- Tot, bevor die Mücken kommen
In seinen letzten 24 Stunden auf Erden würde der Sänger Max Raabe mit Freunden am Wasser picknicken und danach einfach gehen – ohne dass es jemand mitbekommt
Am Ende kommt ja bekanntlich immer der Schluss. Diese Idee ist nicht von mir, sondern von Andreja Schneider, aber ich habe da an einem Vers mitgearbeitet: „Wir kommen auf die Welt als unbeschriebenes Blatt und feiern mit, obwohl uns keiner eingeladen hat.“ Die Interpretation dieses Satzes können Sie sich schenken.
Ich würde gerne feiern, mit sehr gutem Essen und sehr guten Sachen zum Trinken, vielleicht gäbe es Fisch und Quiche, und ein paar Freundinnen würden sicher Kuchen backen. Auf jeden Fall gäbe es aber Champagner. Die ersten drei Gläser schmecken ja meistens am besten, danach geht es nur noch bergab – wie so oft im Leben. Obwohl ich meine Nachlässigkeiten habe im Alltag, wäre ich sicher gut gekleidet. Es dürfte nicht regnen, wenn ich mir also etwas wünschen dürfte, dann einen ganz leichten Tag im Sommer, warm, an einem Picknickort am Wasser, bevor die Mücken kommen. Meine ganze Wahlverwandtschaft und auch die andere – zumindest Teile davon – sitzen dann gemeinsam an einer langen Tafel und vielleicht würde ich an einer Stelle irgendetwas sagen, so wie: „Liebe Freunde, wenn ich Sie so nennen darf … Schön, dass ihr alle da seid.“
Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, würde ich einfach gehen, ohne großen Aufwand und so, dass es niemand mitbekommt. Auf einmal wäre ich fort. Ein französischer Abgang. Oder ist das frech? Niemand wüsste, dass es meine letzten 24 Stunden sind, sonst wäre ja die ganze Stimmung hinüber. Der eigentliche Sinn meiner Rede würde sich auch erst dann aufklären. Dann, wenn ich nicht mehr wiederkomme. Oh Gott, ist das traurig …
Vorher müsste ich ein bisschen Zeit mit mir allein verbringen, aber auch nicht allzu lange. Ich habe oft mit dem Gedanken zu tun, dass es morgen vorbei sein kann, mit allem. Mit der Karriere, der Gesundheit. Ich fahre ein Auto ohne Gurt. Ich fahre Fahrrad ohne Helm. All das sind keine gewagten Dinge, aber eben doch nicht ganz ungefährlich. Wenn ich besondere Momente habe, ein erfolgreiches Konzert oder eine Tour, dann mache ich mir immer klar, dass das nicht von Dauer ist. Und je länger der Erfolg anhält, desto hysterischer werde ich. Trotzdem kann ich es genießen, das kann ich sogar sehr gut. Unterm Tag bin ich oft sehr glücklich mit meinem Leben, damit, dass es mir gut geht. Und dann, nicht unbedingt im selben Augenblick, aber etwas später, ist der Gedanke wieder präsent, dass bald alles zu Ende ist. Das ist keine Paranoia – vielleicht ist es katholisch?
Aber selbst wenn, ich habe immer auf Sachen Wert gelegt, die unabhängig von der Karriere funktionieren, wie Freundschaften. Ich bin häufig unterwegs, aber wenn ich wieder nach Hause komme und mich nach ein, zwei Tagen gefangen habe, dann kümmere ich mich um meine Freunde, verabrede mich, sehe zu, dass ich unter Leute komme. Ich kenne viele alte Menschen, die nie rührselig, die schon immer irgendwie versöhnt waren mit der Welt. Solche Dinge merke ich mir. Man muss viele Dinge sehr schnell aus der Welt bringen. Ich habe keine Leichen im Keller. Die muss ich dann an meinem letzten Tag auch nicht mehr hervorholen. Welch Glück.
Aufgezeichnet von Sarah Maria Deckert
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