- Was linke Politiker reden, interessiert linke Wähler nicht
Linker Schönsprech kommt bei den Wählern kaum an. Das geht aus einer Wertestudie des Meinungsforschungsinstituts YouGov und des Change Centres in Meerbusch hervor. Anhänger und Politiker von SPD und Linke haben demnach sehr unterschiedliche Wertvorstellungen
Wie passen die Wertvorstellungen der Wähler einer Partei und ihrer gewählten Abgeordneten zusammen? Bei welcher Partei klaffen die größten Lücken zwischen den Werten ihrer Anhänger und ihrer Volksvertreter?
Logisch: Die Linke ist die ideologisch strammste der Parteien. Deshalb werden sich die Wertvorstellungen ihrer Wähler und Politiker am meisten ähneln, sollte man meinen. Und in einer liberalen Partei wie der FDP kann jeder nach seinen individuellen Werten glücklich werden – also müsste der Wertekanon in einer liberalen Partei am heterogensten sein. Beides klingt plausibel. Es ist aber genau umgekehrt. Die Werte bei der Linken klaffen von allen Bundestagsparteien am stärksten auseinander, bei der FDP sind sie am homogensten.
Dies sind zwei der überraschenden Ergebnisse der Wertestudie 2013, die wir zusammen mit dem Meinungsforschungsinstitut YouGovAG, Köln, kürzlich durchgeführt haben.
Was sind eigentlich Werte? In den Sozialwissenschaften sind das verdichtete Vorstellungen, von denen sich die Menschen in ihrem Alltag – in dem, was Gesellschaft wesentlich ausmacht – leiten lassen. Was ihre wichtigsten Werte seien, haben wir im Juli 2013 eine repräsentativ zusammengesetzte Bevölkerungsstichprobe gefragt. Die gleiche Frage wurde in einer Parallelbefragung von über tausend Volksvertretern beantwortet, Mandatsträgern in den großen Städten, in den Landtagen und im Bundestag.
Mehr Pragmatismus in der Bevölkerung
Das mindestens in Deutschland einzigartige Studiendesign erlaubt direkte Vergleiche zwischen dem Souverän aller politischen Entscheidungen, also dem Volk, und seinen Repräsentanten, also den Volksvertretern. Dabei kommen interessante Ergebnisse zu Tage. Zunächst: In mancherlei Hinsicht kommen die Bürger und ihre Abgeordneten zu durchaus ähnlichen Resultaten. Auf beiden Seiten heißt es, die Bedeutung von Werten habe in den vergangenen Jahren abgenommen. Das kann als allgemeiner Kulturpessimismus gedeutet werden („ach, früher war alles besser und Werte wurden auch höher gehalten...“) oder schlicht als ein Trend zu mehr Pragmatismus, wenn es um die Orientierungspunkte unseres Handelns geht.
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Vieles spricht für die zweite Interpretation. So scheinen die Bürger deutlich „wertnüchterner“ zu sein. Unter ihren fünf Favoriten finden sich – im Vergleich zu den Politikern – eher alltagsorientierte Werte: Respekt, Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Familie und Freiheit. Die Abgeordneten – übrigens ohne große Unterschiede zwischen den drei parlamentarischen Ebenen Bund, Land und Kommune – präferieren Gerechtigkeit, Toleranz, Freiheit, Solidarität und Respekt, jeweils auf einem deutlich höheren Zustimmungsniveau als die Bürger. Allesamt hehre Wertkonzepte, die auch direkt aus den Programmen der Parteien übernommen worden sein könnten. Sie orientieren sich natürlich stärker am politischen Schönsprech, der auch ihren Alltag bestimmt.
Wenn man genauer hinschaut, gibt es sie dann doch, die Kluft zwischen dem Volk und seinen Vertretern. Ausdrücken lässt sie sich im von uns entwickelten „Diskrepanzindex“. Er zeigt an, um wie viel Prozentpunkte sich die Wertpräferenzen bei zwanzig abgefragten Werten insgesamt unterscheiden und fasst damit die einzelnen Abstandsmaße in einem einzigen, griffigen Wert zusammen. Zwischen Bürgern und Abgeordneten insgesamt liegt der Diskrepanzindex durchschnittlich bei 9,1 Prozent. Noch interessanter wird es allerdings, wenn man sich anschaut, wie die Unterschiede zwischen den Abgeordneten einer bestimmten Partei und den Wählern genau dieser Partei aussehen.
Diese Diskrepanz nämlich ist höchst unterschiedlich ausgeprägt. Interessant ist zunächst, dass nicht etwa die beiden großen Parteien wert-heterogen und die drei kleineren Parteien wert-homogen sind. Sondern die Wertekluft wächst von rechts nach links. Dass der Werte-Abstand zwischen Politikern und Wählern bei der liberalen FDP mit 6,5 Prozent gar nicht so groß ist, wie man auf den ersten Blick annehmen könnte, leuchtet durchaus ein. Denn die FDP von heute umspannt nicht mehr das weite Spektrum von den links- bis zu den rechtsliberalen. Sie ist eher eine Klientelpartei geworden. Und so sind die Demografie der Wählerschaft und auch die vertretenen Haltungen recht einheitlich geraten. Am größten ist mit 14,3 Prozent der Abstand zwischen Wählern und Politikern der Linkspartei. Es ist also keine Erfindung der Medien oder der anderen Parteien, dass die Linke von sektiererischen, teilweise anarchischen Splittergruppen im Westen bis zu konservativen Staatssozialisten im Osten reicht. Die Wähler und die Politiker der Linken – sie verstehen sich nicht.
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Zwischen FDP und Linken reihen sich dann in schönster Rechts-Links-Reihenfolge die CDU/CSU (7,8 Prozent), die Grünen (9,3 Prozent) und die SPD (11 Prozent) ein. Obwohl sich die Union – ob beim Streit zwischen CDU und CSU oder zwischen Modernisierern und konservativen Hardlinern – keineswegs harmoniesüchtig darstellt, ist ihr Wertehimmel doch noch recht intakt. Ihre Wähler und Politiker sehen sich wohl doch noch als Angehörige einer Wertefamilie. Die Grünen repräsentieren fast genau die durchschnittliche Abweichung von Werten ihrer Wähler und ihrer Politiker. Ein weiteres Indiz dafür, dass sie ziemlich in der Mitte des Parteienspektrums angelangt sind.
Wähler und Politiker von SPD ticken anders
Bei der SPD dagegen ist die Diskrepanz klar überdurchschnittlich. Genau das ist wohl ihr Problem: Ihre Wähler und ihre Volksvertreter ticken nicht im gleichen Takt. Vielleicht ist dieses Faktum viel wichtiger als die Debatten um den Spitzenkandidaten. Bei den beiden linken Parteivertretern von SPD und Linkspartei werden die Wertbegriffe aus der Parteitradition – besonders Solidarität – am deutlichsten präferiert. Ihre Wähler sind da viel nüchterner. Das sollte den Parteistrategen im Willy-Brandt- oder dem Rosa-Luxemburg-Haus zu denken geben, zumal die Wertunterschiede gerade bei den linken Parteien zwischen 2011 und heute noch zugenommen haben.
Daraus ergeben sich viele Fragen. Zum Beispiel: Sollten die Parteistrategen vielleicht genauer hinschauen, was für die eigene Klientel wirklich wichtig ist? Sollte man in den Programmen daran arbeiten, ob die teilweise bereits vor Jahrzehnten geprägten – und von den Abgeordneten brav replizierten Wertbegriffe – noch „passen“? Eigentlich ist der Wahlkampf keine schlechte Zeit dafür, im Dialog mit den Wählern genau darüber zu reden. Auch wenn Veränderungsprozesse im Werteverständnis und Programmatik Jahre brauchen werden – lohnen könnte sich ein vertiefter Dialog mit den Wählern darüber allemal.
Die Wertestudie 2013 entstand in Zusammenarbeit des Meinungsforschungsinstituts YouGovAG, Köln, mit dem Think Tank Change Centre, Meerbusch. Prof. Dr. Joachim Klewes ist Sozialwissenschaftler und leitet die unabhängige Wissenschaftsstiftung Change Centre Foundation. Prof. Dr. Ulrich von Alemann (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) ist Politikwissenschaftler.
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