- Das Geschäft mit dem Musikdumping
Die Google-Videoplattform YouTube dehnt ihr Angebot auf einen Audiostreamingdienst aus und verlangt dafür Dumpingpreise. Das setzt kleinere Indie-Labels massiv unter Druck
„The day the music died“, den Tag, an dem die Musik stirbt, sang Don McLean schon Anfang der 1970er Jahre. Da boomte die Musikindustrie noch durch Plattenverkäufe. Momentan könnte er mit seiner resignierenden Zeile aus dem Song "American Pie" allerdings ins Schwarze treffen.
Ende Juli könnte er kommen, der Tag, an dem zumindest ein Großteil der Musik von unabhängigen Produzenten von der marktdominierenden Onlineplattform YouTube verschwindet. Weltweit setzte der Internetgigant unabhängige Musikunternehmen, sogenannte Independents, und Verbände unter Druck. Bis Ende Juli sollen sie neue Vertragsbedingungen unterschreiben, nach denen sie laut der Aussage des Verbands unabhängiger Musikunternehmer e.V. für ein abgespieltes Lied auf YouTube vergleichsweise bedeutend weniger bekommen als die großen Label der Branche wie Sony oder Universal.
„Cro und Die Toten Hosen sind nur zwei bekannte Künstler, deren Partner unabhängige Musikunternehmen sind“, erklärt der stellvertretende Geschäftsführer Jörg Heidemann. Er fügt jedoch hinzu, dass „es gleichzeitig eine große Anzahl von weniger bekannten, aufstrebenden Künstlerinnen und Künstlern gibt, die aus Deutschland kommen.“
Doch die vertraglichen Neuerungen von YouTube betreffen Musiker weltweit. Der Grund für den Streit der unabhängigen Unternehmen ist ein erfolgreiches Geschäftsmodell, das nach den bekannten Musikdiensten Spotify und Deezer nun auch YouTube einführen möchte. Beim „Audiostreaming“ werden Musikdateien nicht heruntergeladen, sondern nur online abgespielt. In einer riesigen Datenbank kann der Kunde sich die gewünschten Lieder anhören. Der Anbieter zahlt pro Stream einen entsprechenden Betrag an das Musikunternehmen des Künstlers. Den Umsatz generiert der Anbieter zum Beispiel aus Werbung und Premium-Kunden, die durch eine Nutzungsgebühr unbegrenzten und auch mobilen Zugriff auf die Musikdatenbank haben.
YouTube kommentiert die laufenden Verhandlungen nicht
Von den Verhandlungen zwischen YouTube und den unabhängigen Musikunternehmen dringt beinahe nichts an die Öffentlichkeit. YouTube Deutschland gab in einem Statement gegenüber Cicero Online nur zu verstehen, dass sie „ jedes Jahr Hunderte Millionen Dollar an die Musikindustrie auszahlen.“ Weiterhin berichtet der Konzern von „erfolgreichen Arrangements mit Hunderten unabhängiger und Major-Labels auf der ganzen Welt - laufende Verhandlungen werden wir nicht kommentieren."
Gegenüber der Financial Times bestätigte der Inhalte-Chef des Unternehmens, Robert Kyncl jedoch am Dienstag, dass Label „in wenigen Tagen“ blockiert würden, wenn sie sich nicht an die neuen Regeln hielten. 95 Prozent der Musikverlage hätten die Lizenzzahlungen allerdings akzeptiert. Unter ihnen seien auch die großen Label der Branche.
Die weltweite Organisation unabhängiger Musikunternehmen, das Worldwide Independent Music Industry Network (WIN), spricht, soweit ihr Einblick in die einzelnen Verträge ausreicht, ebenfalls „von einer großen Diskrepanz der Vergütung von unabhängigen und marktführenden Musikunternehmen“. Über die Dauer der Geheimverhandlungen, bei denen das WIN nach eigenen Angaben über Tausend Labels vertritt, liegen der Organisation auch keine weiteren Informationen vor.
Der stellvertretende Vorsitzende Marc Chung bezweifelt, dass YouTube die Relevanz der unabhängigen Musikunternehmen bewusst ist: „Ich glaube nicht, dass YouTube wirklich versteht, wie der Musikmarkt funktioniert. Der Anteil von unabhängigen Musikunternehmen am Markt liegt bei über dreißig Prozent weltweit." Weiterhin erwähnte Chung auf der Diskussionsveranstaltung d.day im Soho Hotel Berlin, dass die Independents eine interessante Vielfalt an Künstlern böten. "Ich weiß nicht, ob darüber nachgedacht wurde, als YouTube die Bedingungen für die neuen Verträge festlegte.“
Das Angebot von YouTube, „Musik zu Dumpingpreisen“ als Streamingdienst anzubieten, soll den Gewinn der Google-Tochter in die Höhe treiben. Für die gesamte Musikbranche bedeutet es jedoch einen gewaltigen Schritt in die falsche Richtung. In den letzten fünfzehn Jahren brachen die Einnahmen der US-Musikbranche um 60 Prozent ein, von 22 auf 9 Milliarden Dollar.
Grund dafür war vor allem die kostenlose Verbreitung urheberrechtlich geschützter Musik unter Millionen Nutzern in Onlinenetzwerken. Der Durchbruch des Streamingmodells mit Premium-Funktion jedoch zeigt, dass es Möglichkeiten gibt, Künstler und Labels zu bezahlen. Eine große Anzahl an Kunden ist bereit, Geld auch im Internet in Musik zu investieren. Der auf Copyright spezialisierte Journalist Robert Levine, der 2011 in seinem Buch „Free Ride“ Kostenlos-Nutzer im Internet noch als „Parasiten“ bezeichnet hat, schätzt die Entwicklung für die Musikbranche mittlerweile eher positiv ein: „Vor fünf Jahren haben wir darüber diskutiert, ob Künstler bezahlt werden können, ob online überhaupt jemand für Musik zahlt. Heute stellt sich nur noch die Frage: Wer bekommt wie viel von dem Erlös?“
Unternehmen wenden sich an die Politik
Wenn die großen Vertreiber den Hauptanteil des Erlöses aus dem Onlinegeschäft bekommen, würde das den Wert von Kulturgütern bedeutend senken. Insbesondere, wenn es die dreißig Prozent trifft, die die Vielfalt auf dem Musikmarkt verkörpern. Dabei bewegt sich YouTube an der Grenze der Legalität. Da das Unternehmen seine Machtposition durch Dumpingpreise ausnutzen könnte, um Anbieter wie zum Beispiel Spotify vom Markt zu verdrängen, verstößt dies nach Ansicht des WIN gegen das Wettbewerbsrecht. Musiklabels in Amerika und Europa führten diesbezüglich bereits Gespräche mit der US-Regierung beziehungsweise der Europäischen Kommission.
Dennoch bestimmt die Videoplattform den Onlinemusikmarkt. Musiker und Labels, die vom Mainstream abweichen, suchen noch einen Weg, sich gegen den Einfluss der Google-Tochter durchzusetzen. Dabei können sie sich natürlich an Politiker wenden, um YouTube maßregeln zu lassen. Langfristig ist es jedoch unumgänglich, dass unabhängige Musikunternehmen neue Nischenmärkte und Businessmodelle für sich entdecken.
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