- Samariter und Pharisäer
Konformität ist das Bindemittel sozialer Gruppen. Wer sich nicht anpasst, wird ausgegrenzt. Unangenehme Debatten werden nicht geführt. Wenn eine falsche Politik so Überlegenheit gewinnt, kann das fatale Folgen haben
Oft wurde ich in den letzten Jahren gefragt: „Wie halten Sie das nur aus?“ Ich stellte dann immer die Gegenfrage: „Ja, was denn?“ Darauf folgte meist: „Na, die Kritik an Ihrer Person, die Herabsetzungen und Anfeindungen.“ Je nach Situation und Gesprächspartner antwortete ich dann, dass mir das nichts ausmacht, dass das nicht so schlimm sei, dass ich vieles sowieso nicht mitbekäme oder so ähnlich. Nun ist das meiste wirklich nicht so schlimm, und in der Politik habe ich auch gelernt, Anfeindungen auszuhalten. Trotzdem habe auch ich mich immer wieder bei dem Wunsch ertappt, beliebt zu sein, sympathisch zu wirken. Das ist ja auch ganz menschlich.
Immer dann, wenn man glaubt, die eigene Ansicht könnte in einem bestimmten Kreis unpopulär sein, wächst die Versuchung, damit hinter dem Berg zu halten, seine Meinung allenfalls anzudeuten, um nicht zum Außenseiter zu werden. So entsteht im öffentlichen Raum der Eindruck, derlei Einstellungen seien weniger häufig, als sie es tatsächlich sind. Das gilt für alle Bereiche des menschlichen Lebens. Zu einer Zeit beispielsweise, als offen gezeigte Sexualität verpönt war, erschien die Gesellschaft viel sittsamer und gleichförmiger, als sie es tatsächlich war.
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