dem Tiefpunkt ihres Ansehen stand, auf die Monarchie setzen wollen? Auch hier rückt ein Kontrast ins Bild, geht doch die heutige Wiedergeburt des Königtums Hand in Hand mit dem Ansehensverfall anderer Institutionen. Ob Banken, Medien, Kirchen oder die Politik – überall erleben wir einen Vertrauensschwund, traditionelle Säulen der Gesellschaft wanken. Da wirkt die Krone wie ein Hort der Stabilität.
Der Umschwung kam mit einem Glücksfall – mit Prinz William. Durch die Heirat mit einer Bürgerlichen aus der „middle class“ mischte der Herzog von Cambridge ein Element Normalität in die lange Zeit dysfunktional wirkenden Windsors. Ihm und seiner Frau gelingt es, die Jugend wieder stärker ans Königshaus zu binden. Mit ihrer wachsenden Familie verkörpern beide darüber hinaus ein in der Moderne – und in der älteren Generation der Royals – fast verschüttetes Ideal: die intakte Familie, die intakte Ehe.
Die Queen muss auf Cameron hoffen
Seit der Geburt ihres Urenkels George vor zwei Jahren kann die Queen gleichsam wie durch ein umgekehrtes Fernrohr in die gesicherte Thronfolge schauen – Charles, William, George. Es scheint, als habe sich die Nachwelt bereits im Hier und Jetzt eingefunden. Jahr für Jahr erntet Elizabeth die Früchte ihrer Langlebigkeit und dienstlichen Hingabe, wobei sie mit dem gesellschaftlichen Wandel immer eine kluge Koalition eingegangen ist. So hat sie das dynastische Prinzip gegen die Erosion der Zeit neu gefestigt.
Nach „Macht“ im herkömmlichen Sinn darf man nicht fragen. Die Macht dieser Frau liegt in der Aura ihres langen Weges durch die Zeitgeschichte. Zwölf Premierminister hat sie bereits erlebt, sie birgt ein Wissen, wie es kein Politiker in seiner limitierten Amtszeit je ansammeln könnte. Dieser Weg wird nicht in die Abdankung münden, so viel ist sicher. Das Wort ist Anathema, seit der Onkel der Queen, König Edward VIII., 1936 um der zweimal geschiedenen Amerikanerin Wallis Simpsoin willen auf den Thron verzichete.
Gefahren drohen heute nicht der Institution, Gefahren drohen der Einheit des Königreiches. Wie lange wird Schottland noch dazu gehören? Zwar möchten die Schotten auch in der Unabhängigkeit die Königin als Staatsoberhaupt beibehalten. Aber das wäre ein schwacher Trost für das Ausscheren aus der britischen Union. Die königliche Thronfolge mag gesichert sein – der staatliche Zusammenhalt der Insel keineswegs.
Elizabeth II. wird sich auf die Regierung Cameron verlassen, die schottische Karte richtig zu spielen und das Auseinanderbrechen des Königreiches zu verhindern. Inzwischen folgen sie und Prinz Philipp mit seinen fast 94 Jahren einer alten Devise: Keep calm and carry on.
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