- „Götterdämmerung“: Brünnhilde am Bauzaun oder Apocalypse Mau
Der Musikjournalist Axel Brüggemann dokumentiert für Cicero seine Eindrücke der Wagner-Festspiele. Mit der „Götterdämmerung“ ging die „Ring“-Inszenierung von Valentin Schwarz zu Ende - unter Buh-Rufen des Publikums. In der Tat ist in diesem „Ring“ wenig zusammengewachsen: zu viel schiefe Symbolik, zu viel Selbstzweckhaftes, zu wenig Humor. Und Dirigent Cornelius Meister sorgte zudem für matschige Klangfarben.
Nachdem Brünnhilde den Sinn der Welt am Bauzaun erkennt und hinuntersteigt in den abgesifften Pool, wo sie eine Art Salome-Tänzchen mit dem abgehackten Kopf ihres geliebten „Dieners“ Grane hinlegt, sich neben den toten Siegfried bettet, während ihr gemeinsames Kind, das als Bettnässer und Seelenkrüppel aufgewachsen ist, schon gestorben ist, legt Cornelius Meister noch eine Generalpause ein, die so lange dauert, dass man auf die Idee kommen könnte, er wäre kurz für „kleine Dirigenten“. Und nachdem dann Wagners Welterlösungsmotiv erklungen ist, darf sich endlich der geballte Opernfrust Bahn brechen, der sich in den letzten 16 Stunden angestaut hat. Die Wagnerianer im Bayreuther Festspielhaus haben sich von diesem „Ring des Nibelungen“ offensichtlich persönlich beleidigt gefühlt. Und so entlädt sich eine stimmgewaltige Meute, die nur darauf gewartet hat, Valentin Schwarz und sein Team mit „Buhs“ zu steinigen – eine Stimmung wie im alten Rom, nur ohne Löwen.
Tatsächlich ist in der „Götterdämmerung“ nur wenig zusammengewachsen in diesem „Ring“: Valentin Schwarz’ Klugscheißer-Sidestories und die unterschiedlichen Inzest-Ebenen, die Schwarz gegen Wagners eigene Symbolik eingetauscht hat, haben sich immer wieder verknotet, haben sich zu oft als Selbstzweck offenbart und blieben, gerade wenn sie klug gedacht waren, viel zu oft viel zu zahnlos. Schwarz hat es im ganzen „Ring“ verpasst, klar zu arbeiten: Das Systemsprengerkind Hagen hat im „Rheingold“ mit Farbe gekleckert statt den ganzen Kinderhort auseinanderzunehmen; dass Siegfried und Brünnhilde am Ende von „Siegfried“ zu Bonnie und Clyde mutieren, ist eine gute Idee, die aber mehr Exzess verlangt; dass Siegfried alias Gunther Brünnhilde verprügelt, wenn er sie vom Felsen entführt, macht ebenfalls Sinn, hätte aber theatral klarer (vielleicht Blutungen?) sein können, und Brünnhildes Tanz mit dem abgehackten Kopf am Ende blieb handwerklich ebenfalls merkwürdig indifferent.
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Das klingt zwar alles sehr lustig, aber nicht nach Festspielen, wie frau sie üblicherweise bei Wagner-Musik im Hinterkopf hat.
Sofern würde Wagner, der ja ein sehr ernsthafter Mensch war. Mit einer großen Vorliebe für germanische Heldensagen, christliche Mystik und sein immer wiederkehrendes Thema der politischen und menschlichen "Erlösung".
Sich im Grabe umdrehen.
Und mit ihm Ludwig II. der Wagner ja über alles Maß protegiere.
Na, wieviel hat die Gelegenheit zur Selbstbespiegelung eines inkompetenten, völlig überschätzen und sich selbst überschätzenden Narzissten nun gekostet? Darf man wissen, wieviel der Herr dabei verdient hat?
Aber Hauptsache: Man hat den "Ring" im CV stehen! Auch so kann man Bayreuth an die Wand fahren. Vielleicht auch Absicht. Hauptsache: Man kommt in die Presse und steht im Rampenlicht. Buh-Rufe sind offenbar eben genau das, was man braucht.
Übrigens der junge Patrice Chéreau (1976-1980) hatte damals ein wenig mehr auf dem Kasten. Auch ein junger Spund damals, aber nicht vergleichbar. Und es gab einen "Jahrhundertring".